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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 19.12.2011, 15 Sa 1264/11 15 Sa 1461/11

   
Schlagworte: Betriebsvereinbarung, Weiterbeschäftigung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 15 Sa 1264/11
15 Sa 1461/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 19.12.2011
   
Leitsätze:

1. Durch kollektivrechtliche Regelungen auch in Betriebsvereinbarungen kann das zwingende Kündigungsschutzrecht nicht beschränkt werden.

2. Die mangelnde Reaktion eines Arbeitnehmers auf eine angebotene freie Stelle kann durch Betriebsvereinbarung nicht dahingehend fingiert werden, dass hierin eine "unmißverständliche, ernsthafte und endgültige" Ablehnungserklärung liegt.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 4.05.2011, 27 Ca 19523/10
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

 

Verkündet

am 19. De­zem­ber 2011

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

15 Sa 1264/11
15 Sa 1461/11

27 Ca 19523/10
Ar­beits­ge­richt Ber­lin

K., JHS als Ur­kunds­be­am­ter/in
der Geschäfts­stel­le

 

Im Na­men des Vol­kes

 

Ur­teil

In Sa­chen

pp

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 15. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 30. No­vem­ber 2011
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt K. als Vor­sit­zen­der
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn Dr. B. und Herrn B.

für Recht er­kannt:

I. Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 04.05.2011 - 27 Ca 19523/10 - wird teil­wei­se ab­geändert:

Es wird fest­ge­stellt, dass der ursprüng­lich ge­stell­te Wei­ter­beschäfti­gungs­an­trag er­le­digt ist.

II. Die Be­ru­fun­gen des Klägers und der Be­klag­ten wer­den je­weils zurück­ge­wie­sen.

III. Die Be­ru­fungs­kos­ten ha­ben die Be­klag­te zu 4/7 und der Kläger zu 3/7 zu tra­gen.

IV. Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

K. Dr. B. B.

 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung vom 1. De­zem­ber 2010, die das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en zum 30. Sep­tem­ber 2012 auflösen soll. Wei­ter­hin strei­ten die Par­tei­en darüber, ob der Kläger ei­nen An­spruch auf Ab­schluss ei­ner Vor­ru­he­stands­ver­ein­ba­rung auf Ba­sis ei­nes So­zi­al­pla­nes hat.

Der am …… 1962 ge­bo­re­ne Kläger ist seit dem 1. Au­gust 1988 bei der Be­klag­ten zu­letzt als An­la­gen­tech­ni­ker beschäftigt. Un­ter Berück­sich­ti­gung von 14 ge­zahl­ten Gehältern beträgt sein Brut­to­mo­nats­ent­gelt 5.247,19 €. Die Be­klag­te, ein Ta­bak­un­ter­neh­men mit Haupt­sitz in H., beschäftigt ca. 2.000 Mit­ar­bei­ter.

Un­ter dem 27. Fe­bru­ar 2009 und je­weils mit Ände­run­gen vom 27. Ok­to­ber 2010 schloss die Be­klag­te mit dem bei ihr be­ste­hen­den Ge­samt­be­triebs­rat be­zo­gen auf die Still­le­gung des Ber­li­ner Be­trie­bes ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich (Bl. 114 ff. d. A.), ei­nen So­zi­al­plan (Bl. 173 ff. d. A.) und ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung über Stel­len­be­set­zun­gen (Bl. 134 ff. d. A.) ab.

Am 1. De­zem­ber 2010 er­hielt der Kläger die Be­en­di­gungskündi­gung zum 30. Sep­tem­ber 2012.

Hin­sicht­lich des Vor­brin­gens der Par­tei­en in der I. In­stanz wird auf den Tat­be­stand des an­ge­foch­te­nen Ur­teils ver­wie­sen.

Der Kläger hat zu­letzt be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung vom 1. De­zem­ber 2010, zu­ge­gan­gen am 1. De­zem­ber 2010, nicht auf­gelöst ist;

2. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis auch nicht durch an­de­re Be­en­di­gungs­gründe en­det, son­dern zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen über den 30. Sep­tem­ber 2012 hin­aus fort­be­steht;

3. für den Fall des Ob­sie­gens mit den Anträgen zu 1. und 2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihn ent­spre­chend sei­nem Ar­beits­ver­trag zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen als An­la­gen­tech­ni­ker bis zur rechts­kräfti­gen Ent­schei­dung über die Anträge zu 1. und 2. zu beschäfti­gen;

 

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hilfs­wei­se

4. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihn nach B. IV. Ziff. 1 des So­zi­al­pla­nes in der Fas­sung vom 27.10.2010 auf­zu­for­dern, schrift­lich un­be­dingt und un­wi­der­ruf­lich ge­genüber der Be­klag­ten zu erklären, dass er um die In­an­spruch­nah­me der Vor­ru­he­stands­re­ge­lung im Sin­ne des Glie­de­rungs­punk­tes B. IV. des vor­ge­nann­ten So­zi­al­pla­nes bit­tet.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Mit Ur­teil vom 4. Mai 2011 hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin den An­trag zu 4. als un­zulässig zurück­ge­wie­sen. Der An­trag zu 2. sei eben­falls un­zulässig. Hin­sicht­lich der Anträge zu 1. und 3. hat es der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Die Kündi­gung sei so­zi­al nicht ge­recht­fer­tigt. Die Be­klag­te könne sich trotz des ab­ge­schlos­se­nen In­ter­es­sen­aus­gleichs mit Na­mens­lis­te nicht auf die Ver­mu­tungs­wir­kung des § 1 V KSchG be­ru­fen, da fest­ste­he, dass tatsächlich Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­kei­ten be­stan­den hätten. Auf­grund des In­ter­es­sen­aus­gleichs in der Fas­sung vom 27. Ok­to­ber 2010 er­ge­be sich, dass Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­kei­ten in L. vor­han­den wa­ren bzw. im Lau­fe der suk­zes­si­ven Be­triebs­still­le­gung durch Ver­la­ge­rung und Schaf­fung neu­er Ar­beitsplätze in L. bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­fris­ten ent­ste­hen würden. Ent­spre­chend der An­la­ge A 2 zum In­ter­es­sen­aus­gleich exis­tier­ten in­so­fern 187 freie Ar­beitsplätze. Selbst wenn die im Kam­mer­ter­min geäußer­te Be­haup­tung der Be­klag­ten zu­tref­fend sei, dass die­se Ar­beitsplätze z. B. durch Ent­fris­tun­gen sach­grund­los be­fris­te­ter Ar­beits­verträge be­setzt wor­den sei­en, so ste­he dies der ge­trof­fe­nen Ent­schei­dung nicht ent­ge­gen. In die­sem Fall hätte die Be­klag­te mit der Be­set­zung die­ser Stel­len die Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers treu­wid­rig ver­ei­telt. Nach dem Verhält­nismäßig­keits­grund­satz hätte die Be­klag­te ei­ne Ände­rungskündi­gung aus­spre­chen müssen. Die Be­klag­te könne sich auch nicht mit Er­folg auf die Be­triebs­ver­ein­ba­rung zur Stel­len­be­set­zung be­ru­fen. Zwar sei dort in § 4 Ziff. 1 ge­re­gelt, dass bei ei­ner feh­len­den In­ter­es­sen­be­kun­dung auf aus­ge­schrie­be­ne Ar­beitsplätze ei­ne un­miss­verständ­li­che, ernst­haf­te und endgülti­ge Erklärung des Ar­beit­neh­mers vor­lie­gen soll, ein An­ge­bot zu ei­ner Wei­ter­beschäfti­gung zu geänder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen un­ter kei­nen Umständen an­neh­men zu wol­len und auch im Fal­le ei­ner Ände­rungskündi­gung ein sol­ches An­ge­bot nicht un­ter Vor­be­halt an­zu­neh­men. Nach Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts lie­ge es je­doch nicht in der

 

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Kom­pe­tenz der Be­triebs­par­tei­en, hierüber ei­ne ein­ver­nehm­li­che Re­ge­lung her­bei­zuführen, die in die in­di­vi­du­el­le Rech­te des Ar­beit­neh­mers auf Be­ach­tung des ul­ti­ma-ra­tio-Grund­sat­zes ein­greift. Das von der Recht­spre­chung auf­ge­stell­te Er­for­der­nis ei­ner un­miss­verständ­li­chen Ab­leh­nung ei­nes Ände­rungs­an­ge­bo­tes könne durch die Be­triebs­par­tei­en nicht fin­giert wer­den. Nach den all­ge­mei­nen Grundsätzen sei der Kläger auch wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Die Be­klag­te wen­det sich ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin, so­weit die­ses der Kla­ge statt­ge­ge­ben hat. Die Be­klag­te be­haup­tet, ursprüng­lich sei­en in Ber­lin täglich 64 Mio. Zi­ga­ret­ten pro­du­ziert wor­den. Seit dem Be­ginn der Be­triebs­still­le­gung im Ja­nu­ar 2011 sei die Ta­ges­pro­duk­ti­on auf 53,7 Mio. und bis Au­gust 2011 auf 28 Mio. Zi­ga­ret­ten pro Tag ge­sun­ken. Im Ja­nu­ar 2012, wenn na­he­zu al­le Ma­schi­nen in Ber­lin ab­ge­baut und ver­la­gert wor­den sei­en, wer­de die Ta­ges­pro­duk­ti­on noch 1,1 Mio. Zi­ga­ret­ten be­tra­gen. Vor Be­ginn der Be­triebs­still­le­gung hätte sich der Ma­schi­nen­be­stand in Ber­lin auf 50 Ma­schi­nen be­lau­fen. In der Zeit von Ja­nu­ar 2011 bis Au­gust 2011 sei­en be­reits 26 Ma­schi­nen ab­ge­baut und an an­de­re Stand­or­te ver­la­gert wor­den. Die An­zahl der Mit­ar­bei­ter hätte sich in Ber­lin im glei­chen Zeit­raum durch Un­ter­neh­mens­aus­trit­te und Abgänge nach Lan­gen­ha­gen von ursprüng­lich 397 auf 343 Mit­ar­bei­ter ver­rin­gert. We­gen der lan­gen Kündi­gungs­frist sin­ke das Pro­duk­ti­ons­vo­lu­men stärker als die vor­han­de­nen Mit­ar­bei­ter­ka­pa­zitäten, so dass di­ver­se Be­triebs­ru­he­ta­ge ein­ge­legt wor­den sei­en. Die Ar­beit­neh­mer hätten seit März 2009 lau­fend mit ih­ren mo­nat­li­chen Lohn­ab­rech­nun­gen ei­ne schrift­li­che Auf­stel­lung mit ak­tu­ell zu be­set­zen­den frei­en Ar­beitsplätzen er­hal­ten (Bl. 400 ff. d. A.). Die Be­klag­te weist noch­mals dar­auf hin, dass das Stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren für Lan­gen­ha­gen schon am 8. Ok­to­ber 2010 ab­ge­schlos­sen ge­we­sen sei. Da der Kläger sich nie auf freie Stel­len be­wor­ben ha­be, sei es auch nicht treu­wid­rig ge­we­sen, die­se Stel­len zu be­set­zen. Es müsse aus­rei­chen, dass der Ar­beit­neh­mer wis­se, wel­che Kon­se­quen­zen ei­ne Ab­leh­nung der Stel­len­an­ge­bo­te ha­be.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

un­ter Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 04.05.2011 - 27 Ca 19523/10 - die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Der Kläger be­an­tragt,

1. die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen;

 

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2. für den Fall des Un­ter­lie­gens mit dem An­trag zu 1. un­ter Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 4. Mai 2011 (AZ: 27 Ca19523/10) die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, der kla­gen­den Par­tei ein An­ge­bot zum Ab­schluss der Vor­ru­he­stands­ver­ein­ba­rung (An­la­ge B11), be­ru­hend auf B. IV. Zif­fer 1 des So­zi­al­pla­nes zwi­schen der R. C. GmbH und dem Be­triebs­rat des Be­trie­bes Ber­lin der R. C. GmbH vom 27. Fe­bru­ar 2009, ab­zu­ge­ben;

3. für den Fall des Un­ter­lie­gens mit den Anträgen zu 1. und 2. un­ter Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 4. Mai 2011 (AZ: 27 Ca 19523/10) die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, die kla­gen­de Par­tei nach B. IV. des So­zi­al­pla­nes zwi­schen der R. C. GmbH und dem Be­triebs­rat des Be­trie­bes Ber­lin der R. C. GmbH vom 27. Ok­to­ber 2010 auf­zu­for­dern, schrift­lich un­be­dingt und un­wi­der­ruf­lich ge­genüber der Be­klag­ten zu erklären, dass sie um In­an­spruch­nah­me der Vor­ru­he­stands­re­ge­lung i. S. des Glie­de­rungs­punk­tes B. IV. des vor­ge­nann­ten So­zi­al­pla­nes bit­tet;

4. für den Fall des Ob­sie­gens mit dem An­trag zu 1. fest­zu­stel­len, dass die Be­klag­te ver­pflich­tet ist, für den Fall, dass sie ge­genüber der kla­gen­den Par­tei zukünf­tig ei­ne wirk­sa­me Kündi­gung noch aus­spre­chen wird ge­genüber der kla­gen­den Par­tei ein An­ge­bot auf Ab­schluss der Vor­ru­he­stands­ver­ein­ba­rung (An­la­ge B11) be­ru­hend auf Zif­fer B. IV. 1. des So­zi­al­pla­nes zwi­schen der R. C. GmbH und dem Be­triebs­rat des Be­trie­bes Ber­lin der R. C. GmbH vom 27. Ok­to­ber 2010 ab­zu­ge­ben.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung des Klägers zurück­zu­wei­sen.

Der Kläger ist wei­ter­hin der An­sicht, dass die Vor­ru­he­stands­re­ge­lung im So­zi­al­plan ei­ne un­ge­recht­fer­tig­te Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­le. Mit den vor­ru­he­stands­be­rech­tig­ten Ar­beit­neh­mern sei­en je­den­falls al­le die Ar­beit­neh­mer ver­gleich­bar, die eben­falls min­des­tens 15 Jah­re im Be­trieb beschäftigt ge­we­sen sei­en. Es lie­ge ei­ne sach­frem­de Grup­pen­bil­dung vor. So­weit hin­sicht­lich des Stich­ta­ges auf die Voll­endung des 53. Le­bens­jah­res ab­ge­stellt wer­de, sei dies willkürlich.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung des Klägers und der Be­klag­ten ha­ben je­weils kei­nen Er­folg. In­so­fern sind sie bei­de zurück­zu­wei­sen.

 

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I.

Die form- und frist­ge­recht ein­ge­leg­te und be­gründe­te Be­ru­fung der Be­klag­ten hat kei­nen Er­folg. Zu Recht hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin fest­ge­stellt, dass die Kündi­gung vom 1. De­zem­ber 2010 das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht auf­gelöst hat. Zu­tref­fend hat das Ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men, dass die durch den In­ter­es­sen­aus­gleich mit Na­mens­lis­te gem. § 1 Abs. 5 KSchG aus­gelöste Ver­mu­tungs­wir­kung (BAG vom 19.06.2007 - 2 AZR 304/06 - NZA 2008, 103) hier nicht be­steht, da nach den Kri­te­ri­en des BAG zum Vor­rang der Ände­rungskündi­gung (1.) die­se und nicht ei­ne Be­en­di­gungskündi­gung hätte aus­ge­spro­chen wer­den müssen. Es dürf­te viel dafür spre­chen, dass zum Kündi­gungs­zeit­punkt er­sicht­lich war, dass es während des Laufs der Kündi­gungs­frist freie Ar­beitsplätze für An­la­gen­tech­ni­ker in L. ge­ben wird (2.1). Nimmt man da­ge­gen an, dass die­se Ar­beitsplätze schon be­setzt wa­ren, dann kann sich die Be­klag­te un­ter dem Ge­sichts­punkt der Treu­wid­rig­keit hier­auf nicht be­ru­fen (2.2).

1. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist ein Ar­beit­ge­ber bei vor­han­de­nen frei­en Ar­beitsplätzen grundsätz­lich ver­pflich­tet, statt ei­ner be­triebs­be­ding­ten Be­en­di­gungskündi­gung ei­ne Ände­rungskündi­gung aus­zu­spre­chen. Hier­auf kann sich ein Ar­beit­neh­mer aber dann nicht be­ru­fen, wenn er zu­vor ein Ände­rungs­an­ge­bot vor­ge­halt­los und endgültig ab­ge­lehnt hat (BAG, 21.04.2005 - 2 AZR 132/04 - NZA 2005, 1289, 1293). Das BAG führt hier­zu fer­ner aus:

„Al­lein die Ab­leh­nung ei­nes der Kündi­gung vor­an­ge­gan­ge­nen An­ge­bots auf ein­ver­nehm­li­che Abände­rung des Ar­beits­verhält­nis­ses durch den Ar­beit­neh­mer ent­hebt den Ar­beit­ge­ber hin­ge­gen grundsätz­lich nicht von der Ver­pflich­tung, das Ände­rungs­an­ge­bot mit ei­ner nach­fol­gen­den Be­en­di­gungskündi­gung er­neut zu ver­bin­den (…). Denn die Ab­leh­nung der ein­verständ­li­chen Abände­rung schließt nicht aus, dass der Ar­beit­neh­mer be­reit ist, zu den geänder­ten Be­din­gun­gen wei­ter­zu­ar­bei­ten, wenn sich in ei­nem Ände­rungs­schutz­ver­fah­ren die Be­rech­ti­gung der Ände­rung her­aus­stellt (…). Des­halb ist der Ar­beit­ge­ber grundsätz­lich ver­pflich­tet, trotz der Ab­leh­nung ei­ner frei­wil­li­gen Ände­rung ei­ne Ände­rungskündi­gung aus­zu­spre­chen. Nur für den Fall, dass der Ar­beit­neh­mer bei der Ab­leh­nung des Ände­rungs­an­ge­bo­tes un­miss­verständ­lich zu er­ken­nen gibt, dass er un­ter gar kei­nen Umständen - auch nicht un­ter dem Vor­be­halt der so­zia­len Recht­fer­ti­gung - be­reit ist, zu den geänder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen zu ar­bei­ten, kann der Ar­beit­ge­ber ei­ne Be­en­di­gungskündi­gung aus­spre­chen (…). Der Ar­beit­ge­ber trägt im Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren die Dar­le­gungs- und Be­weis­last da­hin­ge­hend, dass der Ar­beit­neh­mer de­fi­ni­tiv und endgültig das Ände­rungs­an­ge­bot ab­ge­lehnt hat.“ (BAG, a. a. O.)

 

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In ei­ner wei­te­ren Ent­schei­dung vom glei­chen Tag führt das BAG aus, dass ei­ne Ände­rungskündi­gung nicht schon des­we­gen ent­behr­lich ist, weil der Ar­beit­neh­mer es ab­ge­lehnt hat, oh­ne Ein­hal­tung der Kündi­gungs­frist zu den geänder­ten Be­din­gun­gen zu ar­bei­ten (BAG, 21.04.2005 - 2 AZR 244/04 - NZA 2005, 1294).

2. Bei An­wen­dung die­ser Kri­te­ri­en hätte die Be­klag­te dem Kläger ge­genüber ei­ne Ände­rungskündi­gung aus­spre­chen müssen. Die­se hätte das An­ge­bot ent­hal­ten müssen, nach Aus­lau­fen der Kündi­gungs­frist das Ar­beits­verhält­nis als An­la­gen­tech­ni­ker in Lan­gen­ha­gen zu an­sons­ten un­veränder­ten Be­din­gun­gen fort­zu­set­zen.

2.1 In recht­li­cher Hin­sicht dürf­te da­von aus­zu­ge­hen sein, dass zum Kündi­gungs­zeit­punkt freie Ar­beitsplätze in Lan­gen­ha­gen vor­han­den wa­ren.

Die Be­klag­te hat - auch in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung - vor­ge­tra­gen, dass mit Ver­la­ge­rung der Ma­schi­nen und Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zitäten im ers­ten Halb­jahr 2011 dort suk­zes­si­ve Ar­beitsplätze ent­stan­den. Die­se Ar­beitsplätze sei­en je­doch spätes­tens am 8. Ok­to­ber 2010 mit den Ber­li­ner Ar­beit­neh­mern be­setzt wor­den, die ein In­ter­es­se an die­sen Plätzen an­ge­mel­det hätten.

Es spricht viel dafür, dass in ei­nem sol­chen Vor­ge­hen noch kei­ne Be­set­zung die­ser Ar­beitsplätze zu se­hen ist. Die Be­triebs­ver­ein­ba­rung Stel­len­be­set­zung re­gelt in § 4 Ziff. 4, dass die Ber­li­ner Mit­ar­bei­ter zunächst für ei­nen Zeit­raum von 6 Mo­na­ten be­fris­tet an den neu­en Stand­ort ver­setzt wer­den. Der Ar­beit­neh­mer kann während die­ser Zeit erklären, dass er die Ver­set­zung rückgängig ma­chen will. Macht der Ar­beit­neh­mer von sei­ner Rück­keh­r­op­ti­on kei­nen Ge­brauch, wird die ihm ge­genüber aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung hinfällig. Erst im An­schluss an die be­fris­te­te Ver­set­zung sieht die Be­triebs­ver­ein­ba­rung vor, dass ein un­be­fris­te­ter Ar­beits­ver­trag ge­schlos­sen wird.

Ei­ne ver­bind­li­che Be­set­zung die­ser frei­en Stel­len dürf­te so­mit erst mit Ab­schluss des „neu­en“ Ar­beits­ver­tra­ges er­fol­gen. In der Pha­se da­vor ist der Ar­beit­neh­mer teil­wei­se nur ge­dank­lich die­ser Stel­le zu­ge­ord­net. Frühes­tens ab Be­ginn des Jah­res 2011 mit der Ver­la­ge­rung der Ma­schi­nen nach Lan­gen­ha­gen kann ein Ber­li­ner Ar­beit­neh­mer die dor­ti­ge

 

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Stel­le tatsächlich ausfüllen. Ein endgülti­ger Zu­stand wird da­mit je­doch noch nicht ge­trof­fen, was sich ei­ner­seits aus dem Aus­spruch ei­ner be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung auch ge­genüber die­sen Ar­beit­neh­mern und an­de­rer­seits aus dem Rück­kehr­recht des Ar­beit­neh­mers er­gibt.

2.2 Un­ter­stellt man zu Guns­ten der Be­klag­ten, dass am 8. Ok­to­ber 2010 tatsächlich al­le zu die­sem Zeit­punkt nach Lan­gen­ha­gen wech­sel­be­rei­ten Ar­beit­neh­mer den dort künf­tig ent­ste­hen­den Stel­len zu­ge­ord­net wur­den und dass hier­in schon ei­ne endgülti­ge Stel­len­be­set­zung im recht­li­chen Sin­ne zu se­hen ist, so kann sich die Be­klag­te je­den­falls nicht auf das Feh­len ei­ner Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­keit be­ru­fen. Auch in die­sem Fall sind die Stel­len als frei an­zu­se­hen.

Nach der Recht­spre­chung des BAG sind grundsätz­lich nur sol­che Ar­beitsplätze frei, die zum Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gung un­be­setzt sind. Ei­ne so­zi­al­wid­ri­ge Kündi­gung liegt al­ler­dings auch dann vor, wenn zum Kündi­gungs­zeit­punkt zwar kei­ne Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­keit für den Ar­beit­neh­mer mehr be­stand, dem Ar­beit­ge­ber aber die Be­ru­fung auf das Feh­len ei­ner Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­keit ver­wehrt ist. Dies lei­tet das Bun­des­ar­beits­ge­richt aus dem in § 162 Abs. 1 und 2 BGB nor­mier­ten Rechts­ge­dan­ken her, wo­nach ein der­ar­ti­ger Zu­stand selbst nicht treu­wid­rig her­bei­geführt wer­den darf (BAG vom 06.12.2001 - 2 AZR 695/00 - EzA § 1 KSchG be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 115). Der Ar­beit­ge­ber hat es nicht in der Hand, den Kündi­gungs­schutz des Ar­beit­neh­mers da­durch zu un­ter­lau­fen, dass er zunächst ei­nen frei­en Ar­beits­platz be­setzt und erst später ei­ne Be­en­di­gungskündi­gung we­gen ei­ner feh­len­den Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­keit aus­spricht. Er­fol­gen die Be­set­zung der frei­en Stel­le und die Kündi­gung auf­grund ei­nes ein­heit­li­chen Ent­schlus­ses, so sind bei­de Erklärun­gen des Ar­beit­ge­bers bei der Prüfung der Vor­aus­set­zun­gen des § 1 II Satz 2 KSchG auch als Ein­heit zu würdi­gen. Ins­be­son­de­re liegt ein treu­wid­ri­ges, weil rechts­miss­bräuch­li­ches Ver­hal­ten dann vor, wenn für den Ar­beit­ge­ber zum Zeit­punkt der Stel­len­be­set­zung ein Aus­lau­fen der Beschäfti­gungsmöglich­keit für den später gekündig­ten Ar­beit­neh­mer be­reits ab­seh­bar war (BAG 25.04.2002 - 2 AZR 260/01 - NZA 2003, 605, 607).

Bei An­wen­dung die­ser Kri­te­ri­en wa­ren die in Ber­lin weg­fal­len­den und in L. neu ge­schaf­fe­nen Stel­len als Ein­heit zu würdi­gen, da bei­den Ent­wick­lun­gen ein ein­heit­li­cher Schluss der

 

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Be­klag­ten zu­grun­de lag, nämlich den Be­trieb in Ber­lin zu schließen und gleich­zei­tig Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zitäten nach L. zu ver­la­gern.

Die hier schon für den 8. Ok­to­ber 2010 un­ter­stell­te Be­set­zung der Stel­len in L. ist des­we­gen rechts­miss­bräuch­lich, weil durch das Vor­ge­hen der Be­klag­ten zwin­gen­de Kündi­gungs­schutz­vor­schrif­ten zu Las­ten des Klägers um­gan­gen wer­den.

Nach der un­ter Ziff. I. 1. dar­ge­stell­ten Recht­spre­chung des BAG hätte die Be­klag­te selbst dann ei­ne Ände­rungskündi­gung aus­spre­chen müssen, wenn der Kläger ein vor­an­ge­gan­ge­nes An­ge­bot auf ei­ne ein­ver­nehm­li­che Ände­rung des Ar­beits­verhält­nis­ses ab­ge­lehnt hätte. Ei­ne sol­che Ab­leh­nung des Klägers liegt je­doch nicht ein­mal vor. Statt ei­ner ak­ti­ven Äußerung des Klägers ist al­len­falls ein Schwei­gen auf das von der Be­klag­ten ein­ge­lei­te­te In­ter­es­sen­be­kun­dungs­ver­fah­ren fest­zu­stel­len.

Die man­geln­de Re­ak­ti­on des Klägers wird auch nicht nach § 4 Ziff. 1 der Be­triebs­ver­ein­ba­rung Stel­len­be­set­zung als „un­miss­verständ­li­che, ernst­haf­te und endgülti­ge“ Ab­leh­nungs­erklärung selbst für den Fall ei­ner Ände­rungskündi­gung fin­giert. Durch kol­lek­tiv­recht­li­che Re­ge­lun­gen auch in Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen kann das zwin­gen­de Kündi­gungs­schutz­recht nicht be­schränkt wer­den (KR-Grie­be­ling § 1 KSchG Rn. 31), so dass die­se Fik­ti­on nicht greift. Auch in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung räum­te die Be­klag­te ein, dass ei­ne sol­che Re­ge­lung nicht zulässig sei.

Das Vor­ge­hen der Be­klag­ten in Ver­bin­dung mit der Be­triebs­ver­ein­ba­rung Stel­len­be­set­zung sieht nur die Möglich­keit der Ber­li­ner Ar­beit­neh­mer vor, Stel­len in L. ein­ver­nehm­lich zu be­set­zen. Ei­ne Möglich­keit, die geänder­ten Ver­trags­be­din­gun­gen un­ter Vor­be­halt an­zu­neh­men und ge­richt­lich über­prüfen zu las­sen, war nicht ein­geräumt wor­den. Ge­ra­de weil ei­ne sol­che Möglich­keit nicht be­stand, konn­te ein ir­gend­wie ge­ar­te­tes pas­si­ves Ver­hal­ten der Ar­beit­neh­mer auch nicht da­hin­ge­hend aus­ge­legt wer­den, dass auch die­se Möglich­keit von ih­nen aus­ge­schlos­sen wird.

An­ge­sichts der lan­gen Kündi­gungs­fris­ten der Ber­li­ner Ar­beit­neh­mer, die über­wie­gend min­des­tens 15 Mo­na­te be­trug (vgl. An­la­ge B5, Bl. 140 ff. d. A.), dürf­te ei­ne ein­ver­nehm­li­che Ver­tragsände­rung in Ver­bin­dung mit der sechs­mo­na­ti­gen be­fris­te­ten Ver­set­zung nach L. auf

 

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ei­nen Ver­zicht der Ein­hal­tung der Kündi­gungs­frist hin­aus­lau­fen. Auch hier­zu wäre der Kläger, des­sen Kündi­gungs­frist 21 Mo­na­te be­trug, nicht ver­pflich­tet.

2.3 Vor­lie­gend kann of­fen blei­ben, ob die Kündi­gung vom 1. De­zem­ber 2010 auch aus an­de­ren Gründen un­wirk­sam ist. In­so­fern muss nicht geklärt wer­den, ob die im An­la­gen­kon­vo­lut B21 auf­ge­lis­te­ten Stel­len als An­la­gen­tech­ni­ker in L. dem Kläger schon des­we­gen per Ände­rungskündi­gung hätten an­ge­bo­ten wer­den müssen, weil die­se Stel­len schon zum Kündi­gungs­zeit­punkt frei wa­ren. Die Be­klag­te hat­te sich in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung da­hin­ge­hend ein­ge­las­sen, dass es sich in­so­fern um Stel­len ge­han­delt ha­ben könn­te, für die sich ursprüng­lich Ber­li­ner Ar­beit­neh­mer ge­mel­det hat­ten, die später je­doch von ih­rer Rück­keh­r­op­ti­on Ge­brauch ge­macht hätten.

3. Auf­grund der ein­sei­ti­gen Er­le­di­gungs­erklärung des Klägers in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung war bzgl. des Wei­ter­beschäfti­gungs­an­tra­ges fest­zu­stel­len, dass der Rechts­streit sich (in­zwi­schen) er­le­digt hat. Ursprüng­lich hat­te das Ar­beits­ge­richt Ber­lin we­gen der statt­ge­ben­den Kündi­gungs­ent­schei­dung auch zu Recht dem Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch ent­spro­chen. Erst durch die da­nach aus­ge­spro­che­ne nun­meh­ri­ge Ände­rungskündi­gung hat sich der hie­si­ge An­spruch als un­be­gründet er­wie­sen, weil die­se zwei­te Kündi­gung nicht of­fen­sicht­lich un­wirk­sam ist. We­gen die­ses nach­fol­gen­den Er­eig­nis­ses ist der Rechts­streit in die­sem Teil­punkt nun­mehr er­le­digt, was auf ein­sei­ti­gen An­trag des Klägers fest­zu­stel­len war.

II.

Die form- und frist­ge­recht ein­ge­leg­te und be­gründe­te Be­ru­fung des Klägers hat in der Sa­che kei­nen Er­folg. Da die Anträge zu 2. und 3. zu­letzt nur für den Fall des Un­ter­lie­gens u. a. mit dem An­trag zu 1. ge­stellt wur­den, war hier nur noch über den An­trag zu 4. zu ent­schei­den. Die Be­klag­te ist je­doch nicht ver­pflich­tet, ge­genüber dem Kläger ein An­ge­bot auf Ab­schluss ei­ner Vor­ru­he­stands­ver­ein­ba­rung nach dem So­zi­al­plan ab­zu­ge­ben.

1. Der nun­mehr noch wei­ter­ver­folg­te Fest­stel­lungs­an­trag ist zulässig. Das gem. § 256 ZPO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se ist ge­ge­ben.

 

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Der Kläger be­geht die Fest­stel­lung ei­nes Rechts­verhält­nis­ses, nämlich die Pflicht der Be­klag­ten, ihm ein An­ge­bot auf Ab­schluss ei­ner Vor­ru­he­stands­ver­ein­ba­rung zu un­ter­brei­ten. Das als­bal­di­ge Fest­stel­lungs­in­ter­es­se ist eben­falls ge­ge­ben, auch so­weit in den An­trag des Klägers ei­ne künf­ti­ge Be­din­gung, nämlich ei­ne wirk­sa­me Kündi­gung, auf­ge­nom­men wor­den ist. Zwar wäre es denk­bar, über ei­ne mögli­che Ver­pflich­tung der Be­klag­ten erst dann zu ent­schei­den, wenn tatsächlich recht­lich fest­steht, dass ei­ne wirk­sa­me Kündi­gung der Be­klag­ten vor­liegt. Trotz die­ser Möglich­keit be­steht schon jetzt ein Fest­stel­lungs­in­ter­es­se für die­sen An­trag des Klägers. Soll­te sei­nem An­trag statt­zu­ge­ben sein, mag es für den Kläger durch­aus at­trak­tiv er­schei­nen, durch Kla­gerück­nah­me bzgl. der zwei­ten oder ei­ner an­de­ren künf­ti­gen Kündi­gung de­ren Wirk­sam­keit selbst her­zu­stel­len. Für der­ar­ti­ge Über­le­gun­gen ist es je­doch ent­schei­dend zu wis­sen, wel­che Ansprüche nach dem So­zi­al­plan dem Kläger zu­ste­hen. Im Übri­gen dürf­te es durch­aus rea­lis­tisch sein, das an­ge­sichts des Vor­tra­ges der Be­klag­ten bzgl. der Be­triebs­still­le­gung am Stand­ort Ber­lin ir­gend­wann mit ei­ner wirk­sa­men Kündi­gung zu rech­nen ist. Pro­zessöko­no­mi­sche Gründe spre­chen da­her eben­falls für ein Fest­stel­lungs­in­ter­es­se.

2. Der kläge­ri­sche An­trag ist je­doch nicht be­gründet. Im Ge­gen­satz zur Auf­fas­sung des Klägers liegt ei­ne un­zulässi­ge Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters (§ 7 I, 1 ArbGG) nicht vor.

2.1 Mit dem Kläger ist je­doch da­von aus­zu­ge­hen, dass ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters durch die Re­ge­lung im So­zi­al­plan ge­ge­ben ist. Dies er­gibt sich dar­aus, dass die vor­ru­he­stands­be­rech­tig­ten Ar­beit­neh­mer im Durch­schnitt höhe­re Leis­tun­gen er­hal­ten als die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer, die nur Ansprüche auf Ab­fin­dung ha­ben. Dies er­gibt sich schon aus der von der Be­klag­ten ein­ge­reich­ten An­la­ge B7 (Bl. 190 d. A.). Da­nach beträgt der durch­schnitt al­ler Ab­fin­dungs­zah­lun­gen bei 270 Ar­beit­neh­mern 146.928,-- €, der für die Al­ters­grup­pe ab 50 Jah­ren 168.276,-- €, während für die 116 Vor­ru­he­stands­be­rech­tig­ten im Durch­schnitt 249.929,--€ auf­ge­wen­det wer­den. Die Kos­ten für die Zei­ten, für die nach § 14 MTV eben­falls ein An­spruch auf Vor­ru­he­stand be­steht, müssen im Ge­gen­satz zur Auf­fas­sung der Be­klag­ten mit­ge­rech­net wer­den. § 14 MTV gewährt ein Recht auf Vor­ru­he­stand für 24 - 30 Mo­na­te vor dem frühestmögli­chen Zeit­punkt des Be­zu­ges von Al­ters­ren­te. Be­zo­gen auf den Stich­tag des 31. März 2012 kann dies so­mit nur Ar­beit­neh­mer be­tref­fen, die vor dem 30. Sep­tem­ber 1951 ge­bo­ren wur­den. Am Stich­tag konn­ten aus­weis­lich der von der Be­klag­ten ein­ge­reich­ten An­la­ge B5 (Bl. 140 ff. d. A.) kein ein­zi­ger

 

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Ar­beit­neh­mer die­se ta­rif­li­che Re­ge­lung di­rekt in An­spruch neh­men, da die dort auf­ge­lis­te­ten Ar­beit­neh­mer al­le jünger sind. Da­mit be­gründet der So­zi­al­plan ori­ginäre Ansprüche auf Vor­ru­he­stands­leis­tun­gen für al­le 116 Ar­beit­neh­mer auch für die letz­ten max. 2 ½ Jah­re.

2.2 Die Un­gleich­be­hand­lung des Klägers im Verhält­nis zu den Ar­beit­neh­mern, die am Stich­tag schon das 53. Le­bens­jahr voll­endet hat­ten, ist je­doch ge­recht­fer­tigt. Nach § 10 Satz 1, 2 AGG ist ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters zulässig, wenn sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist. Die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels müssen an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein. Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind vor­lie­gend erfüllt.

Der Vor­ru­he­stands­be­zug dient der Über­g­angs­ver­sor­gung bis zum Be­zug der Al­ters­ren­te (BAG 15.02.2011 - 9 AZR 750/09 - NZA 2011 Rn. 37). Die Durch­schnitts­dau­er der Ar­beits­lo­sig­keit be­trug im Jah­re 2007 bei den 20 - 29-jähri­gen 200 Ta­ge und stieg kon­ti­nu­ier­lich an, um bei den 50 - 54-jähri­gen 415 Ta­ge zu er­rei­chen (BAG vom 12.04.2011 - 1 AZR 743/09 - NZA 2011, 985 Rn. 26). Dies macht deut­lich, dass das Ri­si­ko des Ver­bleibs in der Ar­beits­lo­sig­keit be­reits nach Voll­endung des 25. Le­bens­jah­res in Fünf-Jah­res-Stu­fen ste­tig an­steigt (BAG a. a. O.). Da für So­zi­alpläne re­gelmäßig nur be­grenz­te Mit­tel zur Verfügung ste­hen, ist es nach An­sicht des BAG er­for­der­lich, dass die Be­triebs­par­tei­en ei­ne un­gleichmäßige Ver­tei­lung die­ser Mit­tel so­wie die Be­vor­zu­gung älte­rer Ar­beit­neh­mer ge­stat­ten (BAG 26.05.2009 - 1 AZR 198/08 - NZA 2009, 849 Rn. 44). Den Be­triebs­par­tei­en steht bzgl. der ih­rer Mei­nung nach aus­gleichs­bedürf­ti­gen Nach­tei­le ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu. Darüber hin­aus ha­ben sie ei­nen Ge­stal­tungs­spiel­raum, ob, in wel­chem Um­fang und wie sie die pro­gnos­ti­zier­ten wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le aus­glei­chen oder ab­mil­dern wol­len (BAG 12.04.2011 a. a. O. Rn. 25). Darüber hin­aus können die Be­triebs­par­tei­en in den So­zi­alplänen Stich­ta­ge vor­se­hen, wenn die­se selbst und die da­mit ver­bun­de­ne Grenz­zie­hung am ge­ge­be­nen Sach­ver­halt ori­en­tiert und so­mit sach­lich ver­tret­bar sind (BAG vom 26.05.2009 a. a. O. Rn 52).

Bei An­wen­dung die­ser Kri­te­ri­en war die Re­ge­lung im So­zi­al­plan, wo­nach vor­ru­he­stands­be­rech­tigt u. a. nur die Ar­beit­neh­mer sind, die am Stich­tag des 31. März 2012 das 53. Le­bens­jahr voll­endet hat­ten, nicht zu be­an­stan­den.

 

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Die Möglich­keit des Vor­ru­he­stands­be­zu­ges gleicht Nach­tei­le aus, die sich ins­be­son­de­re für älte­re Ar­beit­neh­mer er­ge­ben. Ge­gen die An­ge­mes­sen­heit und Er­for­der­lich­keit spricht ins­be­son­de­re nicht, dass we­gen der Vor­ru­he­stands­leis­tun­gen die Ab­fin­dungs­beträge für die übri­gen Ar­beit­neh­mer un­an­ge­mes­sen nied­rig aus­ge­fal­len wären (vgl. BAG 12.04.2011 a. a. O. Rn. 30). So erhält der Kläger im Hin­blick auf sei­ne fast 24-jähri­ge Be­triebs­zu­gehörig­keit ei­ne Ab­fin­dung in Höhe von 196.233,33 €. Dies ent­spricht mehr als dem dreijähri­gen Be­zug sei­ner Gehälter. In der Al­ters­grup­pe des Klägers be­trug im Jah­re 2007 die durch­schnitt­li­che Ar­beits­lo­sig­keit 362 Ta­ge (BAG 12.04.2011 a. a. O. Rn. 26). In­so­fern deckt die Ab­fin­dungs­leis­tung an den Kläger er­heb­lich mehr ab als das durch­schnitt­li­che Ri­si­ko der Ar­beits­lo­sig­keit. Trotz der höhe­ren Zah­lun­gen an die Vor­ru­he­stands­be­rech­tig­ten stellt sich da­mit die Ab­fin­dungs­re­ge­lung für die übri­gen Beschäftig­ten nicht als un­an­ge­mes­sen ge­ring dar. Im Ge­gen­satz zur Auf­fas­sung des Klägers ist auch nicht der Stich­tag willkürlich gewählt. Ge­ra­de weil Mit­tel für So­zi­alpläne re­gelmäßig nur be­grenzt zur Verfügung ste­hen, muss für die Vor­ru­he­stands­leis­tun­gen ein sinn­vol­ler Stich­tag gewählt wer­den. Die An­knüpfung an die Voll­endung des 53. Le­bens­jah­res ist an­ge­mes­sen. Durch­aus zu Recht ver­weist die Be­klag­te auf die ge­setz­li­che Re­ge­lung des § 14 Abs. 3 Tz­B­fG, wo­nach schon ab dem 52. Le­bens­jahr die Möglich­keit be­fris­te­ter Ar­beits­verträge er­leich­tert wird mit dem Ziel, die In­te­gra­ti­on älte­rer Ar­beit­neh­mer in den Ar­beits­markt zu fördern. An­ge­sichts des Be­ur­tei­lungs­spiel­raums der Be­triebs­par­tei­en ist die Grenz­zie­hung am ge­ge­be­nen Sach­ver­halt ori­en­tiert und so­mit sach­lich ver­tret­bar.

Da sich schon nach den obi­gen Ausführun­gen die Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters als zulässig er­wie­sen hat, braucht nicht ent­schie­den zu wer­den, ob die­se Un­gleich­be­hand­lung auch nach § 10 Satz 3 Ziff. 6 AGG ge­recht­fer­tigt wäre. Zwei­fel können sich in­so­fern er­ge­ben, weil nach die­ser Norm be­stimm­te Dif­fe­ren­zie­run­gen in So­zi­alplänen we­gen des Al­ters oder der Be­triebs­zu­gehörig­keit ge­recht­fer­tigt sind. Vor­lie­gend knüpft die So­zi­al­plan­re­ge­lung je­doch an das Al­ter und an die Be­triebs­zu­gehörig­keit an. Die An­knüpfung an bei­de Tat­be­stands­merk­ma­le soll nach über­wie­gen­der Auf­fas­sung trotz des Wort­lau­tes möglich sein (Schleu­se­ner/Suckow/Voigt-Voigt § 10 AGG Rn. 57; Oel­kes NJW 2008, 614).

2.3 Der An­spruch des Klägers stellt sich auch aus ei­nem an­de­ren Grund als nicht ge­recht­fer­tigt dar. Der Kläger ist der An­sicht, dass sämt­li­che Ar­beit­neh­mer Vor­ru­he­stands­leis­tun­gen ent­spre­chend den Re­ge­lun­gen des So­zi­al­pla­nes in An­spruch

 

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neh­men dürf­ten, so­weit sie min­des­tens 15 Jahr im Be­trieb der Be­klag­ten tätig wa­ren. Dies lie­fe dar­auf hin­aus, das Ge­samt­vo­lu­men des So­zi­al­pla­nes in un­zulässi­ger Wei­se nach oben an­zu­he­ben.

Es ent­spricht ständi­ger Recht­spre­chung des BAG, das ein­zel­ne Be­stim­mun­gen ei­nes So­zi­al­pla­nes bei Un­wirk­sam­keit da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen sind, dass die ent­spre­chen­den Ansprüche auch den be­nach­tei­lig­ten Ar­beit­neh­mern zu­ste­hen. Die hier­mit mit­tel­bar ver­bun­de­ne Aus­deh­nung des ver­ein­bar­ten Fi­nanz­vo­lu­mens ist so lan­ge hin­zu­neh­men wie die Mehr­be­las­tung des Ar­beit­ge­bers durch die Kor­rek­tur im Verhält­nis zum Ge­samt­vo­lu­men ei­nes So­zi­al­pla­nes nicht „ins Ge­wicht fällt“ (BAG 21.10.2003 - 1 AZR 407/02 - NZA 2004, 559, ju­ris Rn. 21; Däubler/Berz­bach-Brors § 10 AGG Rn. 136). Wäre die An­sicht des Klägers zu­tref­fend, käme es zu ei­ner ganz er­heb­li­chen Kor­rek­tur des So­zi­al­plan­vo­lu­mens. Nach der von der Be­klag­ten ein­ge­reich­ten An­la­ge B7 (Bl. 190 d. A.) be­tra­gen die Ab­fin­dungs­zah­lun­gen für 270 Mit­ar­bei­ter rund 40 Mio. Eu­ro und die Vor­ru­he­stands­leis­tun­gen für wei­te­re 116 Ar­beit­neh­mer rund 29 Mio. Eu­ro. Die­se 116 Ar­beit­neh­mer könn­ten je­doch max. für 10 Jah­re Vor­ru­he­stands­leis­tun­gen in An­spruch neh­men. Im An­la­gen­kon­vo­lut B5 hat die Be­klag­te sämt­li­che Mit­ar­bei­ter mit ih­rem Ge­burts­da­tum, dem Ein­tritts­da­tum im Be­trieb, dem Mo­nats­ent­gelt und den Leis­tun­gen nach dem So­zi­al­plan auf­ge­lis­tet. Bis auf ei­nen Ar­beit­neh­mer sind sämt­li­che Beschäftig­te, die den Grup­pen mit 9, 12 und 15 Mo­na­ten Kündi­gungs­frist zu­ge­rech­net wur­den, länger als 15 Jah­re im Be­trieb. Dies sind al­lein 200 Ar­beit­neh­mer. Schon für die­se 200 Ar­beit­neh­mer dürf­te das So­zi­al­plan­vo­lu­men min­des­tens dem dop­pel­ten Be­trag ent­spre­chen, der be­reits jetzt für die 116 Ar­beit­neh­mer und ih­re Vor­ru­he­stands­leis­tun­gen auf­ge­wen­det wird. Das So­zi­al­plan­vo­lu­men dürf­te sich so­mit min­des­tens um wei­te­re ca. 60 Mio. Eu­ro erhöhen, da die wei­te­ren Be­zugs­be­rech­tig­ten auf­grund ih­res ge­rin­ge­ren Le­bens­al­ters deut­lich länger Vor­ru­he­stands­leis­tun­gen in An­spruch neh­men könn­ten. Da­mit fällt die Verände­rung des Ge­samt­vo­lu­mens des So­zi­al­pla­nes deut­lich in Ge­wicht.

III.

Die Kos­ten­ent­schei­dung er­gibt sich aus § 92 ZPO. Hier­bei wa­ren der Kündi­gungs­schutz­an­trag des Klägers und der An­trag bzgl. der Vor­ru­he­stands­leis­tun­gen je­weils mit drei Brut­to­mo­nats­ent­gel­ten und der Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch mit ei­nem wei­te­ren Brut­to­mo­nats­ent­gelt zu­grun­de ge­legt wor­den.

 

- 16 - 

Die Vor­aus­set­zun­gen für die Zu­las­sung der Re­vi­si­on lie­gen nicht. Auf die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de (§ 72 a ArbGG) wird hin­ge­wie­sen.


K.

Dr. B.

B.

 

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