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ARBEITSRECHT AKTUELL // 19/073

Kür­zung des Ur­laubs bei El­tern­zeit zu­läs­sig

BAG folgt EuGH-Ent­schei­dung zur Recht­mä­ßig­keit der Ur­laubs­kür­zung für die Dau­er ei­ner El­tern­zeit: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 19.03.2019, 9 AZR 362/18
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22.03.2019. Im Ok­to­ber 2018 hat­te der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) klar­ge­stellt, dass es nicht ge­gen Art.7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie (Richt­li­nie 2003/88) ver­stößt, wenn das Recht ei­nes EU-Mit­glieds­staa­tes vor­sieht, dass man wäh­rend ei­nes El­tern­ur­laubs kei­ne zu­sätz­li­che Ur­laubs­an­sprü­che er­wirbt (EuGH, Ur­teil vom 04.10.2018, C-12/17 - Ma­ria Di­cu, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/246 EuGH er­laubt Ur­laubs­kür­zung bei El­tern­zeit).

Am Diens­tag die­ser Wo­che zog das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) wie er­war­tet nach: Die im deut­schen Bun­des­el­tern­geld- und El­tern­zeit­ge­setz (BEEG) für den Ar­beit­ge­ber vor­ge­se­he­ne Mög­lich­keit, den Ur­laub für je­den vol­len Mo­nat ei­ner El­tern­zeit an­tei­lig zu kür­zen, ist rech­tens: BAG, Ur­teil vom 19.03.2019, 9 AZR 362/18.

Neue Ur­laubs­ansprüche während ei­ner El­tern­zeit?

Nach § 17 Abs.1 Satz 1 BEEG können Ar­beit­ge­ber Mit­ar­bei­tern, die sich in El­tern­zeit be­fin­den, den Ur­laub an­tei­lig um ein Zwölf­tel für je­den vol­len El­tern­zeit-Mo­nat kürzen. Das müssen sie aber nicht. Im Grund­satz ent­ste­hen Ur­laubs­ansprüche nämlich auch während ei­ner El­tern­zeit, doch können Ar­beit­ge­ber das ver­hin­dern, in­dem sie dem Ar­beit­neh­mer ge­genüber ei­ne aus­drück­li­che Kürzungs­erklärung ab­ge­ben. Ei­ne sol­che Erklärung ist üblich und wird meist zu­sam­men mit der Bestäti­gung der El­tern­zeit ab­ge­ge­ben (ei­nen ent­spre­chen­den Mus­ter­text fin­den Sie hier).

In den ver­gan­ge­nen Jah­ren war um­strit­ten, ob die Kürzungsmöglich­keit mögli­cher­wei­se ge­gen Art.7 Abs.1 Ar­beits­zeit-Richt­li­nie verstößt. Denn die­se Vor­schrift ga­ran­tiert Ar­beit­neh­mern eu­ro­pa­weit ei­nen vierwöchi­gen Min­des­t­ur­laub pro Jahr, und zwar un­abhängig von ih­rer tatsächli­chen Ar­beits­leis­tung im Ur­laubs­jahr. Ei­ni­ge Pro- und Con­tra-Ar­gu­men­te zu die­ser Streit­fra­ge fin­den Sie in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/246 EuGH er­laubt Ur­laubskürzung bei El­tern­zeit. Mitt­ler­wei­le hat der EuGH, wie oben erwähnt, die­se De­bat­te im Ok­to­ber 2018 zu­guns­ten der Ar­beit­ge­ber­sei­te ent­schie­den (EuGH, Ur­teil vom 04.10.2018, C-12/17 - Ma­ria Di­cu).

In die­sem EuGH-Fall hat­te ei­ne rumäni­sche Rich­te­rin, Frau Di­cu, von ih­rem Dienst­herrn an­tei­lig Ur­laub für ei­ne 7,5-mo­na­ti­ge El­tern­zeit ver­langt. Die­sen Ur­laub woll­te der Dienst­herr nicht gewähren, so dass die Rich­te­rin in ei­ge­ner Sa­che vor Ge­richt zog. Die mit dem Fall be­fass­ten rumäni­schen Rich­ter mein­ten, der An­spruch ih­rer Rich­ter-Kol­le­gin hin­ge von der Aus­le­gung des Eu­ro­pa­rechts ab. Da­her leg­ten sie den Fall dem Ge­richts­hof vor, der die rumäni­sche Ur­laubskürzung für eu­ro­pa­rechts­kon­form erklärte.

Da das rumäni­sche Ar­beits­recht ei­ne au­to­ma­ti­sche Kürzung des Ur­laubs für El­tern­zeit­mo­na­te vor­sieht und nicht nur (wie § 17 Abs.1 Satz 1 BEEG) ei­ne Kürzungsmöglich­keit (die nicht un­be­dingt ge­nutzt wer­den muss), ist es an die­ser Stel­le ar­beit­ge­ber­freund­li­cher als das deut­sche Ar­beits­recht. Da­her spricht viel dafür, dass auch die Kürzungsmöglich­keit des § 17 Abs.1 Satz 1 BEEG (erst recht) mit dem Eu­ro­pa­recht ver­ein­bar ist.

Der Fall des BAG: Ab­gel­tung von Ur­laubs­ansprüchen, die mögli­cher­wei­se während ei­ner El­tern­zeit er­wor­ben wur­den

Ei­ne seit dem An­fang Ju­ni 2001 an­ge­stell­te As­sis­ten­tin der Geschäfts­lei­tung be­fand sich in ei­ner länge­ren El­tern­zeit, un­ter an­de­rem durch­ge­hend vom 01.01.2013 bis zum 15.12.2015.

Kurz nach Be­en­di­gung der El­tern­zeit, am 23.03.2016, kündig­te sie frist­gemäß zum 30.06.2016 und be­an­trag­te Ur­laub für die ver­blei­ben­den drei­ein­halb Mo­na­te. Da­bei be­rech­ne­te sie ih­ren Ur­laubs­an­spruch un­ter Ein­be­zie­hung der knapp dreijähri­gen El­tern­zeit.

Der Ar­beit­ge­ber gewähr­te zwar Ur­laub vom 04.04.2016 bis zum 02.05.2016, lehn­te es in die­sem Schrei­ben aber ab, der An­ge­stell­ten ei­nen wei­ter­ge­hen­den Ur­laub für die El­tern­zeit zu gewähren. Da­mit mach­te er von sei­ner Kürzungsmöglich­keit Ge­brauch, so dass sich nur noch die Fra­ge stell­te, ob die­se ge­setz­li­che Möglich­keit selbst rech­tens ist, d.h. eu­ro­pa­recht­lich zulässig.

Die As­sis­ten­tin klag­te auf Ur­laubs­ab­gel­tung für die El­tern­zeit-Mo­na­te, hat­te da­mit aber we­der vor dem Ar­beits­ge­richt Det­mold (Ur­teil vom 09.03.2017, 1 Ca 359/16) noch in der Be­ru­fung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm Er­folg (LAG Hamm, Ur­teil vom 31.01.2018, 5 Sa 625/17). Bei­de Ge­rich­te hiel­ten die Ur­laubskürzung für zulässig.

BAG: Die Kürzungsmöglich­keit gemäß § 17 Abs.1 Satz 1 BEEG ist mit dem Eu­ro­pa­recht zu ver­ein­ba­ren

Die­ser Sicht­wei­se hat sich jetzt auch das BAG of­fi­zi­ell an­ge­schlos­sen. Da­mit zog die Kläge­rin in al­len drei In­stan­zen den Kürze­ren. In der Pres­sen­mel­dung des BAG heißt es zur Be­gründung:

Die Kürzung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs­an­spruchs von vier Wo­chen bzw. das ge­setz­li­che Kürzungs­recht gemäß § 17 Abs.1 Satz 1 BEEG verstößt we­der ge­gen Art.7 Abs.1 der Richt­li­nie 2003/88/EG (Ar­beits­zeit­richt­li­nie) noch ge­gen § 5 Nr.2 der Rah­men­ver­ein­ba­rung über den El­tern­ur­laub im An­hang der Richt­li­nie 2010/18/EU. Da­bei be­ru­fen sich die Er­fur­ter Rich­ter auf das o.g. EuGH-Ur­teil vom 04.10.2018 (C-12/17 - Ma­ria Di­cu). Denn mit die­ser Ent­schei­dung steht fest, dass Ar­beit­neh­mer während ei­ner El­tern­zeit nicht auf­grund eu­ro­pa­recht­li­cher Vor­schrif­ten Ar­beit­neh­mern gleich­ge­stellt wer­den müssen, die in die­sem Zeit­raum tatsächlich ge­ar­bei­tet ha­ben, so das BAG.

Ergänzend bestätigt das BAG sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung, der zu­fol­ge die Ur­laubskürzung zwar ei­ne ent­spre­chen­de Erklärung des Ar­beit­ge­bers vor­aus­setzt, die aber nicht un­be­dingt aus­drück­lich erklärt wer­den muss. Viel­mehr kann sich der Kürzungs­wil­le auch aus den Umständen er­ge­ben. Es muss nur für den Ar­beit­neh­mer er­kenn­bar sein, dass der Ar­beit­ge­ber von der Kürzungsmöglich­keit Ge­brauch ma­chen will.

Im Übri­gen er­fasst das Kürzungs­recht nicht nur den Min­des­t­ur­laub von vier Wo­chen, son­dern auch darüber hin­aus­ge­hen­de ver­trag­li­che Ur­laubs­ansprüche, d.h. den sog. ver­trag­li­chen Mehr­ur­laub. Vor­aus­set­zung dafür ist al­ler­dings, dass der Ar­beits­ver­trag für den Mehr­ur­laub kei­ne von § 17 Abs.1 Satz 1 BEEG ab­wei­chen­den (Son­dern-)Re­ge­lun­gen enthält.

Fa­zit: Mit der vor­lie­gen­den Ent­schei­dung be­sei­tigt das BAG ei­ne jah­re­lan­ge recht­li­che Un­si­cher­heit, die mit der die An­wen­dung von § 17 Abs.1 Satz 1 BEEG ver­bun­den war.

Die Ent­schei­dung ist im Übri­gen rich­tig. Denn die Gel­tung von § 17 Abs.1 Satz 1 BEEG war al­lein des­halb zwei­fel­haft, weil bzw. so­lan­ge nicht ganz klar war, wie der EuGH die an­tei­li­ge Kürzung von Ur­laubs­ansprüchen während ei­ner El­tern­zeit be­ur­tei­len würde. Da der EuGH die­se Zwei­fel vor ei­nem hal­ben Jahr mit sei­nem Ur­teil vom 04.10.2018 (C-12/17 - Ma­ria Di­cu) be­sei­tigt hat, steht fest, dass § 17 Abs.1 Satz 1 BEEG eu­ro­pa­rechts­kon­form und da­her wirk­sam ist.

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Letzte Überarbeitung: 28. September 2021

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