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BAG, Ur­teil vom 05.12.2019, 2 AZR 240/19

   
Schlagworte: Verhaltensbedingte Kündigung, Meinungsfreiheit, Schmähkritik
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 240/19
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 05.12.2019
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Nürnberg, Endurteil vom 06.11.2013, 2 Ca 5556/13,
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 11.01.2019, 4 Sa 131/16 -
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

2 AZR 240/19
4 Sa 131/16
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Nürn­berg

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
5. De­zem­ber 2019

UR­TEIL

Schmidt-Bren­ner, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

 

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

 

pp.

 

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

 

 

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 5. De­zem­ber 2019 durch die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ra­chor als Vor­sit­zen­de, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Nie­mann und Dr. Schlünder so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Grim­berg und Wolf für Recht er­kannt:

 

- 2 -

    1. Auf die Re­vi­si­on der Kläge­rin wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nürn­berg vom 11. Ja­nu­ar 2019 - 4 Sa 131/16 - auf­ge­ho­ben.
    2. Die Sa­che wird zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­sch­ei­dung - auch über die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens - an ei­ne an­de­re Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts zu­rück­ver­wie­sen.

 

Von Rechts we­gen!

 

Tat­be­stand

 

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung, ei­nen Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten, die vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung der Kläge­rin und die Er­tei­lung ei­nes Zwi­schen­zeug­nis­ses.

1

Die Kläge­rin war bei der Be­klag­ten seit Sep­tem­ber 2001 als kaufmänni­sche An­ge­stell­te im Ein­kauf beschäftigt. Im Ver­lauf des Ar­beits­verhält­nis­ses sah sie sich durch ih­re Vor­ge­setz­ten we­gen ih­res Ge­schlechts und ih­rer af­gha­ni­schen Her­kunft dis­kri­mi­niert.

2

In ei­ner E-Mail vom 21. Sep­tem­ber 2008 an den da­ma­li­gen Vor­stands­ vor­sit­zen­den der Be­klag­ten gab die Kläge­rin an, seit ei­ni­gen Jah­ren würden „Gue­ril­la-Ak­tio­nen“ ge­gen sie geführt, sie ha­be ei­ne „him­mel­schrei­en­de Aus­länder- und Frau­en­feind­lich­keit“ vor­ge­fun­den. Sie würde es als un­fair er­ach­ten, wenn der Vor­stands­vor­sit­zen­de da­von aus der ame­ri­ka­ni­schen Pres­se oder der „Oprah-Win­frey-Show“ erführe. Bei ih­rem „Chef“ han­de­le es sich um ei­nen „un­ter­be­lich­te­ten Frau­en- und Ausländer­has­ser“. Die Kläge­rin wies in der E-Mail dar­auf hin, dass sie drei „un­ter­halts­pflich­tig(e)“ Kin­der ha­be.

3

Mit eben­falls an den da­ma­li­gen Vor­stands­vor­sit­zen­den ge­rich­te­ter E-Mail vom 5. Fe­bru­ar 2009 teil­te die Kläge­rin er­neut mit, dass sie un­ter Män­ner­herr­schaft, Männer­wirt­schaft und Männer­so­li­da­rität zu lei­den ha­be. Sie ver­lang­te, nicht mehr mit ih­rem bis­he­ri­gen Vor­ge­setz­ten zu­sam­men­ar­bei­ten zu müssen. In der E-Mail hieß es aus­zugs­wei­se:

 

- 3 -

„Bei die­ser Ge­le­gen­heit muss ich lei­der fest­stel­len, dass Sie als CEO von S noch ein­sa­mer sind als ich es bin. Ich darf Ih­nen hier­mit schrift­lich bestäti­gen, dass kein Ju­de in die­sem Land je­mals sol­che see­li­schen Qua­len er­lei­den muss­te, wie ich; und das ist mein Er­le­ben und Emp­fin­den, und kein Ge­setz der Welt kann mir ver­bie­ten, darüber zu be­rich­ten. In kei­nem Land der Welt, in kei­nem Un­ter­neh­men der Welt ha­be ich so vie­le In­t­ri­gen er­lebt, sei es mit Per­so­nal, sei es mit Lie­fe­ran­ten. Das Gan­ze hält die Er­in­ne­rung wach an mei­nen Lieb­lings­film: Der Pa­te. Al­les in Al­lem: Was mir bis heu­te ge­bo­ten wird - das kann ich doch nicht an­neh­men: Es be­lei­digt mei­ne In­tel­li­genz.“

4

Mit E-Mail vom 30. März 2009 wand­te sich die Kläge­rin un­ter dem Be­treff „Le­bens­werk der unfähi­gen Führungs­kräfte“ an ih­ren un­mit­tel­ba­ren Vor­ge­setz­ten. Sie hielt ihm Mob­bing, Bos­sing, un­be­rech­tig­te Kri­tik so­wie un­sach­li­che und lee­re Be­mer­kun­gen vor, fer­ner, dass er sei­ne Po­si­ti­on nur in­ne­ha­be, um ei­ner in­tel­lek­tu­el­len Frau das Le­ben zur Hölle zu ma­chen. Sei­ne Fähig­kei­ten reich­ten of­fen­sicht­lich nicht da­zu, als Führungs­kraft zu fun­gie­ren. Er ver­ste­he nicht ein­mal „den Un­ter­schied zwi­schen Kos­ten und Preis“. Die Kläge­rin ver­sand­te die E-Mail an wei­te­re zwölf Mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten.

5

Die Be­klag­te wies die Kläge­rin mit Schrei­ben vom 3. April 2009 dar­auf hin, dass ih­re Äußerun­gen durch ihr Be­schwer­de­recht und das Recht zur frei­en Mei­nungsäußerung nicht mehr ge­deckt sei­en. Dies gel­te ins­be­son­de­re mit Blick auf die in der E-Mail vom 5. Fe­bru­ar 2009 ent­hal­te­nen An­spie­lun­gen auf die Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Das Schrei­ben lau­te­te aus­zugs­wei­se:

„Sie ha­ben mit die­sen Ver­glei­chen und Be­haup­tun­gen ar­beits­recht­li­che Kündi­gungs­gründe ge­lie­fert. Wir for­dern Sie da­her auf, al­le von Ih­nen ge­mach­ten Ver­glei­che und auf­ge­stell­ten Be­haup­tun­gen ge­genüber den von Ih­nen in­for­mier­ten Per­so­nen und der S AG schrift­lich bis zum 17. April 2009 zurück­zu­neh­men. Des Wei­te­ren for­dern wir Sie auf, sich bei den be­trof­fe­nen Per­so­nen schrift­lich un­ter qua­li­fi­zier­ter Zurück­nah­me der Be­haup­tun­gen eben­falls bis zum 17. April 2009 zu ent­schul­di­gen. Wir er­war­ten, dass Sie der­ar­ti­ge Äußerun­gen künf­tig un­ter­las­sen.

Soll­ten der­ar­ti­ge oder sinn­gemäß glei­che Äußerun­gen wie­der­holt wer­den oder soll­te kei­ne Rück­nah­me er­fol­gen, wer­den wir ar­beits­recht­li­che Maßnah­men ein­lei­ten, die bis hin zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­hen kön­nen.

 

- 4 -

Bis zur endgülti­gen Klärung des Vor­gan­ges stel­len wir Sie wi­der­ruf­lich un­ter Fort­zah­lung der Bezüge von der Ar­beit frei.“

6

Die Kläge­rin nahm zu dem Schrei­ben mit E-Mail vom 16. April 2009 Stel­lung. Die Be­zeich­nung ih­res Vor­ge­setz­ten als „un­ter­be­lich­te­te(n) Frau­en-und Ausländer­has­ser“ sei „auch für (ih­ren) Ge­schmack ... ein we­nig zu scharf ge­ra­ten“, des­sen frau­en­feind­li­ches Ver­hal­ten ha­be aber zur Verschärfung des Kon­flikts bei­ge­tra­gen. Sie ha­be den Aus­druck nicht zum Zwe­cke der Be­lei­di­gung oder Rufschädi­gung ver­wandt. Ge­gen den Vor­wurf, den Ab­tei­lungs­lei­ter als „Ras­sis­ten“ be­zeich­net zu ha­ben, ver­wah­re sie sich.

7

Mit Schrei­ben vom 21. April 2009 hörte die Be­klag­te den Be­triebs­rat zu der Ab­sicht an, das Ar­beits­verhält­nis mit der Kläge­rin or­dent­lich zum 30. Ju­ni 2009 zu kündi­gen. Dem Anhörungs­schrei­ben - be­ste­hend aus Deck­blatt und An­hang - wa­ren wei­te­re An­la­gen bei­gefügt. Ob auch die An­la­gen „2a“ bis „2c“ da­zu gehörten, ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig ge­we­sen. Der Be­triebs­rat stimm­te der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung un­ter dem 24. April 2009 zu.

8

Mit Schrei­ben eben­falls vom 24. April 2009 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en zum 30. Ju­ni 2009.

9

Hier­ge­gen hat sich die Kläge­rin recht­zei­tig mit der vor­lie­gen­den Kla­ge ge­wandt. Sie hat außer­dem die Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zwi­schen­zeug­nis­ses und ih­re vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung ver­langt. Die Kläge­rin ist der An­sicht ge­we­sen, die von ihr getätig­ten Äußerun­gen sei­en nicht ge­eig­net, ei­ne Kündi­gung zu recht­fer­ti­gen. Die Be­klag­te ha­be mit ih­rem Schrei­ben vom 3. April 2009 selbst zum Aus­druck ge­bracht, dass kei­ne ne­ga­ti­ve Zu­kunfts­pro­gno­se be­ste­he, wenn sie, die Kläge­rin, be­stimm­te Ver­hal­tens­wei­sen rich­tig­stel­le. Ei­ne Ab­mah­nung sei da­her nicht ent­behr­lich ge­we­sen. Im Übri­gen las­se die Be­klag­te die jah­re­lan­gen Mob­bing­vorgänge außer Acht, die erst zur Störung des Be­triebs­frie­dens geführt hätten. Bei Aus­le­gung und Be­wer­tung der Äußerun­gen der Kläge­rin müsse Art. 5 Abs. 1 GG be­ach­tet wer­den. Über­dies sei der Be­triebs­rat vor Aus­spruch der Kündi­gung nicht ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den. Auf dem Anhörungs­bo­gen sei ihm mit­ge­teilt wor­den, dass sie ei­ne Un­ter­halts­ver­pflich­tung nur ge­genüber ei­nem Kind ha­be, ob­wohl die Be­klag­te po­si­ti­ve

 

- 5 -

Kennt­nis da­von ge­habt ha­be, dass sie drei Kin­dern zum Un­ter­halt ver­pflich­tet sei. Das Zi­tat zum „Ju­den­ver­gleich“ sei nicht vollständig und da­mit ent­stellt wie­der­ge­ge­ben wor­den. Die An­la­gen „2a“ bis „2c“ sei­en dem Be­triebs­rat nicht zu­ge­lei­tet wor­den. Der hier­zu als Zeu­ge ver­nom­me­ne Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de ha­be sich wi­dersprüchlich geäußert.

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Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt

  1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 24. April 2009 nicht auf­gelöst wor­den ist;
  2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihr ein Zwi­schen­zeug­nis zu er­tei­len, das sich auf Ver­hal­ten und Leis­tung er­streckt;
  3. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, sie zu den im Ar­beits­ver­trag vom 14. Sep­tem­ber 2001 ge­re­gel­ten Be­din­gun­gen in der der­zeit gel­ten­den Fas­sung als Stra­te­ge im Glo­bal Pro­cu­re­ment in N bis zu ei­ner rechts­kräfti­gen Ent­schei­dung über den Fest­stel­lungs­an­trag wei­ter-zu­beschäfti­gen;
    hilfs­wei­se hier­zu,
    die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, die Kläge­rin zu den im Ar­beits­ver­trag vom 14. Sep­tem­ber 2001 ge­nann­ten Be­din­gun­gen in der der­zeit gel­ten­den Fas­sung bis zu ei­ner rechts­kräfti­gen Ent­schei­dung über den Fest­stel­lungs­an­trag wei­ter­zu­beschäfti­gen.
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Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen, hilfs­wei­se

das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis ge­gen Zah­lung ei­ner an­ge­mes­se­nen Ab­fin­dung auf­zulö­sen.

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Die Be­klag­te hat die Kündi­gung als wirk­sam ver­tei­digt. Sie hat ge­meint, die Kläge­rin ha­be ih­re ar­beits­ver­trag­li­che Pflicht zur Rück­sicht­nah­me schwer­wie­gend ver­letzt. Sie ha­be ih­re Führungs­kräfte be­lei­digt, in ehr­ver­let­zen­der Wei­se die Fähig­kei­ten ih­res Vor­ge­setz­ten in Fra­ge ge­stellt und die Umstände im Un­ter­neh­men mit dem Leid der Ju­den während der NS-Zeit ver­gli­chen. Ei­ner Ab­mah­nung ha­be es nach dem Schrei­ben vom 3. April 2009 nicht mehr be­durft. Mit ih­rer Stel­lung­nah­me vom 16. April 2009 ha­be die Kläge­rin ih­re Pflicht­ver­let-

 

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zun­gen noch ma­ni­fes­tiert und verstärkt. Der Be­triebs­rat sei ord­nungs­gemäß be­tei­ligt wor­den. Die Be­klag­te hat be­haup­tet, die­sem sei die An­zahl der un­ter­halts­be­rech­tig­ten Kin­der der Kläge­rin zum ei­nen aus de­ren E-Mail vom 21. Sep­tem­ber 2008 be­kannt ge­we­sen, die dem Anhörungs­schrei­ben als An­la­ge „2c“ bei­gefügt ge­we­sen sei, zum an­de­ren ha­be er von den persönli­chen Verhält­nis­sen der Kläge­rin oh­ne­hin Kennt­nis ge­habt. Aus der An­la­ge „2c“ sei ihm auch der vollständi­ge In­halt des von der Kläge­rin an­ge­stell­ten „Ju­den­ver­gleichs“ be­kannt ge­we­sen.

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Zur Be­gründung des Auflösungs­an­trags hat die Be­klag­te vor­ge­tra­gen, die Kläge­rin ha­be sie in zahl­rei­chen Äußerun­gen ge­genüber der Pres­se als ein dis­kri­mi­nie­ren­des, frau­en- und ausländer­feind­li­ches Un­ter­neh­men dar­ge­stellt, in dem sys­te­ma­tisch Mob­bing be­trie­ben und kei­ne Rück­sicht auf die Ge­sund­heit der Mit­ar­bei­ter ge­nom­men wer­de. Von ih­rem „Ju­den­ver­gleich“ ha­be sie sich in der Öffent­lich­keit nicht dis­tan­ziert, son­dern sie, die Be­klag­te, be­zich­tigt, ihr zu Un­recht ei­ne straf­ba­re Ver­harm­lo­sung des Ho­lo­caust vor­ge­wor­fen zu ha­ben. Am 24. Fe­bru­ar 2010 ha­be die Kläge­rin ei­ne Straf­an­zei­ge ge­gen sie ge­stellt. Zusätz­lich ha­be sie Straf­an­zei­gen we­gen an­geb­li­chen Ver­s­toßes ge­gen das Da­ten­schutz­ge­setz ge­gen zwei ih­rer Mit­ar­bei­ter er­stat­tet. Die Kläge­rin ha­be die Na­men der Mit­ar­bei­ter auch öffent­lich erwähnt so­wie der Pres­se mit­ge­teilt und da­durch de­ren An­se­hen in der Öffent­lich­keit be­ein­träch­tigt. Sie ha­be zu­dem in ei­nem of­fe­nen Brief an die Bun­des­kanz­le­rin, den sie auf ih­rer Home­page veröf­fent­licht ha­be, das An­se­hen der Fir­ma beschädigt. Dem Be­triebs­rat ha­be sie vor­ge­wor­fen, seit Jah­ren Macht­miss­brauch begüns­tigt und of­fen­sicht­li­che Ge-set­zes­verstöße igno­riert und da­mit ge­bil­ligt zu ha­ben.

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Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, bei ei­nem erst in der Be­ru­fungs­in­stanz ge­stell­ten Auflösungs­an­trag könn­ten nur Sach­ver­hal­te berück­sich­tigt wer­den, die nach dem Schluss der münd­li­chen Ver­hand­lung ers­ter In­stanz ent­stan­den sei­en. Gründe für ei­ne Auflösung sei­en im Übri­gen nicht ge­ge­ben. Ei­nem Ar­beit­ge­ber, der auf die Be­schwer­de ei­nes dis­kri­mi­nier­ten Mit­ar­bei­ters nicht re­agie­re, sei es schon auf­grund uni­ons­recht­li­cher Vor­ga­ben ver­wehrt, von der Möglich­keit ei­ner Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses Ge­brauch zu ma­chen.

 

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Das Ar­beits­ge­richt und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (im Ver­fah­ren - 4 Sa 574/13 -) ha­ben dem Kündi­gungs­schutz­an­trag statt­ge­ge­ben. Auf den Hilfs­an­trag der Be­klag­ten hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en ge­gen Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung von 37.600,00 Eu­ro brut­to zum 30. Ju­ni 2009 auf­gelöst. Dem An­trag der Kläge­rin auf Er­tei­lung ei­nes Zwi­schen­zeug­nis­ses hat das Ar­beits­ge­richt statt­ge­ge­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat ihn ab­ge­wie­sen. Der An­trag auf Wei­ter­beschäfti­gung blieb in bei­den In­stan­zen oh­ne Er­folg. Mit ih­rer Re­vi­si­on (im Ver­fah­ren - 2 AZR 217/15 -) hat die Be­klag­te die vollständi­ge Ab­wei­sung der Kla­ge be­gehrt. Die Kläge­rin hat für den Fall, dass die Re­vi­si­on der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen wird, mit ih­rer Re­vi­si­on ihr Kla­ge­be­geh­ren - so­weit die­ses er­folg­los ge­blie­ben ist - wei­ter­ver­folgt und die Ab­wei­sung des Auflösungs­an­trags be­gehrt.

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Mit Ur­teil vom 19. No­vem­ber 2015 (- 2 AZR 217/15 -) hat der Se­nat auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nürn­berg vom 13. No­vem­ber 2014 (- 4 Sa 574/13 -) auf­ge­ho­ben und die Sa­che zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be mit der ge­ge­be­nen Be­gründung die Kündi­gung nicht als so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG an­se­hen dürfen.

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Mit dem im vor­lie­gen­den Re­vi­si­ons­ver­fah­ren an­ge­grif­fe­nen Be­ru­fungs­ur­teil vom 11. Ja­nu­ar 2019 (- 4 Sa 131/16 -) hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die erst­in­stanz­li­che Ent­schei­dung ab­geändert und die Kla­ge ins­ge­samt ab­ge­wie­sen.

18

Mit ih­rer vom Lan­des­ar­beits­ge­richt er­neut zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr Be­geh­ren wei­ter.

19

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on hat Er­folg. Mit der ge­ge­be­nen Be­gründung durf­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 24. April 2009 nicht als so­zi­al ge­recht­fer­tigt an­se­hen. Ob das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung auf­gelöst wor­den ist und der Kläge­rin Ansprüche auf ein Zwi­schen-

 

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zeug­nis so­wie vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung zu­ste­hen, kann der Se­nat nicht selbst ent­schei­den. Das führt zur Auf­he­bung des Be­ru­fungs­ur­teils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurück­ver­wei­sung der Sa­che an das Lan­des­ar­beits­ge­richt (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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I. Das Be­ru­fungs­ge­richt war ent­ge­gen der Rüge der Kläge­rin nicht ge­hin­dert, nach La­ge der Ak­ten (§ 331a ZPO) zu ent­schei­den.

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1. Gemäß § 331a Satz 2, § 251a Abs. 2 ZPO darf beim Aus­blei­ben ei­ner Par­tei im Ter­min ein Ur­teil nach La­ge der Ak­ten er­ge­hen, wenn in ei­nem frühe­ren Ter­min münd­lich ver­han­delt wor­den ist. Ver­fah­rens­feh­ler bei der An­wen­dung des § 331a ZPO können mit dem Rechts­mit­tel ge­gen die Haupt­sa­che­ent-schei­dung an­ge­foch­ten wer­den (vgl. Zöller/Her­get ZPO 33. Aufl. § 331a Rn. 3). Ei­ne ent­spre­chen­de Rüge enthält grundsätz­lich auch den Vor­trag, dass das an­ge­foch­te­ne Ur­teil mögli­cher­wei­se auf der Ver­let­zung be­ruht. Es ist dann nicht er­for­der­lich, aus­drück­lich die Tat­sa­chen an­zuführen, aus de­nen sich ein mögli­cher Zu­sam­men­hang zwi­schen Ver­fah­rens­ver­s­toß und Ent­schei­dung er­gibt (BAG 14. No­vem­ber 1985 - 2 AZR 652/84 - zu II 5 a und b der Gründe).

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2. Da­nach ist nicht zu be­an­stan­den, dass das Be­ru­fungs­ur­teil nach La­ge der Ak­ten er­gan­gen ist.

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a) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auf den hierfür er­for­der­li­chen An­trag der an­we­sen­den Be­klag­ten (vgl. Zöller/Her­get ZPO 33. Aufl. § 331a Rn. 2) nach La­ge der Ak­ten ent­schie­den. Das er­gibt sich aus den Ausführun­gen auf Sei­te 31 der Ent­schei­dungs­gründe un­ter II und II 1. Zwar heißt es auf Sei­te 2 des Be­ru­fungs­ur­teils, die Ent­schei­dung er­ge­he „auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 14. De­zem­ber 2018“ (zur zu­tref­fen­den For­mu­lie­rung vgl. Zöller/ Gre­ger ZPO 33. Aufl. § 251a Rn. 8). In­so­weit liegt aber ei­ne of­fen­kun­di­ge und unschädli­che Falsch­be­zeich­nung vor, die nach § 319 Abs. 1 ZPO zu be­rich­ti­gen wäre (vgl. BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 75/13 - Rn. 28, BA­GE 148, 129).

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b) Die Par­tei­en ha­ben be­reits in ei­nem frühe­ren Ter­min, nämlich am 25. Ju­ni 2014, un­ter Stel­lung der Sach­anträge münd­lich ver­han­delt. Ei­ne Ver­hand­lung „in ei­nem frühe­ren Ter­min“ ist auch die­je­ni­ge, die bei dem Lan­de­sar-

 

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beits­ge­richt vor ei­ner Zurück­ver­wei­sung der Sa­che durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt statt­ge­fun­den hat. Unschädlich ist es, wenn bei die­ser an­de­re eh­ren­amt­li­che Rich­ter mit­ge­wirkt ha­ben als beim zwei­ten Be­ru­fungs­ur­teil (vgl. BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 75/13 - Rn. 22 ff., BA­GE 148, 129).

25

aa) Durch die Zurück­ver­wei­sung der Sa­che zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Be­ru­fungs­ge­richt wird das Ver­fah­ren in der La­ge wie­der eröff­net, in der es sich be­fun­den hat, als die Ver­hand­lung vor dem Er­lass des auf­ge­ho­be­nen Ur­teils ge­schlos­sen wur­de (RG 1. No­vem­ber 1935 - VI 453/34 - zu 1 der Gründe, RGZ 149, 157). Das Ver­fah­ren vor und nach der Zurück­ver­wei­sung bil­det ei­ne Ein­heit (MüKoZ­PO/St­ack­mann 5. Aufl. § 251a Rn. 16; Zöller/Gre­ger ZPO 33. Aufl. § 251a Rn. 4). Et­was an­de­res gilt nur dann, wenn das Re­vi­si­ons­ge­richt nicht al­lein das Be­ru­fungs­ur­teil, son­dern nach § 562 Abs. 2 ZPO zu­gleich das die­sem zu­grun­de lie­gen­de Ver­fah­ren auf­ge­ho­ben hat.

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bb) Dem steht nicht ent­ge­gen, dass es nach der Zurück­ver­wei­sung zu ei­nem Wech­sel der zuständi­gen Rich­ter kom­men kann. Das Er­for­der­nis ei­ner frühe­ren münd­li­chen Ver­hand­lung soll gewähr­leis­ten, dass die Par­tei­en ih­re Stand­punk­te zu­min­dest ein­mal münd­lich vor­tra­gen können. Die­sem Zweck ist auch dann Rech­nung ge­tra­gen, wenn die er­ken­nen­de Kam­mer bei der münd­li­chen Ver­hand­lung per­so­nell an­ders be­setzt war oder die Ver­hand­lung vor ei­ner an­de­ren Kam­mer statt­ge­fun­den hat (RG 1. No­vem­ber 1935 - VI 453/34 - zu 1 der Gründe, RGZ 149, 157). § 309 ZPO ist in­so­weit nicht an­wend­bar. Die frühe­re Ver­hand­lung ist le­dig­lich Vor­aus­set­zung für das Ur­teil nach La­ge der Ak­ten, sie liegt die­sem je­doch nicht iSv. § 309 ZPO zu­grun­de (MüKoZ­PO/St­ack­mann 5. Aufl. § 251a Rn. 17).

27

cc) Ei­ne münd­li­che Ver­hand­lung nach der Zurück­ver­wei­sung ist auch nicht des­halb Vor­aus­set­zung für ei­ne Ent­schei­dung nach La­ge der Ak­ten, weil die Par­tei­en die Möglich­keit ha­ben müssen, neue Tat­sa­chen vor­zu­tra­gen. Das Ge­bot der Gewährung recht­li­chen Gehörs er­for­dert nicht stets ei­ne münd­li­che Ver­hand­lung. Ihm ist auch dann Genüge ge­tan, wenn die be­tref­fen­de Par­tei Ge­le­gen­heit hat, sich zu der Rechts­sa­che schrift­lich zu äußern (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 75/13 - Rn. 25, BA­GE 148, 129).

 

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c) Die Kläge­rin ist im Ter­min vom 14. De­zem­ber 2018 säum­ig iSd. § 331a ZPO ge­we­sen, ob­wohl der sie ver­tre­ten­de Rechts­an­walt zunächst zu dem Ter­min er­schie­nen ist. Als nicht er­schie­nen ist auch die Par­tei an­zu­se­hen, die in dem Ter­min zwar er­scheint, aber nicht ver­han­delt, § 333 ZPO. Die Kläge­rin und ihr Rechts­an­walt ha­ben nach den Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ur­teils den Sit­zungs­saal ver­las­sen, oh­ne Sach­anträge ge­stellt zu ha­ben. Für ein „Ver­han­deln“ iSv. § 333 ZPO reicht es nicht aus, ei­nen Ver­le­gungs­an­trag zu stel­len (Zöller/ Her­get ZPO 33. Aufl. § 333 Rn. 2).

29

d) Ei­ner Ent­schei­dung nach La­ge der Ak­ten stand nicht ent­ge­gen, dass et­wai­ge wei­te­re Pro­zess­be­vollmäch­tig­te (§ 84 ZPO) der Kläge­rin nicht zum Ter­min am 14. De­zem­ber 2018 ge­la­den wa­ren und des­halb ein Fall des § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO vor­ge­le­gen hätte. Selbst wenn die Kläge­rin wei­te­re Pro­zess­be­vollmäch­tig­te ne­ben ih­rem recht­zei­tig ge­la­de­nen und er­schie­ne­nen Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten ge­habt hätte, muss­ten die­se nicht ge­la­den wer­den. Wird ei­ne Par­tei von meh­re­ren Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten ver­tre­ten, genügt die Zu­stel­lung der La­dung zum Ter­min zur münd­li­chen Ver­hand­lung an ei­nen von ih­nen (vgl. BFH 7. Ju­li 1998 - III R 87/97 -; BGH 4. Ju­ni 1992 - IX ZR 149/91 - zu A III 3 b der Gründe, BGHZ 118, 312; 20. März 1967 - VIII ZR 15/65 - zu I 2 der Gründe; BVerwG 23. Ja­nu­ar 1975 - I WB 47.73, I WB 75.73 - zu I 3 a der Gründe; St­ein/Jo­nas/Ja­ko­by ZPO 23. Aufl. § 84 Rn. 3; MüKoZ­PO/Tous­saint 5. Aufl. § 84 Rn. 6).

30

e) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt muss­te kei­nen neu­en Ter­min zur münd­li­chen Ver­hand­lung an­be­rau­men. Es be­stand we­der An­lass für ei­ne Ver­le­gung noch für ei­ne Ver­ta­gung.

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aa) Es kann da­hin­ste­hen, ob das in § 251a Abs. 2 Satz 4 ZPO vor­ge­se­he­ne Recht, die An­be­rau­mung ei­nes neu­en Ter­mins zur münd­li­chen Ver­hand­lung zu be­an­tra­gen, nur ei­ner Par­tei zu­steht, die dem Ter­min oh­ne ihr Ver­schul­den gänz­lich fern­ge­blie­ben ist (so St­ein/Jo­nas/Roth ZPO 23. Aufl. § 251a Rn. 19; Zöller/Gre­ger ZPO 33. Aufl. § 251a Rn. 7; Wiec­zo­rek/Schütze/Ger­ken 4. Aufl. § 251a ZPO Rn. 24; Mu­sielak/Voit/Stad­ler ZPO 16. Aufl. § 251a Rn. 4), oder

 

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aus­nahms­wei­se auch ei­ner Par­tei, die zwar er­schie­nen ist, aber nicht ver­han­delt (vgl. MüKoZ­PO/St­ack­mann 5. Aufl. § 251a Rn. 27, 29).

32

bb) Die Kläge­rin hat je­den­falls nicht dar­ge­legt, oh­ne Ver­schul­den nicht ver­han­delt zu ha­ben.

33

(1) Der die Kläge­rin ver­tre­ten­de Rechts­an­walt ist recht­zei­tig und ord­nungs­gemäß zum Ter­min ge­la­den wor­den. Selbst wenn dies nicht der Fall ge­we­sen wäre, läge kein Fall des § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO vor, da der Rechts­an­walt und sei­ne Man­dan­tin tatsächlich zum Ter­min er­schie­nen sind (vgl. Zöller/Her­get ZPO 33. Aufl. § 335 Rn. 3; MüKoZ­PO/Prütting 5. Aufl. § 335 Rn. 8). Sie ha­ben die Sit­zung nur vor Stel­lung der Sach­anträge wie­der ver­las­sen.

34

(2) Auch der Um­stand, dass die Kläge­rin das Man­dat des sie da­mals und nun­mehr wie­der ver­tre­ten­den Rechts­an­walts un­mit­tel­bar vor dem Ter­min ge­kündigt hat, führt zu kei­ner an­de­ren Be­ur­tei­lung. Der ursprüng­lich man­da­tier­te Rechts­an­walt war trotz Man­datskündi­gung wei­ter­hin ge­genüber dem Ge­richt ihr Pro­zess­be­vollmäch­tig­ter und hätte Sach­anträge stel­len können.

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(a) Nach § 87 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO gilt ei­ne Voll­macht grundsätz­lich bis zur An­zei­ge ih­res Erlöschens als fort­be­ste­hend. Im An­walt­s­pro­zess - wie hier nach § 11 Abs. 4 ArbGG vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt - er­langt die Kündi­gung ei­ner Voll­macht nach § 87 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Kläge­rin erst dann recht­li­che Wirk­sam­keit, wenn die Be­stel­lung ei­nes neu­en Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten an­ge­zeigt wird (vgl. BGH 1. Fe­bru­ar 2018 - I ZB 73/17 - Rn. 9; 25. April 2007 - XII ZR 58/06 - Rn. 11). Der neue Pro­zess­be­vollmäch­tig­te ist na­ment­lich zu be­zeich­nen (BGH 10. Ju­li 1985 - IVb ZB 102/84 - zu B I der Gründe; Zöller/Alt­ham­mer ZPO 33. Aufl. § 87 Rn. 2; MüKoZ­PO/Tous­saint 5. Aufl. § 87 Rn. 10). Da­nach galt die Pro­zess­voll­macht des ursprüng­lich man-da­tier­ten Rechts­an­walts ge­genüber dem Ge­richt gemäß § 87 Abs. 1 ZPO als fort­be­ste­hend. Die Kläge­rin hat das Man­dat gekündigt, oh­ne dass ein an­de­rer Rechts­an­walt ih­re Ver­tre­tung an­ge­zeigt hat.

36

(b) Oh­ne Er­folg macht die Kläge­rin gel­tend, sie ha­be zwei an­de­ren Rechts­anwälten - die ne­ben ih­rem ursprüng­lich man­da­tier­ten Rechts­an­walt in

 

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ei­nem Ter­min vom 2. Mai 2018 auf­ge­tre­ten sind - „kon­klu­dent Pro­zess­voll­macht“ er­teilt. Hierfür ist - un­be­scha­det des Um­stands, dass die Kläge­rin selbst in ei­nem Schrift­satz vom 19. No­vem­ber 2018 aus­drück­lich erklärt hat, die­se Rechts­anwälte sei­en nicht ih­re Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten, son­dern nur Beistän­de - nichts er­sicht­lich.

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(aa) Die Rechts­anwälte sind zwar mit dem ursprüng­lich man­da­tier­ten Rechts­an­walt im Ter­min vom 2. Mai 2018 er­schie­nen. Ob sie Pro­zess­voll­macht hat­ten, ist aber nicht dar­ge­legt. Sie ha­ben we­der die Ver­tre­tung der Kläge­rin an­ge­zeigt noch ei­nen Schrift­satz für sie ein­ge­reicht, son­dern in dem Ter­min le­dig­lich zu­sam­men mit dem ursprüng­lich man­da­tier­ten Rechts­an­walt hand­schrift­lich die Be­gründung für ei­nen Be­fan­gen­heits­an­trag nie­der­ge­legt.

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(bb) Dar­aus kann nicht auf die Er­tei­lung ei­ner Pro­zess­voll­macht ge­sch­los­sen wer­den. Zwar be­darf es der Vor­la­ge ei­ner schrift­li­chen Pro­zess­voll­macht bei Rechts­anwälten so­lan­ge nicht, wie dies nicht vom Geg­ner gerügt wird (§ 88 Abs. 2 ZPO). Die Anwälte können im Ter­min am 2. Mai 2018 aber auch bloße Beistände (§ 90 ZPO) ge­we­sen sein. Dafür spre­chen das gleich­zei­ti­ge Auft­re­ten (vgl. Zöller/Alt­ham­mer ZPO 33. Aufl. § 90 Rn. 2) mit dem pro­zess­be­voll-mäch­tig­ten Rechts­an­walt und das Feh­len je­der Ver­tre­tungs­an­zei­ge. In die­ser Kon­stel­la­ti­on kann auch aus ih­rer Be­zeich­nung als „Kläger­ver­tre­ter“ in der Sit­zungs­nie­der­schrift nicht auf ei­ne kon­klu­dent er­teil­te Pro­zess­voll­macht ge­schlos­sen wer­den, zu­mal die Anwälte im Ru­brum des Pro­to­kolls nicht als Pro­zess­be­vollmäch­tig­te auf­geführt sind. Dem ent­spricht die Dar­stel­lung der Kläge­rin in ih­rem Schrift­satz vom 19. No­vem­ber 2018.

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f) Die Kläge­rin wen­det oh­ne Er­folg ein, der Sach­ver­halt sei noch nicht iSv. § 331a Satz 1 ZPO „hin­rei­chend geklärt“ ge­we­sen. Dies er­for­dert, dass das Ge­richt sich un­ter Zu­grun­de­le­gen des vor­han­de­nen Pro­zess­stoffs in der La­ge sieht, die be­ab­sich­tig­te Ent­schei­dung zu er­las­sen und zu be­gründen. Der Wort­laut des § 331a ZPO macht im Ver­gleich zu § 300 Abs. 1 ZPO deut­lich, dass das Ge­setz dem Rich­ter im Fal­le von § 331a ZPO ei­nen größeren Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu­er­kennt (vgl. MüKoZ­PO/Prütting 5. Aufl. § 331a Rn. 11; Mu­sielak/Voit/Stad­ler ZPO 16. Aufl. § 331a Rn. 3; St­ein/Jo­nas/Bar­tels ZPO

 

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23. Aufl. § 331a Rn. 6). Vor­lie­gend gibt es kei­ne An­halts­punk­te dafür, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt die­sen über­schrit­ten hätte.

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II. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auf der Ba­sis der bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen zu Recht an­ge­nom­men, die Kündi­gung sei nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 Be­trVG we­gen ei­ner nicht ord­nungs­gemäßen Anhörung des Be­triebs­rats un­wirk­sam. So­weit sich der Se­nat mit den in die­sem Zu­sam­men­hang auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen be­reits im Ur­teil vom 19. No­vem­ber 2015 (- 2 AZR 217/15 - Rn. 42 ff.) be­fasst hat, wird auf die dor­ti­gen Ausführun­gen Be­zug ge­nom­men.

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1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG ist der Be­triebs­rat vor je­der Kündi­gung zu hören. Gemäß Satz 2 der Be­stim­mung hat ihm der Ar­beit­ge­ber die Gründe für die Kündi­gung mit­zu­tei­len. Nach Satz 3 ist ei­ne oh­ne Anhörung des Be­triebs­rats aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung un­wirk­sam.

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a) Der In­halt der Un­ter­rich­tung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 Be­trVG ist nach ih­rem Sinn und Zweck grundsätz­lich sub­jek­tiv de­ter­mi­niert (BAG 16. Ju­li 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 15, BA­GE 152, 118; 23. Ok­to­ber 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14). Der Be­triebs­rat soll die Stich­hal­tig­keit und Ge­wich­tig­keit der Kündi­gungs­gründe über­prüfen, um sich über sie ei­ne ei­ge­ne Mei­nung bil­den zu können (BAG 16. Ju­li 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 14, aaO; 23. Ok­to­ber 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15). Der Ar­beit­ge­ber muss da­her dem Be­triebs­rat die Um­stände mit­tei­len, die sei­nen Kündi­gungs­ent­schluss tatsächlich be­stimmt ha­ben (BAG 16. Ju­li 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 15, aaO; 23. Ok­to­ber 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14). Dem kommt der Ar­beit­ge­ber dann nicht nach, wenn er dem Be­triebs­rat be­wusst ei­nen un­rich­ti­gen oder un­vollständi­gen - und da­mit ir­refüh­ren­den - Kündi­gungs­sach­ver­halt schil­dert, der sich bei der Würdi­gung durch den Be­triebs­rat zum Nach­teil des Ar­beit­neh­mers aus­wir­ken kann (BAG 16. Ju­li 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 16, aaO; 31. Ju­li 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 46).

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b) Die sub­jek­ti­ve Über­zeu­gung des Ar­beit­ge­bers von der Re­le­vanz oder Ir­re­le­vanz be­stimm­ter Umstände ist für den Um­fang der Un­ter­rich­tung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 Be­trVG dann nicht maßgeb­lich, wenn da­durch der Zweck der Be­triebs­rats­anhörung ver­fehlt würde. Der Ar­beit­ge­ber darf ihm be­kann­te Umstände, die sich bei ob­jek­ti­ver Be­trach­tung zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers

 

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aus­wir­ken können, dem Be­triebs­rat nicht des­halb vor­ent­hal­ten, weil sie für sei­nen ei­ge­nen Kündi­gungs­ent­schluss nicht von Be­deu­tung wa­ren (BAG 16. Ju­li 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 19, BA­GE 152, 118; 23. Ok­to­ber 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15). In die­sem Sin­ne ist die Be­triebs­rats­anhörung - aus­ge­hend vom sub­jek­ti­ven Kennt­nis­stand des Ar­beit­ge­bers - auch ob­jek­tiv, dh. durch Sinn und Zweck der Anhörung de­ter­mi­niert (BAG 16. Ju­li 2015 - 2 AZR 15/15 - aaO; Raab GK-Be­trVG 11. Aufl. § 102 Rn. 75, 79 und 111). Bei der ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung kann des­halb auf die Mit­tei­lung der „So­zi­al­da­ten“ des Ar­beit­neh­mers nicht des­halb ver­zich­tet wer­den, weil sie für den Kündi­gungsent­schluss des Ar­beit­ge­bers oh­ne Be­deu­tung wa­ren (BAG 23. Ok­to­ber 2014 - 2 AZR 736/13 - aaO; 6. Ok­to­ber 2005 - 2 AZR 280/04 - zu B II 2 a der Grün­de). Der Wirk­sam­keit ei­ner auf Gründe im Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers ge­stütz­ten Kündi­gung steht das Un­ter­las­sen der An­ga­be von des­sen ge­nau­en „So­zi­al­da­ten“ bei der Be­triebs­rats­anhörung des­halb nur dann nicht ent­ge­gen, wenn es dem Ar­beit­ge­ber auf die­se er­sicht­lich nicht an­kommt und der Be­triebs­rat je­den­falls die un­gefähren Da­ten oh­ne­hin kennt; er kann dann die Kündi­gungs­ab­sicht des Ar­beit­ge­bers auch so aus­rei­chend be­ur­tei­len (BAG 23. Ok­to­ber 2014 - 2 AZR 736/13 - aaO; 6. Ok­to­ber 2005 - 2 AZR 280/04 - aaO).

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2. Da­nach hat die Be­klag­te den Be­triebs­rat mit Schrei­ben vom 21. April 2009 ord­nungs­gemäß über die Gründe für die be­ab­sich­tig­te Kündi­gung un­ter­rich­tet.

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a) Es fehlt nicht an ei­ner aus­rei­chen­den Dar­stel­lung des Kündi­gungs­sach­ver­halts. In der dem Anhörungs­schrei­ben un­strei­tig bei­gefügten An­la­ge mit Ausführun­gen zur Be­gründung der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung hat­te die Be­klag­te den bis­he­ri­gen Ver­lauf des Ar­beits­verhält­nis­ses erläutert und auf die un­ter Be­tei­li­gung des Be­triebs­rats geführ­ten Gespräche mit der Kläge­rin ver­wie­sen. Die E-Mails der Kläge­rin wur­den eben­so in Be­zug ge­nom­men wie das Schrei­ben der Be­klag­ten vom 3. April 2009. Die Be­klag­te teil­te ih­re Einschätzung mit, dass ei­ne ver­trau­ens­vol­le Zu­sam­men­ar­beit mit der Kläge­rin nicht mehr zu er­war­ten sei, nach­dem die­se ih­re Äußerun­gen we­der zurück­ge­nom­men noch sich für sie

 

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ent­schul­digt ha­be. We­gen des In­halts der in Be­zug ge­nom­me­nen E-Mails ver­wies die Be­klag­te auf die num­me­rier­ten wei­te­ren An­la­gen.

46

b) Nach dem vom Lan­des­ar­beits­ge­richt gewürdig­ten Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me wa­ren die­se An­la­gen - ein­sch­ließlich der An­la­gen „2b“ und „2c“ - dem Anhörungs­schrei­ben bei der Überg­a­be an den Be­triebs­rat bei­gefügt.

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aa) Ei­ne vom Be­ru­fungs­ge­richt nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vor­ge­nom­me­ne Be­weiswürdi­gung un­ter­liegt nur ei­ner ein­ge­schränk­ten Kon­trol­le. Es ist zu prüfen, ob das Be­ru­fungs­ge­richt die Vor­aus­set­zun­gen und Gren­zen des § 286 ZPO be­ach­tet hat. Sei­ne Würdi­gung muss in sich wi­der­spruchs­frei, oh­ne Ver­let­zung von Denk­ge­set­zen so­wie all­ge­mei­nen Er­fah­rungssätzen er­folgt und recht­lich möglich sein (BAG 23. Ok­to­ber 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 37, BA­GE 149, 355; 8. Mai 2014 - 2 AZR 1005/12 - Rn. 21).

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bb) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in sich schlüssig und wi­der­spruchs­frei­be­gründet, wes­halb es für er­wie­sen hält, dass dem Anhörungs­schrei­ben sämt­li­che An­la­gen bei­gefügt wa­ren. Der von der Kläge­rin gerügte Ver­s­toß ge­gen Denk­ge­set­ze liegt nicht vor.

49

(1) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat berück­sich­tigt, dass sich die Aus­sa­gen des Zeu­gen E zum Teil wi­der­spra­chen. Es hat aber fest­ge­stellt, dass die vom Zeu­gen zum Ter­min mit­ge­brach­ten Un­ter­la­gen in­halt­lich iden­tisch mit den in der Ge­richts­ak­te be­find­li­chen Ko­pi­en des Anhörungs­schrei­bens wa­ren. Es hat an­ge­nom­men, der Zeu­ge ha­be mit Ver­weis auf die auf den Un­ter­la­gen durch­gängig auf­ge­brach­ten Ein­gangs­ver­mer­ke vom 21. April 2009 si­cher aus­sch­lie­ßen können, dass dem Be­triebs­rat noch nachträglich Un­ter­la­gen zu­ge­lei­tet wor­den sei­en, und dar­aus wi­der­spruchs­frei den Schluss ge­zo­gen, die Un­ter­la­gen sei­en dem Be­triebs­rat vollständig be­reits mit dem Anhörungs­schrei­ben zu­ge­gan­gen.

50

(2) Auch die neu­er­li­chen Rügen der Kläge­rin führen zu kei­nem an­de­ren Er­geb­nis. Die Wer­tung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, der Zeu­ge ha­be si­cher aus­schließen können, dass dem Be­triebs­rat nachträglich wei­te­re Anhörungs­un­ter-la­gen zu­ge­lei­tet wor­den sei­en, nimmt die Wi­dersprüchlich­keit der zu­vor auf

 

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Fra­gen des Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Kläge­rin ge­ge­be­nen Ant­wor­ten durch­aus in den Blick. Wenn es aus der den The­men­kom­plex ab­sch­ließen­den Ant­wort des Zeu­gen „Der Be­triebs­rat hat nichts Zusätz­li­ches ent­ge­gen­ge­nom­men. Außer, wenn es so ge­we­sen wäre, dann gäbe es zwei Du­pli­ka­te mit ei­ner Emp­fangs­bestäti­gung ei­nes Be­triebs­rats­mit­glieds“. den Schluss zieht, mit die­ser zu­sam­men­fas­sen­den Äußerung ha­be der Zeu­ge „si­cher“ aus­ge­schlos­sen, dass dem Be­triebs­rat nachträglich noch wei­te­re Anhörungs­un­ter­la­gen zu­ge­lei­tet wor­den sei­en, han­delt es sich um ei­ne ver­tret­ba­re Be­wer­tung, die nicht ge­gen Denk­ge­set­ze verstößt. Sie nimmt auch nicht auf ei­nen persönli­chen Ein­druck vom Zeu­gen Be­zug, son­dern berück­sich­tigt die Ab­fol­ge der Ant­wor­ten auf ver­schie­de­ne Fra­gen und misst der ab­sch­ließen­den, zu­sam­men­fas­sen­den Ant­wort das größere Ge­wicht bei. Wenn die Kläge­rin meint, „so wirk­lich si­cher sei sich der Zeu­ge nicht ge­we­sen“, setzt sie le­dig­lich ih­re Be­wer­tung ge­gen die des Be­ru­fungs­ge­richts.

51

(3) Die Be­weiswürdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist auch nicht des­halb lücken­haft, weil es we­sent­li­chen wei­te­ren Sach­vor­trag über­g­an­gen hätte. Aus­führun­gen der Be­klag­ten aus ei­nem Schrift­satz vom 20. No­vem­ber 2009 spiel­ten in die­sem Zu­sam­men­hang kei­ne Rol­le. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kündi­gung zu­tref­fend nach den Gründen be­ur­teilt, wie sie sich aus den dem Be­triebs­rat vor­ge­leg­ten Un­ter­la­gen er­ga­ben. Ob und in wel­chem Um­fang die Be­klag­te da­von Ab­stand ge­nom­men hat, wei­te­re Umstände ge­genüber dem Be­triebs­rat an­zu­spre­chen, ist oh­ne Be­deu­tung.

52

(4) Ent­ge­gen den An­ga­ben der Kläge­rin er­gibt sich aus dem Pro­to­koll­be­rich­ti­gungs­be­schluss vom 6. No­vem­ber 2014 nicht, dass der Be­triebs­rat In­for­ma­tio­nen über be­stimm­te Schimpfwörter nur aus der Pres­se er­hal­ten ha­be. Der Zeu­ge E hat le­dig­lich be­kun­det, die In­for­ma­tio­nen aus der Pres­se er­hal­ten zu ha­ben. Das ist aber kein In­diz dafür, dass der Be­triebs­rat die um­fang­rei­che E-Mail Kor­re­spon­denz, aus der sich die von der Kläge­rin be­an­stan­de­ten Be­mer­kun­gen er­ge­ben, nicht er­hal­ten hat.

53

(5) Es ist un­er­heb­lich, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt bei der Be­wer­tung der Wi­dersprüchlich­keit der Zeu­gen­aus­sa­ge auf an­de­re As­pek­te ab­ge­stellt hat

 

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als im ers­ten Be­ru­fungs­ur­teil. Die ge­ge­be­ne Be­gründung trägt die An­nah­me ei­ner vollständi­gen Über­mitt­lung der An­la­gen an den Be­triebs­rat im Rah­men des Anhörungs­ver­fah­rens, oh­ne ge­gen Denk­ge­set­ze zu ver­s­toßen. Sie ist das Er­geb­nis ei­ner ver­tret­ba­ren Be­weiswürdi­gung nach § 286 Abs. 1 ZPO. Dar­an ist das Re­vi­si­ons­ge­richt nach § 559 Abs. 2 ZPO ge­bun­den.

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cc) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist nicht ge­hal­ten ge­we­sen, die Ver­neh­mung des Zeu­gen E er­neut durch­zuführen. Ver­fah­rens­recht­lich hat es sich nach der Zurück­ver­wei­sung durch den Se­nat um das­sel­be Be­ru­fungs­ver­fah­ren ge­han­delt (vgl. BGH 28. Sep­tem­ber 2000 - IX ZR 6/99 - zu I 2 der Gründe, BGHZ 145, 256; RG 1. No­vem­ber 1935 - VI 453/34 - zu 1 der Gründe, RGZ 149, 157; 27. Sep­tem­ber 1938 - VII B 10/38 - RGZ 158, 195; Zöller/Heßler ZPO 33. Aufl. § 563 Rn. 2; MüKoZ­PO/Krüger 5. Aufl. § 563 Rn. 6). Dies gilt auch an­ge­sichts des Um­stands, dass am zwei­ten Be­ru­fungs­ur­teil an­de­re eh­ren­amt­li­che Rich­ter be­tei­ligt wa­ren. Ent­ge­gen der An­sicht der Kläge­rin liegt dar­in kein Ver­s­toß ge­gen den Grund­satz der Un­mit­tel­bar­keit der Be­weis­auf­nah­me (§ 355 ZPO).

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(1) Hat das Re­vi­si­ons­ge­richt un­ter Auf­he­bung des Be­ru­fungs­ur­teils, je­ doch - wie hier - nicht un­ter Auf­he­bung des zweit­in­stanz­li­chen Ver­fah­rens, die Sa­che in die Be­ru­fungs­in­stanz zurück­ver­wie­sen, bleibt ei­ne im ers­ten Be­ru­fungs­ver­fah­ren durch­geführ­te Be­weis­auf­nah­me „in der Welt“. Es be­steht kein Zwang, sie in je­dem Fall zu wie­der­ho­len (BAG 14. Fe­bru­ar 1964 - 1 AZR 296/63 - zu 1 a aa und 1 b der Gründe; Zöller/Heßler ZPO 33. Aufl. § 563 Rn. 2; MüKoZ­PO/Krüger 5. Aufl. § 563 Rn. 6; Mu­sielak/Voit/Ball ZPO 16. Auf­la­ge § 563 Rn. 8).

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(2) Das er­ken­nen­de Ge­richt darf ei­ne Be­weiswürdi­gung grundsätz­lich auch dann vor­neh­men, wenn es die Be­weis­auf­nah­me nicht selbst durch­geführt hat, wenn al­so die Zu­sam­men­set­zung des Ge­richts zwi­schen Be­weis­auf­nah­me und Ent­schei­dung ge­wech­selt hat. Das er­gibt sich be­reits dar­aus, dass die Zi­vil­pro­zess­ord­nung die Be­weis­auf­nah­me durch den be­auf­trag­ten und den er­such­ten Rich­ter (§ 361 f. ZPO) vor­sieht. Ein Rich­ter­wech­sel nach ei­ner Be­weis­auf­nah­me er­for­dert da­her nicht in je­dem Fall de­ren Wie­der­ho­lung. Frühe­re Zeu­gen­aus­sa­gen können durch Aus­wer­tung der Ver­neh­mungs­pro­to­kol­le im We­ge des

 

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Ur­kun­den­be­wei­ses ver­wer­tet wer­den, so­fern es auf ei­nen persönli­chen Ein­druck von den Be­kun­dun­gen nicht an­kommt (st. Rspr., vgl. nur BGH 4. Fe­bru­ar 1997 - XI ZR 160/96 - zu II 2 der Gründe). Ein Ge­richt verstößt erst dann ge­gen das Ge­bot der Un­mit­tel­bar­keit der Be­weis­auf­nah­me, wenn es sich auf Erwä­gun­gen zur Glaubwürdig­keit ei­nes Zeu­gen stützt, oh­ne dass al­le er­ken­nen­den Rich­ter - et­wa we­gen ei­nes Rich­ter­wech­sels - an des­sen Ver­neh­mung teil­ge­nom­men und so ei­nen persönli­chen Ein­druck von dem Zeu­gen ge­won­nen ha­ben oder auf ei­ne ak­ten­kun­di­ge und der Stel­lung­nah­me durch die Par­tei­en zu­gäng­li­che Be­ur­tei­lung zurück­grei­fen können (BGH 18. Ok­to­ber 2016 - XI ZR 145/14 - Rn. 28 mwN, BGHZ 212, 286; 12. Ju­ni 2012 - X ZR 132/09 - Rn. 31). Die form­lo­se Un­ter­rich­tung ei­nes Teils des Spruchkörpers über den von an­de­ren Mit­glie­dern ge­won­ne­nen persönli­chen Ein­druck genügt nicht (BGH 4. Fe­bru­ar 1997 - XI ZR 160/96 - aaO).

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(3) Da­nach ist es nicht zu be­an­stan­den, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt sich im zwei­ten Be­ru­fungs­ur­teil auf­grund des In­halts der Sit­zungs­pro­to­kol­le vom 9. Ju­li 2014 und 7. Au­gust 2014, des Be­schlus­ses vom 6. No­vem­ber 2014 und der vor­in­stanz­li­chen An­la­ge B 14 in der La­ge ge­se­hen hat, die pro­to­kol­lier­ten Zeu­gen­aus­sa­gen und den ge­richt­li­chen Au­gen­schein ab­sch­ließend zu wür­di­gen.

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(a) Am zwei­ten Be­ru­fungs­ur­teil ha­ben zwar an­de­re eh­ren­amt­li­che Rich­ter mit­ge­wirkt als an der ursprüng­li­chen Be­weis­er­he­bung. Al­lein dar­aus folgt aber kein Ver­s­toß ge­gen § 355 ZPO. Die Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts hat viel­mehr in ih­rer nun­meh­ri­gen Zu­sam­men­set­zung auf die pro­to­kol­lier­ten Zeu­gen­aus­sa­gen und das Er­geb­nis der Au­gen­schein­ein­nah­me im We­ge des Ur­kun­den­be­wei­ses zurück­grei­fen können.

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(b) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat im zwei­ten Be­ru­fungs­ur­teil kei­ne un­zu­lässi­ge Be­ur­tei­lung der Glaubwürdig­keit des Zeu­gen E vor­ge­nom­men. Zwar hat es un­ter II 4 auf Sei­te 50 Abs. 1 der Ent­schei­dungs­gründe die „Glaubwürdig­keit“ des Zeu­gen E an­ge­spro­chen. Da­mit be­zieht es sich aber nicht auf ei­ne - nach ei­nem Rich­ter­wech­sel un­zulässi­ge - Würdi­gung des persönli­chen Ein­drucks des Zeu­gen. Viel­mehr be­han­delt das Lan­des­ar­beits­ge­richt hier der Sa­che nach

 

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die Glaub­haf­tig­keit des In­halts der pro­to­kol­lier­ten Zeu­gen­aus­sa­ge vor dem Hin­ter­grund ei­ner ge­wis­sen Wi­dersprüchlich­keit. Die sach­li­che Würdi­gung ei­ner Aus­sa­ge an­hand an­der­wei­ti­ger Umstände ist trotz Aus­schei­dens der ursprüng­lich be­tei­lig­ten eh­ren­amt­li­chen Rich­ter zulässig (vgl. BGH 12. Ju­ni 2012 - X ZR 132/09 - Rn. 31). Der persönli­che Ein­druck, den der Zeu­ge E bei sei­ner Ver­neh­mung ge­macht hat, hat für das Lan­des­ar­beits­ge­richt im zwei­ten Be­ru­fungs­ur­teil kei­ne Rol­le ge­spielt.

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(c) Glei­ches gilt, so­weit der Zeu­ge E nach Würdi­gung durch das Lan­de­sar­beits­ge­richt „si­cher“ ha­be aus­sch­ließen können, dem Be­triebs­rat sei­en nach­träglich wei­te­re Anhörungs­un­ter­la­gen zu­ge­lei­tet wor­den. Die Be­wer­tung als „si­cher“ nimmt nicht Be­zug auf den persönli­chen Ein­druck, den der Zeu­ge bei sei­ner Ver­neh­mung ge­macht hat, son­dern be­wer­tet den In­halt und die Ab­fol­ge sei­ner pro­to­kol­lier­ten Aus­sa­gen. Da­bei hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die letz­te, ab­sch­ließen­de und zu­sam­men­fas­sen­de Aus­sa­ge zu die­sem The­men­kreis als „si­che­ren“ Aus­schluss an­de­rer Al­ter­na­ti­ven gewürdigt.

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(d) Auch die wei­te­ren von der Kläge­rin in die­sem Zu­sam­men­hang er­ho­be­nen Rügen sind un­be­gründet.

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(aa) Die Würdi­gung ei­nes Ur­kun­den­be­wei­ses - wie hier - be­darf kei­nes förm­li­chen Be­weis­be­schlus­ses. Ein sol­cher ist nur er­for­der­lich bei An­ord­nung ei­ner Par­tei­ver­neh­mung (§ 450 Abs. 1 Satz 1 ZPO), ei­ner vor­ter­min­li­chen Be­weis­auf­nah­me (§ 358a ZPO) so­wie dann, wenn die Be­weis­auf­nah­me ein be­son­de­res Ver­fah­ren er­for­dert (§§ 358, 284 ZPO), et­wa bei An­ord­nung ei­ner Be­weis­auf­nah­me im Rechts­hil­fe­weg oder ei­ner schrift­li­chen Be­gut­ach­tung. Sind die Be­weis­mit­tel be­reits präsent, be­darf es (vom Fall des § 450 ZPO ab­ge­se­hen) kei­ner förm­li­chen An­ord­nung der Be­weis­er­he­bung (vgl. Zöller/Gre­ger ZPO 33. Aufl. § 358 Rn. 2; Mu­sielak/Voit/Stad­ler ZPO 16. Aufl. § 358 Rn. 1 f.).

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(bb) § 249 Abs. 1 St­PO for­dert beim Ur­kun­den­be­weis zwar grundsätz­lich die Ver­le­sung der Schriftstücke in der Haupt­ver­hand­lung. Die Zi­vil­pro­zess­ord­nung kennt ei­ne sol­che Re­ge­lung aber nicht. Die Be­weis­auf­nah­me er­folgt durch Ein­sicht­nah­me in die Ur­kun­de (MüKoZ­PO/Schrei­ber 5. Aufl. § 420 Rn. 4; Zöller/Fes­korn ZPO 33. Aufl. § 420 Rn. 4).

 

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(cc) Die Kläge­rin legt nicht dar, dass ihr An­spruch auf recht­li­ches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG da­durch ver­letzt wor­den ist, dass sie vom Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht auf die be­ab­sich­tig­te Ver­wer­tung der Zeu­gen­aus­sa­ge im We­ge des Ur­kun­den­be­wei­ses hin­ge­wie­sen wor­den ist. Sie zeigt nicht auf, dass ein ge­wis­sen­haf­ter und kun­di­ger Pro­zess­be­tei­lig­ter un­ter Berück­sich­ti­gung der Viel­zahl von ver­tre­te­nen Rechts­auf­fas­sun­gen nach dem bis­he­ri­gen Pro­zess­ver­lauf nicht mit ei­ner sol­chen Vor­ge­hens­wei­se rech­nen muss­te (zu die­sem Maßstab vgl. BAG 25. Sep­tem­ber 2013 - 5 AZR 617/13 (F) - Rn. 3).

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c) Die im ers­ten Re­vi­si­ons­ver­fah­ren von der Kläge­rin er­ho­be­ne Rüge, das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be ihr Be­weis­an­ge­bot auf Ein­ho­lung ei­nes Sach­ver­ständi­gen­gut­ach­tens über die Dau­er der Ver­le­sung von 29 Text­sei­ten überg­an­gen (vgl. da­zu BAG 19. No­vem­ber 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 51 bis 53), hat sie im vor­lie­gen­den Re­vi­si­ons­ver­fah­ren nicht er­neut er­ho­ben.

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d) Die Anhörung des Be­triebs­rats war nicht we­gen ei­ner feh­ler­haf­ten Mit­tei­lung der be­ste­hen­den Un­ter­halts­pflich­ten der Kläge­rin un­zu­rei­chend.

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aa) Al­ler­dings war die dies­bezügli­che An­ga­be in dem Anhörungs­schrei­ben falsch. Die Kläge­rin war nicht ei­nem, son­dern drei Kin­dern zum Un­ter­halt ver­pflich­tet. Für das Lan­des­ar­beits­ge­richt stand aber nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me fest, dass der Be­triebs­rat schon auf­grund der mehr­fa­chen Vor­be­fas­sung mit der Kläge­rin über de­ren Un­ter­halts­pflich­ten in­for­miert war. Es lie­gen auch kei­ne An­halts­punk­te dafür vor, dass die Be­klag­te den Be­triebs­rat be­wusst un­rich­tig oder ir­reführend un­ter­rich­tet hätte. In­so­fern be­darf es kei­ner nähe­ren Prüfung, ob der Be­klag­ten Kennt­nis von der zu­tref­fen­den An­zahl der Un­ter­halts­pflich­ten der Kläge­rin je­den­falls auf­grund der An­ga­be in ih­rer E-Mail vom 21. Sep­tem­ber 2008 an den da­ma­li­gen Vor­stands­vor­sit­zen­den zu­zu­rech­nen war. Die Kläge­rin hat selbst dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sich aus ih­rer Lohn­steu­er­kar­te nur ein zu berück­sich­ti­gen­des Kind er­ge­ben ha­be. Für den Be­triebs­rat, der die zu­tref­fen­de Zahl der un­ter­halts­be­rech­tig­ten Kin­der der Kläge­rin kann­te, war eben­falls er­kenn­bar, dass es sich bei der An­ga­be in dem Anhörungs­bo­gen nur um ei­nen Irr­tum bzw. um die aus der Lohn­steu­er­kar­te er­sicht­li­che Zahl un­ter­halts­be­rech­tig­ter Kin­der der Kläge­rin han­deln konn­te, auch wenn

 

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das Anhörungs­schrei­ben nicht aus­drück­lich den Hin­weis „laut Lohn­steu­er­kar­te“ enthält.

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bb) So­weit die Kläge­rin um­fang­reich ausführt, es sei den­noch da­von aus­ zu­ge­hen, dass die Be­klag­te den Be­triebs­rat be­wusst un­rich­tig über die Un­ter­halts­ver­pflich­tun­gen der Kläge­rin in­for­miert ha­be, da der Vor­stands­vor­sit­zen­de aus der E-Mail der Kläge­rin vom 21. Sep­tem­ber 2008 von ih­ren drei Kin­dern wuss­te, recht­fer­tigt dies kei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung. Die Kläge­rin setzt in­so­weit le­dig­lich ih­re Würdi­gung an die Stel­le der­je­ni­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts.

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cc) Die An­nah­me der Kläge­rin, der Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de sei Erfüllungs­ge­hil­fe des Ar­beit­ge­bers bei der Ab­ga­be von Erklärun­gen, fin­det im gel­ten­den Recht kei­ne Stütze. Er ist nach § 26 Abs. 2 Satz 2 Be­trVG viel­mehr die zur Ent­ge­gen­nah­me von an den Be­triebs­rat ge­rich­te­ten Erklärun­gen be­fug­te Per­son.

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dd) Die Be­triebs­rats­anhörung er­weist sich auch nicht des­halb als feh­ler­haft, weil es im Anhörungs­bo­gen heißt, die Kläge­rin ha­be ein un­ter­halts­pflich­ti­ges (statt: un­ter­halts­be­rech­tig­tes) Kind. Ent­ge­gen den Ausführun­gen der Kläge­rin wird dem Be­triebs­rat da­mit nicht sug­ge­riert, die Kläge­rin ha­be ein Kind, wel­ches ihr Un­ter­halt schul­de. Die et­was un­präzi­se, aber gängi­ge und häufig ver­wen­de­te For­mu­lie­rung kann man nicht an­ders ver­ste­hen, als dass die Kläge­rin ge­genüber dem Kind un­ter­halts­pflich­tig ist. Es han­delt sich um ei­nen um­gangs­sprach­li­chen Ge­brauch des Wor­tes „un­ter­halts­pflich­tig“ des­sen re­gelmäßig ge­mein­te Be­deu­tung al­len am Ar­beits­le­ben Be­tei­lig­ten be­kannt ist. Für den Um­stand, dass die Be­klag­te da­mit be­haup­tet ha­be, der Kläge­rin stünden Un­ter­halts­ansprüche ge­gen ein Kind zu, und dies auch vom Be­triebs­rat so vers­tan­den wor­den sei, gibt es kei­ne An­halts­punk­te. Die dies­bezügli­che Rüge blen­det im Übri­gen aus, dass die Kläge­rin in ih­rer E-Mail vom 21. Sep­tem­ber 2008 an den Vor­stands­vor­sit­zen­den der Be­klag­ten selbst an­gab, drei un­ter­halts­pflich­ti­ge Kin­der zu ha­ben, und da­mit den­sel­ben um­gangs­sprach­li­chen Wort­laut wähl­te.

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e) Ei­ner nähe­ren Dar­le­gung, wie die Be­klag­te die bei­der­sei­ti­gen In­te­res­sen am Fort­be­stand bzw. ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­gen­ei­nan­der ab­ge­wo­gen hat­te, be­durf­te es im Rah­men der Anhörung nicht. Die An­hörung zu der Ab­sicht, das Ar­beits­verhält­nis zu kündi­gen, im­pli­zier­te ei­ne Ab-

 

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wägung zu­las­ten der Kläge­rin (vgl. BAG 21. No­vem­ber 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 27, BA­GE 146, 303). Auch so­weit die Kläge­rin dar­auf hin­weist, der Zeu­ge E ha­be bei sei­ner Aus­sa­ge nicht ge­wusst, ob der Be­triebs­rat im Jahr 2009 die Mob­bing-Vorwürfe der Kläge­rin mit den Kündi­gungs­gründen der Be­klag­ten ge­gen­ein­an­der ab­ge­wo­gen ha­be, er­gibt sich dar­aus kein In­diz dafür, dass dem Be­triebs­rat das An­la­gen­kon­vo­lut zum Anhörungs­schrei­ben nicht vor­ge­le­gen ha­be. Die Kläge­rin be­gründet dies auch nicht wei­ter. Im Übri­gen hat der Zeu­ge E be­kun­det, es sei „si­cher so ge­we­sen“, dass der Be­triebs­rat ei­ne sol­che Abwägung an­ge­stellt ha­be, nur die De­tails sei­en ihm nicht mehr kon­kret in Er­in­ne­rung.

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3. Bei Ab­fas­sung der Kündi­gung mit Schrei­ben vom 24. April 2009 war nach der Anhörung des Be­triebs­rats mit Schrei­ben vom 21. April 2009 zwar die Wo­chen­frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 Be­trVG noch nicht ab­ge­lau­fen. Die Be­klag­te hat die Kündi­gung nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts aber nicht aus ih­rem Macht­be­reich her­aus­ge­ge­ben, be­vor ihr die Zu­stim­mung und da­mit ei­ne ab­sch­ließen­de Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats (vgl. da­zu BAG 12. De­zem­ber 1996 - 2 AZR 803/95 - zu II 1 der Gründe) vor­lag.

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III. Die zulässi­ge Re­vi­si­on der Kläge­rin ist gleich­wohl be­gründet. Mit der ge­ge­be­nen Be­gründung durf­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 24. April 2009 nicht als so­zi­al ge­recht­fer­tigt iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG an­se­hen.

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1. Ei­ne Kündi­gung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers be­dingt und da­mit nicht so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt, wenn die­ser sei­ne ver­trag­li­chen Haupt- oder Ne­ben­pflich­ten er­heb­lich und in der Re­gel schuld­haft ver­letzt hat, ei­ne dau­er­haft störungs­freie Ver­trags­erfüllung in Zu­kunft nicht mehr zu er­war­ten steht und dem Ar­beit­ge­ber ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers über die Kündi­gungs­frist hin­aus in Abwägung der In­te­res­sen bei­der Ver­trags­tei­le nicht zu­mut­bar ist. Auch ei­ne er­heb­li­che Ver­let­zung der den Ar­beit­neh­mer gemäß § 241 Abs. 2 BGB tref­fen­den Pflicht zur Rück­sicht­nah­me auf die In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers kann ei­ne Kündi­gung recht­fer­ti­gen (BAG 15. De­zem­ber 2016 - 2 AZR 42/16 - Rn. 11; 19. No­vem­ber

 

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2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 24; 3. No­vem­ber 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 20). Ei­ne Kündi­gung schei­det da­ge­gen aus, wenn schon mil­de­re Mit­tel und Re­ak­tio­nen von Sei­ten des Ar­beit­ge­bers - wie et­wa ei­ne Ab­mah­nung - ge­eig­net gewe­sen wären, beim Ar­beit­neh­mer künf­ti­ge Ver­trags­treue zu be­wir­ken (BAG 15. De­zem­ber 2016 - 2 AZR 42/16 - aaO; 19. No­vem­ber 2015 - 2 AZR 217/15 - aaO; 31. Ju­li 2014 - 2 AZR 434/13 - Rn. 19). Ei­ner Ab­mah­nung be­darf es nach Maßga­be des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Aus­druck kom­men­den Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes nur dann nicht, wenn be­reits ex an­te er­kenn­bar ist, dass ei­ne Ver­hal­tensände­rung auch nach Aus­spruch ei­ner Ab­mah­nung nicht zu er­war­ten oder die Pflicht­ver­let­zung so schwer­wie­gend ist, dass selbst de­ren erst­ma­li­ge Hin­nah­me durch den Ar­beit­ge­ber nach ob­jek­ti­ven Maßstäben un­zu­mut­bar und of­fen­sicht­lich (auch für den Ar­beit­neh­mer er­kenn­bar) aus­ge­schlos­sen ist (BAG 15. De­zem­ber 2016 - 2 AZR 42/16 - aaO; 19. No­vem­ber 2015 - 2 AZR 217/15 - aaO; 20. No­vem­ber 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22, BA­GE 150, 109).

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a) Droht der Ar­beit­neh­mer dem Ar­beit­ge­ber mit ei­nem emp­find­li­chen Übel, um die Erfüllung ei­ge­ner strei­ti­ger For­de­run­gen zu er­rei­chen, kann - je nach den Umständen des Ein­zel­falls - ein er­heb­li­cher, ggf. so­gar die frist­lo­se Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses recht­fer­ti­gen­der Ver­s­toß ge­gen sei­ne Pflicht zur Rück­sicht­nah­me auf des­sen In­ter­es­sen lie­gen. Ei­ne auf ein sol­ches Ver­hal­ten gestütz­te Kündi­gung setzt re­gelmäßig die Wi­der­recht­lich­keit der Dro­hung vo­raus. Un­be­acht­lich ist dem­ge­genüber, ob das Ver­hal­ten den Straf­tat­be­stand der Nöti­gung (§ 240 StGB) erfüllt (BAG 19. No­vem­ber 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 36; 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 43; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19 f.).

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b) Ei­ne er­heb­li­che Pflicht­ver­let­zung - die so­gar ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung recht­fer­ti­gen kann - stel­len fer­ner gro­be Be­lei­di­gun­gen des Ar­beit­ge­bers oder sei­ner Ver­tre­ter und Re­präsen­tan­ten oder von Ar­beits­kol­le­gen dar, die nach Form und In­halt ei­ne er­heb­li­che Ehr­ver­let­zung für den Be­trof­fe­nen be­deu­ten (BAG 27. Sep­tem­ber 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 10. De­zem­ber 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17 mwN). Zwar dürfen Ar­beit­neh­mer - auch un­ter­neh­mensöffent­lich - Kri­tik am Ar­beit­ge­ber, ih­ren Vor­ge­setz­ten und den be­trieb-

 

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li­chen Verhält­nis­sen üben und sich da­bei auch über­spitzt äußern. In gro­bem Maße un­sach­li­che An­grif­fe, die zur Un­ter­gra­bung der Po­si­ti­on ei­nes Vor­ge­setz­ten führen können, muss der Ar­beit­ge­ber aber nicht hin­neh­men (vgl. zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung: BAG 27. Sep­tem­ber 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO; 10. De­zem­ber 2009 - 2 AZR 534/08 - aaO; zur or­dent­li­chen Kündi­gung: BAG 19. No­vem­ber 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 37; 12. Ja­nu­ar 2006 - 2 AZR 21/05 - Rn. 45).

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2. Dem Be­ru­fungs­ge­richt kommt bei der Prüfung und In­ter­es­sen­abwä­gung, ob ei­ne Kündi­gung durch Gründe im Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG be­dingt ist, ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu. Sei­ne Wür­di­gung wird in der Re­vi­si­ons­in­stanz le­dig­lich dar­auf­hin ge­prüft, ob es bei der Un­ter­ord­nung des Sach­ver­halts un­ter die Rechts­nor­men Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt und ob es al­le vernünf­ti­ger­wei­se in Be­tracht zu zie­hen­den Umstände wi­der­spruchs­frei berück­sich­tigt hat (BAG 15. De­zem­ber 2016 - 2 AZR 42/16 - Rn. 12; 19. No­vem­ber 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 25; 20. No­vem­ber 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24, BA­GE 150, 109).

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3. Auch die­sem ein­ge­schränk­ten Prüfungs­maßstab hält das an­ge­foch­te­ne Ur­teil nicht stand.

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a) Al­ler­dings ist die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts oh­ne Rechts­feh­ler, die E-Mail der Kläge­rin vom 21. Sep­tem­ber 2008 an den da­ma­li­gen Vor­stands­vor­sit­zen­den der Be­klag­ten ent­hal­te ei­ne wi­der­recht­li­che Dro­hung.

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aa) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­ans­tan­den­der Wei­se an­ge­nom­men, aus Sicht des Erklärungs­empfängers ha­be die Kläge­rin mit der Äußerung, sie würde es als un­fair er­ach­ten, wenn der da­ma­li­ge Vor­stands­vor­sit­zen­de der Be­klag­ten von „Gue­ril­la-Ak­tio­nen“ ge­gen sie und ei­ner „him­mel­schrei­en­den Ausländer- und Frau­en­feind­lich­keit“ im Un­ter­neh­men aus der ame­ri­ka­ni­schen Pres­se oder der „Oprah-Win­frey-Show“ erführe, an­ge­kündigt, die ame­ri­ka­ni­sche Pres­se und die Me­di­en ein­zu­schal­ten, soll­te die Be­klag­te ih­ren For­de­run­gen nicht nach­kom­men. Da­bei hat es den wei­te­ren Kon­text der E-Mail berück­sich­tigt, in der die Kläge­rin auf die Ent­fer­nung zwi­schen N (ih­rem Wohn- und Ar­beits­ort) und M (ei­nem Sitz der Be­klag­ten) ei­ner­seits so­wie

 

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N und „wel­chem Ort auch im­mer in den USA“ an­spiel­te. Fer­ner gab die Kläge­rin an, zu Loya­lität und Ge­heim­hal­tung ge­genüber der Be­klag­ten nur so­lan­ge ver­pflich­tet zu sein, wie die­se ih­re Schutz­pflich­ten ihr ge­genüber erfülle. In die­sem Zu­sam­men­hang hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt auch die E-Mail vom 12. Sep­tem­ber 2008 zur Aus­le­gung her­an­ge­zo­gen, in wel­cher die Kläge­rin ih­re Mei­nung kund­tat, die von ihr be­an­stan­de­ten Zustände müss­ten der Zeit­schrift „Em­ma“, der in­ter­na­tio­na­len Pres­se und der ame­ri­ka­ni­schen Börsen­auf­sicht zugäng­lich ge­macht wer­den. Der Schluss, die Kläge­rin ha­be da­mit aus Sicht des Erklärungs­empfängers ge­droht, not­falls auch den länge­ren Weg bis in die USA zu ge­hen, um ih­re For­de­run­gen durch­zu­set­zen, lässt kei­nen Ver­s­toß ge­gen Aus­le­gungs­grundsätze er­ken­nen. Das Vor­lie­gen ei­ner Dro­hung wird nicht al­lein da­durch in Fra­ge ge­stellt, dass die Kläge­rin selbst ein sol­ches Vor­ge­hen als „un­fair“ be­zeich­ne­te. Ge­ra­de in­dem sie kon­kre­te Druck­mit­tel be­nann­te, die­se als un­fair be­zeich­ne­te und gleich­zei­tig ih­re Loya­litäts­pflicht ge­genüber der Be­klag­ten re­la­ti­vier­te, droh­te sie un­ter­schwel­lig da­mit, bei Nich­terfüllung ih­rer For­de­run­gen die an­ge­spro­che­nen Mit­tel ein­zu­set­zen. So­weit sich die Kläge­rin dar­auf be­ruft, es sei an­ge­sichts des Grund­rechts aus Art. 5 Abs. 1 GG stets von der für den Äußern­den güns­tigs­ten Deu­tungs­va­ri­an­te aus­zu­ge­hen (vgl. BVerfG 19. De­zem­ber 2007 - 1 BvR 967/05 - zu I 5 der Gründe), setzt dies vor­aus, dass es ei­ne an­de­re Deu­tungsmöglich­keit gibt. Dies hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt oh­ne re­vi­si­blen Rechts­feh­ler aus­ge­schlos­sen.

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bb) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt durf­te die Dro­hung auch als wi­der­recht­lich an­se­hen, nach­dem in­ner­be­trieb­li­che Kon­fliktlösungs­me­cha­nis­men schon in Gang ge­setzt, aber noch nicht ab­ge­schlos­sen wa­ren.

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(1) Zwar fällt die Ver­an­las­sung ei­ner Pres­se­veröffent­li­chung un­ter den Schutz­be­reich von Art. 5 Abs. 1 GG (vgl. BGH 19. April 2005 - X ZR 15/04 - zu II 7 b aa (1) bis (3) der Gründe). Die Mei­nungs­frei­heit schützt Äußerun­gen in ih­rer Ver­brei­tungs- und Wir­kungs­di­men­si­on. Vom Schutz um­fasst ist das Recht des Äußern­den, das Ver­brei­tungs­me­di­um frei zu be­stim­men. Des­halb muss auch die Fra­ge, ob der mit der In­for­ma­ti­on der Pres­se Dro­hen­de sich ei­nes rechtmäßigen oder ei­nes rechts­wid­ri­gen Mit­tels be­dient, im Lich­te die­ses Grund­rechts be­ur­teilt wer­den. Ei­ne Me­di­en­kam­pa­gne im Vor­feld oder am Ran-

 

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de ei­ner ge­richt­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung ist in den Gren­zen des Eh­ren­schut­zes er­laubt (vgl. BVerfG 17. De­zem­ber 2002 - 1 BvR 755/99, 1 BvR 765/99 - zu III 1 b der Gründe; BGH 16. No­vem­ber 2004 - VI ZR 298/03 - zu II 1 b der Gründe). Wah­re Tat­sa­chen, auch wenn sie ei­nen pri­va­ten Rechts­streit be­tref­fen, darf die Pres­se veröffent­li­chen. Man darf sie da­her auch der Pres­se mit­tei­len. Ein In­for­mant der Pres­se kann grundsätz­lich nicht mit ne­ga­ti­ven Sank­tio­nen be­droht wer­den, wenn die Pres­se selbst von Haf­tung frei ist. Auch die blo­ße Dro­hung, die Pres­se zu in­for­mie­ren, ist dann, für sich be­trach­tet, er­laubt (BGH 19. April 2005 - X ZR 15/04 - zu II 7 b aa (3) (a) der Gründe).

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(2) Es ist je­doch nicht zu be­an­stan­den, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­rauf ab­ge­stellt hat, für den von der Kläge­rin emp­fun­de­nen Kon­flikt und die von ihr be­haup­te­ten Dis­kri­mi­nie­run­gen ha­be es in­ner­be­trieb­lich zahl­rei­che Lö­sungs­ansätze ge­ge­ben, die noch nicht ab­ge­schlos­sen ge­we­sen sei­en (zur Er­stat­tung von Straf­an­zei­gen trotz be­ste­hen­der in­ner­be­trieb­li­cher Klärungsmög­lich­kei­ten vgl. BAG 15. De­zem­ber 2016 - 2 AZR 42/16 - Rn. 14, 20). In ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on kann ei­ne Ein­schal­tung der Me­di­en auch un­ter Berück­sich­ti­gung der Mei­nungs­frei­heit ei­ne Ver­let­zung der Rück­sicht­nah­me­pflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB dar­stel­len.

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b) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in­des nicht gewürdigt, ob die wi­der­recht­li­che Dro­hung nach den Umständen des Ein­zel­falls iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG die Kündi­gung be­ding­te. Aus dem Be­ru­fungs­ur­teil wird nicht er­sicht­lich, dass es die Kündi­gung gestützt auf die­se Pflicht­ver­let­zung als so­zi­al ge­recht­fer­tigt er­ach­tet hat.

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c) So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Kündi­gung als so­zi­al ge­recht­fer­tigt an­ge­se­hen hat, weil die Kläge­rin durch Schmähun­gen und Her­abwürdi­gun­gen ih­res Vor­ge­setz­ten ih­re Pflicht zur Rück­sicht­nah­me auf die In­ter­es­sen der Be­klag­ten gemäß § 241 Abs. 2 BGB ver­letzt ha­be, hat es ih­re Äußerun­gen in den E-Mails vom 21. Sep­tem­ber 2008 und 30. März 2009 rechts­feh­ler­haft als nicht vom Schutz­be­reich des Art. 5 Abs. 1 GG er­fasst an­ge­se­hen und des­halb nicht die Reich­wei­te ih­rer Pflicht zur ver­trag­li­chen Rück­sicht­nah­me un­ter Be­ach­tung der Be­deu­tung des Grund­rechts be­stimmt.

 

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aa) Schmähkri­tik ge­nießt nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts nicht den Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfG 30. Mai 2018 - 1 BvR 1149/17 - Rn. 7; 10. No­vem­ber 1998 - 1 BvR 1531/96 - zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 99, 185; 10. Ok­to­ber 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Ei­ne Schmähung ist ei­ne Äuße­rung - un­ter Berück­sich­ti­gung von An­lass und Kon­text (vgl. BVerfG 14. Ju­ni 2019 - 1 BvR 2433/17 - Rn. 18; 10. Ok­to­ber 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 3 der Gründe, aaO) - je­doch nur dann, wenn jen­seits auch po­le­mi­scher und über­spitz­ter Kri­tik nicht mehr die Aus­ein­an­der­set­zung in der Sa­che, son­dern al­lein die Dif­fa­mie­rung der Per­son im Vor­der­grund steht (vgl. BVerfG 30. Mai 2018 - 1 BvR 1149/17 - aaO; 10. Ok­to­ber 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, aaO; 9. Ok­to­ber 1991 - 1 BvR 1555/88 - zu B II 3 der Gründe, BVerfGE 85, 1; 26. Ju­ni 1990 - 1 BvR 1165/89 - zu B I 2 d der Gründe, BVerfGE 82, 272). We­sent­li­ches Merk­mal der Schmähung ist ei­ne das sach­li­che An­lie­gen völlig in den Hin­ter­grund drängen­de persönli­che Kränkung (vgl. BVerfG 30. Mai 2018 - 1 BvR 1149/17 - aaO; 28. Sep­tem­ber 2015 - 1 BvR 3217/14 - Rn. 14). Be­deu­tung und Trag­wei­te der Mei­nungs­frei­heit sind schon dann ver­kannt, wenn ei­ne Äußerung un­zu­tref­fend als For­mal­be­lei­di­gung oder Schmähkri­tik ein­ge­stuft, wird mit der Fol­ge, dass sie dann nicht im sel­ben Maß am Schutz des Grund­rechts teil­nimmt wie Äußerun­gen, die als Wert­ur­teil oh­ne be­lei­di­gen­den oder schmähen­den Cha­rak­ter an­zu­se­hen sind (vgl. BVerfG 14. Ju­ni 2019 - 1 BvR 2433/17 - Rn. 19; 29. Ju­ni 2016 - 1 BvR 2646/15 - Rn. 14). Hält ein Ge­richt ei­ne Äußerung fälsch­lich für ei­ne For­mal­be­lei­di­gung oder Schmähung mit der Fol­ge, dass ei­ne kon­kre­te Abwägung un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls ent­behr­lich wird, so liegt dar­in ein ver­fas­sungs­recht­lich er­heb­li­cher Feh­ler, der zur Auf­he­bung der Ent­schei­dung führt, wenn die­se dar­auf be­ruht (vgl. BVerfG 19. Fe­bru­ar 2019 - 1 BvR 1954/17 - Rn. 12; 18. Au­gust 1998 - 1 BvR 1955/94 - zu II 1 b der Gründe; 10. Ok­to­ber 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, aaO). Das gilt auch, wenn ein Ge­richt den Be­griff der Schmähkri­tik in ver­fas­sungs­recht­lich un­zulässi­ger Art und Wei­se über­dehnt und in der Fol­ge die er­for­der­li­che Abwä­gung zwi­schen dem Eh­ren­schutz ei­ner­seits und der Mei­nungs­frei­heit an­de­rer­seits zu­min­dest nicht im ge­bo­te­nen Um­fan­ge un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Um-

 

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stände des Ein­zel­falls vor­ge­nom­men hat (vgl. BVerfG 24. Ju­li 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - Rn. 20). Der Be­griff der Schmähkri­tik ist da­mit vor dem Hin­ter­grund, dass es bei im Ein­zel­fall ge­genüber­ste­hen­den Grund­rechts­po­si­tio­nen grundsätz­lich ei­ner Abwägung zwi­schen die­sen un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler we­sent­li­cher kon­kre­ter Umstände be­darf, eng de­fi­niert. Nur aus­nahms­wei­se kann im Sin­ne ei­ner Re­gel­ver­mu­tung auf ei­ne Abwägung un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls ver­zich­tet wer­den (vgl. BVerfG 24. Ju­li 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - Rn. 21).

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bb) Un­ter An­wen­dung die­ser Grundsätze hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Äu­ßerun­gen der Kläge­rin in den E-Mails vom 21. Sep­tem­ber 2008 und 30. März 2009 zu Un­recht als Schmähkri­tik und da­mit nicht vom Schutz­be­reich des Art. 5 Abs. 1 GG er­fasst an­ge­se­hen.

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(1) Die Pas­sa­ge in der E-Mail vom 21. Sep­tem­ber 2008 an den da­ma­li­gen Vor­stands­vor­sit­zen­den der Be­klag­ten, der Vor­ge­setz­te der Kläge­rin sei ein „un­ter­be­lich­te­ter Frau­en- und Ausländer­has­ser (we­der Ab­itur, noch Stu­di­um, noch in­ter­na­tio­na­le Ar­beits­er­fah­rung, noch we­ni­ger in­ter­kul­tu­rel­le Er­fah­rung, dem ich täglich die Grund­la­gen der BWL ... erklären darf ...)“, stellt kei­ne Schmähkri­tik dar.

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(a) Die Kri­tik mag über­zo­gen, ausfällig und un­gehörig sein, steht aber im Zu­sam­men­hang mit kon­kre­ten, von der Kläge­rin ge­schil­der­ten Si­tua­tio­nen, in de­nen sie sich als im Aus­land ge­bo­re­ne Frau un­ge­recht­fer­tigt von ei­nem Vor­ge­setz­ten zurück­ge­setzt sieht, der selbst nicht über die er­for­der­li­chen fach­li­chen und so­zia­len Kom­pe­ten­zen für sei­ne Funk­ti­on verfüge. Der Kläge­rin ging es so­gar um die Sa­che, die sie zu ih­ren Guns­ten zu be­ein­flus­sen ver­such­te, und nicht le­dig­lich um ei­ne persönli­che Kränkung des Vor­ge­setz­ten.

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(b) Das gilt um­so mehr, als auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt in den Ent­schei­dungs­gründen des an­ge­foch­te­nen Ur­teils - in­so­weit im We­sent­li­chen un­strei­ti­ge - Umstände auf­lis­tet, die die Äußerun­gen der Kläge­rin als Re­ak­ti­on auf das Ver­hal­ten des Vor­ge­setz­ten er­schei­nen las­sen (Wort­wahl des Vor­ge­setz­ten: „an­ge­pisst“, „Schwanz ein­zie­hen“; fach­li­ches De­fi­zit bei der Un­ter­schei­dung „cost“ und „pri­ce“; sprach­li­che Ent­glei­sung bei der Be­zeich­nung der Kläge­rin als

 

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„Wal­ross“; Ver­brei­tung ei­ner E-Mail „weib­li­che Ge­dan­ken“, die als Er­geb­nis auf ei­nen Stöckel­schuh hin­aus­lau­fen; Äußerun­gen „Ihr Ara­ber seid al­le gleich“ und „Ein Ja­pa­ner bleibt ein Ja­pa­ner, auch wenn er die deut­sche Staats­an­gehörig­keit be­sitzt“). Die­se auch vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­se­he­nen An­knüpfungs­punk­te las­sen ei­nen Be­zug der Äußerun­gen der Kläge­rin zu Sachthe­men er­ken­nen, was der An­nah­me ei­ner Schmähkri­tik ent­ge­gen­steht (vgl. BVerfG 14. Ju­ni 2019 - 1 BvR 2433/17 - Rn. 19). Sie mögen un­pas­send und maßlos über­stei­gert sein, the­ma­ti­sie­ren und be­wer­ten aber kon­kre­te von der Kläge­rin be­haup­te­te Ge­scheh­nis­se und blei­ben eng mit dem sie be­herr­schen­den Ge­dan­ken ver­bun­den, sie wer­de als im Aus­land ge­bo­re­ne Frau dis­kri­mi­niert.

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(c) So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt un­ter II 3 b auf den Sei­ten 38 un­ten bis 40 oben der Ent­schei­dungs­gründe un­ter Ver­nachlässi­gung von Kon­text und In­halt der Äußerun­gen der Kläge­rin an­ge­nom­men hat, es han­de­le sich nicht nur um Schmähkri­tik, son­dern - zu­gleich - um un­wah­re Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen, hat es den Schutz­be­reich der Mei­nungs­frei­heit eben­falls grund­le­gend ver­kannt.

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(aa) Ein Ar­beit­neh­mer kann sich für be­wusst fal­sche Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen nicht auf sein Recht auf freie Mei­nungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG be­ru­fen. Sol­che Be­haup­tun­gen sind vom Schutz­be­reich des Grund­rechts nicht um­fasst (BVerfG 25. Ok­to­ber 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; BAG 31. Ju­li 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42, BA­GE 149, 1). An­de­res gilt für Äußerun­gen, die nicht Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen, son­dern ein Wert­ur­teil ent­hal­ten. Sie fal­len in den Schutz­be­reich des Rechts auf Mei­nungs­frei­heit. Das­sel­be gilt für Äußerun­gen, in de­nen sich Tat­sa­chen und Mei­nun­gen ver­men­gen, so­fern sie durch die Ele­men­te der Stel­lung­nah­me, des Dafürhal­tens oder Mei­nens ge­prägt sind (BVerfG 25. Ok­to­ber 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; BAG 31. Ju­li 2014 - 2 AZR 505/13 - aaO). Dar­auf kann sich auch ein Ar­beit­neh­mer be­ru­fen. Mit der Be­deu­tung des Grund­rechts auf Mei­nungs­frei­heit wäre es un­ver­ein­bar, wenn es in der be­trieb­li­chen Ar­beits­welt nicht oder nur ein­ge­schränkt an­wend­bar wäre (BAG 31. Ju­li 2014 - 2 AZR 505/13 - aaO; 24. No­vem­ber 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b aa der Gründe mwN; zu Art. 10 EM­RK vgl. EGMR 5. No­vem­ber 2019 - 11608/15 -). Der Grund­rechts­schutz be­steht da­bei un­abhängig da­von, wel­ches Me­di­um der Ar-

 

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beit­neh­mer für sei­ne Mei­nungsäußerung nutzt und ob die­se ra­tio­nal oder emo­tio­nal, be­gründet oder un­be­gründet ist. Vom Grund­recht der Mei­nungs­frei­heit um­fass­te Äußerun­gen ver­lie­ren den sich dar­aus er­ge­ben­den Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder über­zo­gen geäußert wer­den (vgl. BVerfG 28. No­vem­ber 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

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(bb) Während Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen durch die ob­jek­ti­ve Be­zie­hung zwi­schen der Äußerung und der Wirk­lich­keit ge­prägt wer­den und der Über­prüfung mit Mit­teln des Be­wei­ses zugäng­lich sind (vgl. BVerfG 13. Fe­bru­ar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1), han­delt es sich bei ei­ner Mei­nung um ei­ne Äußerung, die durch Ele­men­te der Stel­lung­nah­me und des Dafürhal­tens ge­prägt ist (vgl. BVerfG 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Bei der Fra­ge, ob ei­ne Äußerung ih­rem Schwer­punkt nach als Tat­sa­chen­be­haup­tung oder als Wert­ur­teil an­zu­se­hen ist, kommt es ent­schei­dend auf den Ge­samt­kon­text der frag­li­chen Äuße­rung an (vgl. BVerfG 24. Ju­li 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - Rn. 18). Die Ab­gren­zung zwi­schen Wert­ur­tei­len und Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen kann im Ein­zel­fall schwie­rig sein, vor al­lem des­halb, weil die bei­den Äußerungs­for­men nicht sel­ten mit­ein­an­der ver­bun­den wer­den und erst ge­mein­sam den Sinn ei­ner Äu­ßerung aus­ma­chen. In sol­chen Fällen ist der Be­griff der Mei­nung im In­ter­es­se ei­nes wirk­sa­men Grund­rechts­schut­zes weit zu ver­ste­hen: So­fern ei­ne Äuße­rung, in der Tat­sa­chen und Mei­nun­gen sich ver­men­gen, durch die Ele­men­te der Stel­lung­nah­me des Dafürhal­tens oder Mei­nens ge­prägt sind, wird sie als Mei­nung von dem Grund­recht geschützt. Dies gilt ins­be­son­de­re dann, wenn ei­ne Tren­nung der wer­ten­den und der tatsächli­chen Ge­hal­te den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälsch­te. Würde in ei­nem sol­chen Fall das tatsächli­che Ele­ment als aus­schlag­ge­bend an­ge­se­hen, könn­te der grund­recht­li­che Schutz der Mei­nungs­frei­heit we­sent­lich verkürzt wer­den (vgl. BVerfG 4. Au­gust 2016 - 1 BvR 2619/13 - Rn. 13 mwN).

94

(cc) Das Grund­recht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist al­ler­dings nicht schran­ken­los gewähr­leis­tet, son­dern gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die all­ge­mei­nen Ge­set­ze und das Recht der persönli­chen Eh­re be­schränkt. Mit die­sen muss es in ein aus­ge­gli­che­nes Verhält­nis ge­bracht wer­den (vgl. BVerfG 25. Ok­to­ber

 

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2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Fe­bru­ar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; BAG 31. Ju­li 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 43, BA­GE 149, 1; 29. Au­gust 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35; 24. Ju­ni 2004 - 2 AZR 63/03 - zu B III 2 a cc der Gründe). Die Ver­fas­sung gibt das Er­geb­nis ei­ner sol­chen Abwä­gung nicht vor. Das gilt ins­be­son­de­re dann, wenn auch auf Sei­ten des Ar­beit­ge­bers ei­ne grund­recht­lich geschütz­te Po­si­ti­on be­trof­fen ist. Durch Art. 12 GG wird die wirt­schaft­li­che Betäti­gungs­frei­heit des Ar­beit­ge­bers geschützt, die durch geschäftsschädi­gen­de Äußerun­gen ver­letzt sein kann. Auch gehört § 241 Abs. 2 BGB zu den all­ge­mei­nen, das Grund­recht auf Mei­nungs­frei­heit be­schränken­den Ge­set­zen. Zwi­schen der Mei­nungs­frei­heit und dem be­schrän­ken­den Ge­setz fin­det dem­nach ei­ne Wech­sel­wir­kung statt. Die Reich­wei­te der Pflicht zur ver­trag­li­chen Rück­sicht­nah­me muss ih­rer­seits un­ter Be­ach­tung der Be­deu­tung des Grund­rechts be­stimmt, der Mei­nungs­frei­heit muss da­bei al­so die ihr gebühren­de Be­ach­tung ge­schenkt wer­den - und um­ge­kehrt (vgl. BVerfG 8. Sep­tem­ber 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 20; 25. Ok­to­ber 2005 - 1 BvR 1696/98 - BVerfGE 114, 339; BAG 18. De­zem­ber 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 18; 31. Ju­li 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 43, aaO).

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(dd) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat ge­meint, die Be­zeich­nun­gen des Vor­ge­setz­ten als „un­ter­be­lich­tet“ und „Frau­en- und Ausländer­has­ser“ sei­en un­wah­re Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen, weil die Kläge­rin nicht den Nach­weis er­bracht ha­be, dass sie zu­träfen. Da­bei hat es ver­kannt, dass die Äußerun­gen im Ge­samt­kon­text ei­ne - wenn auch ein­sei­ti­ge und mögli­cher­wei­se über­zo­ge­ne - Be­wer­tung des von der Kläge­rin als demüti­gend emp­fun­de­nen Ver­hal­tens des Vor­ge­setz­ten und da­mit ein Wert­ur­teil dar­stel­len. In­dem es die Äußerun­gen der Kläge­rin - sei es als Schmähkri­tik, sei es als un­wah­re Tat­sa­chen­be­haup­tung - als nicht vom Schutz­be­reich des Art. 5 Abs. 1 GG um­fasst an­ge­se­hen hat, hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­ne Abwägung zwi­schen der Mei­nungs­frei­heit der Kläge­rin und der sie be­schränken­den Pflicht zur Rück­sicht­nah­me gemäß § 241 Abs. 2 BGB versäumt.

 

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(2) Auch die Äußerun­gen der Kläge­rin in ih­rer E-Mail vom 30. März 2009 über die fach­li­chen Fähig­kei­ten ih­res Vor­ge­set­zen hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt als Schmähkri­tik ver­kannt.

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(a) Das Be­ru­fungs­ge­richt setzt sich schon nicht mit dem kon­kre­ten In­halt der E-Mail aus­ein­an­der, son­dern spricht abs­trakt von ei­nem men­sch­lich und fach­lich ver­nich­ten­den Ur­teil über den Mit­ar­bei­ter. Da­mit fehlt es be­reits an der er­for­der­li­chen, stets vom Wort­laut aus­ge­hen­den kon­kre­ten Deu­tung (vgl. BVerfG 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - zu II 3 a aa der Gründe) des In­halts der E-Mail und ins­be­son­de­re ih­res zu be­stim­men­den Aus­sa­ge­kerns (vgl. BVerfG 6. Sep­tem­ber 2004 - 1 BvR 1279/00 - zu II 2 b der Gründe). Die Ausführun­gen der Kläge­rin ge­hen - wenn auch ein­sei­tig und über­zo­gen scharf - auf das Sachthe­ma von ihr an­ge­nom­me­ner Leis­tungs­de­fi­zi­te des Vor­ge­set­zen ein. Auch der Um­stand, dass die E-Mail an meh­re­re Adres­sa­ten ver­sandt wur­de, macht sie nicht schon zur Schmähung, da die in­halt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung nicht völlig in den Hin­ter­grund tritt und ei­nen kon­kre­ten Sach­be­zug hat. Das Ur­teil be­ruht auch in­so­fern auf ei­ner Ver­ken­nung von Be­deu­tung und Trag­wei­te der Mei­nungs­frei­heit und un­ter­liegt der Auf­he­bung, da nicht aus­ge­schlos­sen wer­den kann, dass das Be­ru­fungs­ge­richt bei Berück­sich­ti­gung der grund­recht­li­chen An­for­de­run­gen zu ei­nem an­de­ren Er­geb­nis ge­kom­men wäre (vgl. BVerfG 4. Au­gust 2016 - 1 BvR 2619/13 - Rn. 15; 24. Ju­li 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - Rn. 24).

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(b) Über­dies ver­kennt das Lan­des­ar­beits­ge­richt die ne­ga­ti­ve Mei­nungs­frei­heit der Kläge­rin, wenn es an­nimmt, der Be­klag­ten sei es schon al­lein des­halb nicht ver­wehrt, auf­grund der Äußerun­gen die Kündi­gungs­kon­se­quenz zu zie­hen, weil die Kläge­rin es trotz des Hin­wei­ses in dem Schrei­ben der Be­klag­ten vom 3. April 2009 un­ter­las­sen ha­be, sich bei ih­rem Vor­ge­setz­ten förm­lich zu ent­schul­di­gen und ge­genüber den an­de­ren Adres­sa­ten ei­ne „of­fe­ne Ge­ge­ner­klärung“ ab­zu­ge­ben. Mit ei­ner „Ent­schul­di­gung“ oder „Ge­gen­erklärung“ wäre die Kläge­rin an­ge­hal­ten, sich ei­ner an­de­ren Mei­nung an­zu­sch­ließen und die­se als ei­ge­ne aus­zu­ge­ben, was mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht zu ver­ein­ba­ren ist (vgl. BGH 19. Ju­li 2018 - IX ZB 10/18 - Rn. 17 ff.). Es gin­ge nicht um die Rich­tig­s­tel­lung von Tat­sa­chen, son­dern um die Rück­nah­me von oder ei­ne Ent­schul­di­gung

 

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für Mei­nungsäußerun­gen. Al­lein der Um­stand, dass die Kläge­rin nicht be­reit war, ei­ne frem­de Mei­nung zu über­neh­men, durf­te ihr vom Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht vor­ge­wor­fen wer­den. Un­abhängig da­von hat es nicht berück­sich­tigt, dass die Kläge­rin in ih­rer E-Mail vom 16. April 2009 ei­nem Teil ih­rer Äußerun­gen be­reits et­was an Schärfe ge­nom­men hat­te.

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d) Die An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Äußerun­gen der Kläge­rin in ih­ren E-Mails vom 5. Fe­bru­ar 2009 und 12. Sep­tem­ber 2008 sei­en nicht dem Schutz­be­reich des Art. 5 Abs. 1 GG un­ter­fal­len­de Schmähun­gen, die die Be­klag­te in die Nähe ver­bre­che­ri­scher NS-Or­ga­ni­sa­tio­nen und der Ma­fia stell­ten, ver­kennt eben­falls das Recht der Kläge­rin auf Mei­nungs­frei­heit.

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aa) Ähn­lich wie bei der wi­der­recht­li­chen Dro­hung lässt sich dem Be­ru­fungs­ur­teil nicht ent­neh­men, ob das Lan­des­ar­beits­ge­richt in die­sem Sach­ver­halt ei­nen ei­genständi­gen Kündi­gungs­grund sieht oder nur ei­nen ergänzen­den As­pekt.

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bb) Das Be­ru­fungs­ge­richt hat die Ausführun­gen der Kläge­rin im Zu­sam­men­hang mit dem im Ver­gleich zu ih­rer Si­tua­ti­on von ihr als we­ni­ger groß an­ge­se­he­nen „Leid der Ju­den“ und der Be­zug­nah­me auf den Film „Der Pa­te“ als Schmähun­gen be­zeich­net und kei­ne Abwägung mit dem Recht der Kläge­rin aus Art. 5 Abs. 1 GG an­ge­stellt. Es hat da­mit er­neut ver­kannt, dass nur aus­nahms­wei­se von ei­ner „Schmähung“ aus­ge­gan­gen wer­den kann, nämlich dann, wenn al­lein ei­ne persönli­che Dif­fa­mie­rung be­ab­sich­tigt ist, wel­che das sach­li­che An­lie­gen völlig in den Hin­ter­grund drängt.

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(1) Die Aus­sa­gen der Kläge­rin in der E-Mail vom 5. Fe­bru­ar 2009, „dass kein Ju­de in die­sem Land je­mals sol­che see­li­schen Qua­len er­le­ben muss­te, wie ich; und das ist mein Er­le­ben und Emp­fin­den“, ent­hal­ten zwar ei­ne un­gehöri­ge, ge­schmack­lo­se und maßlos über­trei­ben­de Be­schrei­bung der von ihr als be­las­tend emp­fun­de­nen Kon­flikt­si­tua­ti­on. Da­bei han­delt es sich aber er­kenn­bar um ei­ne Wer­tung, die auf von ihr als demüti­gend emp­fun­de­nen Ver­hal­tens­wei­sen von Vor­ge­setz­ten be­ruht und da­mit ge­ra­de an dem Sachthe­ma ori­en­tiert ist, die Pro­ble­me ab­zu­stel­len. Das Glei­che gilt für die Be­zug­nah­me auf den Film „Der Pa­te“, die er­kenn­bar als Wer­tung und Mei­nung im Zu­sam­men­hang mit ei­nem

 

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kon­kre­ten Kon­flikt er­folgt. Die Kläge­rin äußer­te sich zwar po­le­misch und über­höhte maßlos die von ihr emp­fun­de­nen Be­las­tun­gen. Dies soll­te aber da­zu die­nen, ei­ne von ihr als er­for­der­lich ge­se­he­ne Re­ak­ti­on auf die Si­tua­ti­on her­bei­zu­führen. Wenn das Lan­des­ar­beits­ge­richt gleich­wohl von ei­ner „Schmähung“ spricht, ver­kennt es die­se, ei­ne kon­kre­te La­ge be­wer­ten­de Aus­sa­ge der Kläge­rin und nimmt rechts­feh­ler­haft kei­ne Abwägung mit ih­rer Mei­nungs­frei­heit aus Art. 5 Abs. 1 GG vor.

103

(2) Un­abhängig da­von hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt den Aus­sa­ge­kern der Äußerun­gen der Kläge­rin ver­kannt. Vor­aus­set­zung je­der recht­li­chen Würdi­gung von Äußerun­gen ist, dass ihr Sinn zu­tref­fend er­fasst wor­den ist. Ist ei­ne Aus­sa­ge mehr­deu­tig, so ha­ben die Ge­rich­te, wol­len sie die zur An­wen­dung sank­tio­nie­ren­der Nor­men führen­de Deu­tung ih­rer recht­li­chen Würdi­gung zu­grun­de le­gen, an­de­re Aus­le­gungs­va­ri­an­ten mit nach­voll­zieh­ba­ren und tragfähi­gen Grün­den aus­zu­sch­ließen (st. Rspr., vgl. BVerfG 24. Mai 2019 - 1 BvQ 45/19 - Rn. 12; 25. Ok­to­ber 2005 - 1 BvR 1696/98 - zu B I 2 b aa (1) der Gründe, BVerfGE 114, 339).

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(a) So­weit die Kläge­rin mein­te, kein Ju­de in die­sem Land ha­be je­mals sol­che see­li­schen Qua­len er­le­ben müssen wie sie, über­trieb sie zwar in be­son­ders ge­schmack­lo­ser Wei­se ei­ne Kon­flikt­si­tua­ti­on am Ar­beits­platz. Es ist aber nicht auf der Hand lie­gend dar­aus ab­zu­lei­ten, sie hätte da­mit die Be­klag­te in die Nä­he ver­bre­che­ri­scher NS-Or­ga­ni­sa­tio­nen gerückt. Die Kläge­rin setz­te zwar das von ihr emp­fun­de­ne Leid in Re­la­ti­on zu dem Leid na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Op­fer. Das ist an­ge­sichts des Aus­maßes der in der Ver­gan­gen­heit be­gan­ge­nen Ver­bre­chen un­gehörig und his­to­risch nicht zu recht­fer­ti­gen, stell­te aber nicht zwin­gend ei­ne Nähe der Be­klag­ten zu dem Ter­ror­re­gime her (vgl. hier­zu schon das ers­te Re­vi­si­ons­ur­teil in die­ser Sa­che vom 19. No­vem­ber 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 38). Die Kläge­rin sprach aus­drück­lich von ih­rem „Er­le­ben und Emp­fin­den“ und zeig­te da­mit eher ei­ne über­stei­ger­te Selbst­wahr­neh­mung auf, als dass sie die Be­klag­te mit dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus in Ver­bin­dung brach­te. Da­mit stell­te sie klar, dass es sich um ei­ne sub­jek­tiv ge­prägte Äußerung han­del­te. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat sich mit die­ser zu­min­dest be­ste­hen­den Mehr­deu­tig­keit der Äu­ßerung nicht aus­ein­an­der­ge­setzt und auch nicht mit nach­voll­zieh­ba­ren Ar­gu-

 

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men­ten die Deu­tungsmöglich­keit aus­ge­schlos­sen, die Kläge­rin ha­be nur die Größe ih­res Leids be­to­nen wol­len, oh­ne die Be­klag­te mit ver­bre­che­ri­schen NS-Or­ga­ni­sa­tio­nen zu ver­glei­chen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist im Zu­sam­men­hang mit an­de­ren Äußerun­gen („Witz“ mit der Pis­to­le; „Schloss mit frei­er Holz­zu­tei­lung“) stets von der für die Kläge­rin nach­tei­ligs­ten In­ter­pre­ta­ti­on aus­ge­gan­gen, oh­ne ih­re Mei­nungs­frei­heit auch nur am Ran­de zu berück­sich­ti­gen. Zwar spiel­te die Kläge­rin er­kenn­bar mit As­so­zia­tio­nen zum Mas­sen­mord an den Ju­den. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat hier aber den Kon­text ih­rer Äußerun­gen aus dem Blick ver­lo­ren. Die Kläge­rin sah sich an­ge­grif­fen, ge­demütigt und dis­kri­mi­niert und woll­te - in unmäßiger Überhöhung - das von ihr emp­fun­de­ne Leid be­schrei­ben.

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(b) In ih­rer E-Mail vom 5. Fe­bru­ar 2009 stell­te die Kläge­rin die Be­klag­te hin­sicht­lich ih­rer Führungs­struk­tur und dem Ver­hal­ten ih­rer Ver­tre­ter nicht da­durch in die Nähe der Ma­fia, dass sie schrieb „Das Gan­ze hält die Er­in­ne­rung wach an mei­nen Lieb­lings­film: Der Pa­te“. Der Film „Der Pa­te“ wur­de nicht im Zu­sam­men­hang mit Ma­fia­me­tho­den erwähnt, son­dern nach­dem die Kläge­rin von In­t­ri­gen sprach, wie sie sie noch in kei­nem an­de­ren Un­ter­neh­men der Welt er­lebt ha­be. Da­mit lässt sich der Ver­gleich auch auf rein in­ner­be­trieb­li­che in­tri­gan­te Struk­tu­ren be­zie­hen, die es auch ab­seits vom or­ga­ni­sier­ten Ver­bre­chen gibt. Die von der Kläge­rin nicht vor­ge­ge­be­ne Kon­no­ta­ti­on „Ma­fia“ hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt auch hier gewählt, oh­ne an­de­re Deu­tungsmöglich­kei­ten aus­zu­sch­ließen.

106

c) Da das Lan­des­ar­beits­ge­richt rechts­feh­ler­haft oh­ne ei­ne Abwägung mit ih­rer Mei­nungs­frei­heit ei­ne Ver­let­zung der Pflicht der Kläge­rin zur Rück­sicht­nah­me gemäß § 241 Abs. 2 BGB durch Schmähun­gen und Her­abwürdi­gun­gen ih­res Vor­ge­setz­ten an­ge­nom­men hat, entfällt eben­so die Grund­la­ge für sei­ne In­ter­es­sen­abwägung. Auch die­se hiel­te in­des ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand.

107

aa) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat aus der Re­ak­ti­on der Kläge­rin auf das Schrei­ben der Be­klag­ten vom 3. April 2009 ei­ne Wie­der­ho­lungs­ge­fahr ab­ge­lei­tet. Es hat da­bei nicht gewürdigt, dass die Kläge­rin in ih­rer E-Mail vom 16. April 2009 zu­min­dest in Tei­len von ih­ren For­mu­lie­run­gen Ab­stand nahm und die­se als auch für ih­ren Ge­schmack „ein we­nig zu scharf ge­ra­ten“ be­zeich­ne­te (vgl. hier­zu das ers­te Re­vi­si­ons­ur­teil vom 19. No­vem­ber 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 41).

108

bb) Im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung hat das Be­ru­fungs­ge­richt er­neut ge­meint, es ge­be für die Äußerun­gen der Kläge­rin kei­ne Tat­sa­chen­grund­la­ge. Ih­nen feh­le die „Rea­litätsnähe“. Da­mit hat es wie­der­um ver­kannt, dass es nicht um un­wah­re Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen geht, son­dern um stark sub­jek­tiv ge­präg­te Mei­nungsäußerun­gen der Kläge­rin.

109

cc) Die Würdi­gung des Be­ru­fungs­ge­richts, die in den E-Mails zum Aus­druck ge­kom­me­ne sprach­li­che Ge­wandt­heit spre­che dafür, dass die Kläge­rin „durch­aus im Voll­be­sitz ih­rer geis­ti­gen Kräfte ge­we­sen“ sei, ist für sich ge­nom­men nicht ge­eig­net, ih­ren Ein­wand zu wi­der­le­gen, sie ha­be sich in ei­nem wo-chen- oder mo­na­te­lan­gen Mor­phin­rausch be­fun­den, was bei der Be­ur­tei­lung ih­rer Äußerun­gen zu berück­sich­ti­gen sei. Sprach­li­che Ge­wandt­heit und me­di­ka­mentös her­bei­geführ­ter Aus­nah­me­zu­stand schließen sich nicht zwin­gend aus.

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dd) So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt ab­sch­ließend er­neut ei­ne „er­heb­li­che Wie­der­ho­lungs­ge­fahr“ an­ge­nom­men hat, weil es der Kläge­rin an ei­ner „aus­rei­chen­den Dis­tanz zur ei­ge­nen Po­si­ti­on“ feh­le, hat es nicht be­gründet, war­um dem „un­gebühr­li­chen Auf­tre­ten der Kläge­rin im Ver­hand­lungs­ter­min am 14.12.2018“ - annähernd zehn Jah­re nach Aus­spruch der Kündi­gung - Be­deu­tung zu­kommt. Die Wirk­sam­keit ei­ner Kündi­gung ist grundsätz­lich nach den ob­jek­ti­ven Verhält­nis­sen im Zeit­punkt ih­res Zu­gangs zu be­ur­tei­len. Die­ser Zeit­punkt ist so­wohl für die Prüfung des Kündi­gungs­grun­des als auch für die In­te­res­sen­abwägung maßge­bend (BAG 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 52, BA­GE 134, 349).

 

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111

IV. Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts stellt sich nicht aus an­de­ren Gründen als rich­tig dar (§ 561 ZPO). Ins­be­son­de­re er­weist sich die Kündi­gung nicht schon nach § 7 KSchG als wirk­sam. Die Kläge­rin hat mit ih­rer am 29. April 2009 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge ge­gen die Kündi­gung vom 24. April 2009 die Frist des § 4 Satz 1 KSchG ge­wahrt.

112

IV. Die Sa­che ist zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Be­ru­fungs­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Der Se­nat kann die Würdi­gung, ob die Kündi­gung iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt ist, nicht selbst vor­neh­men. Hierfür be­darf es wei­te­rer Fest­stel­lun­gen.

113

1. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat bis­her nicht gewürdigt, ob die Kündi­gung we­gen der von ihm an­ge­nom­me­nen wi­der­recht­li­chen Dro­hung der Kläge­rin so­zi­al ge­recht­fer­tigt ist. In die­sem Zu­sam­men­hang fehlt es an Fest­stel­lun­gen da­zu, ob die Be­klag­te auf­grund ih­rer in­ter­na­tio­na­len Tätig­keit schwer­wie­gen­de Re­pu­ta­ti­ons­ver­lus­te befürch­ten und für wie ernst­haft sie die Dro­hun­gen der Kläge­rin hal­ten muss­te, wel­che er­wart­ba­ren Aus­wir­kun­gen ei­ne et­wai­ge In­for­ma­ti­on der US-ame­ri­ka­ni­schen Me­di­enöffent­lich­keit durch die Kläge­rin ge­habt hätte bzw. wel­che gang­ba­ren Möglich­kei­ten der Be­klag­ten zur Verfügung ge­stan­den hätten, ih­re In­ter­es­sen in die­sem Zu­sam­men­hang zu wah­ren.

114

2. Fer­ner hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die von ihm als be­lei­di­gend und her­ab­set­zend ein­ge­stuf­ten Äußerun­gen der Kläge­rin nicht vor dem Hin­ter­grund ih­res Rechts auf Mei­nungs­frei­heit (Art. 5 Abs. 1 GG) gewürdigt, da es rechts­feh­ler­haft von Schmähkri­tik und/oder un­wah­ren Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen aus­ge­gan­gen ist. Auf die­ser Ver­ken­nung der Be­deu­tung und Trag­wei­te des Grund­rechts auf Mei­nungs­frei­heit be­ruht das Be­ru­fungs­ur­teil. Es ist zwar nicht zwin­gend, aber auch nicht aus­zu­sch­ließen, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt bei Be­rück­sich­ti­gung der grund­recht­li­chen An­for­de­run­gen zu ei­nem an­de­ren Er­geb­nis ge­kom­men wäre (vgl. BVerfG 28. März 2017 - 1 BvR 1384/16 - Rn. 22 f.; 4. Au­gust 2016 - 1 BvR 2619/13 - Rn. 16). Die Abwägung zwi­schen der Mei­nungs­frei­heit der Kläge­rin und der die­se be­gren­zen­den Pflicht zur Rück­sicht­nah­me auf die In­ter­es­sen der Be­klag­ten gemäß § 241 Abs. 2 BGB ist im Rah-

 

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men ei­ner Neu­ent­schei­dung nach­zu­ho­len. Hierfür wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt Fest­stel­lun­gen zu tref­fen ha­ben, ob die Kläge­rin durch Ver­hal­tens­wei­sen ih­res Vor­ge­setz­ten zu ih­ren po­le­mi­schen Äußerun­gen her­aus­ge­for­dert wor­den ist und wel­che Be­deu­tung an­ge­sichts der kon­kre­ten Umstände des Ein­zel­falls ih­ren et­wai­gen Pflicht­verstößen zu­kommt, et­wa im Hin­blick auf in­ner­be­trieb­li­che Aus­wir­kun­gen.

115

VI. Der Auf­he­bung und Zurück­ver­wei­sung un­ter­liegt auch die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts über das Zwi­schen­zeug­nis. Die Kläge­rin hat die­ses nur für den Fall des Fort­be­ste­hens ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses be­gehrt (vgl. BAG 19. No­vem­ber 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 57), so dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt den An­trag nicht als un­be­gründet hätte ab­wei­sen dürfen.

116

VII. Eben­so wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt er­neut über den von der Kläge­rin gel­tend ge­mach­ten An­spruch auf vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Be­stands­schutz­ver­fah­rens zu ent­schei­den ha­ben. Die Wei­ter­beschäfti­gungs­anträge sind auch in der Fas­sung der Re­vi­si­ons­anträge nicht zu ei­ner in­so­weit statt­ge­ben­den End­ent­schei­dung reif (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO).

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1. Zwar macht die Kläge­rin gel­tend, ihr ste­he der Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch „un­abhängig vom ak­tu­el­len Schick­sal des Kündi­gungs­schutz­an­trags“ zu, da sie be­reits nach dem erst­in­stanz­li­chen Ur­teil mit ih­rem Be­stands­schutz-an­trag er­folg­reich ge­we­sen sei. Ih­re Anträge auf vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung ent­hal­ten dem­gemäß in der Fas­sung der vor­lie­gen­den Re­vi­si­ons­anträge auch nicht mehr den Zu­satz „für den Fall des Ob­sie­gens mit dem Fest­stel­lungs­an­trag zu Zif­fer 1“. Da­nach ist nicht an­zu­neh­men, die Kläge­rin wol­le die Wei­ter­be-schäfti­gungs­anträge wei­ter­hin nur als Hilfs­anträge stel­len, so dass sie dem Se­nat auf­grund des zurück­ver­wei­sen­den Ur­teils nicht zur Ent­schei­dung an­fie­len.

118

2. Die Wei­ter­beschäfti­gungs­anträge der Kläge­rin sind aber auch als Haupt­anträge ver­stan­den nicht zu ei­ner statt­ge­ben­den End­ent­schei­dung reif.

 

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a) Zum ei­nen kann die Kläge­rin ih­ren un­ech­ten Hilfs­an­trag auf vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung aus den Vor­in­stan­zen nicht im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren mit Er­folg zu ei­nem Haupt­an­trag ma­chen. Das be­trifft auch den „all­ge­mei­ne­ren“, als Hilfs­an­trag zum ers­ten Wei­ter­beschäfti­gungs­an­trag ge­kenn­zeich­ne­ten An­trag. An­tragsände­run­gen im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren sind nach § 559 ZPO grundsätz­lich aus­ge­schlos­sen, wes­halb ei­ne sol­che Kla­geände­rung in der Re­vi­si­ons­in­stanz nicht statt­haft ist (vgl. BGH 18. Sep­tem­ber 1958 - II ZR 332/56 - zu II der Grün­de, BGHZ 28, 131). Ei­ne Aus­nah­me gilt zwar ua. für die Fälle, in de­nen die Än­de­rung nur ei­ne Be­schränkung oder Mo­di­fi­ka­ti­on des frühe­ren An­trags dar­stellt und sich auf ei­nen Sach­ver­halt stützt, der vom Be­ru­fungs­ge­richt be­reits gewür­digt wor­den ist (vgl. BGH 27. No­vem­ber 2014 - I ZR 124/11 - Rn. 110; 5. De­zem­ber 2012 - I ZR 85/11 - Rn. 24). Ein sol­cher Aus­nah­me­fall liegt aber nicht bei ei­nem Über­gang vom (un­ech­ten) Hilfs- auf ei­nen Haupt­an­trag vor, auch wenn er vom Be­ru­fungs­ge­richt be­schie­den wur­de (vgl. BGH 6. De­zem­ber 2006 - XII ZR 190/06 - Rn. 14 ff., BGHZ 170, 176; vgl. da­ge­gen für den um­ge­kehr­ten Fall des Über­gangs vom Haupt- zum Hilfs­an­trag BGH 28. Sep­tem­ber 1989 - IX ZR 180/88 - zu 1 der Gründe; zT aA MüKoZ­PO/Krüger 5. Aufl. § 559 Rn. 19).

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b) Selbst wenn man von in der Re­vi­si­ons­in­stanz zulässi­gen un­be­ding­ten Wei­ter­beschäfti­gungs­anträgen aus­gin­ge, fehl­te hierfür ge­genwärtig die er­for­der­li­che An­spruchs­grund­la­ge.

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aa) Bei ei­nem auf die Recht­spre­chung des Großen Se­nats des Bun­de­sar­beits­ge­richts (BAG 27. Fe­bru­ar 1985 - GS 1/84 - BA­GE 48, 122) gestütz­ten Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch muss es sich bei dem die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung fest­stel­len­den Ur­teil um ein sol­ches der je­wei­li­gen In­stanz han­deln, al­so um das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts, so­weit die­ses über die vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung ent­schei­det, und um ein Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts, wenn dort ein An­trag auf vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung ge­stellt ist. Im Fall von - wie hier - di­ver­gie­ren­den in­stanz­ge­richt­li­chen Ent­schei­dun­gen und ei­nem zurück­ver­wei­sen­den Ur­teil des Re­vi­si­ons­ge­richts ist die La­ge als eben­so of­fen an­zu­se­hen, wie wenn noch kei­ne ge­richt­li­che Ent­schei­dung vorläge und des-

 

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halb Un­ge­wiss­heit über den Aus­gang des Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens be­steht (vgl. BAG 30. Ja­nu­ar 1986 - 2 AZR 429/83 C - zu II 2 der Gründe).

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bb) Zu­dem hat sich im Streit­fall nach Verkündung des der Kündi­gungs­schutz­kla­ge statt­ge­ben­den ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils die Sach­la­ge da­hin­ge­hend geändert, dass die Be­klag­te zweit­in­stanz­lich ei­nen Auflösungs­an­trag nach den §§ 9, 10 KSchG ge­stellt hat. Die dar­aus fol­gen­de Un­ge­wiss­heit über den Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses ent­spricht der­je­ni­gen, die vor Verkündung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils be­stan­den hat und be­gründet das schutzwürdi­ge In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an der Nicht­beschäfti­gung der Kläge­rin (vgl. zur Aus­wir­kung ei­nes zweit­in­stanz­lich ge­stell­ten Auflösungs­an­trags auf den Wei-ter­beschäfti­gungs­an­spruch BAG 16. No­vem­ber 1995 - 8 AZR 864/93 - zu E der Gründe, BA­GE 81, 265; zur Aus­wir­kung wei­te­rer Kündi­gun­gen auf den Wei­ter-beschäfti­gungs­an­spruch vgl. BAG 19. De­zem­ber 1985 - 2 AZR 190/85 - zu B II 2 der Gründe, BA­GE 50, 319).

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VIII. Für die neue Ver­hand­lung und Ent­schei­dung sind noch fol­gen­de wei­te­re Hin­wei­se ver­an­lasst:

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1. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird zu prüfen ha­ben, ob die von ihm als wi­der­recht­li­che Dro­hung an­ge­se­he­ne Äußerung der Kläge­rin al­lein oder zu­sam­men mit an­de­ren Be­kun­dun­gen ei­nen Grund für die so­zia­le Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung dar­stellt. Da­bei hat es zu be­ach­ten, dass auch die Dro­hung mit ei­ner In­for­ma­ti­on der Pres­se in den Schutz­be­reich des Grund­rechts auf Mei­nungs­frei­heit fal­len kann. Fer­ner hat das Be­ru­fungs­ge­richt der Be­klag­ten Ge­le­gen­heit zu ge­ben aus­zuführen, ob und ggf. aus wel­chen Gründen die Dro­hung der Klä­ge­rin, die im Kündi­gungs­zeit­punkt be­reits sie­ben Mo­na­te zurück­lag, für sie im­mer noch von Ge­wicht war bzw. ob späte­re Äußerun­gen der Kläge­rin ei­ne Fort­wir­kung der Dro­hung be­gründe­ten.

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2. Hin­sicht­lich der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt als her­ab­set­zend ein­ge­stuf­ten Äußerun­gen der Kläge­rin wird es zu be­ach­ten ha­ben, dass es sich hier­bei we­der um Schmähkri­tik noch um un­wah­re Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen han­del­te, son­dern um Mei­nungsäußerun­gen, die dem Schutz­be­reich des Art. 5 Abs. 1 GG un­ter­lie­gen. In die­sem Zu­sam­men­hang wird das Be­ru­fungs­ge­richt fest­zu-

 

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stel­len und zu würdi­gen ha­ben, wie sich Vor­ge­setz­te ge­genüber der Kläge­rin ver­hal­ten ha­ben, ob die Kläge­rin durch be­trieb­li­che Vor­komm­nis­se zu ih­ren Äu­ßerun­gen ver­an­lasst wur­de und ob ih­re Äußerun­gen Aus­wir­kun­gen im Be­trieb hat­ten.

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3. So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt meint, die Kläge­rin rücke die Füh­rungs­struk­tur der Be­klag­ten und das Ver­hal­ten ih­rer Ver­tre­ter in die Nähe ver­bre­che­ri­scher NS-Or­ga­ni­sa­tio­nen oder der Ma­fia, wird es auch in­so­weit das Grund­recht der Kläge­rin auf Mei­nungs­frei­heit zu be­ach­ten ha­ben. Bei der Be­stim­mung des Aus­sa­ge­kerns ih­rer Äußerun­gen wird es zu prüfen ha­ben, ob es - was je­den­falls nicht auf der Hand liegt (vgl. BAG 19. No­vem­ber 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 38) - an­de­re Aus­le­gungs­va­ri­an­ten mit nach­voll­zieh­ba­ren und tragfähi­gen Gründen aus­sch­ließen kann.

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4. Soll­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu dem Er­geb­nis kom­men, es lie­ge ein Grund für ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung vor, wird es bei der ge­bo­te­nen Verhält­nismäßig­keitsprüfung zu be­ach­ten ha­ben, dass die Kläge­rin mit ih­rer E-Mail vom 16. April 2009 noch vor der Kündi­gung ei­nen Teil ih­rer Äußerun­gen selbst­kri­tisch be­wer­te­te. Ge­ge­be­nen­falls wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt den Vor­trag der Kläge­rin zu berück­sich­ti­gen ha­ben, sie ha­be sich we­gen der Ein­nah­me von Opi­aten in ei­nem Aus­nah­me­zu­stand be­fun­den. Da­bei hat es klar­zu­stel­len, ob es die dies­bezügli­chen Ausführun­gen und Be­weis­an­trit­te für aus­rei­chend sub­stan­ti­iert hält.

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3. So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt anläss­lich der neu­en Ver­hand­lung zu dem Er­geb­nis kom­men soll­te, die Kündi­gung sei so­zi­al nicht ge­recht­fer­tigt, ist über den Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten zu ent­schei­den. Hier­zu hat sich der Se­nat in sei­ner Ent­schei­dung vom 19. No­vem­ber 2015 (- 2 AZR 217/15 - Rn. 59 ff.) be­reits eben­so geäußert wie zur Zulässig­keit der Be­ru­fung der Be­klag­ten (dort Rn. 19 ff.), der ver­fas­sungs­recht­li­chen Un­be­denk­lich­keit der §§ 9, 10 KSchG (dort Rn. 62 ff.) und der feh­len­den Ver­pflich­tung zu ei­ner Vor­la­ge an den Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (dort Rn. 77).

 

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IX. Der Se­nat hat von der Möglich­keit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Ge­brauch macht.

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Ra­chor

Nie­mann 

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Grim­berg 

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