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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/157

Ver­set­zung mit Orts­wech­sel per Eil­ver­fah­ren stop­pen?

Oh­ne Kla­ge im Haupt­sa­che­ver­fah­ren ha­ben Eil­an­trä­ge ge­gen ei­ne Ver­set­zung kei­ne Chan­ce: Lan­des­ar­beits­ge­richt Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 20.03.2014, 5 Sa­Ga 13/13
Stoppschild auf Boden Einst­wei­li­ge Ver­fü­gun­gen sind wir­kungs­voll, aber schwer zu be­kom­men

02.05.2014. Mit ei­ner Ver­set­zung übt der Ar­beit­ge­ber sein Wei­sungs­recht aus, das ihm ge­mäß § 106 Ge­wer­be­ord­nung (Ge­wO) zu­steht und ihn da­zu be­rech­tigt, ne­ben dem In­halt auch den Ort der Ar­beits­leis­tung "nach bil­li­gem Er­mes­sen nä­her be­stim­men".

Ver­set­zun­gen sind ein­sei­ti­ge An­ord­nun­gen des Ar­beit­ge­bers, d.h. sie sind auch dann wirk­sam, wenn der Ar­beit­neh­mer nicht ein­ver­stan­den ist, vor­aus­ge­setzt na­tür­lich, sie ent­spre­chen "bil­li­gem Er­mes­sen", d.h. sie be­rück­sich­ti­gen auch die In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers.

Ent­spricht es aber noch bil­li­gem Er­mes­sen, ei­nen über 36 Jah­re am sel­ben Ort be­schäf­tig­ten drei­fa­chen Fa­mi­li­en­va­ter mit ge­rin­gem Mo­nats­lohn an ei­nen 120 km ent­fern­ten an­de­ren Ar­beits­ort zu ver­set­zen? Und wie soll­te sich ein Ar­beit­neh­mer in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on am bes­ten ge­richt­lich zur Wehr set­zen? Dar­um geht es in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Rhein­land-Pfalz: LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 20.03.2014, 5 Sa­Ga 13/13.

Ver­set­zung in ei­ne an­de­re Stadt auch oh­ne ar­beits­ver­trag­li­che Ver­set­zungs­klau­sel?

Oft ent­hal­ten Ar­beits­verträge ei­nen aus­drück­li­chen Ver­set­zungs­vor­be­halt, dem zu­fol­ge der Ar­beit­ge­ber da­zu be­rech­tigt ist, den Ar­beit­neh­mer in­ner­halb des ge­sam­ten Bun­des­ge­biets zu ver­set­zen. Ob ei­ne sol­che Klau­sel über­haupt er­for­der­lich ist oder ob sich ein bun­des­wei­tes Ver­set­zungs­recht des Ar­beit­ge­bers auch oh­ne ei­ne sol­che Klau­sel aus dem Ge­setz (§ 106 Ge­wO) er­gibt, ist in der ju­ris­ti­schen Li­te­ra­tur um­strit­ten.

Ei­ner­seits kann man sa­gen, dass ein "nor­ma­ler" Ar­beits­ver­trag ei­ne Pflicht zur Tätig­keit in­ner­halb des Be­triebs be­gründet, für den man ein­ge­stellt wird, denn ein "nor­ma­ler" Be­trieb be­steht nicht aus Be­triebsstätten oder Be­triebs­tei­len, die über das ge­sam­te Ge­biet Deutsch­lands ver­teilt sind (so dass "der Ein­stel­lungs­be­trieb" in ganz Deutsch­lands liegt), son­dern aus ei­ner ein­zi­gen oder aus meh­re­ren na­he bei­ein­an­der lie­gen­den Be­triebsstätten.

An­de­rer­seits heißt es in § 106 Ge­wO oh­ne je­de Ein­schränkung, dass der Ar­beit­ge­ber da­zu be­rech­tigt ist, "den Ort" der Ar­beits­leis­tung zu be­stim­men. Und die­ser Ort kann auch in ei­ner an­de­ren Stadt lie­gen. Nimmt man den Wort­laut die­ser Vor­schrift ernst, ist der Ar­beit­ge­ber nicht nur da­zu be­rech­tigt, den Ar­beits­ort in­ner­halb ei­ner be­stimm­ten Stadt fest­zu­le­gen.

Wenn man in die­ser Streit­fra­ge der Mei­nung ist, der Ar­beit­ge­ber könne ei­nen Ar­beit­neh­mer auch oh­ne deutsch­land­wei­ten Ver­set­zungs­vor­be­halt in an­de­re Städte ver­set­zen, ist da­mit noch nicht ge­sagt, dass auch ei­ne kon­kre­te Ver­set­zung zulässig ist. Denn als Wei­sung muss ei­ne Ver­set­zung auch die be­rech­tig­ten In­ter­es­sen des ein­zel­nen be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers berück­sich­ti­gen, da sie sonst nicht "bil­li­gem Er­mes­sen" ent­spricht.

An der Stel­le sind die Ge­rich­te aber großzügig. In vie­len Fällen kom­men Ar­beit­ge­ber da­her mit ei­ner Ver­set­zung letzt­lich durch, vor­aus­ge­setzt natürlich, es be­steht ei­ne grundsätz­li­che Be­fug­nis zur Ver­set­zung in ei­ne an­de­re Stadt.

Der Streit­fall: Eil­an­trag ei­nes ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mers mit 1.800 EUR Lohn ge­gen Ver­set­zung in 120 km ent­fern­te Stadt trotz 36jähri­ger Tätig­keit am bis­he­ri­gen Ort

Im Streit­fall ging es um ei­nen ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer, der seit 36 Jah­ren als Pa­cker bei ei­nem Le­der­her­stel­ler in Kirn beschäftigt war. Ei­nen schrift­li­chen Ar­beits­ver­trag gab es nicht, und da­her auch kei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Ver­set­zungs­klau­sel. Der Ar­beit­neh­mer ver­dien­te je nach mo­nat­li­chem St­un­den­um­fang zwi­schen 1.700,00 EUR und 1.800,00 EUR brut­to und hat­te drei min­derjähri­ge Kin­der zu ver­sor­gen. Sei­ne Frau war nicht be­rufstätig.

Mit­te Sep­tem­ber 2013 ver­setz­te der Ar­beit­ge­ber den Ar­beit­neh­mer von Kirn in das 120 Straßen­ki­lo­me­ter weit ent­fern­te Saarbrücken, da er ei­nen Teil sei­ner Lo­gis­tik dort­hin ver­legt hat­te. Die Ver­set­zung soll­te erst zu An­fang Ok­to­ber wirk­sam sein und wur­de dann auf Mit­te Ok­to­ber ver­scho­ben.

Der Ar­beit­neh­mer er­krank­te und er­hob im ar­beits­ge­richt­li­chen Eil­ver­fah­ren ei­ne Wo­che nach der Ver­set­zungs­mit­tei­lung Kla­ge auf Beschäfti­gung in Kirn. Ei­ne Kla­ge im Haupt­ver­fah­ren, d.h. im re­gulären Ver­fah­ren, er­hob er nicht. Das Ar­beits­ge­richt Mainz wies den Eil­an­trag mit Ur­teil vom 10.10.2013 (6 Ga 9/13), weil es die Ver­set­zung für rech­tens an­sah.

Die Ur­teils­gründe la­gen dem Ar­beit­neh­mer bzw. sei­nem An­walt be­reits kurz dar­auf, am 21.10.2013, vor. Trotz­dem brauch­te der An­walt bei­na­he drei Mo­na­te, nämlich bis Mit­te Ja­nu­ar 2014, um ei­ne Be­ru­fung ein­zu­le­gen und zu be­gründen.

En­de Ja­nu­ar sprach der Ar­beit­ge­ber ei­ne er­neu­te Ver­set­zung nach Saarbrücken aus und bot dem Ar­beit­neh­mer an, die Ar­beits­zeit um ei­ne St­un­de pro Tag bei vol­lem Lohn­aus­gleich zu verkürzen und ihm ein Dienst­fahr­zeug zu stel­len, vor­aus­ge­setzt, die­ses würde nicht nur von ihm, son­dern auch von ei­ni­gen Kol­le­gen ge­nutzt. Ge­gen die­se Ver­set­zung er­hob der Ar­beit­neh­mer An­fang Fe­bru­ar 2014 ei­ne re­guläre Kla­ge.

LAG: Wer sich fast vier Mo­na­te mit ei­ner Kla­ge im Haupt­sa­che­ver­fah­ren Zeit lässt, kann sich nicht mit ei­nem Eil­an­trag ge­gen ei­ne Ver­set­zung weh­ren

Das LAG wies die Be­ru­fung des Ar­beit­neh­mers zurück, und zwar mit der Be­gründung, er hätte die be­son­de­re Dring­lich­keit sei­nes Eil­an­trags durch die von ihm zu ver­ant­wor­ten­den Zeit­verzöge­run­gen im Ge­richts­ver­fah­ren "selbst wi­der­legt".

Denn wer ei­ne Eil­ent­schei­dung des Ge­richts, d.h. ei­ne einst­wei­li­ge Verfügung, ha­ben möch­te, braucht da­zu nicht nur ei­nen recht­li­chen An­spruch, der sein Verfügungs­be­geh­ren trägt, son­dern auch ei­nen Verfügungs­grund, d.h. be­son­de­re Ar­gu­men­te dafür, dass das Ge­richt bei sei­ner Ent­schei­dung den Tur­bo ein­schal­tet. Ei­nen sol­chen Verfügungs­grund konn­te der Kläger aber nicht vor­wei­sen, je­den­falls nicht (mehr) zum Zeit­punk­te der Ent­schei­dung des LAG (März 2014), und zwar aus drei Gründen:

Ers­tens hätte der Ar­beit­neh­mer be­reits im Sep­tem­ber 2013, d.h. zu­sam­men mit sei­nem Eil­an­trag, ei­ne ge­gen die Ver­set­zung ge­rich­te­te re­guläre Kla­ge ("Kla­ge im Haupt­sa­che­ver­fah­ren") ein­rei­chen können, was er aber nicht tat. Erst­mals reich­te er ei­ne sol­che Kla­ge im Fe­bru­ar 2014, d.h. fast vier Mo­na­te später ein. In­ner­halb von vier Mo­na­ten können die flin­ken Ar­beits­ge­rich­te aber be­reits ein Haupt­sa­che­ver­fah­ren in der ers­ten In­stanz er­le­di­gen, d.h. ein Ur­teil er­las­sen.

Zwei­tens hat­te sich der Ar­beit­neh­mer mit sei­ner Be­ru­fung ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Mainz zu lan­ge Zeit ge­las­sen. An­statt Be­ru­fungs­ein­le­gung und Be­ru­fungs­be­gründung bin­nen ein bis zwei Wo­chen nach Er­halt des (mit Gründen ver­se­he­nen) Ur­teils beim LAG ein­zu­rei­chen, hat­te sich der Kläger da­mit ins­ge­samt fast drei Mo­na­te Zeit ge­las­sen, nämlich vom 21.10.2013 (Zu­stel­lung der Ur­teils­gründe des Ar­beits­ge­richts) bis zum 17.01.2014 (Ab­lauf der vom LAG verlänger­ten Frist zur Be­ru­fungs­be­gründung).

Drit­tens war der Ar­beit­neh­mer seit Wo­chen und Mo­na­ten krank, und es war nicht kon­kret ab­zu­se­hen, dass die Ar­beits­unfähig­keit demnächst en­den würde.

Fa­zit: Der vor­lie­gen­de Fall macht deut­lich, dass die Rechts­auf­fas­sung wohl kaum rich­tig ist, der zu­fol­ge je­der Ar­beit­neh­mer und da­mit auch Ge­ring­ver­die­ner oh­ne ar­beits­ver­trag­li­che Ver­set­zungs­klau­sel al­lein auf­grund von § 106 Ge­wO deutsch­land­weit ver­setzt wer­den können. Aber auch dann, wenn man die­ser An­sicht folgt, war die Ver­set­zung hier im Streit­fall wahr­schein­lich "un­bil­lig", da so wei­te tägli­che We­ge bei wahr­schein­lich fort­be­ste­hen­den Ein­satzmöglich­kei­ten in Kirn und ei­nem so ge­rin­gen Ver­dienst un­zu­mut­bar sind.

Darüber muss­te sich das LAG aber nicht den Kopf zer­bre­chen, denn der Ar­beit­neh­mer hat­te nun ein­mal im Eil­ver­fah­ren ge­klagt und bei der Pro­zessführung zu lan­ge her­um­ge­trödelt. Das al­ler­dings ist sei­nem An­walt an­zu­las­ten, der den Pro­zess nicht sach­ge­recht geführt hat. Denn wer ei­nen Beschäfti­gungs­an­spruch im Eil­ver­fah­ren durch­set­zen möch­te und/oder sich ge­gen ei­ne Ver­set­zung wehrt, muss im­mer zu­sam­men mit dem Eil­an­trag ei­ne Kla­ge im Haupt­sa­che­ver­fah­ren er­he­ben, und wenn das Ar­beits­ge­richt den Eil­an­trag ab­weist, sind schnellstmögli­che Ein­le­gung und Be­gründung der Be­ru­fung ers­te An­walts­pflicht.

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Letzte Überarbeitung: 11. Juni 2020

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