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BAG, Ur­teil vom 12.04.2011, 1 AZR 412/09

   
Schlagworte: Betriebsvereinbarung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 1 AZR 412/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 12.04.2011
   
Leitsätze: Die Betriebsparteien können den Anspruch auf eine im Synallagma stehende variable Erfolgsvergütung nicht davon abhängig machen, dass das Arbeitsverhältnis zu einem Auszahlungstag außerhalb des Bezugszeitraums vom Arbeitnehmer nicht gekündigt wird.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 26.09.2008, 1 Ca 3987/08
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 28.04.2009, 17 Sa 1522/08
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

1 AZR 412/09

17 Sa 1522/08

Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am 12. April 2011

UR­TEIL

Klapp, Ur­kunds­be­am­ter der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Ers­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 12. April 2011 durch die Präsi­den­tin des Bun­des­ar­beits­ge­richts Schmidt, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Linck und Prof. Dr. Koch so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Rath und Kunz für Recht er­kannt:


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1. Auf die Re­vi­si­on des Klägers wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 28. April 2009 - 17 Sa 1522/08 - teil­wei­se auf­ge­ho­ben.

2. Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 26. Sep­tem­ber 2008 - 1 Ca 3987/08 - teil­wei­se ab­geändert und ins­ge­samt neu ge­fasst:

Die Be­klag­te wird un­ter Ab­wei­sung der wei­ter­ge­hen­den Kla­ge ver­ur­teilt, an den Kläger 18.304,00 Eu­ro nebst Zin­sen von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 16. Ju­li 2008 zu zah­len.

3. Im Übri­gen wer­den die Re­vi­si­on und die Be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen.

4. Die Kos­ten des Rechts­streits ha­ben der Kläger zu 1/5 und die Be­klag­te zu 4/5 zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über ei­ne va­ria­ble Er­folgs­vergütung.

Der Kläger war seit Au­gust 1999 bei der be­klag­ten Bank zu­letzt als

Fir­men­kun­den­be­treu­er beschäftigt. Er kündig­te das Ar­beits­verhält­nis mit der ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Kündi­gungs­frist von sechs Mo­na­ten zum Quar­tals­en­de zum Ab­lauf des 30. Ju­ni 2008. Auf­grund ei­ner an­sch­ließend ge­trof­fe­nen Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung schied der Kläger zum En­de des Geschäfts­jah­res 2007/2008 am 31. März 2008 aus.

Nach § 3 des Ar­beits­ver­trags vom 6. März 2001 er­hielt der Kläger ein

Fest­ge­halt von 8.000,00 DM so­wie ein 13. Mo­nats­ge­halt, das bei Ein­tritt bzw. Aus­tritt im lau­fen­den Ka­len­der­jahr zeit­an­tei­lig zu zah­len war. Wei­ter heißt es in § 3 des Ar­beits­ver­trags:


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Va­ria­ble Er­folgs­vergütung (VE)

Die nach Be­en­di­gung ei­nes Geschäfts­jah­res von der Bank an Sie aus­zu­zah­len­de va­ria­ble Er­folgs­vergütung er­folgt gemäß der ent­spre­chen­den Be­triebs­ver­ein­ba­rung auf der Grund­la­ge ei­ner in­di­vi­du­ell fest­ge­leg­ten Ziel­größe (Ziel-VE). In Ih­rem Fal­le setz­ten wir für das ers­te vol­le Geschäfts­jahr Ih­rer Tätig­keit ei­ne Ziel-VE in Höhe von DM 7.200,-- ... brut­to fest. ...

Ab­gel­tung/Aus­schluß

Mit der Zah­lung der ver­ein­bar­ten Bezüge ist die Leis­tung von Mehr­ar­beit ab­ge­gol­ten. ...“

Die zwi­schen dem Ge­samt­be­triebs­rat und dem Vor­stand ab-

ge­schlos­se­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung „Va­ria­ble Er­folgs­vergütung“ vom 20. Fe­bru­ar 2001 (BV VE) lau­tet:

„Präam­bel

...

Mit die­ser neu­en VE-Re­ge­lung wird die Aus­rich­tung al­ler Ak­ti­vitäten auf die geschäfts­po­li­ti­schen Zie­le verstärkt, ei­ne nach­hal­ti­ge adäqua­te Ri­si­ko- und Qua­litäts­steue­rung er­reicht und der ver­netz­te Ver­trieb for­ciert. Wir er­war­ten hier­durch ei­ne Mo­bi­li­sie­rung al­ler Po­ten­tia­le der Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter ... da­durch, dass her­vor­ra­gen­de Leis­tun­gen auch ent­spre­chend ho­no­riert wer­den können. ...

§ 2 Ziel-VE

Grund­la­ge der va­ria­blen Er­folgs­vergütung ist ei­ne in­di­vi­du­el­le Ziel-VE, die je­dem Mit­ar­bei­ter im vor­aus ge­nannt wird. ...

...

Die Ist-VE wird je­weils mit den Bezügen für den Mo­nat Ju­li aus­ge­zahlt, wenn der Mit­ar­bei­ter die mit ihm ver­ein­bar­ten Zie­le er­reicht und der Geschäfts­ver­lauf der Bank - be­zo­gen auf die Er­geb­nis­pla­nung - den Er­war­tun­gen ent­spricht.“


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Nach § 3 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 BV VE ver­ein­ba­ren die Führungs­kraft

und der Mit­ar­bei­ter für das an­ste­hen­de Geschäfts­jahr drei bis fünf Zie­le, die quan­ti­ta­ti­ve und qua­li­ta­ti­ve Ziel­größen aus den in der BV VE ge­nann­ten Ziel­be­rei­chen ab­de­cken sol­len. Die er­folgs­abhängi­ge Vergütung (Ist-VE) er­gibt sich aus der Mul­ti­pli­ka­ti­on der in­di­vi­du­el­len Ziel-VE, ei­nem auf­grund der in­di­vi­du­el­len Ziel­er­rei­chung fest­ge­setz­ten Leis­tungs­fak­tor so­wie dem Er­geb­nis­fak­tor, der sich nach ei­ner von der Be­klag­ten zu be­stim­men­den „Per­for­mance des Kon­zerns“ er­rech­net.

Wei­ter heißt es in der BV VE:

§ 8 Aus­nah­men

Ei­ne Ist-VE kommt nicht zur Aus­zah­lung, wenn der Mit­ar­bei­ter un­terjährig durch Kündi­gung aus­schei­det oder bis zum Aus­zah­lungs­tag das Ar­beits­verhält­nis gekündigt wird. Bei Aus­tritt durch Er­rei­chen der Al­ters­gren­ze oder Vor­ru­he­stand so­wie bei Mut­ter­schutz-/Er­zie­hungs­ur­laub und Er­werbs­unfähig­keit kommt die Ist-VE pro ra­ta tem­po­ris zur Aus­zah­lung.

...

In Fällen ei­nes un­terjähri­gen Ein­tritts er­folgt die Zah­lung der Ist-VE pro ra­ta tem­po­ris ent­spre­chend der persönli­chen Ziel­er­rei­chung.“

Nach ei­ner Bezüge­mit­tei­lung vom 12. Ju­ni 2007 be­trug das mo­nat­li­che

Fix­ge­halt des Klägers 6.160,00 Eu­ro brut­to so­wie die Ziel-VE für das Geschäfts­jahr 2007/2008 16.000,00 Eu­ro brut­to. Der Kläger, der im Geschäfts­jahr 2007/2008 ei­nen Leis­tungs­fak­tor von 1,43 er­reich­te, ver­lang­te von der Be­klag­ten die Zah­lung ei­ner va­ria­blen Er­folgs­vergütung iHv. 22.880,00 Eu­ro, was die­se un­ter Hin­weis auf § 8 Abs. 1 BV VE ab­lehn­te.

Mit sei­ner am 14. Ju­li 2008 zu­ge­stell­ten Kla­ge hat der Kläger die Auf-

fas­sung ver­tre­ten, dass sich ein An­spruch auf die va­ria­ble Er­folgs­vergütung für das Geschäfts­jahr 2007/2008 be­reits aus dem Ar­beits­ver­trag er­ge­be. Der in § 8 Abs. 1 BV VE ent­hal­te­ne An­spruchs­aus­schluss sei un­wirk­sam. Die Vor­schrift ent­hal­te ei­ne über­ra­schen­de Klau­sel und stel­le darüber hin­aus ei­ne un­an­ge­mes­se­ne Be­nach­tei­li­gung der durch Kündi­gung aus­schei­den­den Ar­beit­neh­mer dar. An­ge­sichts sei­ner in­di­vi­du­el­len Kündi­gungs­frist von sechs


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Mo­na­ten zum Quar­tals­en­de be­wir­ke die Vor­schrift ei­ne un­zulässi­ge Kündi­gungs­er­schwer­nis. § 8 Abs. 1 BV VE ver­s­toße zu­dem ge­gen § 75 Abs. 1 Be­trVG; bei der er­folgs­abhängi­gen Vergütung han­de­le es sich um Ent­gelt im en­ge­ren Sin­ne, das der Dis­po­si­ti­on der Be­triebs­par­tei­en ent­zo­gen sei.

Der Kläger hat be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 22.880,00 Eu­ro brut­to

nebst Zin­sen von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit Rechtshängig­keit zu zah­len.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Sie hat be­haup­tet, der Er-

geb­nis­fak­tor sei we­gen des schlech­ten Be­triebs­er­geb­nis­ses nur auf 0,8 fest­ge­setzt wor­den, so­dass dem Kläger al­len­falls 18.304,00 Eu­ro zustünden.

Die Vor­in­stan­zen ha­ben die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on ver-

folgt der Kläger sei­nen Zah­lungs­an­trag wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on des Klägers ist über­wie­gend be­gründet. Der

Kläger hat An­spruch auf ei­ne va­ria­ble Er­folgs­vergütung für das Geschäfts­jahr 2007/2008 iHv. 18.304,00 Eu­ro.

I. Der An­spruch auf die Zah­lung der va­ria­blen Er­folgs­vergütung folgt aus

§ 2 BV VE.

1. Nach die­ser Vor­schrift ist Grund­la­ge der va­ria­blen Er­folgs­vergütung die

von der Be­klag­ten mit­zu­tei­len­de Ziel-VE, die mit dem in­di­vi­du­el­len Leis­tungs­fak­tor (§ 5 BV VE) und dem vom Un­ter­neh­mens­er­folg abhängi­gen Er­geb­nis­fak­tor (§ 6 BV VE) zu mul­ti­pli­zie­ren ist. Ent­spre­chend dem un­strei­ti­gen Par­tei­vor­brin­gen er­rech­net sich die va­ria­ble Er­folgs­vergütung des Klägers aus­ge­hend von der im Schrei­ben vom 12. Ju­ni 2007 mit­ge­teil­ten in­di­vi­du­el­len Ziel-VE von 16.000,00 Eu­ro so­wie ei­nem Leis­tungs­fak­tor von 1,43 und dem Er­geb­nis­fak­tor für das Geschäfts­jahr 2007/2008 von 0,8 mit 18.304,00 Eu­ro. Ein wei­ter-

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ge­hen­der, auf der Grund­la­ge ei­nes Er­geb­nis­fak­tors von 1,0 zu er­rech­nen­der An­spruch steht dem Kläger nicht zu. Die­ser ist dem Vor­trag der Be­klag­ten, wo­nach der Er­geb­nis­fak­tor in die­sem Geschäfts­jahr we­gen ih­rer schwie­ri­gen wirt­schaft­li­chen La­ge le­dig­lich 0,8 be­tra­gen hat, zu­letzt nicht mehr ent­ge­gen­ge­tre­ten, so­dass die­se Tat­sa­che nach § 138 Abs. 3 ZPO als zu­ge­stan­den gilt.

2. Die in § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BV VE ent­hal­te­ne Stich­tags­re­ge­lung,

wo­nach ei­ne va­ria­ble Er­folgs­vergütung nicht zur Aus­zah­lung kommt, wenn das Ar­beits­verhält­nis bis zum Aus­zah­lungs­tag gekündigt wird, steht dem An­spruch nicht ent­ge­gen. Die­se Re­ge­lung ist mit höher­ran­gi­gem Recht nicht ver­ein­bar.

a) § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BV VE be­stimmt, dass die va­ria­ble Er­folgs-
vergütung an sol­che Ar­beit­neh­mer nicht aus­ge­zahlt wird, die im lau­fen­den Geschäfts­jahr un­terjährig durch Kündi­gung aus­schei­den. Hin­ge­gen er­fasst der 2. Halbs. nur Ar­beits­verhält­nis­se, die durch den Ar­beit­neh­mer zwi­schen dem En­de des Geschäfts­jah­res bis zum Aus­zah­lungs­tag gekündigt wer­den. Die Ver­wen­dung des Pas­sivs „gekündigt wird“ lässt zwar of­fen, von wel­cher Ar­beits­ver­trags­par­tei die Kündi­gung aus­geht. Doch spre­chen die Re­ge­lungs­sys­te­ma­tik so­wie das dar­in zum Aus­druck kom­men­de In­ter­es­se der Be­klag­ten, ei­ne Ei­genkündi­gung zu ver­hin­dern oder zu­min­dest zu er­schwe­ren, dafür, dass die Be­triebs­par­tei­en die Stich­tags­re­ge­lung nur an ei­ne vom Ar­beit­neh­mer aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung knüpfen woll­ten und ei­ne sol­che des Ar­beit­ge­bers als aus­zah­lungs­unschädlich be­trach­ten.

b) Die in § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BV VE ent­hal­te­ne Stich­tags­re­ge­lung
un­terfällt nicht der Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats nach § 87 Abs. 1 Be­trVG. Sie be­trifft we­der ei­nen Ver­tei­lungs­grund­satz nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 Be­trVG noch re­gelt sie die Aus­zah­lung des Ar­beits­ent­gelts nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 Be­trVG. Die­ser Mit­be­stim­mungs­tat­be­stand er­fasst die Umstände bei der Aus­zah­lung des Ar­beits­ent­gelts (Wie­se GK-Be­trVG 9. Aufl. § 87 Rn. 426; Fit­ting 25. Aufl. § 87 Rn. 179). Da­zu gehören die Vor­aus­set­zun­gen, un­ter de­nen der Ent­gelt­an­spruch un­ter­geht, nicht.


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c) Die Be­triebs­par­tei­en konn­ten den in der BV VE be­gründe­ten An­spruch

auf ei­ne va­ria­ble Er­folgs­vergütung nicht vom Be­ste­hen ei­nes vom Ar­beit­neh­mer un­gekündig­ten Ar­beits­verhält­nis­ses am Aus­zah­lungs­tag abhängig ma­chen. § 88 Be­trVG er­laubt den da­mit ver­bun­de­nen Ent­zug ver­dien­ten Ar­beits­ent­gelts nicht. Darüber hin­aus er­weist sich die hier­durch be­wirk­te Be­schränkung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütz­ten Ar­beits­platz­wahl­frei­heit des Ar­beit­neh­mers als un­verhält­nismäßig.

aa) Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts können

die Be­triebs­par­tei­en durch Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen Re­ge­lun­gen über den In­halt, den Ab­schluss und die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen tref­fen. Das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz geht nach sei­ner Kon­zep­ti­on von ei­ner grundsätz­lich um­fas­sen­den Kom­pe­tenz der Be­triebs­par­tei­en zur Re­ge­lung ma­te­ri­el­ler und for­mel­ler Ar­beits­be­din­gun­gen aus (grund­le­gend BAG GS 7. No­vem­ber 1989 - GS 3/85 - zu C I 2 der Gründe, BA­GE 63, 211). Dies folgt ins­be­son­de­re aus § 77 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Be­trVG. Zwar dient die­se Re­ge­lung in ers­ter Li­nie der Si­che­rung der aus­geübten und ak­tua­li­sier­ten Ta­rif­au­to­no­mie. Zu­gleich zeigt sie aber, dass der Ge­setz­ge­ber dort, wo die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ih­re Be­fug­nis zur Re­ge­lung von Ar­beits­be­din­gun­gen nicht wahr­neh­men oder den Ab­schluss ergänzen­der Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen zu­las­sen, von ei­ner Re­ge­lungs­kom­pe­tenz der Be­triebs­par­tei­en aus­geht. Hierfür spricht fer­ner, dass frei­wil­li­ge Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen nach § 88 Be­trVG nicht auf die dort aus­drück­lich ge­nann­ten Ge­genstände be­schränkt sind, son­dern, wie sich aus dem Wort „ins­be­son­de­re“ er­gibt, auch über an­de­re Ge­genstände möglich sein sol­len (BAG 12. De­zem­ber 2006 - 1 AZR 96/06 - Rn. 14, BA­GE 120, 308).

bb) Al­ler­dings un­ter­liegt die aus § 88 Be­trVG fol­gen­de Re­ge­lungs­be­fug­nis

der Be­triebs­par­tei­en Bin­nen­schran­ken. Nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB fin­det zwar bei Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen kei­ne In­halts­kon­trol­le am Maßstab der §§ 305 ff. BGB statt. Doch sind die Be­triebs­par­tei­en beim Ab­schluss ih­rer Ver­ein­ba­run­gen gemäß § 75 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Be­trVG an die Grundsätze von Recht und Bil­lig­keit ge­bun­den und da­mit auch zur Wah­rung der grund­recht-


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lich geschütz­ten Frei­heits­rech­te ver­pflich­tet. Da­zu gehört die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütz­te Be­rufs­frei­heit der Ar­beit­neh­mer.

cc) Die von den Be­triebs­par­tei­en zu wah­ren­den Grundsätze des Rechts

er­stre­cken sich auf die gel­ten­de Rechts­ord­nung, die das Ar­beits­verhält­nis ge­stal­tet und auf die­ses ein­wirkt (ErfK/Ka­nia 11. Aufl. § 75 Be­trVG Rn. 5; Fit­ting § 75 Rn. 25). Da­zu zählt auch § 611 Abs. 1 BGB, nach dem der Ar­beit­ge­ber zur Er­brin­gung der ver­ein­bar­ten Ge­gen­leis­tung ver­pflich­tet ist, so­weit der vor­leis­tungs­ver­pflich­te­te Ar­beit­neh­mer sei­ner­seits die ihm ob­lie­gen­de Ar­beits­leis­tung er­bracht hat. Die Aus­zah­lung ver­dien­ten Ent­gelts ist da­her nicht von der Erfüllung wei­te­rer Zwe­cke abhängig (MüArbR/Krau­se 3. Aufl. Bd. 1 § 54 Rn. 14). Die­se ge­setz­li­che Wer­tung bin­det auch die Be­triebs­par­tei­en.

(1) Bei der in der BV VE ge­re­gel­ten er­folgs­abhängi­gen Vergütung han­delt

es sich um Ar­beits­ent­gelt, das vom Ar­beit­neh­mer durch die Er­brin­gung ei­ner Ar­beits­leis­tung im Be­zugs­zeit­raum ver­dient wird und des­sen Höhe von der Er­rei­chung der mit ihm ver­ein­bar­ten Zie­le abhängt. Dies folgt aus dem Wort­laut und der Re­ge­lungs­sys­te­ma­tik der BV VE.

(a) Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen sind we­gen ih­res nor­ma­ti­ven Cha­rak­ters wie
Ta­rif­verträge und Ge­set­ze aus­zu­le­gen. Aus­zu­ge­hen ist da­nach vom Wort­laut der Be­stim­mun­gen und dem durch ihn ver­mit­tel­ten Wort­sinn. Ab­zu­stel­len ist fer­ner auf den Ge­samt­zu­sam­men­hang und die Sys­te­ma­tik der Re­ge­lun­gen. Im Zwei­fel gebührt der­je­ni­gen Aus­le­gung der Vor­zug, die zu ei­nem sach­ge­rech­ten, zweck­ori­en­tier­ten, prak­tisch brauch­ba­ren und ge­set­zes­kon­for­men Verständ­nis der Be­stim­mung führt (BAG 27. Ju­li 2010 - 1 AZR 874/08 - Rn. 31, EzA BGB 2002 § 242 Gleich­be­hand­lung Nr. 23).

(b) Für den aus­sch­ließli­chen Ent­gelt­cha­rak­ter der in der BV VE ge­re­gel­ten
er­folgs­abhängi­gen Vergütung spricht schon der Wort­laut der ihr vor­an­ge­stell­ten Präam­bel. Da­nach ha­ben die Be­triebs­par­tei­en mit dem Ab­schluss der BV VE die Er­war­tung ver­bun­den, al­le Po­ten­tia­le der Mit­ar­bei­ter da­durch zu mo­bi­li­sie­ren, dass her­vor­ra­gen­de Leis­tun­gen auch ent­spre­chend ho­no­riert wer­den. Auch aus der Re­ge­lungs­sys­te­ma­tik folgt, dass die er­folgs­abhängi­ge Vergütung


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ei­ne Ge­gen­leis­tung des Ar­beit­ge­bers für die Er­rei­chung der mit den Mit­ar­bei­tern ver­ein­bar­ten Zie­le ist. So hängt die Höhe der va­ria­blen Er­folgs­vergütung ua. von der persönli­chen Ar­beits­leis­tung der Mit­ar­bei­ter im je­wei­li­gen Geschäfts­jahr ab. Nach den § 2 BV VE zu­grun­de lie­gen­den Ein­zel­pa­ra­me­tern be­stimmt sich die Zah­lung nach ei­ner in­di­vi­du­el­len Ziel-VE, ei­nem Leis­tungs­fak­tor so­wie dem Er­geb­nis­fak­tor, der sich nach dem wirt­schaft­li­chen Er­folg der Be­klag­ten in dem je­weils maßgeb­li­chen Geschäfts­jahr rich­tet. Der Leis­tungs­fak­tor ist Aus­druck der in­di­vi­du­el­len Leis­tung des Mit­ar­bei­ters ge­mes­sen am Ziel­er­rei­chungs­grad der mit ihm persönlich ver­ein­bar­ten Zie­le (§ 5 Abs. 1 Satz 1 BV VE). Er be­misst sich nach ei­ner zwi­schen den Ar­beits­ver­trags­par­tei­en ab­zu­sch­ließen­den Ziel­ver­ein­ba­rung und nicht nach der ein­sei­ti­gen Fest­le­gung von Zie­len, die von der Be­klag­ten in Ausübung ih­res Di­rek­ti­ons­rechts ein­sei­tig be­stimmt wer­den können. Die Ver­ein­ba­rung der Zie­le er­folgt un­ter Berück­sich­ti­gung der persönli­chen Leis­tungsmöglich­kei­ten des Mit­ar­bei­ters (§ 4 Abs. 2 Satz 1 BV VE).

(2) Sol­che Vergütungs­be­stand­tei­le, die vom Er­rei­chen von persönli­chen

Zie­len und dem Un­ter­neh­mens­er­folg abhängen, sind kei­ne an­lass- oder stich-tags­be­zo­ge­nen Son­der­zu­wen­dun­gen des Ar­beit­ge­bers, son­dern un­mit­tel­ba­re Ge­gen­leis­tung für ei­ne vom Ar­beit­neh­mer zu er­brin­gen­de Leis­tung, die die­ser als Ar­beits­ent­gelt für den ver­ein­bar­ten Zeit­raum erhält (Schaub/Linck 13. Aufl. § 77 Rn. 6; ähnl. ErfK/Preis § 611 BGB Rn. 504). Für Son­der­zu­wen­dun­gen, mit de­nen sich der Ar­beit­ge­ber zB an den zum Weih­nachts­fest ty­pi­scher­wei­se erhöhten Auf­wen­dun­gen der Ar­beit­neh­mer be­tei­ligt oder mit de­nen ei­ne ver­gan­gen­heits- so­wie zu­kunfts­be­zo­ge­ne Be­triebs­treue ho­no­riert wer­den soll, ist kenn­zeich­nend, dass die­se oh­ne Be­zug zu ei­ner Ver­ein­ba­rung über die Qua­lität oder die Quan­tität der in­di­vi­du­el­len Ar­beits­leis­tung des Ar­beit­neh­mers er­bracht wer­den. Dem­ge­genüber be­zweckt ei­ne er­folgs­abhängi­ge Vergütung ge­ra­de ei­ne Leis­tungs­stei­ge­rung des Ar­beit­neh­mers durch die Förde­rung sei­ner Mo­ti­va­ti­on (BAG 12. De­zem­ber 2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 25, BA­GE 125, 147). Sie dient - je nach Aus­ge­stal­tung der Ziel­ver­ein­ba­rung - ent­we­der als be­son­de­rer An­reiz für die Er­rei­chung des ver­trag­lich fest­ge­leg­ten Leis­tungs­ziels oder all­ge­mein der Er­zie­lung von über­durch­schnitt­li­chen Ar­beits-


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er­geb­nis­sen im Be­zugs­zeit­raum. Ein in die­ser Wei­se aus­ge­stal­te­ter Vergütungs­be­stand­teil wird da­her als Ge­gen­leis­tung für die gemäß der Ziel­ver­ein­ba­rung er­brach­te Ar­beits­leis­tung ge­schul­det (BAG 12. De­zem­ber 2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 48, aaO; BSG 23. März 2006 - B 11a AL 29/05 R - SozR 4-4300 § 183 Nr. 6). Die­se syn­al­lag­ma­ti­sche Ver­bin­dung wird nicht durch die Abhängig­keit der Höhe der va­ria­blen Er­folgs­vergütung von ei­nem Un­ter­neh­mens­er­geb­nis im maßgeb­li­chen Be­zugs­zeit­raum in Fra­ge ge­stellt. Denn auch Leis­tun­gen, die an den Un­ter­neh­mens­er­folg ge­knüpft sind (wie zB Tan­tie­men, Ge­winn­be­tei­li­gun­gen), wer­den re­gelmäßig als zusätz­li­che Vergütung für ei­ne im Geschäfts­jahr er­brach­te Ar­beits­leis­tung des Ar­beit­neh­mers ge­zahlt (vgl. BAG 8. Sep­tem­ber 1998 - 9 AZR 273/97 - zu II 3 a der Gründe, AP BGB § 611 Gra­ti­fi­ka­ti­on Nr. 214 = EzA BGB § 611 Tan­tie­me Nr. 2).

(3) Der An­spruch auf die va­ria­ble Er­folgs­vergütung nach der BV VE ent-
steht mit Ab­lauf des mo­nat­li­chen Leis­tungs­zeit­raums. Sie wird in den ein­zel­nen Mo­na­ten an­tei­lig ver­dient, je­doch auf­ge­spart und am ver­ein­bar­ten Fällig­keits­tag aus­ge­zahlt (BAG 21. April 2010 - 10 AZR 178/09 - Rn. 14, AP TVG § 1 Al­ters­teil­zeit Nr. 45). Dies folgt aus ih­rer Ein­bin­dung in das ver­trag­li­che Sy­nal­lag­ma und der Re­ge­lung in § 8 Abs. 1, Abs. 3 BV VE für die dort be­stimm­ten Fälle des vor­zei­ti­gen Aus­schei­dens und des un­terjähri­gen Ein­tritts. In die­sen ha­ben die Be­triebs­par­tei­en aus­drück­lich die Ent­ste­hung des An­spruchs „pro ra­ta tem­po­ris“ fest­ge­legt.

(4) Ent­stan­de­ne Ansprüche auf Ar­beits­ent­gelt für ei­ne be­reits er­brach­te
Ar­beits­leis­tung können von den Be­triebs­par­tei­en nicht un­ter die auflösen­de Be­din­gung des Be­ste­hens ei­nes un­gekündig­ten Ar­beits­verhält­nis­ses zu ei­nem Stich­tag nach Ab­lauf des Leis­tungs­zeit­raums ge­stellt wer­den.

Nach § 611 Abs. 1 BGB ist der Ar­beit­ge­ber als Dienst­ge­ber zur Ge-

währung der ver­ein­bar­ten Vergütung ver­pflich­tet. Der Ar­beit­neh­mer soll über die vom Ar­beit­ge­ber ver­spro­che­ne Ge­gen­leis­tung dis­po­nie­ren und sei­ne Le­bens­ge­stal­tung dar­an aus­rich­ten können, wenn er sei­ner­seits die ge­schul­de­te Leis­tung vollständig er­bracht hat. Die­ser Grund­satz gilt nicht nur für die ei­gent­li­che Grund­vergütung, son­dern auch für be­son­de­re Ent­gelt­be­stand-


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tei­le, die glei­cher­maßen in das Sy­nal­lag­ma ein­ge­bun­de­ne Leis­tun­gen dar­stel­len (BAG 25. April 2007 - 5 AZR 627/06 - Rn. 20, BA­GE 122, 182). Hierfür ist es auch un­er­heb­lich, ob der Vergütungs­an­spruch mo­nat­lich ent­steht, an länge­re Ab­rech­nungs­zeiträume ge­bun­den ist oder die Ar­beits­leis­tung von ei­nem be­stimm­ten Leis­tungs­er­folg abhängig ist. Ein ge­setz­li­cher Aus­nah­me­tat­be­stand, der vor­sieht, dass der Ar­beit­neh­mer die durch sei­ne Ar­beit ver­dien­te Ge­gen­leis­tung nur be­hal­ten darf, wenn er über den Zeit­raum hin­aus, in dem das Ar­beits­ent­gelt ver­dient wor­den ist, dem Un­ter­neh­men an­gehört, exis­tiert nicht. Die­se Wer­tun­gen ha­ben auch die Be­triebs­par­tei­en nach § 75 Abs. 1, Abs. 2 Be­trVG bei ih­rer Rechts­set­zung zu be­ach­ten, wenn sie ei­ne Re­ge­lung über Vergütungs­be­stand­tei­le tref­fen, die von ei­ner Ar­beits­leis­tung des Ar­beit­neh­mers abhängig sind. Die Stich­tags­re­ge­lung des § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BV VE wird dem nicht ge­recht. Sie ent­spricht in ih­rer Wir­kung ei­ner auflösen­den Be­din­gung, durch die dem vor­leis­tungs­pflich­ti­gen Kläger der An­spruch auf die Ge­gen­leis­tung rück­wir­kend ent­zo­gen wird, wenn die­ser nach Ab­lauf des Ge­schäfts­jah­res, aber vor dem Aus­zah­lungs­tag der va­ria­blen Er­folgs­vergütung sein Ar­beits­verhält­nis selbst kündigt.

dd) Darüber hin­aus ist die in der Stich­tags­re­ge­lung ent­hal­te­ne auflösen­de

Be­din­gung auch des­we­gen un­wirk­sam, weil sie die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütz­te Be­rufs­frei­heit des Ar­beit­neh­mers übermäßig be­schränkt. Sie hält der ge­bo­te­nen Verhält­nismäßig­keitsprüfung nicht stand.

(1) Die Be­rufs­frei­heit des Ar­beit­neh­mers nach Art. 12 Abs. 1 GG schützt

mit der Frei­heit der Ar­beits­platz­wahl auch den Ent­schluss des ein­zel­nen Ar­beit­neh­mers, an wel­cher Stel­le er dem gewähl­ten Be­ruf nach­ge­hen möch­te. Dies um­fasst sei­ne Ent­schei­dung, ei­ne kon­kre­te Beschäfti­gungsmöglich­keit in ei­nem gewähl­ten Be­ruf bei­zu­be­hal­ten oder auf­zu­ge­ben (BVerfG 24. April 1991 - 1 BvR 1341/90 - zu C III 1 der Gründe, BVerfGE 84, 133). In die­ses Frei­heits­recht dürfen die Be­triebs­par­tei­en nicht in un­verhält­nismäßiger Wei­se ein­grei­fen. Da­her muss ei­ne die Ar­beits­platz­wahl­frei­heit be­schränken­de Re­ge­lung ge­eig­net, er­for­der­lich und un­ter Berück­sich­ti­gung der gewähr­leis­te­ten Frei­heits­rech­te an­ge­mes­sen sein, um den er­streb­ten Zweck zu er­rei­chen. Ge­eig­net ist


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die Re­ge­lung, wenn mit ih­rer Hil­fe der er­streb­te Er­folg gefördert wer­den kann. Er­for­der­lich ist sie, wenn kein an­de­res, gleich wirk­sa­mes, aber die Be­rufs­frei­heit we­ni­ger ein­schränken­des Mit­tel zur Verfügung steht. An­ge­mes­sen ist sie, wenn sie verhält­nismäßig im en­ge­ren Sinn er­scheint. Es be­darf hier ei­ner Ge­samt­abwägung zwi­schen der In­ten­sität des Ein­griffs und dem Ge­wicht der ihn recht­fer­ti­gen­den Gründe; die Gren­ze der Zu­mut­bar­keit darf nicht über­schrit­ten wer­den (BAG 12. De­zem­ber 2006 - 1 AZR 96/06 - Rn. 24, BA­GE 120, 308).

(2) Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BV VE kommt die am En­de des Ge-

schäfts­jah­res ver­dien­te va­ria­ble Er­folgs­vergütung nicht zur Aus­zah­lung, wenn der Ar­beit­neh­mer zwar bis zum En­de des Geschäfts­jah­res in ei­nem Ar­beits­verhält­nis steht, die­ses aber bis zum Aus­zah­lungs­tag selbst gekündigt hat. Ei­ne sol­che Re­ge­lung be­wirkt der Sa­che nach, dass die Be­klag­te ent­ge­gen § 611 Abs. 1 BGB kei­ne Vergütung für die vom Kläger nach Maßga­be der Ziel­ver­ein­ba­rung ge­leis­te­ten Diens­te er­brin­gen muss. Sie dient ih­rem In­ter­es­se, ei­nen Ar­beit­neh­mer über das En­de des Geschäfts­jah­res bis zum Aus­zah­lungs­tag an der selbst gewähl­ten Auf­ga­be sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses zu hin­dern. Dies wird durch die § 8 Abs. 1 Satz 2 BV VE zu­grun­de lie­gen­de Grup­pen­bil­dung ver­deut­licht. Da­nach er­hal­ten Beschäftig­te, die durch Er­rei­chen der Al­ters­gren­ze oder Vor­ru­he­stand aus­schei­den, die va­ria­ble Er­folgs­vergütung im Aus­tritts­jahr zeit­an­tei­lig, ob­wohl es an ei­nem be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis am Aus­zah­lungs­tag fehlt und sie durch ih­re Ar­beits­leis­tung we­gen ih­res un­terjähri­gen Aus­schei­dens nur für ei­nen Teil des Geschäfts­jah­res zum wirt­schaft­li­chen Er­geb­nis der Be­klag­ten bei­tra­gen. Eben­so be­hal­ten nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BV VE Ar­beit­neh­mer, die ihr Ar­beits­verhält­nis nach Be­en­di­gung des Geschäfts­jah­res bis zum Aus­zah­lungs­zeit­punkt durch ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag be­en­den oder die auf­grund ei­ner Kündi­gung der Be­klag­ten aus­schei­den, den An­spruch auf die va­ria­ble Er­folgs­vergütung. Ei­ne sol­che Re­ge­lung begüns­tigt Ar­beit­neh­mer, die zwar zum Aus­zah­lungs­tag nicht mehr in ei­nem un­gekündig­ten Ar­beits­verhält­nis ste­hen, für de­ren Wei­ter­beschäfti­gung es aber ent­we­der an ei­nem be­trieb­li­chen In­ter­es­se der Be­klag­ten fehlt oder bei de­nen die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses - wie bei dem Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­trags - mit ih­rem Ein­verständ­nis er­folgt ist. Auch dies lässt er-


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ken­nen, dass es den Be­triebs­par­tei­en bei der in § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BV VE ent­hal­te­nen Stich­tags­re­ge­lung vor al­lem dar­um geht, Ar­beit­neh­mer von ei­nem Leis­tungs­be­zug aus­zu­sch­ließen, die ei­ne Ei­genkündi­gung aus­ge­spro­chen ha­ben und bei de­nen die da­mit ver­bun­de­ne Be­en­di­gung der Ver­trags­be­zie­hung und der hier­durch ermöglich­te Ar­beit­ge­ber­wech­sel den In­ter­es­sen der Be­klag­ten wi­der­spricht.

(3) Die Stich­tags­re­ge­lung des § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BV VE ist zwar

grundsätz­lich ge­eig­net, ei­nen An­reiz zu schaf­fen, den Ar­beit­neh­mer zu ver­an­las­sen, ei­ne an sich statt­haf­te Kündi­gungsmöglich­keit aus­zu­schla­gen und noch ei­nen wei­te­ren Zeit­raum im Un­ter­neh­men zu ver­blei­ben. Es kann auch zu­guns­ten der Be­klag­ten un­ter­stellt wer­den, dass ei­ne sol­che Re­ge­lung er­for­der­lich ist, weil ihr kein an­de­res, gleich wirk­sa­mes, aber die Be­rufs­frei­heit des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers we­ni­ger ein­schränken­des Mit­tel zur Verfügung steht, um die­sen an der Ar­beits­platz­auf­ga­be zu hin­dern.

Die Vor­ent­hal­tung ei­ner be­reits ver­dien­ten Ar­beits­vergütung ist aber

stets ein un­an­ge­mes­se­nes Mit­tel, die selbst be­stimm­te Ar­beits­platz­auf­ga­be zu verzögern oder zu ver­hin­dern. Mit ihr sind Be­las­tun­gen für den Ar­beit­neh­mer ver­bun­den, die un­ter Berück­sich­ti­gung der be­rech­tig­ten In­ter­es­sen ei­nes Ar­beit­ge­bers nicht zu recht­fer­ti­gen sind. Die BV VE be­trifft ty­pi­scher­wei­se ei­nen Per­so­nen­kreis, des­sen Kündi­gungs­frist ab­wei­chend von § 622 Abs. 2 BGB für bei­de Ver­trags­par­tei­en verlängert ist. Im Fall des Klägers beträgt die Kündi­gungs­frist sechs Mo­na­te, in an­de­ren ge­richts­be­kann­ten Fällen drei Mo­na­te zum Quar­tals­en­de. Um ent­spre­chend der Re­ge­lun­gen der BV VE die Aus­zah­lung der va­ria­blen Er­folgs­vergütung be­an­spru­chen zu können, führt das zu ei­ner Bin­dung bis zum Ab­lauf des nächs­ten Geschäfts­jah­res, je­den­falls aber zur Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Jah­res­en­de, um die im vor­an­ge­gan­ge­nen Geschäfts­jahr ver­dien­te va­ria­ble Er­folgs­vergütung nicht zu ver­lie­ren. Für die durch die Stich­tags­re­ge­lung be­wirk­te Bin­dung - auch so­weit ihr le­dig­lich die in § 622 Abs. 2 BGB ge­re­gel­ten Kündi­gungs­fris­ten zu­grun­de lie­gen - er­bringt die Be­klag­te kei­ne ge­son­der­te Leis­tung. Viel­mehr wird je­ne aus­sch­ließlich durch die Aus­zah­lung von Ent­gelt ho­no­riert, das der Kläger


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durch das Er­rei­chen der mit ihm ver­ein­bar­ten Zie­le be­reits im vor­an­ge­gan­ge­nen Geschäfts­jahr ver­dient hat. Die da­mit ver­bun­de­ne Be­schränkung der Ar­beits­platz­wahl­frei­heit berück­sich­tigt da­her völlig ein­sei­tig die In­ter­es­sen der Be­klag­ten am Ver­bleib des Klägers und ihr Bedürf­nis, ei­nen aus ih­rer Sicht un­erwünsch­ten Wech­sel, ggf. zu ei­nem Wett­be­wer­ber, zu­min­dest zu verzögern oder gar zu ver­hin­dern. Die da­mit ein­her­ge­hen­den Be­las­tun­gen für den Kläger, der letzt­lich auf ver­dien­tes Ent­gelt ver­zich­ten muss, um ei­nen in sei­nem In­ter­es­se lie­gen­den Ar­beits­platz­wech­sel un­ter Ein­hal­tung der ver­ein­bar­ten oder der ge­setz­li­chen Kündi­gungs­fris­ten vor­neh­men zu können, sind an­ge­sichts ei­nes In­ter­es­ses der Be­klag­ten an der Ein­hal­tung von Be­triebs­treue, oh­ne hierfür ei­ge­ne Auf­wen­dun­gen er­brin­gen zu müssen, un­verhält­nismäßig.

II. Auf die zwi­schen den Par­tei­en strei­ti­gen und von den Vor­in­stan­zen

erörter­ten Fra­gen nach wei­te­ren An­spruchs­grund­la­gen kommt es nicht mehr an. Dies gilt ins­be­son­de­re für die An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts, wo­nach sich die im Ar­beits­ver­trag ent­hal­te­ne Ver­ein­ba­rung über die „aus­zu­zah­len­de va­ria­ble Er­folgs­vergütung“ in ei­ner bloßen Be­zug­nah­me auf die in der BV VE ge­trof­fe­nen Re­ge­lun­gen erschöpft. Eben­so be­darf es kei­ner Ent­schei­dung, ob die von den Be­triebs­par­tei­en in § 8 BV VE vor­ge­nom­me­ne Grup­pen­bil­dung für den Leis­tungs­aus­schluss des Ar­beit­ge­bers den An­for­de­run­gen des be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes (§ 75 Abs. 1 Be­trVG) genügt.

Schmidt Linck Koch

Rath Olaf Kunz

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