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ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/241

Un­bil­li­ge Wei­sun­gen sind un­ver­bind­lich

Un­zu­mut­ba­re Wei­sun­gen müs­sen nicht mehr vor­läu­fig bis zu ei­ner ge­richt­li­chen Ent­schei­dung be­folgt wer­den: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 14.09.2017, 5 AS 7/17
Stress am Arbeitsplatz, Burnout, Hamsterrad

19.09.2017. Im Ju­ni die­ses Jah­res frag­te der Zehn­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) den Fünf­ten Se­nat, ob die­ser an sei­ner um­strit­te­nen ar­beit­ge­ber­freund­li­chen Recht­spre­chung zu den Rechts­fol­gen ei­ner "un­bil­li­gen" Ar­beits­an­wei­sung fest­hält (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 17/160 Ar­beits­ver­wei­ge­rung we­gen un­zu­mut­ba­rer Wei­sung?).

Die­ser Recht­spre­chung des Fünf­ten BAG-Se­nats zu­fol­ge muss­ten Ar­beit­neh­mer Wei­sun­gen ih­ren Ar­beit­ge­bers, die "nur" we­gen man­geln­der Zu­mut­bar­keit rechts­wid­rig sind, trotz ih­rer Rechts­wid­rig­keit bis zur ge­richt­li­chen Klä­rung be­fol­gen.

Heu­te wur­de be­kannt, dass der Fünf­te Se­nat die­se Recht­spre­chung auf­gibt. Da­mit steht fest, dass un­bil­li­ge Wei­sun­gen künf­tig nich­tig bzw. für den Ar­beit­neh­mer un­ver­bind­lich sind: BAG, Be­schluss vom 14.09.2017, 5 AS 7/17 (Pres­se­mel­dung des BAG).

Was tun bei un­bil­li­gen Wei­sun­gen?

Ar­beits­an­wei­sun­gen des Ar­beit­ge­bers in Be­zug auf die Ar­beits­in­hal­te, den Ar­beits­ort und/oder die zeit­li­che La­ge der Ar­beits­zeit können aus ver­schie­de­nen Gründen rechts­wid­rig sein.

Zum ei­nen können sie völlig außer­halb des­sen lie­gen, was der Ar­beit­ge­ber an­ord­nen darf, zum an­de­ren können sie zu ein­sei­tig den Ar­beit­ge­ber­in­ter­es­sen die­nen. Im ers­ten Fall ver­s­toßen sie ge­gen den Ar­beits­ver­trag, ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung, ei­nen Ta­rif­ver­trag und/oder ge­gen ein Ge­setz und sind da­her von vorn­her­ein rechts­wid­rig, im zwei­ten Fall er­gibt erst die Abwägung der In­ter­es­sen der Ver­trags­par­tei­en, dass der Ar­beit­ge­ber zu weit ge­gan­gen ist. Dann verstößt die Wei­sung zwar auch ge­gen das Ar­beits­recht, aber "nur" des­halb, weil sie für den Ar­beit­neh­mer un­zu­mut­bar bzw. "un­bil­lig" ist.

Die­se zwei­fa­chen recht­li­chen An­for­de­run­gen, die ei­ne Wei­sung erfüllen muss, kann man aus § 106 Satz 1 Ge­wer­be­ord­nung (Ge­wO) her­lei­ten. Denn nach die­ser Vor­schrift kann der Ar­beit­ge­ber In­halt, Ort und Zeit der Ar­beits­leis­tung

Wie oben erwähnt, war der Fünf­te BAG-Se­nat seit 2012 der Mei­nung, dass Ar­beit­neh­mer rechts­wid­ri­ge An­wei­sun­gen nur dann ver­wei­gern dürfen, wenn sie ge­gen Rechts­vor­schrif­ten ver­s­toßen (Ge­setz, Ver­trag, Be­triebs­ver­ein­ba­rung, Ta­rif). An­ders war es da­ge­gen bei Ar­beits­an­wei­sun­gen, die "nur" un­bil­lig sind. In Be­zug auf sol­che Wei­sun­gen be­stand laut Fünf­tem Se­nat die Pflicht des Ar­beit­neh­mers zur Be­fol­gung, wenn auch nur vorläufig bis zu ei­ner ge­richt­li­chen Klärung (BAG, Ur­teil vom 22.02.2012, 5 AZR 249/11).

Mit die­ser Mei­nung konn­te der Fünf­te BAG-Se­nat kaum je­man­den über­zeu­gen, und auch vie­le Ar­beits­ge­rich­te und Lan­des­ar­beits­ge­rich­te (LAG) ent­schie­den an­ders, d.h. pro Ar­beit­neh­mer. Denn Ge­richts­ver­fah­ren über die An­ge­mes­sen­heit ei­ner Ar­beits­an­wei­sung können sich jah­re­lang hin­zie­hen, und in der Zwi­schen­zeit müss­ten Ar­beit­neh­mer ei­ne Be­ein­träch­ti­gung ih­rer Rech­te hin­neh­men. Vor al­lem be­steht (ent­ge­gen den Befürch­tun­gen des Fünf­ten Se­nats) kei­ne Ge­fahr, dass Ar­beit­neh­mer all­zu oft (mut­wil­lig) Wei­sun­gen un­ter Be­ru­fung auf ih­re an­geb­li­che Un­bil­lig­keit ver­wei­gern, denn dann ris­kie­ren sie ei­ne Ab­mah­nung des Ar­beit­ge­bers we­gen Ar­beits­ver­wei­ge­rung und bei fort­ge­setz­ter Ver­wei­ge­rungs­hal­tung die frist­lo­se Kündi­gung. Auch Ar­beit­neh­mer, die sich im Recht se­hen, wer­den es sich da­her gut über­le­gen, ob sie ei­nen sol­chen Kon­flikt ris­kie­ren wol­len.

Vor die­sem Hin­ter­grund hat­te der Zehn­te BAG-Se­nat im Ju­ni 2017 den Fünf­ten Se­nat gemäß § 45 Ar­beits­ge­richts­ge­setz (ArbGG) ge­fragt, ob er an sei­ner Recht­spre­chung zur vorläufi­gen Ver­bind­lich­keit un­bil­li­ger Wei­sun­gen fest­hal­ten möch­te (BAG, Be­schluss vom 14.06.2017, 10 AZR 330/16, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 17/160 Ar­beits­ver­wei­ge­rung we­gen un­zu­mut­ba­rer Wei­sung?). Denn da der Zehn­te Se­nat an­de­rer Mei­nung ist, müss­te in die­sem Fall der Große BAG-Se­nat ent­schei­den.

Der Fall des Zehn­ten Se­nats: Un­zu­mut­ba­re Ver­set­zung von Dort­mund nach Ber­lin

Im Streit­fall ging es um ei­nen Im­mo­bi­li­en­kauf­mann, der seit 2001 in ei­nem größeren Be­trieb mit et­wa 700 Ar­beit­neh­mern in Dort­mund beschäftigt war und nach länge­rem Streit mit sei­nem Ar­beit­ge­ber von die­sem nach Ber­lin ver­setzt wor­den war. Die Ver­set­zung be­ruh­te auf fa­den­schei­ni­gen Gründen und war ziem­lich of­fen­kun­dig "un­bil­lig" im Sin­ne von § 106 Satz 1 Ge­wO. Der Im­mo­bi­li­en­kauf­mann woll­te nicht in Ber­lin ar­bei­ten und wur­de da­her zwei­mal ab­ge­mahnt. Da er sich da­von nicht be­ein­dru­cken ließ, be­kam er schluss­end­lich im Mai 2015 die frist­lo­se Kündi­gung.

Dar­auf­hin klag­te er ge­gen die Ver­set­zung und die Ab­mah­nun­gen. Sein Ar­gu­ment: Die Ver­set­zung sei un­zu­mut­bar bzw. un­bil­lig. Da­her be­stand kei­ne Pflicht, sie zu be­fol­gen. Die vom Ar­beit­ge­ber be­haup­tet "Ar­beits­ver­wei­ge­rung" gab es da­her nicht, so je­den­falls der Ar­beit­neh­mer, d.h. er hat­te kei­nen Pflicht­ver­s­toß be­gan­gen, der den Ar­beit­ge­ber zu ei­ner Ab­mah­nung be­rech­tigt hätte.

Mit die­ser Ar­gu­men­ta­ti­on hat­te er in der ers­ten In­stanz (Ar­beits­ge­richt Dort­mund, Ur­teil vom 08.09.2015, 7 Ca 1224/15) und in der Be­ru­fung vor dem LAG Hamm Er­folg (LAG Hamm, Ur­teil vom 17.03.2016, 17 Sa 1660/15). Auch die in ei­nem wei­te­ren Ver­fah­ren er­ho­be­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge konn­te er ge­win­nen.

Sch­ließlich würde auch der Zehn­te BAG-Se­nat, der für die Re­vi­si­on zuständig ist, pro Ar­beit­neh­mer ent­schei­den. Da­zu müss­te al­ler­dings der Fünf­te BAG-Se­nat erst ein­mal von sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung abrücken.

Ei­nig­keit beim BAG: Kei­ne Pflicht zur Be­fol­gung un­bil­li­ger Wei­sung

Wie heu­te be­kannt wur­de, hat der Fünf­te Se­nat am Don­ners­tag letz­ter Wo­che sei­ne Recht­spre­chung in Be­ant­wor­tung der An­fra­ge des Zehn­ten Se­nats of­fi­zi­ell geändert (Be­schluss vom 14.09.2017, 5 AS 7/17). In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung heißt es:

"Der Fünf­te Se­nat hat­te bis­her an­ge­nom­men, dass sich ein Ar­beit­neh­mer über ei­ne un­bil­li­ge Ausübung des Wei­sungs­rechts - so­fern sie nicht aus an­de­ren Gründen un­wirk­sam sei - nicht hin­weg­set­zen dürfe, son­dern ent­spre­chend § 315 Abs.3 Satz 2 BGB die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen an­ru­fen müsse. We­gen der das Ar­beits­verhält­nis prägen­den Wei­sungs­ge­bun­den­heit sei der Ar­beit­neh­mer an die durch die Ausübung des Wei­sungs­rechts er­folg­te Kon­kre­ti­sie­rung ua. des In­halts der Ar­beits­leis­tung vorläufig ge­bun­den, bis durch ein rechts­kräfti­ges Ur­teil die Un­ver­bind­lich­keit der Leis­tungs­be­stim­mung fest­ste­he (BAG 22. Fe­bru­ar 2012 - 5 AZR 249/11 - Rn. 24, BA­GE 141, 34). Der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts hat auf die An­fra­ge mit­ge­teilt, dass er an die­ser Rechts­auf­fas­sung nicht mehr festhält."

Jetzt ist of­fi­zi­ell, was be­reits im Ju­ni die­ses Jah­res klar war: Das Ur­teil des Fünf­ten Se­nats vom 22.02.2012 (5 AZR 249/11) hat kei­ne Gültig­keit mehr. Ar­beits­an­wei­sun­gen, die die In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers nicht aus­rei­chend berück­sich­ti­gen und (nur) aus die­sem Grund, d.h. we­gen "Un­bil­lig­keit" rechts­wid­rig sind, müssen von vorn­her­ein nicht be­folgt wer­den. 

Mit die­ser Klar­stel­lung hat der Fünf­te Se­nat ei­ne überfälli­ge Kor­rek­tur sei­ner Recht­spre­chung zu­guns­ten der Ar­beit­neh­mer­sei­te vor­ge­nom­men. Denn ob ei­ne An­wei­sung von vorn­her­ein ge­gen Rechts­vor­schrif­ten verstößt oder "nur" auf­grund ih­rer Un­zu­mut­bar­keit für den Ar­beit­neh­mer rechts­wid­rig ist - ei­ne Pflicht zur "vorläufi­gen" Be­fol­gung ist recht­lich nicht be­gründ­bar und würde be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer fak­tisch weit­ge­hend recht­los stel­len.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de ver­öf­fent­licht. Der voll­stän­dig be­grün­de­te Be­schluss des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 11. Juni 2020

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