HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/244

Nacht­zu­schlä­ge und Min­dest­lohn

Ta­rif­li­che Nach­ar­beits­zu­schlä­ge und Zu­schlä­ge für Ur­laubs- und Fei­er­ta­ge sind nicht auf den Min­dest­lohn an­zu­rech­nen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 20.09.2017, 10 AZR 171/16
Münzen, Münzhaufen

21.09.2017. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat be­reits vor län­ge­rer Zeit klar­ge­stellt, dass die Ver­gü­tung für Ur­laubs- und für Krank­heits­ta­ge nicht un­ter dem ein­schlä­gi­gen Min­dest­lohn lie­gen darf (BAG, Ur­teil vom 13.05.2015, 10 AZR 191/14, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 15/123 Min­dest­lohn und Ent­gelt­fort­zah­lung).

Ge­klärt ist auch, dass es bei Lohn­zu­schlä­gen so­wie bei Ein­mal­zah­lun­gen (Ur­laubs­geld, Weih­nachts­geld) dar­auf an­kommt, ob da­mit die Ar­beits­leis­tung be­zahlt wird oder nicht. Da­her sind auch Son­der­zah­lun­gen sind auf den Min­dest­lohn an­zu­rech­nen, d.h. nicht zu­sätz­lich zu be­an­spru­chen, wenn sie die Ar­beits­leis­tung des Ar­beit­neh­mers ver­gü­ten sol­len (BAG, Ur­teil vom 25.05.2016, 5 AZR 135/16, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/175 BAG ent­schei­det zu Ur­laubs­geld, Weih­nachts­geld und Min­dest­lohn).

Ges­tern hat das BAG sei­ne Min­dest­lohn-Recht­spre­chung wei­ter aus­ge­baut und ent­schie­den, dass ta­rif­ver­trag­li­che Nach­ar­beits­zu­schlä­ge und Zu­satz­gel­der für Ur­laubs­zei­ten und Fei­er­ta­ge nicht auf den Min­dest­lohn an­zu­rech­nen sind, son­dern auf des­sen Grund­la­ge zu be­rech­nen und da­her "on top" zu zah­len sind: BAG, Ur­teil vom 20.09.2017, 10 AZR 171/16 (BAG-Pres­se­mel­dung).

Sind ta­rif­ver­trag­li­che Zu­schläge für Nacht­ar­beit und für Ur­laubs- und Fei­er­ta­ge auf Min­dest­lohn­ansprüche an­zu­rech­nen?

Der der­zeit gel­ten­de Min­dest­lohn von 8,84 EUR brut­to pro St­un­de ist nicht ge­ra­de üppig. Trotz­dem wird im­mer wie­der dar­um ge­strit­ten, ob be­stimm­te Zu­satz­zah­lun­gen, die Ar­beit­neh­mer auf­grund ih­res Ar­beits­ver­trags oder auf ta­rif­li­cher Grund­la­ge be­an­spru­chen können, auf der Grund­la­ge des Min­dest­stun­den­lohns zu be­rech­nen sind oder nicht. Die­se Fra­gen sind durch die Recht­spre­chung und ju­ris­ti­sche Dis­kus­si­on mitt­ler­wei­le in zwei Hin­sich­ten be­ant­wor­tet:

Ers­tens: Der ge­setz­li­che An­spruch auf Zah­lung des Min­dest­lohns von der­zeit 8,84 EUR brut­to pro St­un­de ist von an­de­ren (ar­beits­ver­trag­li­chen oder ta­rif­ver­trag­li­chen) Lohn­ansprüchen ju­ris­tisch un­abhängig, d.h. es han­delt sich um ei­nen ei­genständi­gen Lohn­an­spruch. Al­ler­dings müssen Ar­beit­ge­ber für gewöhn­li­che Ar­beits­leis­tun­gen nicht 8,84 EUR pro St­un­de drauf­le­gen, d.h. dop­pelt zah­len. Viel­mehr erfüllen sie, in­dem sie die ar­beits- oder ta­rif­ver­trag­li­chen Lohn­ansprüche ih­rer Ar­beit­neh­mer erfüllen, in der Re­gel zu­gleich auch den ge­setz­li­chen Min­dest­lohn­an­spruch.

Zwei­tens: Ob Lohn­ansprüche auf den Min­dest­lohn an­zu­rech­nen oder ge­son­dert zu be­glei­chen sind, hängt da­von ab, wel­chen Zweck sie ver­fol­gen. Ha­ben Ansprüche auf Zu­schläge, Prämi­en oder Ein­mal­zah­lun­gen den Zweck, die Ar­beits­leis­tung zu vergüten, erfüllt der Ar­beit­ge­ber mit ih­rer Zah­lung zu­gleich den ge­setz­li­chen Min­dest­lohn­an­spruch des Ar­beit­neh­mers. Wer­den Zu­schläge, Prämi­en usw. aber un­abhängig von der Ar­beits­leis­tung be­zahlt oder auf­grund ei­ner be­son­de­ren (ge­setz­li­chen) Zweck­be­stim­mung (wie z.B. ein ge­setz­li­cher Nacht­ar­beits­zu­schlag gemäß § 6 Abs.5 Ar­beits­zeit­ge­setz - Arb­ZG), dann sind sie zusätz­lich zum Min­dest­lohn zu zah­len, da der Ar­beit­ge­ber mit sol­chen Zah­lun­gen den Min­dest­lohn­an­spruch nicht erfüllt. Denn an­dern­falls würde der Ar­beit­neh­mer für sei­ne Ar­beits­leis­tung ei­nen St­un­den­lohn er­hal­ten, der un­ter­halb des ge­setz­li­chen Min­dest­stun­den­lohns von der­zeit 8,84 EUR liegt.

Frag­lich ist, wie es mit ta­rif­ver­trag­li­chen Nach­ar­beits­zu­schlägen steht und mit ta­rif­ver­trag­li­chen Auf­gel­dern für Fei­er­ta­ge und Ur­laubs­zei­ten.

Der Fall des BAG: Säch­si­sche Pro­duk­ti­ons­hel­fe­rin möch­te ab Einführung des Min­dest­lohns im Ja­nu­ar 2015 auch ta­rif­li­che Zu­schläge auf Min­dest­lohn­ba­sis

Im Streit­fall hat­te ei­ne ge­werb­li­che Ar­beit­neh­me­rin ge­klagt. Sie war als Mon­ta­ge­kraft beschäftigt und konn­te Be­zah­lung ent­spre­chend dem Man­tel­ta­rif­ver­trag (MTV) für die ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer der Säch­si­schen Me­tall- und Elek­tro­in­dus­trie (2004) ver­lan­gen. Der MTV sieht Nacht­ar­beits­zu­schläge von 25 Pro­zent des tatsächli­chen St­un­den­lohns vor und außer­dem ein Ur­laubs­ent­gelt, das 50 Pro­zent über dem durch­schnitt­li­chen Ar­beits­ver­dienst liegt.

Als der all­ge­mei­ne Min­dest­lohn zum Ja­nu­ar 2015 erst­mals durch das Min­dest­l­ohn­ge­setz (Mi­LoG) deutsch­land­weit ein­geführt wor­den war, be­trug er zunächst 8,50 EUR brut­to pro St­un­de. Die Mon­ta­ge­hel­fe­rin be­kam da­mals (im Ja­nu­ar 2015) ei­nen St­un­den­lohn, der zwi­schen 7,00 und 7,15 EUR brut­to lag. Die­sen St­un­den­lohn bes­ser­te der Ar­beit­ge­ber ab Ja­nu­ar 2015 um ei­ne „Zu­la­ge nach Mi­LoG“ auf, um auf ei­nen St­un­den­lohn von 8,50 zu kom­men.

Al­ler­dings be­rech­ne­te er die Be­zah­lung für ei­nen Fei­er­tag und ei­nen Ur­laubs­tag im Ja­nu­ar 2015 nicht auf Grund­la­ge des ge­setz­li­chen Min­dest­lohns von da­mals 8,50 EUR, son­dern nach dem ge­rin­ge­ren ver­trag­li­chen St­un­den­lohn. So be­rech­ne­te er auch den 25-pro­zen­ti­gen Nacht­ar­beits­zu­schlag.

Die Ar­beit­neh­me­rin hielt die­se Be­rech­nungs­wei­se für falsch und ver­lang­te vom Ar­beit­ge­ber, die Nacht­ar­beits­stun­den, die Ur­laubs­ta­ge und die Fei­er­tags­stun­den auf der Grund­la­ge des ge­setz­li­chen Min­dest­lohns zu be­rech­nen bzw. zu zah­len. Das Ar­beits­ge­richt Baut­zen (Ur­teil vom 25.06.2015, 1 Ca 1094/15) und das Säch­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) ga­ben der Kläge­rin recht (Säch­si­sches LAG, Ur­teil vom 27.01.2016, 2 Sa 375/15).

BAG: Ta­rif­ver­trag­li­che Nach­ar­beits­zu­schläge und Ta­rif­zu­schläge für Ur­laubs- und Fei­er­ta­ge sind min­des­tens auf der Grund­la­ge des Min­dest­lohns zu be­rech­nen

Auch das BAG ur­teil­te zu­guns­ten der Ar­beit­neh­me­rin, die ih­re Kla­ge da­mit in al­len drei In­stan­zen ge­win­nen konn­te. Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG:

Das Mi­LoG gibt dem Ar­beit­neh­mer zwar nur ei­nen Min­dest­lohn­an­spruch für tatsächlich ge­leis­te­te Ar­beits­stun­den, d.h. ei­nen ei­ge­nen An­spruch auf Lohn­er­satz­leis­tun­gen sieht das Mi­LoG nicht vor. Al­ler­dings müssen Ar­beit­ge­ber gemäß § 2 Abs.1 Ent­gelt­fort­zah­lungs­ge­setz (EFZG) für Ar­beits­zei­ten, die auf­grund ei­nes ge­setz­li­chen Fei­er­tags aus­fal­len, den Lohn be­zah­len, den Ar­beit­neh­mer oh­ne den Fei­er­tag bzw. oh­ne den Ar­beits­aus­fall be­kom­men hätten.

Die­ses Ent­gel­t­aus­fall­prin­zip gilt auch für Min­dest­lohn­ansprüche nach dem Mi­LoG, denn das Mi­LoG enthält kei­ne Re­ge­lun­gen, die vom Ent­gel­t­aus­fall­prin­zip ab­wei­chen, so die Er­fur­ter Rich­ter. Dem­ent­spre­chend konn­te der Ar­beit­ge­ber die Vergütung für Ur­laubs- bzw. Fei­er­ta­ge nicht auf der Grund­la­ge ei­nes St­un­den­lohns be­rech­nen, der un­ter­halb des Min­dest­lohns lag.

Auch der ta­rif­li­che Nacht­ar­beits­zu­schlag und der ta­rif­li­che Zu­schlag zum Ur­laubs­ent­gelt wa­ren (min­des­tens) auf Grund­la­ge des ge­setz­li­chen Min­dest­lohns von (da­mals) 8,50 EUR zu be­rech­nen, so das BAG. Denn der ge­setz­li­che Min­dest­lohn war Teil des „tatsächli­chen St­un­den­ver­diens­tes“ im Sin­ne des MTV. Ei­ne An­rech­nung der ta­rif­li­chen Zu­schläge auf den Min­dest­lohn konn­te hier nicht vor­ge­nom­men wer­den, da der MTV auf die­se Zah­lun­gen "ei­nen ei­genständi­gen An­spruch gibt und es sich nicht um Ent­gelt für ge­leis­te­te Ar­beit han­delt", so das BAG.

Fa­zit: Nacht­ar­beits­zu­schläge und ein zusätz­li­ches Ur­laubs­geld vergüten nicht die Ar­beits­leis­tung, son­dern wer­den auf­grund ge­setz­li­cher Vor­ga­ben (§ 6 Abs.5 Arb­ZG) für be­son­de­re Er­schwer­nis­se ge­zahlt (Nacht­ar­beit) oder die­nen dem Zweck, ei­nen be­son­de­ren fi­nan­zi­el­len Be­darf zu de­cken (Ur­laubs­geld). Sie müssen min­des­tens auf der Grund­la­ge des je­wei­lig gülti­gen ge­setz­li­chen Min­dest­lohns be­rech­net wer­den. Sie können nicht auf den Min­dest­lohn an­ge­rech­net wer­den, son­dern sind zusätz­lich zu zah­len.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de ver­öf­fent­licht. Das voll­stän­dig be­grün­de­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 23. November 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 5.0 von 5 Sternen (1 Bewertung)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de