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ARBEITSRECHT AKTUELL // 19/178

Schutz von Hin­weis­ge­bern im An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­recht

Ar­beit­neh­mer, die auf un­zu­läs­si­ge Dis­kri­mi­nie­run­gen hin­wei­sen, sind durch das Eu­ro­pa­recht um­fas­send vor Maß­re­ge­lun­gen ge­schützt: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 20.06.2019, C-404/18 (Ha­kel­bracht und Van­den­bon gg. WTG Re­tail)
Bewerbung und Stempel Absage, Ablehnung, Jobchancen, Arbeitsmarkt

31.07.2019. Wenn es um die Durch­set­zung von Rech­ten im Zu­sam­men­hang mit Dis­kri­mi­nie­run­gen im Ar­beits­le­ben geht, kommt es meist dar­auf an, wie weit die Be­wei­ser­leich­te­run­gen ge­hen, die das eu­ro­päi­sche und das deut­sche An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­recht zu­guns­ten von Be­trof­fe­nen vor­sieht.

In ei­nem ak­tu­el­len Fall muss­te der eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) über die Fra­ge ent­schei­den, wel­chen Schutz Kol­le­gen ei­nes dis­kri­mi­nier­ten Ar­beit­neh­mers/Be­wer­bers ge­nie­ßen: EuGH, Ur­teil vom 20.06.2019, C-404/18 (Ha­kel­bracht und Van­den­bon gg. WTG Re­tail).

Wie weit geht der Schutz von Hin­weis­ge­bern im eu­ropäischen An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­recht?

Die EU-Richt­li­nie 2006/54/EG vom 05.07.2006 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits- und Beschäfti­gungs­fra­gen fasst die bis­he­ri­gen EU-Richt­li­ni­en der Eu­ropäischen Uni­on (EU) zum Ab­bau ge­schlechts­be­ding­ter Dis­kri­mi­nie­run­gen zu­sam­men und löst die­se Richt­li­ni­en ab, ins­be­son­de­re die lan­ge Zeit be­son­ders wich­ti­ge Richt­li­nie 76/207/EWG des Ra­tes vom 09.02.1976.

Die EU-Richt­li­nie 2006/54/EG ver­pflich­tet die EU-Staa­ten zum Ab­bau ge­schlechts­be­ding­ter Be­nach­tei­li­gun­gen beim Zu­gang zur Beschäfti­gung (Art.14), beim The­ma Lohn bzw. Ge­halt (Art.4) so­wie bei der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung (Art.5).

Darüber hin­aus enthält die Richt­li­nie auch ver­fah­rens­recht­li­che Vor­schrif­ten zum Schutz der begüns­tig­ten Ar­beit­neh­mer bzw. Ar­beit­neh­me­rin­nen. So ist in Art.24 der Richt­li­nie 2006/54/EG vor­ge­se­hen, dass die Mit­glied­staa­ten die er­for­der­li­chen Maßnah­men tref­fen,

„um die Ar­beit­neh­mer so­wie die (…) Ar­beit­neh­mer­ver­tre­ter vor Ent­las­sung oder an­de­ren Be­nach­tei­li­gun­gen durch den Ar­beit­ge­ber zu schützen, die als Re­ak­ti­on auf ei­ne Be­schwer­de in­ner­halb des be­tref­fen­den Un­ter­neh­mens oder auf die Ein­lei­tung ei­nes Ver­fah­rens zur Durch­set­zung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes er­fol­gen.“

Frag­lich ist, ob die­ses Ver­bot der sog. „Vik­ti­mi­sie­rung“ auch die Kon­stel­la­ti­on er­fasst, dass we­der der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer selbst noch ein Ar­beit­neh­mer­ver­tre­ter ei­ne Be­schwer­de we­gen ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung vor­bringt, son­dern ein an­de­rer, nicht un­mit­tel­bar be­trof­fe­ner Ar­beit­neh­mer.

Bel­gi­sches Un­ter­neh­men lehnt ei­ne schwan­ge­re Be­wer­be­rin we­gen ih­rer Schwan­ger­schaft ab, die da­von durch ei­ne Führungs­kraft des Un­ter­neh­mens erfährt

Im Streit­fall hat­te sich Frau Ha­kel­bracht im Som­mer 2015 bei ei­nem bel­gi­schen Be­klei­dungs-Ein­zelhänd­ler, der Fa. WTG Re­tail, als Verkäufe­r­in be­wor­ben. Das Be­wer­bungs­gespräch führ­te sie mit ei­ner Führungs­kraft von WTG Re­tail, Frau Van­den­bon. In dem Be­wer­bungs­gespräch in­for­mier­te Frau Ha­kel­bracht Frau Van­den­bon darüber, dass sie im drit­ten Mo­nat schwan­ger sei.

Frau Van­den­bon schlug der Un­ter­neh­mens­lei­tung vor, Frau Ha­kel­bracht ein­zu­stel­len, was WTG Re­tail je­doch we­gen der be­ste­hen­den Schwan­ger­schaft ab­lehn­te. Den Hin­weis von Frau Van­den­bon, dass die Ab­leh­nung ei­ner Be­wer­be­rin mit die­ser Be­gründung recht­lich un­zulässig sei, igno­rier­te WTG Re­tail und hielt an der ab­leh­nen­den Ent­schei­dung fest. Dar­auf­hin teil­te Frau Van­den­bon der Be­wer­be­rin mit, dass ih­re Be­wer­bung we­gen ih­rer Schwan­ger­schaft nicht er­folg­reich ge­we­sen sei.

Im Fol­gen­den mach­te Frau Ha­kel­bracht ge­gen WTG Re­tail Ansprüche we­gen der er­lit­te­nen ge­schlechts­be­ding­ten Dis­kri­mi­nie­rung gel­tend, was wie­der­um zur Fol­ge hat­te, dass WTG Re­tail das Ar­beits­verhält­nis mit Frau Van­den­bon im Som­mer 2016 be­en­de­te. In dem dar­auf­hin von Frau Ha­kel­bracht und Frau Van­den­bon an­ge­streng­ten ar­beits­ge­richt­li­chen Pro­zess ver­lang­ten die bei­den Kläge­rin­nen je­weils ei­ne Gel­dentschädi­gung von sechs Mo­nats­gehältern.

Mit die­ser Kla­ge hat­te zunächst nur Frau Ha­kel­bracht Er­folg, da das Ge­richt in ih­rem Fall von ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung aus­ging. In der An­ge­le­gen­heit Frau Van­den­bons hin­ge­gen kam es dar­auf an, ob sie sich auf ei­ne bel­gi­sche Re­ge­lung be­ru­fen konn­te, der zu­fol­ge Zeu­gen geschützt wer­den, die zu­guns­ten von Dis­kri­mi­nie­rungs­op­fern aus­sa­gen. Im vor­lie­gen­den Fall war Frau Van­den­bon al­ler­dings bis zu ih­rer Ent­las­sung nur als Un­terstütze­rin Frau Ha­kel­brachts auf­ge­tre­ten, aber nicht als Zeu­gen in ei­nem for­mel­len Ver­fah­ren.

Vor die­sem Hin­ter­grund woll­te das Ar­beits­ge­richt Ant­wer­pen vom EuGH wis­sen, ob der in Art.24 der Richt­li­nie 2006/54/EG vor­ge­se­he­ne ver­fah­rens­recht­li­che Schutz von „Ar­beit­neh­mern“ auch sol­che Ar­beit­neh­mer um­fasst, die sich bei ei­ner in­ner­be­trieb­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung auf die Sei­te ei­nes dis­kri­mi­nier­ten Kol­le­gen schla­gen.

EuGH: Ar­beit­neh­mer, die auf un­zulässi­ge Dis­kri­mi­nie­run­gen hin­wei­sen, sind durch das Eu­ro­pa­recht um­fas­send vor Maßre­ge­lun­gen geschützt

Der Ge­richts­hof ent­schied die Vor­la­ge­fra­ge im Sin­ne der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­me­rin, Frau Van­den­bon.

Ob­wohl der Wort­laut von Art.24 der Richt­li­nie 2006/54/EG eher na­he­legt, dass durch die­se Vor­schrift nur der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer selbst (hier al­so Frau Ha­kel­brecht als ab­ge­lehn­te Be­wer­be­rin) so­wie Mit­glie­der be­trieb­li­cher Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tun­gen vor Re­pres­sa­li­en geschützt sind, kommt der Ge­richts­hof zu dem Er­geb­nis, dass der Schutz vor Maßre­ge­lun­gen sämt­li­che Ar­beit­neh­mer um­fasst, „ge­gen die der Ar­beit­ge­ber als Re­ak­ti­on auf ei­ne we­gen Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts ein­ge­reich­te Be­schwer­de Ver­gel­tungs­maßnah­men er­grei­fen kann“ (Ur­teil, Rn.27, 28).

Zur Be­gründung meint der EuGH zunächst, der Wort­laut der Re­ge­lung bzw. der Be­griff des Ar­beit­neh­mers sei eben „weit zu ver­ste­hen“ (Ur­teil, Rn.27). Darüber hin­aus ist die­se Re­ge­lung, so die Lu­xem­bur­ger Rich­ter, als spe­zi­el­le Aus­prägung des Grund­sat­zes des ef­fek­ti­ven ge­richt­li­chen Rechts­schut­zes zu ver­ste­hen (Ur­teil, Rn.32), was auch für ei­ne großzügi­ge In­ter­pre­ta­ti­on spricht.

Art.24 der Richt­li­nie 2006/54/EG schützt dem­zu­fol­ge nicht nur Dis­kri­mi­nie­rungs­be­trof­fe­ne und Ar­beit­neh­mer­ver­tre­ter, son­dern je­den Ar­beit­neh­mer, der vom Ar­beit­ge­ber be­nach­tei­ligt wer­den könn­te, weil er ei­nen Dis­kri­mi­nie­rungs­be­trof­fe­nen un­terstützt hat, sei es for­mell oder in­for­mell (Ur­teil, Rn.35).

Fa­zit: Der recht­li­che Schutz von Un­terstützern ist im deut­schen Recht, an­ders als dies an­schei­nend in Bel­gi­en der Fall ist, be­reits weit­ge­hend um­ge­setzt. So heißt es in § 16 Abs.1 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG):

„Der Ar­beit­ge­ber darf Beschäftig­te nicht we­gen der In­an­spruch­nah­me von Rech­ten nach die­sem Ab­schnitt oder we­gen der Wei­ge­rung, ei­ne ge­gen die­sen Ab­schnitt ver­s­toßen­de An­wei­sung aus­zuführen, be­nach­tei­li­gen. Glei­ches gilt für Per­so­nen, die den Beschäftig­ten hier­bei un­terstützen oder als Zeu­gin­nen oder Zeu­gen aus­sa­gen.“

Aus der Ent­schei­dung des EuGH vom 20.07.2019 (C-404/18) er­gibt sich, dass der recht­li­che Schutz von Un­terstützern eu­ro­pa­recht­lich ge­bo­ten und im Sin­ne des EuGH-Ur­teils um­fas­send aus­zu­le­gen ist. So kann ei­ne Un­terstützung im Sin­ne die­ser Vor­schrift auch dar­in be­ste­hen, dass In­for­ma­tio­nen über Dis­kri­mi­nie­run­gen nach außen ge­tra­gen wer­den. Das ent­spricht auch den Vor­ga­ben der im Ja­nu­ar 2019 be­schlos­se­nen EU-Richt­li­nie zum Schutz von Hin­weis­ge­bern (s. da­zu Ar­beits­recht ak­tu­ell: 19/082 EU-Richt­li­nie zum Schutz von Whist­leb­lo­wern).

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Letzte Überarbeitung: 28. September 2021

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