HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 19/031

Kopf­tuch­ver­bot 2019 er­neut vor dem EuGH

Zwei Jah­re nach den Ur­tei­len in Sa­chen Ach­bi­ta (C-157/15) und Boug­naoui (C-188/15) muss der EuGH über ein Kopf­tuch­ver­bot in ei­nem deut­schen Dro­ge­rie­markt ent­schei­den: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 30.01.2019, 10 AZR 299/18 (A)
Schaufensterpuppen mit Kopftuch

04.02.2019. Pri­va­te Ar­beit­ge­ber sind zwar nicht un­mit­tel­bar (wie der Staat) da­zu ver­pflich­tet, die Grund­rech­te der bei ih­nen be­schäf­tig­ten Ar­beit­neh­mer zu re­spek­tie­ren, al­so z.B. die Re­li­gi­ons­frei­heit (Art.4 Grund­ge­setz - GG).

Al­ler­dings be­steht auch für pri­va­te Ar­beit­ge­ber ei­ne mit­tel­ba­re Ver­pflich­tung zur an­ge­mes­se­nen und dis­kri­mi­nie­rungs­frei­en Be­rück­sich­ti­gung von Ar­beit­neh­mer­grund­rech­ten. Das er­gibt sich auch aus den Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes (AGG) und der da­hin­ter ste­hen­den Richt­li­nie 2000/78/EG.

Da­her wä­re es z.B. un­zu­läs­sig, ei­ner mus­li­mi­schen Ar­beit­neh­me­rin per Wei­sung im Ein­zel­fall das Tra­gen ei­nes „mus­li­mi­schen“ Kopf­tuchs am Ar­beits­platz zu un­ter­sa­gen, oh­ne dass es da­für trif­ti­ge Grün­de gibt.

Das hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) schon vor vie­len Jah­ren zu­guns­ten ei­ner im Ein­zel­han­del be­schäf­tig­ten Ver­käu­fe­rin klar­ge­stellt (BAG, Ur­teil vom 10.10.2002, 2 AZR 472/01, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 02/05 Kopf­tuch ist kein Kün­di­gungs­grund).

Im Jah­re 2017 hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) al­ler­dings zu­guns­ten der Ar­beit­ge­ber­sei­te ent­schie­den, dass es kei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on dar­stellt, wenn ei­ne be­trieb­li­che Klei­der­ord­nung es al­len Ar­beit­neh­mern mit Kun­den­kon­takt ver­bie­tet, bei der Ar­beit Be­klei­dungs­stü­cke zu tra­gen, mit de­nen ein re­li­giö­ses, po­li­ti­sches oder welt­an­schau­li­ches Be­kennt­nis zum Aus­druck ge­bracht wird.

Von ei­nem sol­chen all­ge­mei­nen Ver­bot sind al­le Re­li­gio­nen bzw. Welt­an­schau­un­gen glei­cher­ma­ßen be­trof­fen. Da­her liegt hier kei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on vor, so der EuGH (Ur­teil vom 14.03.2017, C-157/15 - Ach­bi­ta, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 17/076 Kopf­tuch­ver­bot am Ar­beits­platz kann rech­tens sein).

Al­ler­dings kann, so der EuGH in die­sem Ur­teil, ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung vor­lie­gen, falls An­ge­hö­ri­ge be­stimm­ter Re­li­gio­nen von Be­klei­dungs­vor­schrif­ten stär­ker als an­de­re be­las­tet wer­den. Ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung kann aber wie­der­um ge­recht­fer­tigt sein,

  • wenn der Ar­beit­ge­ber das un­ter­neh­me­ri­sche Ziel ver­folgt, sei­nen Kun­den ein Bild der Neu­tra­li­tät zu ver­mit­teln,
  • wenn er bei der Um­set­zung die­ses Ziels kon­se­quent vor­geht (d.h. die­ses Ziel nicht nur vor­schiebt),
  • wenn nur Ar­beit­neh­mer mit Kun­den­kon­takt ein sol­ches Ver­bot be­ach­ten müs­sen, und
  • wenn al­le (Au­ßen­dienst-)Mit­ar­bei­ter in glei­cher Wei­se von dem Ver­bot be­las­tet sind (Ur­teil vom 14.03.2017, C-157/15 - Ach­bi­ta).

An­ge­sichts die­ser EuGH-Recht­spre­chung ist es auf den ers­ten Blick über­ra­schend, dass das BAG vor ei­ni­gen Ta­gen be­schlos­sen hat, dem EuGH er­neut ei­nen „Kopf­tuch-Fall“ vor­zu­le­gen (BAG, Be­schluss vom 30.01.2019, 10 AZR 299/18 (A)). Al­ler­dings un­ter­schei­det sich der Fall des BAG er­heb­lich von dem 2017 vom EuGH ent­schie­de­nen Fall Ach­bi­ta, so dass das Vor­ge­hen des Ar­beit­ge­bers in dem BAG-Fall nicht oh­ne wei­te­res auf der Grund­la­ge des Ach­bi­ta-Ur­teils des EuGH ge­recht­fer­tigt ist.

Denn in dem bel­gi­schen Fall Ach­bi­ta ging es um ei­ne Be­wa­chungs- und Re­zep­ti­ons­dienst­leis­tungs­fir­ma (G4S Se­cu­re), die ih­ren Kun­den Wach­leu­te und Emp­fangs­per­so­nal zur Ver­fü­gung stell­te. Dem­ent­spre­chend „ver­kauf­te“ die­ser Ar­beit­ge­ber gleich­sam die Neu­tra­li­tät und Se­rio­si­tät sei­ner Mit­ar­bei­ter. Hät­te er, so sein Ar­gu­ment, die als Re­zep­tio­nis­tin bei Kun­den ein­ge­setz­te mus­li­mi­sche Klä­ge­rin, Frau Ach­bi­ta, dort mit Hi­dschab ar­bei­ten las­sen, hät­te er den Kun­den­auf­trag ris­kiert.

In dem ak­tu­el­len Streit­fall des BAG hat­te da­ge­gen ei­ne Dro­ge­rie­ket­te ei­ner mus­li­mi­schen Ver­käu­fe­rin die An­wei­sung er­teilt, oh­ne Kopf­tuch bei der Ar­beit zu er­schei­nen. Ih­re da­ge­gen ge­rich­te­te Kla­ge, mit der sie die Rechts­wid­rig­keit die­ser An­wei­sung fest­stel­len las­sen woll­te, hat­te vor dem Ar­beits­ge­richt Nürn­berg (Ur­teil vom 28.03.2017, 8 Ca 6967/14) und vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nürn­berg Er­folg (LAG Nürn­berg, Ur­teil vom 27.03.2018, 7 Sa 304/17).

Im Un­ter­schied zu der bel­gi­schen Re­zep­tio­nis­tin, Frau Ach­bi­ta, er­füllt die deut­sche Dro­ge­rie­mit­ar­bei­te­rin näm­lich nicht in ers­ter Li­nie Re­prä­sen­ta­ti­ons­auf­ga­ben, son­dern ver­kauft Dro­ge­rie­pro­duk­te an Ver­brau­che­rin­nen und Ver­brau­cher. Zum heu­ti­gen all­täg­li­chen Er­schei­nungs­bild in Dro­ge­rie­märk­ten ge­hö­ren aber, so das LAG Nürn­berg, mus­li­mi­sche Frau­en mit Kopf­tuch, und zwar so­wohl auf Sei­ten der Kun­din­nen als auch auf Sei­ten der Ver­käu­fe­rin­nen (LAG Nürn­berg, Ur­teil vom 27.03.2018, 7 Sa 304/17, Rn.59).

Aus Sicht des BAG ist es aber frag­lich, ob die­se Ent­schei­dung mit dem Eu­ro­pa­recht zu ver­ein­ba­ren ist. Denn in sei­nem Ach­bi­ta-Ur­teil hat­te sich der EuGH zu­guns­ten des Ar­beit­ge­bers u.a. auf die von Art.16 der Grund­rech­te-Char­ta ge­schütz­ten Un­ter­neh­mer­frei­heit ge­stützt, die es Ar­beit­ge­bern laut EuGH er­laubt, ei­ne ge­ne­rel­le „Neu­tra­li­täts­po­li­tik“ zu be­trei­ben. Hier hat das BAG an­schei­nend Zwei­fel, denn es möch­te u.a. wis­sen:

„Ist ei­ne all­ge­mei­ne An­ord­nung in der Pri­vat­wirt­schaft, die auch das Tra­gen auf­fäl­li­ger re­li­giö­ser Zei­chen ver­bie­tet, auf­grund der von Art. 16 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ro­päi­schen Uni­on (GRC) ge­schütz­ten un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit dis­kri­mi­nie­rungs­recht­lich stets ge­recht­fer­tigt? Oder kann die Re­li­gi­ons­frei­heit der Ar­beit­neh­me­rin be­rück­sich­tigt wer­den, die von der GRC, der Kon­ven­ti­on zum Schutz der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten (EM­RK) und dem Grund­ge­setz ge­schützt wird?“

Fa­zit: War­um ein­fach, wenn es auch kom­pli­ziert geht? Der EuGH be­tont in sei­nem Ach­bi­ta-Ur­teil, dass die na­tio­na­len Ge­rich­te über­prü­fen müs­sen, ob ei­ne vom Ar­beit­ge­ber be­haup­te­te Neu­tra­li­täts­po­li­tik über­haupt kon­se­quent um­ge­setzt wird. Das ist hier im Streit­fall mehr als zwei­fel­haft, da der Ar­beit­ge­ber sei­ne an­geb­lich ge­ne­rel­len Be­klei­dungs-Vor­ga­ben über­aus ne­bu­lös be­schrie­ben hat. Da­her hät­te das BAG den ak­tu­el­len Fall auch oh­ne An­ru­fung des EuGH pro Ar­beit­neh­me­rin ent­schei­den kön­nen.

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 28. September 2021

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de