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BAG, Ur­teil vom 12.07.2007, 2 AZR 716/06

   
Schlagworte: Eingliederungsmanagement, Kündigung: Krankheitsbedingt
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 716/06
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 12.07.2007
   
Leitsätze:

1. Das Erfordernis eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX (juris: SGB 9) besteht für alle Arbeitnehmer, nicht nur für behinderte Menschen.

2. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung.

3. Die Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX stellt eine Konkretisierung des dem gesamten Kündigungsschutzrecht innewohnenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hagen (Westfalen), 27.09.2005, 5 Ca 2970/04
Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), 29.03.2006, 18 Sa 2104/05
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


2 AZR 716/06
18 Sa 2104/05
Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

12. Ju­li 2007

UR­TEIL

Kauf­hold, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 12. Ju­li 2007 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Rost, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Ey­lert und Schmitz-Scho­le­mann so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Grim­berg und Dr. Nie­b­ler für Recht er­kannt:


Auf die Re­vi­si­on des Klägers wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 29. März 2006 - 18 Sa 2104/05 - auf­ge­ho­ben.

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Der Rechts­streit wird zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung - auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on - an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen krank­heits­be­ding­ten Kündi­gung und die Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers.

Der am 30. De­zem­ber 1962 ge­bo­re­ne, ver­hei­ra­te­te und zwei Fa­mi­li­en­mit­glie­dern zum Un­ter­halt ver­pflich­te­te Kläger war seit dem 3. Au­gust 1981 bei der Be­klag­ten, die in ih­rem Werk in S ca. 150 bis 200 Ar­beit­neh­mer beschäftigt, als Ma­schi­nen­be­die­ner tätig. Zu die­ser Tätig­keit gehört es, die zu be­ar­bei­ten­den Werkstücke per Hand aus Me­tall­behältern zu ent­neh­men, in die Be­spann­vor­rich­tung der Be­ar­bei­tungs­ma­schi­ne ein­zu­le­gen, fest­zu­span­nen und den Fer­ti­gungs­pro­zess zu star­ten. Nach des­sen Be­en­di­gung muss das be­ar­bei­te­te Teil aus­ge­spannt und per Hand in ei­nen wei­te­ren Me­tall­behälter ab­ge­legt wer­den. So­wohl die Me­tall­kis­ten mit den zu be­ar­bei­ten­den Werkstücken als auch die mit den fer­ti­gen Tei­len sind mit ei­nem hand­geführ­ten Hub­wa­gen ei­ni­ge Me­ter zu trans­por­tie­ren. Die Ar­bei­ten wer­den in ste­hen­der und kurz­stre­ckig ge­hen­der Ar­beits­hal­tung ver­rich­tet.

Der Kläger ist seit dem 26. März 2002 ar­beits­unfähig krank. Er er­hielt seit dem 13. Mai 2002 Kran­ken­geld und da­nach Leis­tun­gen der Ar­beits­ver­wal­tung. Am 24. Fe­bru­ar 2003 wur­de er in der Uni­ver­sitätskli­nik E an der Band­schei­be ope­riert. Er un­ter­zog sich vom 21. Ju­li 2003 bis 15. Au­gust 2003 ei­ner am­bu­lan­ten Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­be­hand­lung.

Die Be­klag­te er­kun­dig­te sich mit Schrei­ben vom 3. Sep­tem­ber 2003 beim Kläger nach dem Stand sei­ner Er­kran­kung und wann mit sei­ner Ge­ne­sung zu rech­nen sei. Der Kläger teil­te mit Schrei­ben vom 13. Sep­tem­ber 2003 mit, er lei­de an ei­nem Band­schei­ben­vor­fall und könne kei­ne ge­nau­en An­ga­ben über sei­nen Ge­sund­heits­zu­stand ma­chen. Er sei je­doch wei­ter­hin nicht in der La­ge, sei­ne Ar­beit auf­zu­neh­men. Sein Lei­den sei nicht bes­ser, son­dern eher schlim­mer ge­wor­den. Ei­ne Ope­ra­ti­on sei oh­ne Er­folg ge­blie­ben, ei­ne zwei­te Ope­ra­ti­on sol­le in „un­ab­seh­ba­rer Zeit” fol­gen.

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Die Be­klag­te lud mit Schrei­ben vom 17. No­vem­ber 2003 den Kläger zu ei­nem klären­den „So­zi­al­gespräch” un­ter Teil­nah­me des Be­triebs­arz­tes und ei­nes Be­triebs­rats­mit­glieds ein. Sie bat ihn sei­ne Kran­ken­un­ter­la­gen mit­zu­brin­gen. Der Kläger er­schien zu die­sem Gespräch am 28. No­vem­ber 2003 oh­ne Un­ter­la­gen. Der Be­triebs­arzt konn­te des­halb kei­ne Stel­lung­nah­me zu des­sen Ge­sund­heits­zu­stand ab­ge­ben.

Der Kläger wur­de vom 8. De­zem­ber 2003 bis zum 10. De­zem­ber 2003 er­neut im Uni­ver­sitätskli­ni­kum E sta­ti­onär be­han­delt. Die­se Be­hand­lung führ­te ge­nau­so we­nig wie Mas­sa­gen, Kran­ken­gym­nas­tik und the­ra­peu­ti­sche Maßnah­men zu ei­ner nach­hal­ti­gen Bes­se­rung.

Mit Schrei­ben vom 6. Ok­to­ber 2004 bat die Be­klag­te den Kläger, sich bis zum 22. Ok­to­ber 2004 zu sei­ner Er­kran­kung zu äußern, und um ei­ne Mit­tei­lung, wann mit der Auf­nah­me sei­ner Ar­beit zu rech­nen sei.

Die Be­klag­te in­for­mier­te den Be­triebs­rat mit Schrei­ben vom 29. Ok­to­ber 2004 über ei­ne be­ab­sich­tig­te frist­gemäße Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses des Klägers we­gen des­sen Dau­er­er­kran­kung und der völli­gen Un­ge­wiss­heit der Wie­der­her­stel­lung sei­ner Ar­beitsfähig­keit, nach­dem der Kläger nicht re­agiert hätte. Der Be­triebs­rat stimm­te der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung zu.

Mit Schrei­ben vom 29. Ok­to­ber 2004 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis zum 30. April 2005.

Der Kläger hat sich mit sei­ner Kla­ge ge­gen die Kündi­gung ge­wandt und sei­ne Wei­ter­beschäfti­gung als Ma­schi­nen­ar­bei­ter be­gehrt. Er hat vor­ge­tra­gen: Die Kündi­gung sei so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt. Sei­ne Ge­sund­heits­pro­gno­se sei nicht schlecht. Dies bestäti­ge ins­be­son­de­re das ärzt­li­che At­test des Fach­arz­tes für Or­thopädie Dr. K vom 18. No­vem­ber 2004 und der Wie­der­ein­glie­de­rungs­plan vom 3. Ja­nu­ar 2005, der ei­ne vol­le Ar­beitsfähig­keit ab dem 23. Fe­bru­ar 2005 at­tes­tiert ha­be. Sein Ar­beits­platz als Ma­schi­nen­ar­bei­ter könne lei­dens­ge­recht mo­di­fi­ziert wer­den, bei­spiels­wei­se durch ent­spre­chen­de Sitz­ge­le­gen­hei­ten. Hier­zu sei die Be­klag­te nach § 84 Abs. 2 SGB IX auch ver­pflich­tet. We­gen des un­ter­blie­be­nen be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments (im Fol­gen­den: BEM) sei die Kündi­gung schon un­wirk­sam. Ein sol­ches BEM hätte ihm im Er­geb­nis zu ei­nem wei­te­ren Ein­satz im Be­trieb der Be­klag­ten ver­hol­fen. Er ha­be vielfälti­ge Verände­rungs­vor­schläge für ei­nen lei­dens­ge­rech­ten Ein­satz auf ent­spre­chen­den Ar­beitsplätzen ge­macht. Er könne bei­spiels­wei­se als „Eti­ket­tie­rer” in der Ver­sand­hal­le ar­bei­ten. Die­se Tätig­keit könne im Wech­sel von Ste­hen, Ge­hen und Sit­zen so­wie oh­ne Zwangs­hal­tun­gen oder häufi­ges Bücken oh­ne Tra­gen von schwe­ren


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Las­ten aus­geführt wer­den. Im Übri­gen müsse die In­ter­es­sen­abwägung un­ter Berück­sich­ti­gung sei­ner lan­gen Be­triebs­zu­gehörig­keit zu sei­nen Guns­ten aus­fal­len.

Der Kläger hat zu­letzt be­an­tragt, 


1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 29. Ok­to­ber 2004 nicht zum 30. April 2005 auf­gelöst wor­den ist,

2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihn bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des vor­lie­gen­den Rechts­streits tatsächlich als Ma­schi­nen­ar­bei­ter zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat zur Be­gründung ih­res Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trags aus­geführt: Die Kündi­gung sei aus per­so­nen­be­ding­ten Gründen so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Zum Zeit­punkt des Kündi­gungs­zu­gangs sei mit ei­ner Ver­bes­se­rung des Ge­sund­heits­zu­stan­des des Klägers nicht zu rech­nen ge­we­sen. Es lie­ge viel­mehr ei­ne fort­be­ste­hen­de Ar­beits­unfähig­keit vor, die es dem Kläger unmöglich ma­che, sei­ne ar­beits­ver­trag­lich ge­schul­de­te Leis­tung auf ab­seh­ba­re Zeit zu er­brin­gen. Dies bestätig­te auch das me­di­zi­ni­sche Sach­verständi­gen­gut­ach­ten. Ei­ne er­heb­li­che Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen lie­ge be­reits dar­in, dass sie den Kläger schon seit Jah­ren nicht mehr ein­set­zen könne. Zur Durchführung des BEM sei sie nicht ver­pflich­tet; der Kläger sei nicht schwer­be­hin­dert. Außer­dem sei er of­fen­sicht­lich nicht an ei­nem BEM-Ver­fah­ren in­ter­es­siert ge­we­sen, wie sein Ver­hal­ten im No­vem­ber 2003 und Ok­to­ber 2004 zei­ge. Im Übri­gen se­he § 84 SGB IX nicht die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung als Sank­ti­on für ein un­ter­blie­be­nes BEM vor.

Das Ar­beits­ge­richt hat auf der Ba­sis sei­nes Be­weis­be­schlus­ses vom 26. April 2005 ein ar­beits­me­di­zi­ni­sches Sach­verständi­gen­gut­ach­ten ein­ge­holt und dar­auf­hin die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sein Be­geh­ren wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on des Klägers ist be­gründet. Das Be­ru­fungs­ur­teil ist auf­zu­he­ben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und war auf Grund der noch nicht aus­rei­chen­den tatsächli­chen


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Fest­stel­lun­gen zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zur Be­gründung sei­ner die Kla­ge ab­wei­sen­den Ent­schei­dung im We­sent­li­chen aus­geführt: Die Kündi­gung vom 29. Ok­to­ber 2004 sei nach § 1 Abs. 1 und 2 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Auf Grund der Er­kran­kung des Klägers sei die Kündi­gung aus per­so­nen­be­ding­ten Gründen wirk­sam. Der Kläger sei zum Zeit­punkt des Kündi­gungs­zu­gangs seit mehr als 2 1/2 Jah­ren ar­beits­unfähig ge­we­sen. Dar­aus fol­ge ei­ne ne­ga­ti­ve ge­sund­heit­li­che Pro­gno­se bei Zu­gang der Kündi­gung. Nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me ste­he auf Grund des me­di­zi­ni­schen Sach­verständi­gen­gut­ach­tens wei­ter fest, dass die Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit des Klägers im Zeit­punkt des Kündi­gungs­zu­gangs völlig un­ge­wiss ge­we­sen sei. Bei ei­ner krank­heits­be­ding­ten Leis­tungs­unfähig­keit aus An­lass ei­ner Lang­zeit­er­kran­kung sei auch von ei­ner er­heb­li­chen Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen aus­zu­ge­hen. Ei­ner dau­ern­den Leis­tungs­unfähig­keit ste­he die Un­ge­wiss­heit der Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit gleich, wenn in den nächs­ten 24 Mo­na­ten nicht mit ei­ner an­de­ren Pro­gno­se ge­rech­net wer­den könne. Da­von sei im Ent­schei­dungs­fall aus­zu­ge­hen. Es sei völlig un­ge­wiss, ob und wann der Kläger an sei­nen Ar­beits­platz zurück­keh­ren könne. Ei­ne Ver­set­zung des Klägers auf ei­nen lei­dens­ge­rech­ten Ar­beits­platz kom­me nicht in Be­tracht. Ei­nen sol­chen Ar­beits­platz ge­be es im Be­trieb nicht. Ins­be­son­de­re be­ste­he kein „Eti­ket­tie­rer-Ar­beits­platz”. Der Kläger könne nicht ver­lan­gen, dass die Be­klag­te durch Um­or­ga­ni­sa­ti­on erst ei­nen sol­chen Ar­beits-platz schaf­fe.


Die Kündi­gung sei auch nicht ver­meid­bar ge­we­sen, wenn die Be­klag­te ein BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX durch­geführt hätte. Selbst wenn die Ver­pflich­tung nach § 84 Abs. 2 SGB IX sich auf al­le Ar­beit­neh­mer ei­nes Be­trie­bes er­stre­cken würde, kon­kre­ti­sie­re sie im Fal­le ei­ner krank­heits­be­ding­ten Kündi­gung nur das dem Kündi­gungs­recht in­ne­woh­nen­de ul­ti­ma-ra­tio-Prin­zip. Ziel der ge­setz­li­chen Re­ge­lung sei es, durch be­trieb­li­che Präven­ti­on ei­ne krank­heits­be­ding­te Kündi­gung von Ar­beit­neh­mern nach dem Grund­satz „Re­ha­bi­li­ta­ti­on statt Ent­las­sung” zu ver­hin­dern. Nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me ste­he aber fest, dass selbst bei der Durchführung ei­nes BEM im Ent­schei­dungs­fall ei­ne Kündi­gung nicht zu ver­mei­den ge­we­sen wäre. Aus gut­ach­ter­li­cher Sicht sei ei­ne lei­dens­ge­rech­te Ge­stal­tung des Ar­beits­plat­zes des Klägers als Ma­schi­nen­be­die­ner mit dem Ziel ei­ner Be­las­tungs­min­de­rung nicht rea­li­sier­bar ge­we­sen.

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Die not­wen­di­ge In­ter­es­sen­abwägung recht­fer­ti­ge kein an­de­res Er­geb­nis. Das In­ter­es­se der Be­klag­ten an ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses sei selbst un­ter Berück­sich­ti­gung der lan­gen Be­triebs­zu­gehörig­keit des Klägers und sei­ner persönli­chen Verhält­nis­se we­gen der schwe­ren Äqui­va­lenzstörung höher zu be­wer­ten als das In­ter­es­se des Klägers an des­sen Fort­set­zung.

Ein Ver­s­toß ge­gen § 102 Abs. 1 Be­trVG sei nicht er­kenn­bar. Der Be­triebs­rat sei ord­nungs­gemäß vor Aus­spruch der Kündi­gung an­gehört wor­den.

Da das Ar­beits­verhält­nis des Klägers durch die Kündi­gung vom 29. Ok­to­ber 2004 rechts­wirk­sam be­en­det wor­den sei, ha­be der Kläger auch kei­nen An­spruch auf Wei­ter­beschäfti­gung nach dem 30. April 2005.

B. Dem folgt der Se­nat nicht. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat dem nicht durch­geführ­ten BEM bei der recht­li­chen Be­ur­tei­lung der Wirk­sam­keit der per­so­nen­be­ding­ten Kündi­gung zu we­nig Be­ach­tung ge­schenkt.

I. Die Kündi­gung ist nicht schon we­gen § 102 Abs. 1 Be­trVG un­wirk­sam.

Das Be­ru­fungs­ge­richt hat aus­geführt, die Be­klag­te ha­be den Be­triebs­rat vor Aus­spruch der Kündi­gung ord­nungs­gemäß be­tei­ligt. Die­se Ausführun­gen las­sen kei­nen Rechts­feh­ler er­ken­nen. Der Kläger er­hebt hier­ge­gen kei­ne Re­vi­si­onsrügen.

II. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auf der Ba­sis des von ihm bis­her fest­ge­stell­ten Sach­ver­halts zu Un­recht an­ge­nom­men, es lie­ge ein per­so­nen­be­ding­ter Grund zur Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses vor.

1. Bei der Fra­ge der So­zi­al­wid­rig­keit ei­ner Kündi­gung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG han­delt es sich um die An­wen­dung ei­nes un­be­stimm­ten Rechts­be­griffs, die vom Re­vi­si­ons­ge­richt nur dar­auf über­prüft wer­den kann, ob das Lan­des­ar­beits­ge­richt in dem an­ge­foch­te­nen Ur­teil den Rechts­be­griff selbst ver­kannt hat, ob es bei der Un­ter­ord­nung des Sach­ver­halts un­ter die Rechts­nor­men des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt hat, ob es bei der ge­bo­te­nen In­ter­es­sen­abwägung, bei der dem Tat­sa­chen­ge­richt ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu­steht, al­le we­sent­li­chen Umstände berück­sich­tigt hat und ob das Ur­teil in sich wi­der­spruchs­frei ist (vgl. Rspr. des Se­nats, zu­letzt et­wa 7. No­vem­ber 2002 - 2 AZR 599/01 - AP KSchG 1969 § 1 Krank­heit Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Krank­heit Nr. 50; 10. No­vem­ber 2005 - 2 AZR 44/05 - AP KSchG 1969 § 1 Krank­heit Nr. 42; 18. Ja­nu­ar 2007 - 2 AZR 759/05 -).
 


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2. Die­sem ein­ge­schränk­ten Prüfungs­maßstab hält das Be­ru­fungs­ur­teil nicht stand. Die bis­he­ri­gen tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen tra­gen nicht das Er­geb­nis, es lie­ge ein per­so­nen­be­ding­ter Kündi­gungs­grund iSv. § 1 Abs. 2 KSchG vor.

a) Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Se­nats ist ei­ne auf ei­ner lang an­hal­ten­den Er­kran­kung be­ru­hen­de or­dent­li­che Kündi­gung in meh­re­ren Stu­fen zu prüfen.

Zunächst ist ei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se hin­sicht­lich des vor­aus­sicht­li­chen Ge­sund­heits­zu­stan­des des er­krank­ten Ar­beit­neh­mers er­for­der­lich. Es müssen - ab­ge­stellt auf den Kündi­gungs­zeit­punkt und die bis­her aus­geübte Tätig­keit (vgl. Se­nat 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - AP KSchG 1969 § 1 Krank­heit Nr. 45 = EzA KSchG § 1 Krank­heit Nr. 53) - ob­jek­ti­ve Tat­sa­chen vor­lie­gen, die die Be­sorg­nis ei­ner wei­te­ren, länge­ren Er­kran­kung recht­fer­ti­gen. Liegt - be­reits - ei­ne krank­heits­be­ding­te dau­ern­de Leis­tungs­unfähig­keit vor, ist ei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se hin­sicht­lich des vor­aus­sicht­li­chen Ge­sund­heits­zu­stan­des in­di­ziert. Steht fest, dass der Ar­beit­neh­mer die (ver­trag­lich) ge­schul­de­te Ar­beits­leis­tung über­haupt nicht mehr er­brin­gen kann oder ist die Wie­der­her­stel­lung sei­ner Ar­beits­kraft völlig un­ge­wiss (vgl. BAG 21. Mai 1992 - 2 AZR 399/91 - AP KSchG 1969 § 1 Krank­heit Nr. 30 = EzA KSchG § 1 Krank­heit Nr. 38; zu­letzt 18. Ja­nu­ar 2007 - 2 AZR 759/05 -), ist ei­ne sol­che ne­ga­ti­ve Pro­gno­se ge­recht­fer­tigt. Da­bei steht die Un­ge­wiss­heit der Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit der dau­ern­den Leis­tungs­unfähig­keit gleich, dh. die Pro­gno­se ist schlecht, wenn nicht in ab­seh­ba­rer Zeit mit ei­ner an­de­ren po­si­ti­ven Ent­wick­lung ge­rech­net wer­den kann. Als ab­seh­ba­re Zeit in die­sem Zu­sam­men­hang hat der Se­nat in sei­ner Recht­spre­chung ei­nen Zeit­raum bis zu 24 Mo­na­ten an­ge­se­hen (vgl. 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - BA­GE 91, 271).

Die pro­gnos­ti­zier­ten Fehl­zei­ten sind nur dann ge­eig­net, ei­ne krank­heits­be­ding­te Kündi­gung so­zi­al zu recht­fer­ti­gen, wenn die zu er­war­ten­den Aus­wir­kun­gen des Ge­sund­heits­zu­stan­des des Ar­beit­neh­mers zu ei­ner er­heb­li­chen Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen führen. Sie können durch Störun­gen im Ar­beits­ab­lauf oder durch ei­ne er­heb­li­che wirt­schaft­li­che Be­las­tung her­vor­ge­ru­fen wer­den. Liegt al­ler­dings ei­ne krank­heits­be­ding­te dau­ern­de Leis­tungs­unfähig­keit vor oder ist die Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit völlig un­ge­wiss, so kann in der Re­gel oh­ne Wei­te­res von ei­ner er­heb­li­chen Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen aus­ge­gan­gen wer­den (BAG 28. Fe­bru­ar 1990 - 2 AZR 401/89 - AP KSchG 1969 § 1 Krank­heit Nr. 25 = EzA KSchG § 1 Per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung Nr. 5; 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - BA­GE 91, 271; zu­letzt 18. Ja­nu­ar 2007 - 2 AZR 759/05 -; 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - AP KSchG


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1969 § 1 Krank­heit Nr. 45 = EzA KSchG § 1 Krank­heit Nr. 53; KR-Grie­be­ling 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 376; v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 404).


Ei­ne Kündi­gung ist aber ent­spre­chend dem das gan­ze Kündi­gungs­recht be­herr­schen­den Verhält­nismäßig­keits­grund­satz un­verhält­nismäßig und da­mit rechts­un­wirk­sam, wenn sie durch an­de­re mil­de­re Mit­tel ver­mie­den wer­den kann, dh., wenn die Kündi­gung nicht zur Be­sei­ti­gung der be­trieb­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen bzw. der ein­ge­tre­te­nen Ver­tragsstörung ge­eig­net oder nicht er­for­der­lich ist (BAG 25. No­vem­ber 1982 - 2 AZR 140/81 - BA­GE 40, 361; 27. Sep­tem­ber 1984 - 2 AZR 62/83 - BA­GE 47, 26; 7. Fe­bru­ar 1991 - 2 AZR 205/90 - BA­GE 67, 198; 12. Ju­li 1995 - 2 AZR 762/94 - AP BGB § 626 Krank­heit Nr. 7 = EzA BGB § 626 nF Nr. 156; 29. Ja­nu­ar 1997 - 2 AZR 9/96 - BA­GE 85, 107; 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - BA­GE 91, 271; zu­letzt 24. No­vem­ber 2005 - 2 AZR 514/04 - AP KSchG 1969 § 1 Krank­heit Nr. 43 = EzA KSchG § 1 Krank­heit Nr. 51; v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck § 1 Rn. 338; Stahl­ha­cke/ Preis/Vos­sen-Preis Kündi­gung und Kündi­gungs­schutz im Ar­beits­verhält­nis 9. Aufl. Rn. 1229). Der Ar­beit­ge­ber muss von meh­re­ren gleich ge­eig­ne­ten, zu­mut­ba­ren Mit­teln das­je­ni­ge wählen, das das Ar­beits­verhält­nis und den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer am we­nigs­ten be­las­tet. Ei­ne Kündi­gung ist als letz­tes Mit­tel nur zulässig, wenn der Ar­beit­ge­ber al­le zu­mut­ba­ren Möglich­kei­ten zu ih­rer Ver­mei­dung aus­geschöpft hat. Da­bei kommt bei ei­ner krank­heits­be­ding­ten Kündi­gung nicht nur ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung auf ei­nem an­de­ren, frei­en Ar­beits­platz in Be­tracht. Der Ar­beit­ge­ber hat viel­mehr al­le gleich­wer­ti­gen, lei­dens­ge­rech­ten Ar­beitsplätze, auf de­nen der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer un­ter Wahr­neh­mung des Di­rek­ti­ons­rechts ein­setz­bar wäre, in Be­tracht zu zie­hen und ggf. „frei­zu­ma­chen“ (BAG 29. Ja­nu­ar 1997 - 2 AZR 9/96 - aaO).

Sch­ließlich ist ei­ne In­ter­es­sen­abwägung vor­zu­neh­men, bei der zu prüfen ist, ob die er­heb­li­chen be­trieb­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen zu ei­ner bil­li­ger­wei­se nicht mehr hin­zu­neh­men­den Be­las­tung des Ar­beit­ge­bers führen (bei­spiels­wei­se BAG 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - BA­GE 91, 271). Im Fall der völli­gen Un­ge­wiss­heit der Wie­der­her­stel­lung der Ar­beits­kraft be­darf es al­ler­dings zur so­zia­len Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung kei­ner kon­kret fest­zu­stel­len­den er­heb­li­chen Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen (sie­he zu­letzt BAG 18. Ja­nu­ar 2007 - 2 AZR 759/05 -; 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - AP KSchG 1969 § 1 Krank­heit Nr. 45 = EzA KSchG § 1 Krank­heit Nr. 53).
 


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Dar­le­gungs- und be­weis­pflich­tig für die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner krank­heits­be­ding­ten Kündi­gung ist der Ar­beit­ge­ber (vgl. BAG 12. April 2002 - 2 AZR 148/01 - BA­GE 101, 39).

b) Die Be­ur­tei­lung des Lan­des­ar­beits­ge­richts hält sich nicht mehr in­ner­halb des vor­ste­hend skiz­zier­ten recht­li­chen Rah­mens. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat bei sei­ner Be­wer­tung nicht aus­rei­chend die vom Kläger ge­nann­ten al­ter­na­ti­ven Ein­satzmöglich­kei­ten und die Nicht­durchführung des BEM berück­sich­tigt. Ins­be­son­de­re fehlt ei­ne über­zeu­gen­de Be­gründung, war­um ei­ne mögli­che lei­dens­ge­rech­te Um­or­ga­ni­sa­ti­on des Ar­beits­plat­zes des Klägers oder sein Ein­satz auf ei­nem an­de­ren - ggf. durch Um­or­ga­ni­sa­ti­on der bis­he­ri­gen Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on zu schaf­fen­den - lei­dens­ge­rech­ten Ar­beits­platz nicht möglich sein soll. Al­lein die Be­zug­nah­me auf die gut­ach­ter­li­che Stel­lung­nah­me reicht vor al­lem un­ter Berück­sich­ti­gung des ar­beits­ge­richt­li­chen Be­weis­be­schlus­ses, nach dem nur ei­ne Be­gut­ach­tung zur ar­beits­ver­trag­lich ge­schul­de­ten Tätig­keit als Ma­schi­nen­be­die­ner er­fol­gen soll­te, nicht aus, um ei­ne mögli­che lei­dens-ge­rech­te und aus­fall­re­du­zie­ren­de Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers, ins­be­son­de­re auf ei­nem um­ge­stal­te­ten oder an­de­ren Ar­beits­platz mit hin­rei­chen­der Wahr­schein­lich­keit aus­sch­ließen zu können. Da­mit steht noch nicht fest, dass die Kündi­gung verhält­nismäßig ist.

aa) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on ist die Kündi­gung al­ler­dings nicht schon un­wirk­sam, weil die Be­klag­te vor ih­rem Aus­spruch kein BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX durch­geführt hat.

(1) Nach § 84 Abs. 2 SGB IX hat der Ar­beit­ge­ber bei ei­nem Beschäftig­ten, der in­ner­halb ei­nes Jah­res länger als sechs Wo­chen un­un­ter­bro­chen oder wie­der­holt ar­beits­unfähig ge­we­sen ist, mit der zuständi­gen In­ter­es­sen­ver­tre­tung und mit Zu­stim­mung der be­trof­fe­nen Per­son die Möglich­kei­ten zu klären, wie die Ar­beits­unfähig­keit möglichst über­wun­den und mit wel­chen Leis­tun­gen oder Hil­fen er­neu­ter Ar­beits­unfähig­keit vor­ge­beugt und der Ar­beits­platz des Ar­beit­neh­mers er­hal­ten wer­den kann.

(2) Das Er­for­der­nis ei­nes sol­chen be­trieb­li­chen BEM be­steht für al­le Ar­beit­neh­mer und nicht nur für die be­hin­der­ten Men­schen (v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck § 1 Rn. 341; Stahl­ha­cke/Preis/Vos­sen-Vos­sen Rn. 1457; Braun ZTR 2005, 630; Löw MDR 2005, 608, 609; Düwell FA 2004, 200, 201; Schlewing ZfA 2005, 484, 490; Welti NZS 2006, 623, 624; LAG Ber­lin 27. Ok­to­ber 2005 - 10 Sa 783/05 - LA­GE KSchG § 1 Krank­heit Nr. 37; LAG Nie­der­sach­sen 25. Ok­to­ber 2006 - 6 Sa 974/05 - BB 2007, 719;


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aA Bal­ders/Lep­ping NZA 2005, 854; Bro­se DB 2005, 390, 391; Na­men­dorf/Nat­zel DB 2005, 1794; ErfK/Rolfs 7. Aufl. § 84 SGB IX Rn. 1). Dies folgt schon aus dem Wort­laut des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX und der ge­setz­li­chen Sys­te­ma­tik. So spricht § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX von Beschäftig­ten und „außer­dem” von schwer­be­hin­der­ten Men­schen und der Ein­schal­tung der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung. Ent­spre­chen­des re­gelt § 84 Abs. 2 Satz 6 SGB IX. Die­ses Er­geb­nis wird durch den Sinn und Zweck der Re­ge­lung bestätigt. Nach der Ge­set­zes­be­gründung (BT-Drucks. 15/1783 S. 15) sol­len krank­heits­be­ding­te Kündi­gun­gen bei al­len Ar­beit­neh­mern durch das BEM ver­hin­dert wer­den.

(3) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on ist aber die Durchführung des BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX kei­ne for­mel­le Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zung für den Aus­spruch ei­ner Kündi­gung (aA Bro­se DB 2005, 390, 393). Ein feh­len­des BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX führt nicht per se zur Un­wirk­sam­keit ei­ner krank­heits­be­ding­ten Kündi­gung (vgl. LAG Ber­lin 27. Ok­to­ber 2005 - 10 Sa 783/05 - LA­GE KSchG § 1 Krank­heit Nr. 37; v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck § 1 Rn 343; KR-Et­zel 8. Aufl. Vor §§ 85-92 SGB IX Rn. 36; BAG 28. Ju­ni 2007 - 6 AZR 750/06 - NZA 2007, 1049; so auch Se­nat 7. De­zem­ber 2006 - 2 AZR 182/06 - AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 56 = EzA SGB IX § 84 Nr. 1 zum Präven­ti­ons­ver­fah­ren nach § 84 Abs. 1 SGB IX). Ent­ge­gen der von der Re­vi­si­on ver­tre­te­nen Auf­fas­sung ist § 84 Abs. 2 SGB IX kein Ver­bots­ge­setz. Ver­bots­ge­set­ze iSd. § 134 BGB ver­hin­dern das Zu­stan­de­kom­men ei­ner rechts­geschäft­li­chen Re­ge­lung. Das Ver­bot muss sich aber ge­ra­de ge­gen die Vor­nah­me des Rechts­geschäfts rich­ten. We­der aus dem Wort­laut des § 84 Abs. 2 SGB IX noch aus der Ge­set­zes­be­gründung folgt, dass ei­ne Ver­let­zung von § 84 Abs. 2 SGB IX stets als Rechts­fol­ge die Un­wirk­sam­keit ei­ner Kündi­gung nach sich zieht (aA wohl Braun ZTR 2005, 630, 632). Während § 85 SGB IX aus­drück­lich vor­schreibt, dass die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­genüber ei­nem schwer­be­hin­der­ten Men­schen durch den Ar­beit­ge­ber der Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes be­darf, und da­mit den Aus­spruch der Kündi­gung ver­bie­tet, ihn je­doch un­ter ei­nen Er­laub­nis­vor­be­halt stellt, fin­det sich ei­ne ver­gleich­ba­re For­mu­lie­rung in § 84 Abs. 2 SGB IX nicht. Das Ge­setz sieht viel­mehr gar kei­ne Rechts­fol­ge vor. Auch die sys­te­ma­ti­sche Zu­ord­nung der Vor­schrift un­ter Ka­pi­tel 3: „Sons­ti­ge Pflich­ten der Ar­beit­ge­ber; Rech­te der schwer-be­hin­der­ten Men­schen” statt un­ter Ka­pi­tel 4: „Kündi­gungs­schutz” weist in die­sel­be Rich­tung. Die ge­setz­li­che Re­ge­lung steht ge­ra­de außer­halb des be­son­de­ren Kündi­gungs­schut­zes für schwer­be­hin­der­te und ih­nen gleich­ge­stell­te Men­schen. Nach der Ge­set­zes­be­gründung zum Ge­setz zur Bekämp­fung der Ar­beits­lo­sig­keit Schwer­be­hin-

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der­ter vom 29. Sep­tem­ber 2000 (BGBl. I S. 1394; BT-Drucks. 14/3372 S. 16) soll­te durch den Aus­bau der be­trieb­li­chen Präven­ti­on, wie dem BEM, die Ent­ste­hung von Schwie­rig­kei­ten bei der Beschäfti­gung Schwer­be­hin­der­ter und von der Be­hin­de­rung Be­droh­ter möglichst ver­hin­dert bzw. soll­ten die­se je­den­falls möglichst frühzei­tig be­ho­ben wer­den. Die­ser Zweck er­for­dert es zwar, Ar­beit­neh­mer vor ge­sund­heit­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen zu schützen, nicht je­doch, sie von vorn­her­ein - und da­mit mögli­cher­wei­se auch grund­los - bes­ser zu stel­len als an­de­re Ar­beit­neh­mer.

bb) Auf Grund des ar­beits­me­di­zi­ni­schen Sach­verständi­gen­gut­ach­tens geht das Lan­des­ar­beits­ge­richt zunächst ver­tret­bar da­von aus, auch zukünf­tig sei die Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit des Klägers für sei­ne bis­he­ri­ge Tätig­keit als Ma­schi­nen­ar­bei­ter völlig un­ge­wiss und fol­gert dar­aus, die Ge­sund­heits­pro­gno­se für ei­ne wei­te­re Tätig­keit auf sei­nem bis­he­ri­gen Ar­beits­platz sei dau­er­haft ne­ga­tiv.

Da­mit be­darf es an sich auch kei­ner wei­te­ren Prüfung der Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen. Grundsätz­lich sind al­lein auf Grund der ein­ge­tre­te­nen Aus­fall­zei­ten ei­ner­seits und der völli­gen Un­ge­wiss­heit der zu er­war­ten­den Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit an­de­rer­seits die be­trieb­li­chen In­ter­es­sen er­heb­lich be­ein­träch­tigt.

cc) Al­ler­dings ist aus­nahms­wei­se ei­ne er­heb­li­che Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen zu ver­nei­nen, wenn die zukünf­tig zu er­war­ten­den Aus­fall­zei­ten durch an­de­re ge­eig­ne­te und mil­de­re Mit­tel als ei­ne Kündi­gung ver­mie­den oder er­heb­lich re­du­ziert wer­den können.

(1) Al­lein aus dem Um­stand, dass der Ar­beit­ge­ber das BEM nicht durch­geführt hat, folgt noch nicht das Vor­lie­gen von ge­eig­ne­ten mil­de­ren Mit­teln, die zwin­gend zur Re­du­zie­rung der Fehl­zei­ten und da­mit zur Un­verhält­nismäßig­keit ei­ner Kündi­gung führen könn­ten. Zwar ist § 84 Abs. 2 SGB IX kein bloßer Pro­gramm­satz oder ei­ne rei­ne Ord­nungs­vor­schrift mit bloß ap­pel­la­ti­ven Cha­rak­ter, de­ren Miss­ach­tung in je­dem Fall fol­gen­los blie­be (so ErfK/Rolfs § 84 SGB IX Rn. 1; Stahl­ha­cke/Preis/Vos­sen-Preis Rn. 1230a; Bal­ders/Lep­ping NZA 2005, 854, 857; Na­men­dorf/Nat­zel FA 2005, 162, 164). Durch die dem Ar­beit­ge­ber von § 84 Abs. 2 SGB IX auf­er­leg­ten be­son­de­ren Ver­hal­tens­pflich­ten soll möglichst frühzei­tig ei­ner Gefähr­dung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nes kran­ken Men­schen be­geg­net und die dau­er­haf­te Fort­set­zung der Beschäfti­gung er­reicht wer­den. Ziel des BEM ist - wie das der ge­setz­li­chen Präven­ti­on nach § 84 Abs. 1 SGB IX - die frühzei­ti­ge Klärung, ob und wel­che Maßnah­men zu er­grei­fen sind,


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um ei­ne möglichst dau­er­haf­te Fort­set­zung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses zu fördern (vgl. BAG 4. Ok­to­ber 2005 - 9 AZR 632/04 - BA­GE 116, 121). Die in § 84 Abs. 2 SGB IX ge­nann­ten Maßnah­men die­nen da­mit letzt­lich der Ver­mei­dung der Kündi­gung und der Ver­hin­de­rung von Ar­beits­lo­sig­keit er­krank­ter und kran­ker Men­schen.


(2) Dem­ent­spre­chend stellt § 84 Abs. 2 SGB IX ei­ne Kon­kre­ti­sie­rung des dem ge­sam­ten Kündi­gungs­schutz­recht in­ne­woh­nen­den Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes dar (BAG 28. Ju­ni 2007 - 6 AZR 750/06 - NZA 2007, 1049; so auch mit Un­ter­schie­den im Ein­zel­fall: Neu­mann/Pah­len/Ma­jer­ski-Pah­len-Neu­mann SGB IX 11. Aufl. § 84 Rn. 17; Kitt­ner/Däubler/Zwan­zi­ger-Zwan­zi­ger KSchR 6. Aufl. § 85 SGB IX Rn. 42b). Ei­ne Kündi­gung ist nur er­for­der­lich (ul­ti­ma-ra­tio), wenn sie nicht durch mil­de­re Maßnah­men ver­mie­den wer­den kann (Se­nat 15. Au­gust 2002 - 2 AZR 514/01 - AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 42 = EzA KSchG § 1 Nr. 56; 26. Ja­nu­ar 1995 - 2 AZR 649/94 - BA­GE 79, 176; 12. Ja­nu­ar 2006 - 2 AZR 179/05 - AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 68). Ei­ne Kündi­gung ist nicht ge­recht­fer­tigt, wenn es an­de­re ge­eig­ne­te mil­de­re Mit­tel gibt, um die Ver­tragsstörung künf­tig zu be­sei­ti­gen (Se­nat 12. Ja­nu­ar 2006 - 2 AZR 179/05 - aaO). Ein sol­ches mil­de­res Mit­tel ist zwar das BEM an sich nicht (sie­he auch v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck § 1 Rn. 344; Düwell JbAr­bR Bd. 43 S. 91, 103; Schlewing ZfA 2005, 485, 495; LAG Ber­lin 27. Ok­to­ber 2005 - 10 Sa 783/05 - LA­GE KSchG § 1 Krank­heit Nr. 37). Durch das BEM können aber sol­che mil­de­ren Mit­tel, zB die Um­ge­stal­tung des Ar­beits­plat­zes oder ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung zu geänder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen auf ei­nem an­de­ren Ar­beits­platz er­kannt und ent­wi­ckelt wer­den. Das Ge­setz hat den Ar­beit­ge­ber grundsätz­lich da­zu ver­pflich­tet, mit Hil­fe der ge­nann­ten Stel­len frühzei­tig zu prüfen, ob und wie ei­ne Gefähr­dung des Ar­beits­verhält­nis­ses auf Grund der ein­ge­tre­te­nen Er­kran­kun­gen und da­mit letzt­lich der Aus­spruch ei­ner Kündi­gung ver­mie­den wer­den kann.


(3) Da­mit kann ei­ne Kündi­gung zwar noch nicht al­lein we­gen Ver­s­toßes ge­gen das Verhält­nismäßig­keits­prin­zip als so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt qua­li­fi­ziert wer­den, weil das BEM nicht durch­geführt wur­de. Es müssen viel­mehr auch bei gehöri­ger Durchführung des BEM über­haupt Möglich­kei­ten ei­ner al­ter­na­ti­ven (Wei­ter-)Beschäfti­gung be­stan­den ha­ben, die ei­ne Kündi­gung ver­mie­den hätten (Welti NZS 2006, 623, 626; vgl. für das Präven­ti­ons­ver­fah­ren nach § 84 Abs. 1 SGB IX: Se­nat 7. De­zem­ber 2006 - 2 AZR 182/06 - AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 56 = EzA SGB IX § 84 Nr. 1; Düwell BB 2000, 2570, 2573; Pah­len AR-Blat­tei SD 1440.1 Rn. 167 f.). Im


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Um­kehr­schluss folgt dar­aus wei­ter, dass ein un­ter­las­se­nes BEM ei­ner Kündi­gung dann nicht ent­ge­gen­steht, wenn sie auch durch das BEM nicht hätte ver­hin­dert wer­den können.


(4) Wei­ter ist aber zu berück­sich­ti­gen, dass der Ar­beit­ge­ber nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für die Tat­sa­chen trägt, die die Kündi­gung be­din­gen. Da­zu gehört auch die Dar­le­gung feh­len­der - al­ter­na­ti­ver - Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten. Der Ar­beit­ge­ber kann nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Se­nats zunächst pau­schal be­haup­ten, es be­ste­he kei­ne an­de­re Beschäfti­gungsmöglich­keit für ei­nen dau­er­haft er­krank­ten Ar­beit­neh­mer. Die­se pau­scha­le Be­haup­tung um­fasst auch den Vor­trag, es be­ste­he kei­ne Möglich­keit ei­ner lei­dens­ge­rech­ten An­pas­sung des Ar­beits­verhält­nis­ses bzw. des Ar­beits­plat­zes. Der Ar­beit­neh­mer muss in die­sem Fall dann kon­kret dar­le­gen, wie er sich ei­ne Ände­rung des bis­he­ri­gen Ar­beits­plat­zes oder ei­ne an­de­re Beschäfti­gungsmöglich­keit - an ei­nem an­de­ren Ar­beits­platz - vor­stellt, die er trotz sei­ner ge­sund­heit­li­chen Be­ein­träch­ti­gung ausüben kann (BAG 26. Mai 1977 - 2 AZR 201/76 - AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 14 = EzA Be­trVG 1972 § 102 Nr. 30).

Hat der Ar­beit­ge­ber hin­ge­gen kein BEM durch­geführt, darf er sich durch sei­ne dem Ge­setz wi­der­spre­chen­de Untätig­keit kei­ne dar­le­gungs- und be­weis­recht­li­chen Vor­tei­le ver­schaf­fen (sie­he zu § 81 SGB IX: BAG 4. Ok­to­ber 2005 - 9 AZR 632/04 - BA­GE 116, 121). In die­sem Fall darf er sich nicht dar­auf be­schränken, pau­schal vor­zu­tra­gen, er ken­ne kei­ne al­ter­na­ti­ven Ein­satzmöglich­kei­ten für den er­krank­ten Ar­beit­neh­mer bzw. es ge­be kei­ne „frei­en Ar­beitsplätze“, die der er­krank­te Ar­beit­neh­mer auf Grund sei­ner Er­kran­kung noch ausfüllen könne. Es be­darf viel­mehr ei­nes um­fas­sen­de­ren kon­kre­ten Sach­vor­trags des Ar­beit­ge­bers zu ei­nem nicht mehr mögli­chen Ein­satz des Ar­beit­neh­mers auf dem bis­her in­ne­ge­hab­ten Ar­beits­platz ei­ner­seits und war­um an­de­rer­seits ei­ne lei­dens­ge­rech­te An­pas­sung und Verände­rung aus­ge­schlos­sen ist oder der Ar­beit­neh­mer nicht auf ei­nem (al­ter­na­ti­ven) an­de­ren Ar­beits­platz bei geänder­ter Tätig­keit ein­ge­setzt wer­den könne.


c) Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Grundsätze hat die Be­klag­te die ihr ob­lie­gen­de Dar­le­gungs­last bis­her noch nicht erfüllt.

aa) Der Kläger hat sich im Ent­schei­dungs­fall so­wohl auf ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung auf sei­nem bis­he­ri­gen Ar­beits­platz nach ei­ner lei­dens­ge­rech­ten Um­ge­stal­tung und
 


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An­pas­sung als auch auf ei­nen Ein­satz auf ei­nem an­de­ren lei­dens­ge­rech­ten Ar­beits­platz, dem sog. Eti­ket­tie­rer­ar­beits­platz, be­ru­fen.

bb) Die vom Kläger be­nann­ten Ein­satzmöglich­kei­ten und die da­zu not­wen­di­gen be­trieb­li­chen Um­ge­stal­tun­gen und ar­beits­ver­trag­li­chen An­pas­sun­gen kom­men als mil­de­re vor­ran­gig zu berück­sich­ti­gen­de Mit­tel durch­aus in Be­tracht. Ob sie zu ei­nem dau­er­haf­ten Ein­satz des Klägers oh­ne we­sent­li­che oder er­heb­lich re­du­zier­te Fehl­zei­ten führen würden, hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt, wie ins­be­son­de­re sei­ne Ausführun­gen zur „ab­leh­nen­den Um­or­ga­ni­sa­ti­on“ zei­gen, nicht fest­ge­stellt.

(1) So fehlt es schon an ei­nem de­zi­dier­ten Sach­vor­trag der Be­klag­ten, war­um ei­ne lei­dens­ge­rech­te Ge­stal­tung des bis­he­ri­gen Ar­beits­plat­zes (Stich­wor­te: Sitz­ge­le­gen­heit, halb­vol­le Trans­port­wa­gen) nicht möglich sein soll und ei­ne ent­spre­chen­de An­pas­sung des Ar­beits­plat­zes nicht zu ei­ner si­gni­fi­kan­ten Re­du­zie­rung der Fehl­zei­ten des Klägers führen könn­te. In­so­weit ist auch das ar­beits­me­di­zi­ni­sche Sach­verständi­gen­gut­ach­ten, das vom Ar­beits­ge­richt ein­ge­holt wur­de, nicht hin­rei­chend aus­sa­ge­kräftig. Es be­han­delt die Fra­ge, ob und wel­che An­pas­sun­gen an den bis­he­ri­gen Ar­beits­platz des Klägers möglich wären und da­mit dem Kläger ei­ne lei­dens­ge­rech­te Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­keit eröff­nen könn­ten, nicht näher. Aus­ge­hend von dem ge­richt­li­chen Be­weis­be­schluss ver­weist das Sach­verständi­gen­gut­ach­ten nur dar­auf, das „Be­las­tungs­pro­fil der ar­beits­ver­trag­lich ge­schul­de­ten Tätig­keit als Mit­ar­bei­ter in der Zer­span­nung“ sei nicht lei­dens­ge­recht. Mit ei­ner zunächst von der Be­klag­ten zu the­ma­ti­sie­ren­den Um­or­ga­ni­sa­ti­on sei­ner Tätig­keit setzt sich das Gut­ach­ten hin­ge­gen ge­ra­de nicht aus­ein­an­der.

(2) Fer­ner fehlt es an ei­nem sub­stan­zi­ier­ten Vor­trag der Be­klag­ten zu dem vom Kläger vor­ge­schla­ge­nen Ein­satz als „Eti­ket­tie­rer“. Ge­gen den Vor­schlag des Klägers spricht noch nicht al­lein der Um­stand, dass es die­sen kon­kre­ten Ar­beits­platz bis­her nicht gibt. Die Be­klag­te ist ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts in­so­weit grundsätz­lich auch ver­pflich­tet, auf der Ba­sis ih­res Di­rek­ti­ons­rechts ei­ne be­trieb­li­che Um­or­ga­ni­sa­ti­on vor­zu­neh­men, um dem be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ei­nen lei­dens­ge­rech­ten Ar­beits­platz zu er­hal­ten. Dafür, dass ei­ne sol­che Maßnah­men ei­ner­seits auf Grund der be­trieb­li­chen Struk­tu­ren und Abläufe über­haupt nicht möglich oder nur mit großen Schwie­rig­kei­ten um­setz­bar wäre oder an­de­rer­seits kei­nen Er­folg für ei­ne lei­dens­ge­rech­te Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers hätte, hat die Be­klag­te bis­her nichts dar­ge­tan.
 


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(3) Sch­ließlich kann dem bis­he­ri­gen Vor­trag der Be­klag­ten nicht ent­nom­men wer­den, dass auch bei Durchführung des BEM kei­ne Maßnah­men er­kannt oder ent­wi­ckelt wor­den wären, die die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne lei­dens­ge­rech­te Wei­ter­beschäfti­gung ge­schaf­fen hätten, und des­halb die per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung wirk­lich das letz­te Mit­tel ge­we­sen ist, um die ein­ge­tre­te­ne Ver­tragsstörung adäquat zu be­sei­ti­gen.

d) Dem vor­ste­hen­den Er­geb­nis steht der Ein­wand der Be­klag­ten aus der Re­vi­si­ons­er­wi­de­rung nicht ent­ge­gen, der Kläger sei „of­fen­sicht­lich“ nicht zu ei­nem BEM-Ver­fah­ren be­reit ge­we­sen. Zu­tref­fend ist, dass der Ar­beit­ge­ber ein BEM-Ver­fah­ren nicht durchführen muss, dem der Ar­beit­neh­mer nicht zu­ge­stimmt hat. Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist die Zu­stim­mung des Ar­beit­neh­mers zu die­sem Ver­fah­ren not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung. Die Be­klag­te hat je­doch den Kläger nicht, zu­min­dest nicht ein­deu­tig, auf­ge­for­dert, mit ihr ein BEM-Ver­fah­ren durch­zuführen. Dem­ent­spre­chend kann sie sich nicht spe­ku­la­tiv dar­auf be­ru­fen, der Kläger hätte die­sem Vor­ge­hen oh­ne­hin nicht zu­ge­stimmt.


III. Da auf Grund der un­zu­rei­chen­den tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen sich nicht ab­sch­ließend be­ur­tei­len lässt, ob ein per­so­nen­be­ding­ter Kündi­gungs­grund vor­liegt, ist der Be­klag­ten Ge­le­gen­heit zu ge­ben, zum mögli­chen Ein­satz des Klägers auf ei­nem lei­dens­ge­rech­ten und ggf. um­ge­stal­te­ten Ar­beits­platz vor­zu­tra­gen. Des­halb ist die Sa­che zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Be­ru­fungs­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Rost 

Schmitz-Scho­le­mann 

Ey­lert

Grim­berg 

Nie­b­ler

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