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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 01.11.2016, 7 Sa­Ga 1629/16

   
Schlagworte: Versetzung, Weisungsrecht
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 7 SaGa 1629/16
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 01.11.2016
   
Leitsätze:

1. Der Streit, ob sich eine arbeitgeberseitige Weisung bezüglich des Arbeitsorts im Rahmen des Direktionsrechts bewegt, ist ein Rechtsverhältnis, das grundsätzlich einer gerichtlichen Klärung offen steht.
2. Bezüglich dieses Streites kommt auch eine Regelungsverfügung gem. § 940 ZPO jedenfalls dann in Betracht, wenn die Weisung des Arbeitgebers nicht lediglich „unbillig“ ist, sondern aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist.
3. In einem solchen Fall ist die Frage der „erforderlichen Maßnahme“ in einer Abwägung der beiderseitigen Interessen zu beantworten. An das Vorliegen des Merkmals „Abwendung wesentlicher Nachteile“ sind keine gesteigerten Anforderungen zu stellen.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Cottbus, Urteil vom 23.09.2016, 2 Ga 19/16
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ber­lin-Bran­den­burg

Verkündet
am 01. No­vem­ber 2016

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

7 Sa­Ga 1629/16
2 Ga 19/16
Ar­beits­ge­richt Cott­bus  

S., Ge­richts­beschäftig­te
als Ur­kunds­be­am­te der
Geschäfts­stel­le

Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In Sa­chen

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 7. Kam­mer, auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 1. No­vem­ber 2016 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt R. als Vor­sit­zen­de so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter A. und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin H.

für Recht er­kannt:

Die Be­ru­fung der Verfügungs­be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Cott­bus vom 20. Sep­tem­ber 2016 - 2 Ga 19/16 - wird auf ih­re Kos­ten mit der Maßga­be zurück­ge­wie­sen, dass der Verfügungs­be­klag­ten auf­ge­ge­ben wird, es bis zu ei­ner erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che zu dul­den, dass die Verfügungskläge­rin ih­re Ar­beit in dem E cen­ter Frank­furt/Oder nicht auf­nimmt.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten im Rah­men ei­nes einst­wei­li­gen Verfügungs­ver­fah­rens darüber, ob die Verfügungskläge­rin (im fol­gen­den Kläge­rin), ei­ne Verkäufe­r­in, ih­re Ar­beit in ei­ner Fi­lia­le der Verfügungs­be­klag­ten (im fol­gen­den Be­klag­te), ei­ner Ein­zel­han­dels­ket­te, in Frank­furt / Oder leis­ten muss, nach­dem sie dem Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses auf die neue In­ha­be­rin der Fi­lia­le der Be­klag­ten in Cott­bus, in der sie beschäftigt war, wi­der­spro­chen hat.

Das Ar­beits­ge­richt Cott­bus hat mit Ur­teil vom 23.09.2016, auf des­sen Tat­be­stand we­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens der Par­tei­en Be­zug ge­nom­men wird, der Be­klag­te un­ter­sagt, die Kläge­rin bis zur erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung des Haupt­sa­che­ver­fah­rens in der Fi­lia­le der Be­klag­ten in Frank­furt / Oder zu beschäfti­gen und

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der Be­klag­ten die Kos­ten des Ver­fah­rens auf­er­legt. Zur Be­gründung hat es im We­sent­li­chen aus­geführt, die Wei­sung der Be­klag­ten an die Kläge­rin, in Frank­furt / Oder zu ar­bei­ten, sei of­fen­kun­dig rechts­wid­rig, weil die Par­tei­en im Ar­beits­ver­trag Cott­bus als Ar­beits­ort ver­trag­lich ver­ein­bart hätten. In die­sem Fall könne die Kläge­rin nicht auf den Aus­gang der Haupt­sa­che ver­wie­sen wer­den. Zu­dem wäre es un­bil­lig, der Kläge­rin in An­be­tracht des Verhält­nis­ses ih­res mo­nat­li­chen Net­to­ein­kom­mens zu den an­fal­len­den Fahrt­kos­ten zu­zu­mu­ten, hin­sicht­lich der ent­ste­hen­den Fahrt­kos­ten in Vor­leis­tung zu tre­ten.

Ge­gen die­ses der Be­klag­ten am 26.09.2016 zu­ge­stell­te Ur­teil rich­tet sich ih­re Be­ru­fung, die sie mit ei­nem beim Lan­des­ar­beits­ge­richt am 29.09.2016 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz ein­ge­legt und mit ei­nem beim Lan­des­ar­beits­ge­richt am 11.10.2016 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz be­gründet hat.

Die Be­klag­te wen­det sich in ih­rer Be­ru­fungs­be­gründung ge­gen die An­nah­me des Ar­beits­ge­rich­tes, die Par­tei­en hätten im Ver­trag „Cott­bus“ als Ar­beits­ort ver­ein­bart. Es feh­le aber auch an ei­nem ent­spre­chen­den Verfügungs­grund, da es der Kläge­rin un­ter Berück­sich­ti­gung der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­rich­tes zu­zu­mu­ten sei, das Haupt­sa­che­ver­fah­ren ab­zu­war­ten und bis da­hin der ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Wei­sung Fol­ge zu leis­ten. Auf die Rück­nah­me ei­ner ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Wei­sung ha­be die Kläge­rin kei­nen An­spruch. So­fern sich die Wei­sung als rechts­wid­rig dar­stel­le, ha­be die Kläge­rin oh­ne­hin ei­nen An­spruch auf Er­stat­tung der Fahr­kos­ten.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

un­ter Abände­rung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Cott­bus vom 23.09.2016 – 2 Ga 19/16 – den An­trag auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung vom 09.09.2016 zurück­zu­wei­sen.


Die Kläge­rin be­an­tragt,

die Be­ru­fung der Verfügungs­be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Cott­bus vom 23.09.2016, Az. 2 Ga 19/16, wird zurück­ge­wie­sen.

Die Kläge­rin ver­tei­digt un­ter Ergänzung ih­res erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens zu den an­fal­len­den Fahrt­kos­ten und ih­ren persönli­chen Ge­ge­ben­hei­ten das ar­beits­ge­richt­li­che Ur­teil.

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We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des zweit­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens wird auf den In­halt der zwi­schen den Par­tei­en ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie auf das Vor­brin­gen in dem münd­li­chen Ver­hand­lungs­ter­min Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statt­haf­te Be­ru­fung der Verfügungs­be­klag­ten ist von ihr frist­gemäß und form­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG).

Die Be­ru­fung der Verfügungs­be­klag­ten ist da­her zulässig.

2. Die Be­ru­fung der Verfügungs­be­klag­ten ist in­des un­be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht im We­ge ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung nach §§ 935,940 ZPO ei­ne vorläufi­ge Re­ge­lung hin­sicht­lich der von der Be­klag­ten er­las­se­nen Wei­sung ge­trof­fen.

2.1 Nach § 62 Abs. 2 ArbGG, §§ 916 ff., 935, 940 ZPO kann im ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren der Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung be­gehrt wer­den. Da­bei kommt zu­meist ei­ne Si­che­rungs­verfügung nach § 935 ZPO in Be­tracht, mit der ein An­spruch auf ei­ne ge­genständ­li­che Leis­tung ge­si­chert wird. Gemäß § 940 ZPO sind einst­wei­li­ge Verfügun­gen al­ler­dings auch zum Zweck der Re­ge­lung ei­nes einst­wei­li­gen Zu­stan­des in Be­zug auf ein strei­ti­ges Rechts­verhält­nis zulässig, so­fern die­se Re­ge­lung, ins­be­son­de­re bei dau­ern­den Rechts­verhält­nis­sen, zur Ab­wen­dung we­sent­li­cher Nach­tei­le oder zur Ver­hin­de­rung dro­hen­der Ge­walt oder aus an­de­ren Gründen nötig er­scheint. Vor­aus­set­zung dafür ist auch im Rah­men des § 940 ZPO das Vor­lie­gen ei­ner zu si­chern­den Rechts­po­si­ti­on (Verfügungs­an­spruch) so­wie ei­ne be­son­de­re Eil­bedürf­tig­keit (Verfügungs­grund), wel­che es er­for­der­lich macht, zur Ab­wen­dung we­sent­li­cher Nach­tei­le be­reits vor ei­ner Klärung strit­ti­ger Rechts­fra­gen im Haupt­sa­che­ver­fah­ren nach sum­ma­ri­scher Prüfung ei­ne vorläufi­ge Re­ge­lung zu tref­fen.

2.2 Der Kläge­rin steht vor­lie­gend ein Verfügungs­an­spruch im Sin­ne ei­ner zu si­chern­den Rechts­po­si­ti­on zur Sei­te weil sich die von der Be­klag­ten mit Schrei­ben vom 01.09.2016 aus­ge­spro­che­ne Ver­set­zung nach Frank­furt/Oder als un­wirk­sam er­weist. Sie ist vom Di­rek­ti­ons­recht der Be­klag­ten nach § 106 Ge­wO nicht ge­deckt (2.2.1). Die Kläge­rin kann im Rah­men der vorläufi­gen Re­ge­lung von der Be­klag­ten bis zu ei­ner erst­in­stanz­li­chen

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Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che ver­lan­gen, dass die­se es dul­det, dass sie ih­re Ar­beits­leis­tung nicht in Frank­furt/Oder auf­nimmt, oh­ne dar­auf ar­beits­ver­trag­li­che Sank­tio­nen zu stützen (2.2.2)

2.2.1 Nach § 106 Ge­wO kann der Ar­beit­ge­ber In­halt, Ort und Zeit der Ar­beits­leis­tung nach bil­li­gem Er­mes­sen näher be­stim­men, so­weit die­se Ar­beits­be­din­gun­gen nicht durch den Ar­beits­ver­trag, Be­stim­mun­gen ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung, ei­nes an­wend­ba­ren Ta­rif­ver­tra­ges oder ge­setz­li­che Vor­schrif­ten fest­ge­legt sind.

Die von der Be­klag­ten per Wei­sung verfügte Ände­rung des Ar­beits­or­tes der Kläge­rin nach Frank­furt/Oder ist un­wirk­sam. Ihr steht die ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung des Ar­beits­orts „ Cott­bus“ ent­ge­gen. Denn die Par­tei­en ha­ben im Ar­beits­ver­trag als Ar­beits­ort „Cott­bus“ fest­ge­legt. Dies er­gibt ei­ne Aus­le­gung des Ar­beits­ver­tra­ges nach dem Maßstab der §§ 133,157 BGB. Da­bei ist zunächst vom Wort­laut der Ver­ein­ba­rung aus­zu­ge­hen.

Im Hin­blick auf die von der Kläge­rin zu leis­ten­de Ar­beit ist im Ar­beits­ver­trag die „Fi­lia­le 3… EC Cott­bus“ aus­drück­lich aus­ge­wie­sen. Al­ler­dings wäre dies für sich ge­nom­men für ei­ne ver­trag­li­che Fest­le­gung des Ar­beits­or­tes nicht aus­rei­chend. Die Par­tei­en ha­ben je­doch im Ar­beits­ver­trag wei­te­re, zusätz­li­che Re­ge­lun­gen zum Di­rek­ti­ons­recht der Be­klag­ten ge­trof­fen. Sol­che Re­ge­lun­gen sind da­bei aus­drück­lich auf „die Fi­lia­le“, und zwar im Sin­gu­lar, be­schränkt.

Da­mit ha­ben die Par­tei­en zum Aus­druck ge­bracht, dass ein Ein­satz der Kläge­rin nur in­ner­halb die­ser Fi­lia­le er­fol­gen sol­le. Das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es des Zu­sat­zes „in­ner­halb der Fi­lia­le“ nicht be­durft hätte, wenn ein dem Di­rek­ti­ons­recht zugäng­li­cher Ar­beits­ort hätte ver­ein­bart wer­den sol­len. Ver­set­zungs­klau­seln in Be­zug auf ei­nen Ein­satz der Kläge­rin in an­de­ren Fi­lia­len sind nicht vor­han­den.

Zwi­schen den Par­tei­en be­steht da­mit Streit über den Um­fang des Di­rek­ti­ons­rechts, da sich die Be­klag­te mit ih­rer Wei­sung vom 01.09.2016 un­ge­ach­tet die­ser ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen dar­auf be­ruft, die Kläge­rin in der Fi­lia­le in Frank­furt / Oder ein­set­zen zu können. Dies stellt ein Rechts­verhält­nis dar, das grundsätz­lich ei­ner ge­richt­li­chen Klärung of­fen steht. Es ent­spricht ständi­ger Recht­spre­chung, dass ein Ar­beit­neh­mer z.B. im Rah­men ei­ner Fest­stel­lungs­kla­ge oder aber ei­ner Beschäfti­gungs­kla­ge ge­richt­lich den Um­fang des Di­rek­ti­ons­rechts fest­stel­len las­sen kann. Denn der Ar­beit­neh­mer ist gemäß § 611 BGB als Schuld­ner dem Ar­beit­ge­ber als Gläubi­ger ge­genüber nur ver­pflich­tet, die­je­ni­ge Ar­beits­leis­tung zu er­brin­gen, zu der er auf­grund des Ar­beits­ver­tra­ges und ei­ner gemäß § 106

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Ge­wO i.V.m. § 315 BGB wirk­sa­men Wei­sung des Ar­beit­ge­bers ver­pflich­tet ist. Für den Ar­beit­neh­mer be­steht ins­be­son­de­re im Hin­blick auf dies­bezügli­che ver­trag­li­che Aus­ge­stal­tun­gen, die un­ter­schied­li­cher Aus­le­gung zugäng­lich sind, häufig Un­si­cher­heit darüber, ob er den Vor­ga­ben des Ar­beit­ge­bers Fol­ge leis­ten muss oder nicht. Folgt der Ar­beit­neh­mer den Wei­sun­gen des Ar­beit­ge­bers nicht, läuft er Ge­fahr, gekündigt zu wer­den. Da­bei trägt er grundsätz­lich das Ri­si­ko, dass sich sei­ne Rechts­auf­fas­sung als feh­ler­haft er­weist und sich die Nich­ter­brin­gung der Ar­beits­leis­tung in der Vor­stel­lung, da­zu nicht ver­pflich­tet zu sein, als be­harr­li­che Ar­beits­ver­wei­ge­rung dar­stellt, die als Kündi­gungs­grund an sich ge­eig­net ist (BAG, Ur­teil vom 29. Au­gust 2013 – 2 AZR 273/12 –, ju­ris). Dar­aus er­gibt sich ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers, die Wirk­sam­keit von Vor­ga­ben des Ar­beit­ge­bers zu In­halt, Ort und Zeit der Ar­beits­leis­tung ge­richt­lich über­prüfen las­sen zu können (LAG Hamm vom 05.02.2008 – 11 Sa­Ga 4 / 08 – ju­ris).

2.2.2. Der Kläge­rin steht auch ein Verfügungs­grund für die be­gehr­te Re­ge­lungs­verfügung zur Sei­te. Die Si­che­rung der ge­nann­ten Rechts­po­si­ti­on der Kläge­rin kann auch Ge­gen­stand ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung sein.

2.2.2.1 Dem steht nicht die Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 22.02.2012 (5 AZR 249 / 11 – BAG E 141,34-41) ent­ge­gen. Zwar darf sich nach die­ser Ent­schei­dung der Ar­beit­neh­mer über ei­ne un­bil­li­ge Ausübung des Di­rek­ti­ons­rechts – so­fern sie nicht aus an­de­ren Gründen un­wirk­sam ist – nicht oh­ne wei­te­res hin­weg­set­zen, son­dern er muss ent­spre­chend § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen an­ru­fen. Dies folgt dar­aus, dass die un­bil­li­ge Leis­tungs­be­stim­mung nicht „nich­tig“, son­dern nur „un­ver­bind­lich“ ist, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB, und darüber gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB das Ge­richt ent­schei­den soll. In­so­weit wäre es frag­lich, ob in die­ser Kon­stel­la­ti­on ein Verfügungs­grund an­zu­neh­men wäre.

Da­von ist die vor­lie­gen­de Fall­kon­stel­la­ti­on je­doch zu un­ter­schei­den. Im Streit­fal­le geht es nämlich nicht dar­um, ob die Leis­tungs­be­stim­mung nach bil­li­gem Er­mes­sen er­folg­te. Viel­mehr han­delt es sich um ei­ne Un­wirk­sam­keit der Leis­tungs­be­stim­mung aus an­de­ren Gründen. Denn hält sich die Leis­tungs­be­stim­mung – wie oben dar­ge­legt – schon nicht in­ner­halb der ver­trag­li­chen Gren­zen, ist sie – da nicht ver­trags­ge­recht – gänz­lich un­wirk­sam. Ei­ne An­pas­sung durch das Ge­richt an ei­ne „bil­li­ge Leis­tungs­be­stim­mung“ ist nicht möglich. Ei­ne sol­che Be­stim­mung durch Ur­teil kann schon des­halb nicht ge­trof­fen wer­den, weil der Ar­beits­ver­trag ent­spre­chen­de Spielräume ge­ra­de nicht enthält.

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2.2.2.2 Auch kommt es ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten nicht dar­auf an, ob die Kläge­rin ei­nen In­di­vi­dual­an­spruch im Sin­ne von § 194 Abs. 1 BGB auf „Rück­nah­me der Wei­sung“ hat. Bei der einst­wei­li­gen Verfügung zum Zwe­cke der Re­ge­lung ei­nes einst­wei­li­gen Zu­stan­des in Be­zug auf ein strei­ti­ges Rechts­verhält­nis nach § 940 ZPO tritt an die Stel­le des zu si­chern­den In­di­vi­dual­an­spruchs das zu re­geln­de strei­ti­ge Rechts­verhält­nis (Zöller/Voll­kom­mer § 940 ZPO Rz. 2). Ei­ne sol­ches er­gibt sich aus den obi­gen Ausführun­gen. Wel­che An­ord­nun­gen im Ein­zel­nen zu tref­fen sind, be­stimmt sich gemäß § 938 ZPO nach de­ren Er­for­der­lich­keit zur Er­rei­chung des Si­che­rungs­zwecks.

2.2.2.3 Der Verfügungs­grund liegt vor, weil die Ge­fahr be­steht, dass die Ver­wirk­li­chung ei­nes Rechts oh­ne als­bal­di­ge einst­wei­li­ge Re­ge­lung ver­ei­telt oder we­sent­lich er­schwert wird. Zur Ab­wen­dung die­ser Ge­fahr ist die hier be­an­trag­te einst­wei­li­ge Verfügung er­for­der­lich. Dies er­gibt ei­ne Abwägung der In­ter­es­sen der Par­tei­en. Da­nach er­scheint der Er­lass der einst­wei­li­gen Verfügung drin­gend ge­bo­ten (vgl. hier­zu Zöller/Voll­kom­mer § 940 ZPO Rz. 6; LAG Hamm 06.11.2007 - 14 Sa Ga 39/07– ju­ris; Thürin­ger Lan­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 18. März 2015 – 6 Sa­Ga 5/14 –, ju­ris; OLG München, Ur­teil vom 01. Ok­to­ber 1998 – 6 U 4123/98 –, OLGR München 1999, 245).

Bei einst­wei­li­gen Verfügun­gen ge­gen Wei­sun­gen des Ar­beit­ge­bers zu In­halt, Ort und Art der Ar­beits­leis­tung soll nach all­ge­mei­ner Auf­fas­sung ein ge­stei­ger­tes Ab­weh­rin­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers für den Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung zunächst nur bei of­fen­sicht­li­cher Rechts­wid­rig­keit der ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Maßnah­me zu be­ja­hen sein, an­sons­ten nur bei er­heb­li­chen Ge­sund­heits­ge­fah­ren, ei­ner dro­hen­den ir­re­pa­ra­blen Schädi­gung des be­ruf­li­chen An­se­hens oder bei schwe­ren Ge­wis­sens­kon­flik­ten, die vom Ar­beit­neh­mer dar­zu­le­gen und glaub­haft zu ma­chen sind. Es soll grundsätz­lich aus­rei­chend sein, wenn der Ar­beit­neh­mer ei­ne Klärung der Rechts­wirk­sam­keit im re­gulären Haupt­sa­che­ver­fah­ren des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils­ver­fah­rens her­beiführen könne (vgl. LAG Hamm, Ur­teil vom 5. Fe­bru­ar 2008 - 11 Sa­Ga 4/08 -; LAG Hes­sen Be­schluss vom 24. Ju­ni 2010 – 9 Ta 192/10 –, ju­ris, LAG Köln Be­schluss vom 14. Au­gust 2009 - 9 Ta 264/09 -; LAG Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Ur­teil vom 12. Mai 2009 - 5 Sa­Ga 4/08 -;).

Es kann da­hin­ste­hen, ob das schutzwürdi­ge In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung auf die ge­nann­ten Kon­stel­la­tio­nen be­schränkt ist. Denn im vor­lie­gen­den Fall er­weist sich die ar­beit­ge­ber­sei­ti­ge Wei­sung als of­fen­sicht­lich rechts­wid­rig, weil sie – wie ge­zeigt -vom Ar­beits­ver­trag nicht ge­deckt ist. In ei­nem sol­chen Fall ist die Fra­ge der „er­for­der­li­chen Maßnah­me“ in ei­ner Abwägung der bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen zu

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be­ant­wor­ten. An das Vor­lie­gen des Merk­mals „Ab­wen­dung we­sent­li­cher Nach­tei­le“ sind kei­ne ge­stei­ger­ten An­for­de­run­gen zu stel­len.

Un­ter Abwägung der bei­der­sei­ti­gen Be­lan­ge er­scheint es da­mit er­for­der­lich, der Ar­beit­ge­be­rin auf­zu­ge­ben, es zu dul­den, dass die Kläge­rin ih­re Tätig­keit nicht in Frank­furt/Oder auf­nimmt.

Da­bei ist auf Sei­ten der Kläge­rin ei­ner­seits das Ri­si­ko zu berück­sich­ti­gen, dass ihr Ar­beits­verhält­nis gekündigt wer­den könn­te, wenn sie die ar­beit­ge­ber­sei­ti­ge Wei­sung nicht be­folgt. Das Ar­beits­verhält­nis wäre dann erst ein­mal in sei­nem Be­stand gestört. Im Kündi­gungs­schutz­pro­zess würde sie zu­dem das Ri­si­ko tra­gen, dass sich ih­re Rechts­auf­fas­sung über die Aus­le­gung des Ver­tra­ges als feh­ler­haft er­wei­sen würde. Es strei­tet für das In­ter­es­se der Kläge­rin an ei­ner vorläufi­gen Re­ge­lung der Ver­lust ih­rer ver­trag­li­chen Rechts­po­si­ti­on, wenn sie die­ses Ri­si­ko nicht ein­ge­hen möch­te und der Wei­sung der Be­klag­ten Fol­ge leis­tet. Denn nach der hier ge­trof­fe­nen Aus­le­gung des Ar­beits­ver­tra­ges war die Kläge­rin nicht ver­pflich­tet, ih­re Tätig­keit in Frank­furt/Oder auf­zu­neh­men. Bis zu ei­ner Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che müss­te die Kläge­rin auf die­ser Rechts­po­si­ti­on ver­zich­ten, um Nach­tei­le in Be­zug auf den Be­stand ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses zu ver­mei­den. Dies ist der Kläge­rin im Hin­blick auf die er­heb­li­chen Fahr­zei­ten zu dem Ar­beits­ort Frank­furt/Oder auch bis zu ei­ner Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che nicht zu­zu­mu­ten. Denn selbst wenn die Be­klag­te bei ei­nem Aus­gang in der Haupt­sa­che zu Guns­ten der Kläge­rin die­ser die Fahrt­kos­ten er­stat­ten müss­te, ver­blie­be es bei dem er­heb­li­chen Zeit­auf­wand, den die Kläge­rin ge­genüber der ursprüng­li­chen Fahrt­zeit von ih­rem Wohn­ort nach Cott­bus zu leis­ten hätte. Da­bei ist auch zu berück­sich­ti­gen, dass sich das Verhält­nis der Fahrt­zeit zu der tägli­chen Ar­beits­zeit der Kläge­rin er­heb­lich verändern würde.

Dem­ge­genüber strei­ten für die Be­klag­te kei­ne Rechts­po­si­tio­nen, die die auf Kläger­in­sei­te Ge­nann­ten über­wie­gen würden. Zwar kann die Be­klag­te die Kläge­rin während des Laufs der Kündi­gungs­frist dann nicht beschäfti­gen, da ihr ursprüng­li­cher Ar­beits­platz in Cott­bus ent­fal­len ist. Dies kann je­doch nur zu ei­ner Rechts­be­ein­träch­ti­gung sei­tens der Be­klag­ten führen, wenn die Be­klag­te im Rechts­streit der Haupt­sa­che ge­win­nen würde. Aber auch dann wäre die Rechts­po­si­ti­on der Be­klag­ten nicht we­sent­lich be­ein­träch­tigt. Zwin­gen­de Gründe für ei­nen so­for­ti­gen Ein­satz der Kläge­rin in der Fi­lia­le in Frank­furt / Oder hat die Be­klag­te nicht dar­ge­tan. So­weit es dar­um geht, dass die Be­klag­te der Kläge­rin oh­ne Ar­beits­leis­tung kei­ne Vergütung zah­len möch­te, nimmt die vor­lie­gen­de einst­wei­li­ge Verfügung ei­ne Vor­weg­nah­me der Haupt­sa­che oh­ne­hin nicht vor. Ob die Be­klag­te nämlich ver­pflich­tet ist, an die Kläge­rin Ar­beits­ent­gelt zu zah­len, be­stimmt sich al­lein da­nach, ob die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes

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Ent­gelt­an­spruchs vor­lie­gen. Ei­ne präju­di­zi­el­le Ent­schei­dung wird mit dem vor­lie­gen­den Ver­fah­ren nicht ge­trof­fen. In­so­fern wer­den schutzwürdi­ge In­ter­es­sen der Be­klag­ten durch den Er­lass der vor­lie­gen­den einst­wei­li­gen Verfügung nicht tan­giert.

Über­wo­gen aus die­sen Gründen aber die In­ter­es­sen der Kläge­rin an ei­ner vorläufi­gen Re­ge­lung, war das Vor­lie­gen ei­nes Verfügungs­grun­des zu be­ja­hen.

2.3 Gemäß § 938 ZPO war der Be­klag­ten auf­zu­ge­ben, es zu dul­den, dass die Kläge­rin ih­re Tätig­keit in Frank­furt / Oder nicht auf­nimmt. Dies ist die er­for­der­li­che Maßnah­me zur Re­ge­lung des zwi­schen den Par­tei­en im Streit ste­hen­den Rechts­verhält­nis­ses bis zu ei­ner Ent­schei­dung über die Wirk­sam­keit der ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Maßnah­me in der Haupt­sa­che. Der Rück­nah­me der Wei­sung sei­tens der Be­klag­ten be­darf es da­zu nicht. Mit die­ser Re­ge­lung kann die Kläge­rin von der Ar­beit fern blei­ben, oh­ne dass dies die Be­klag­te zum An­lass ar­beits­recht­li­cher Sank­tio­nen wie Ab­mah­nung oder Kündi­gung neh­men könn­te. Der Un­ter­sa­gung ei­ner Beschäfti­gung der Kläge­rin in Frank­furt / Oder stand ent­ge­gen, dass die Be­klag­te die Kläge­rin beschäfti­gen können müss­te, wenn die­se ih­re Ar­beit in Frank­furt / Oder auf­neh­men möch­te, um Strei­tig­kei­ten über et­wai­ge An­nah­me­ver­zugs­ansprüche zu ver­mei­den. Ei­ner wei­ter­ge­hen­den Re­ge­lung in Be­zug auf das Rechts­verhält­nis be­durf­te es hin­ge­gen nicht. Et­wai­ge Vergütungs­ansprüche sind im Haupt­sa­che­ver­fah­ren zu klären.

3. Aus die­sen Gründen war die Be­ru­fung der Be­klag­ten mit der im Te­nor ge­trof­fe­nen Maßga­be zurück­zu­wei­sen. Die Kos­ten­ent­schei­dung er­gibt sich aus § 97 ZPO. Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on ist gemäß § 92 Satz 3 ArbGG im Rah­men des einst­wei­li­gen Verfügungs­ver­fah­rens aus­ge­schlos­sen.

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