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ArbG Stuttgart, Urteil vom 25.02.2010, 9 Ca 416/09
Schlagworte: | Betriebsänderung, Interessenausgleich, Namensliste, Kündigung: Betriebsbedingt | |
Gericht: | Arbeitsgericht Stuttgart | |
Aktenzeichen: | 9 Ca 416/09 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 25.02.2010 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | ||
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Tenor
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 29.6.2009 nicht zum 31.12.2009 beendet wurde.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Versandarbeiter weiter zu beschäftigen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Der Streitwert wird auf 7800,- € festgesetzt.
Tatbestand
Mit der am 09.07.2009 beim Arbeitsgericht Stuttgart, Kammern Aalen, eingegangenen Klage, wendet sich der Kläger gegen eine ordentliche, betriebsbedingte Kündigung der Beklagten vom 29.06.2009 zum 31.12.2009.
Der am xx.xx.1959 geborene, verheiratete Kläger ist seit Juli 1990 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Versandarbeiter beschäftigt. Der Kläger erzielte zuletzt eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung von 2 600,00 €. Die Beklagte fertigt in H. insbesondere Kondensatoren für die Elektro- und Elektronikindustrie, wobei sich auf Grund einer Reihe von Personalabbaumaßnahmen die Belegschaft in den letzten Jahren um mehr als die Hälfte reduziert hat.
Am 17.05.2006 schlossen die Beklagte und der bei ihr gebildete Betriebsrat einen „Interessenausgleich, Sozialplan und Standortsicherung“ (Blatt 34 bis 42 der Akte). In diesem Interessenausgleich wurden bereits feststehende Personalabbaumaßnahmen geregelt und mögliche weitere Abbaumaßnahmen angesprochen. Dazu heißt es im Interessenausgleich auszugsweise:
„2.4 Möglicher weiterer Personalabbau DOC 14A ("Abbaufall DOC 14A") Mit dem Auslaufen der Fertigung des Multimediagehäuses DOC 14A entfallen die diesbezüglichen Arbeitsplätze. Der Zeitpunkt des Wegfalls hängt von der Entwicklung der Kundenaufträge ab und kann sich ggf. auch über einen längeren Zeitraum erstrecken.
Soweit den betroffenen Mitarbeitern keine ihrer jeweiligen Qualifikation entsprechende Weiterbeschäftigung am Standort H. , z.B. über Nachfolge- oder Ersatzprodukte oder an anderen freien Arbeitsplätzen, angeboten werden kann, ist die Firma berechtigt, bis zu 35 Mitarbeiter abzubauen.
2.5 Möglicher weiterer Personalabbau UC ("möglicher Abbaufall UC")
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Die Firma kann bis zu 35 weitere Mitarbeiter abbauen, sollte sich die Geschäftsentwicklung bei UC weiterhin verschlechtern und die Firma sich deshalb gezwungen sehen, diese Aktivitäten zu reduzieren oder ganz einzustellen.
Voraussetzung dafür ist, dass eine der jeweiligen Qualifikation der einzelnen Mitarbeiter entsprechende Weiterbeschäftigung am Standort H. , z.B. über Nachfolge- oder Ersatzprodukte oder an anderen freien Arbeitsplätzen, nicht möglich ist.
Der Zeitpunkt des möglichen Abbaus, der sich ebenfalls über einen längeren Zeitraum erstrecken kann, steht derzeit noch nicht fest.3. Durchführung des Personalabbaus im Drei-Stufen-Modell
3.1 Beschreibung des Drei-Stufen-Modells
Der Personalabbau für die in den Ziffern 1.2.3 - 1.2.5 genannten "Abbaufälle" soll vorrangig auf freiwilliger Basis stattfinden und wird wie folgt umgesetzt:1. Stufe: In einem von den Betriebsparteien einvernehmlich festgelegten Zeitraum erhalten die Mitarbeiter ebenfalls einvernehmlich festgelegte spezielle Angebote zur Versetzung oder freiwilligen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses. Diese Angebote richten sich zwar grundsätzlich an alle Mitarbeiter des Standortes H. ; die Firma kann jedoch einzelne Mitarbeiter, deren Weiterbeschäftigung - insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes - im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, aus dem Geltungsbereich des Angebots ausschließen. Außerdem sind sich die Betriebsparteien einig, dass diese speziellen Angebote nur solange gelten, bis die für den jeweiligen "Abbaufall" einvernehmlich festgelegte Höchstzahl erreicht ist.
2. Stufe: Wenn in der 1. Stufe nicht genügend freiwillige Vereinbarungen zustande gekommen sein sollten, um den gem. Ziffern 1.2.3 bzw. 1.2.4 bzw. 1.2.5 erforderlichen Personalabbau zu gewährleisten, erhält eine unter Berücksichtigung der für den Standort H. vereinbarten Sozialauswahlkriterien einvernehmlich festgelegte Gruppe von Mitarbeitern, die in einer Betroffenenliste aufgeführt werden, über Einzelgespräche eine weitere Chance, eine der freiwilligen Maßnahmen anzunehmen. An den Einzelgesprächen soll auch ein Betriebsratsmitglied beteiligt sein, wobei dies je nach Fall alleine mit dem betroffenen Mitarbeiter und/oder zusammen mit der Führungskraft bzw. einem Mitarbeiter der Personalabteilung geschehen kann. In den Einzelgesprächen ist der Mitarbeiter darauf hinzuweisen, dass die 3. Stufe angewendet werden muss, wenn in der 2. Stufe nicht genügend freiwillige Vereinbarungen zustande kommen. Die Betriebsparteien legen für jeden "Abbaufall" einvernehmlich fest, wie lange die 2. Stufe dauern soll.
3. Stufe: Wenn auch am Ende der 2. Stufe nicht genügend freiwillige Vereinbarungen zustande gekommen sind, erhalten in der 3. Stufe, deren Endtermin ebenfalls einvernehmlich festgelegt wird, diejenigen Mitarbeiter aus der in der 2. Stufe vereinbarten Betroffenenliste, die keine freiwillige Vereinbarung abgeschlossen haben, als "letztes Mittel" eine betriebsbedingte Beendigungskündigung.“
Bereits im Jahr 2007 ergänzen die Betriebsparteien diesen Interessenausgleich mit weiteren „Betroffenenlisten“, die Basis von weiteren Personalabbaumaßnahmen waren.
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Am 04.06.2008 vereinbarten die Betriebsparteien eine „1. Ergänzung zum Interessenausgleich, Sozialplan und Standortsicherung vom 17.05.2006 (1. Teil des „Abbaufalls DOC 14 A“)“ (Bl. 31¬33 d. Akte). Darin ist vereinbart:
„2. Wegfall von Arbeitsplätzen
Aufgrund der Entwicklung der Kundenaufträgen bei Multimediakunden sind die in H. zu fertigenden Stückzahlen für SAW DOC 14 A von der ursprünglichen Normalauslastung in Höhe von ca. 250 000 Stück pro Woche seit Anfang Oktober 2007 kontinuierlich auf ein Niveau von ca. 140 000 Stück pro Woche zurückgegangen und werden sich auf Grund des Auslaufens dieser Produktreihe voraussichtlich auch nicht wieder erhöhen.
Diese Fertigungsstückzahl erfordert auf Grund der
Auslastungsfeststellung nur noch 25 Arbeitsplätze, sodass in einem ersten Teil des „Abbaufalls DOC 14 A“ zunächst 10 Mitarbeiter abgebaut werden müssen.“
Weite heißt es:
„3.3 Ergänzende Vereinbarungen zum „Abbaufall DOC 14A“
Darüber hinaus treffen die Betriebsparteien zum „Abbaufall DOC 14 A“ folgenden ergänzende Vereinbarungen:(1) Die 25 Arbeitsplätze, die in der Abteilung SAW DOC 14 A bis zum endgültigen Auslaufen dieser Produktreihe bestehen bleiben, gelten weiterhin als „Abbaufälle DOC 14 A“.
(2) Auch die 9 Versetzungen, die gemäß Ziffer 3.2 dieses ergänzenden Interessenausgleichs durchzuführen sind, werden grundsätzlich weiter als „Abbaufall DOC 14 A“ behandelt. Davon werden allerdings die 2 Austritte abgezogen, die im Zeitraum von Oktober 2007 bis zur Unterzeichnung dieses ergänzenden Interessenausgleich per Aufhebungsvertrag im Geschäftsbereich IN erfolgt sind, weil diese Austritte so behandelt werden sollen, als wenn sie im Rahmen des Drei-Stufen-Modells abgeschlossen worden wären. Die 7 weiterhin als „Abbaufall DOC 14 A“ geltenden Arbeitsplätze sind in Anlage 2 entsprechend gekennzeichnet.
(3) Sobald die gemäß den Absätzen (1) und (2) weiterhin als „Abbaufälle DOC 14 A“ geltenden 32 Arbeitsplätze dauerhaft wegfallen, wird der Abbau nach Regelungen im „Interessenausgleich, Sozialplan und Standortsicherung vom 17.05.2006“ durchgeführt. Für die Einzelheiten der Durchführung, insbesondere zum „Drei-Stufen-Modell“ (Ziffer 3.1) und zu den „Speziellen Angeboten“ (Ziffer 3.2), verpflichtet sich die Betriebsparteien, jeweils weitere Ergänzungen zum Interessenausgleich vom 17.05.2006 zu vereinbaren. Soweit nach dem „Drei-Stufen-Modell“ erforderlich, umfassen diese Ergänzungen auch eine Betroffenenliste.
(4) Für den Fall, dass ein Mitarbeiter nach dem dauerhaften Wegfall seines als „Abbaufall DOC 14 A“ geltenden Arbeitsplatzes noch für einen befristeten Zeitraum auf einem anderen Arbeitsplatz am Standort H. eingesetzt werden kann, soll bei einer voraussichtlichen Einsatzdauer von mehr als zwei Monaten als milderes Mittel eine entsprechende Versetzung vorgenommen
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werden. Damit nicht für jede solche Versetzung weitere Ergänzungen zum Interessenausgleich vom 17.05.2006 vereinbart werden müssen, ist in der jeweiligen Versetzungsmeldung (§ 99 BetrVG) zu dokumentieren, dass der befristete neue Arbeitsplatz als „Abbaufall DOC 14 A“ behandelt wird. Dieses Verfahren gilt auch bei mehrfachen Versetzungen auf einen befristeten neuen Arbeitsplatz.“
Weiter fertigten die Betriebsparteien eine „Protokollnotiz zur 1. Ergänzung zum Interessenausgleich, Sozialplan und Standortsicherung vom 17.05.2006“ (Bl. 44 d. Akte), in der es heißt: „Von dem in Punkt 3.3 (3) der o. g. „1. Ergänzung zum Interessenausgleich, Sozialplan und Standortsicherung vom 17.05.2006“ aufgeführten 32 Arbeitsplätze des Abbaufalls DOC 14 A werden nur maximal 30 Arbeitsplätze per einvernehmlicher festzulegender Betroffenenliste gem. 3.3 (2) der ursprünglichen Betriebsvereinbarung „Interessenausgleich, Sozialplan und Standortsicherung vom 17.05.2006“ abgebaut.“
Mit Schreiben vom 19.05.2009 (Blatt 45 der Akte) teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, dass die Fertigung des Multimediafilters DOC 14 A in den nächsten sechs bis sieben Monaten eingestellt werde und, nachdem Ersatzarbeitsplätze nicht angeboten werden könnten, der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat eine weitere Betroffenenliste besprechen möchte. Gleichzeitig wurde eine Gesamtliste zur Sozialauswahl für den gesamten Betrieb Stand 18.05.2009 übergeben.
Im Weiteren zeigte die Beklagte die geplanten Entlassungen von 30 Arbeitnehmern gegenüber der Agentur für Arbeit am 28.05.2009 an. Mit Bescheid vom 09.06.2009 (Blatt 51/52 der Akte) teilte die Agentur für Arbeit der Beklagten mit, dass die Anzeige am 08.06.2009 vollständig bei der Agentur für Arbeit eingegangen sei und setzte den Ablauf der Entlassungssperre auf den 08.07.2009 fest. Nach Gesprächen über die Namensliste am 08.06.2009, 10.06.2009, 15. und 16.06.2009 einigten sich die Betriebsparteien schließlich am 19.06.2009 auf eine Namensliste, die mit „Betroffenenlisten zum Abbaufall DOC 14 A gemäß Interessenausgleich, Sozialplan und Standortsicherung vom 17.05.2006“ überschrieben ist, ausführt, dass diese Betroffenenliste mit ihrer Unterzeichnung integraler Bestandteil des Interessenausgleich, Sozialplan und Standortsicherung vom 17.05.2006 wird und neben 25 weiteren Arbeitnehmern auch den Kläger namentlich benennt. Bei der Sozialauswahl wendeten die Betriebsparteien ein Punkteschema (Bl. 29 d. Akte) an, bei dem der Kläger 79 Punkte erreichte.
Ebenso am 19.06.2009 unterzeichneten die Betriebsparteien eine Vereinbarung vom 18.06.2009 zur „Vorgehensweise zur Umsetzung der Maßnahmen gemäß der Betroffenenliste (Stand 18.06.2009) zum Abbaufall DOC 14 A gemäß Interessenausgleich, Sozialplan und Standortsicherung vom 17.05.2006 (Ziffer I,2.4)“. Dort heißt es:
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„Die Betroffenenliste kann hinsichtlich des Austausches der Namen der Betroffenen wie folgt verändert und bis maximal 30 Personen ergänzt werden:
1. Kreis der Mitarbeiter, die innerhalb der Betroffenenliste getauscht werden
Entsprechend der Anzahl aus dem Kreis der Mitarbeiter, die sich aufgrund der „Mitarbeiterinformation zur bevorstehenden Personalanpassung im Bereich SAW O DOC 14A H.“ vom 27.05.09 bei der Personalabteilung gemeldet haben und eine freiwillige Vereinbarung unter den unter Punkt 2. aufgeführten Bedingungen abschließen, werden in der unter Punkt 3. aufgeführten Reihenfolge Mitarbeiter innerhalb der Betroffenenliste getauscht. Diesen Mitarbeitern wird entweder die Rücknahme der Aufhebungsvereinbarung/BQG-Vertrag angeboten oder die Rücknahme einer ggfs. ausgesprochenen Kündigung.
2. Bedingungen für den Abschluss einer freiwilligen Vereinbarung und der Herunternahme von Personen von der Personen von der Betroffenenliste
Mitarbeiter, die sich in der Personalabteilung gemeldet haben und bis zum 19.06.2009 eine freiwillige Beendigungsvereinbarung in Form eines Aufhebungs- oder BQG-Vertrages abschließen, ermöglichen grundsätzlich anderen Mitarbeitern, von der Betroffenenliste heruntergenommen zu werden, wenn die Mitarbeiter eine in DOC14A vorhandene, vergleichbare Tätigkeit ausüben (z.B. Einrichter, Maschinenbediener, Serviceelektroniker). Der Mitarbeiter, der dann diese Maßnahme annimmt wird anstelle des bisherigen Mitarbeiters auf die Betroffenenliste gesetzt.
Mitarbeiter, die sich bis 19.06.09 in der Personalabteilung gemeldet haben und eine freiwillige Beendigungsvereinbarung in Form einer Frühpensionierungsregelung (v.B-Regelung) abschließen wollen, ermöglichen grundsätzlich anderen Mitarbeitern von der Betroffenenliste heruntergenommen zu werden, wenn die Mitarbeiter eine in DOC14A vorhandene, vergleichbare Tätigkeit ausüben (z.B. Einrichter, Maschinenbediener, Serviceelektroniker). Dabei muss sich der in Frage kommende Mitarbeiter bis Ende 31. Juli 2009 entschieden haben, ob er die v.B-Regelung annimmt, es sein denn, dass er nachweislich einen Rentenberatungstermin erst nach dem 31.7.09 erhalten kann. Der Mitarbeiter, der dann diese Maßnahme annimmt wird anstelle des bisherigen Mitarbeiters auf die Betroffenenliste gesetzt.3. Reihenfolge, wie die Mitarbeiter von der Betroffenenliste heruntergenommen werden
Sollten mehr als 4 Mitarbeiter, die sich bis 19.06.2009 in der Personalabteilung für eine Frühpensionierungsregelung gemeldet haben, solche Maßnahmen entsprechend der unter Punkt 2. genannten Terminbedingungen annehmen, wird die über 4 Mitarbeiter hinausgehende Anzahl dazu herangezogen, Mitarbeiter von der Betroffenenliste herunterzunehmen. Dementsprechend werden die Mitarbeiter in der Reihenfolge, wie sich Mitarbeiter für eine Beendigungsvereinbarung entscheiden und entsprechend der Tätigkeitskategorie (Facharbeiter bzw. Montagepersonal/Sonstige) von der Betroffenenliste genommen und durch Mitarbeiter gem. der unter Punkt 2. genannten Maßnahmen ersetzt. Wer durch wen innerhalb der Betroffenenliste ersetzt wird, wird mit dem Betriebsrat abgestimmt. Die Betroffenenliste wird entsprechend erweitert bzw. abgeändert.“
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Mit Schreiben vom 23.06.2009 leitete die Beklagte die Anhörung des Betriebsrates zur beabsichtigten Kündigung des Klägers ein (Blatt 46, 47 der Akte). In diesem Schreiben ist neben der Nennung der Sozialdaten des Klägers ausgeführt: „Mit Schreiben vom 19.05.2009 und in abschließenden Gesprächen wurde Ihnen bereits mitgeteilt, dass die Fertigung für Multimediafilter in H. wegen Auftragsmangel Ende Oktober 2009 eingestellt wird. Dadurch wird der bereits vereinbarte Personalabbau gemäß „Interessenausgleich, Sozialplan und Standortsicherung vom 17.05.2006“ Punkt I/2.4 erforderlich. Eine Weiterbeschäftigung der Betroffenen Mitarbeiter am Standort H. ist nicht möglich. Über die über den gesamten Standort durchzuführende Sozialauswahl ist, wie mit Ihnen ausführlich mündlich besprochen und erörtert, Herr L. vom Personalabbau betroffen (siehe die mit Ihnen am 19.06.2009 beschlossene Betroffenenliste). Die der Sozialauswahl zugrunde liegenden Mitarbeiterlisten mit den aktuellen Sozialdaten standen Ihnen zur Verfügung. Unser Angebot zum Abschluss eines BQG-Vertrages wurde nicht angenommen.“
Am 25.06.2009 nahm der Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung in der Weise Stellung, dass der Betriebsrat die Kündigung zur Kenntnis nahm.
Mit Schreiben vom 29.06.2009 (Blatt 5 der Akte) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zum 31.12.2009. Hiergegen richtet sich die Klage vom 09.07.2009.
Nach Ausspruch der Kündigung schieden mindestens 7 Arbeitnehmer bei der Beklagten freiwillig aus. Im Zuge dessen vereinbarten die Betriebsparteien am 21.09.2009 eine Ergänzungsnamensliste (Blatt 86 der Akte), auf die einerseits drei von der ursprünglichen Namensliste zu löschende Arbeitnehmer und andererseits die freiwillig aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmer (als auf die ursprüngliche Namensliste neu aufzunehmende Betroffene) gesetzt wurden.
Der Kläger rügt im Wesentlichen die Massenentlassungsanzeige, die Betriebsratsanhörung und vertritt die Rechtsansicht, dass die Namensliste vom 19.06.2009 schon auf Grund des großen zeitlichen Abstands zum Interessenausgleich vom 17.05.2006 keine einheitliche Urkunde mit diesem bilde. Insgesamt sei der Interessenausgleich mit Namensliste nicht geeignet, die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG zu begründen. Auch habe sich die Sachlage seit Abschluss des Interessenausgleichs im Wesentlichen geändert, so dass auch insoweit keine ausreichende Grundlage im Sinne von § 1 Abs. 5 KSchG bestehe. Auch würden aktuell im gesamten Betrieb Überstunden geleistet. Schließlich sei auch die Sozialauswahl fehlerhaft. Insbesondere habe Herr M. der mit dem Kläger vergleichbar sei, nur 76,33 Punkte erreicht, diesem sei daher vorrangig zu kündigen gewesen.
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Der Kläger beantragt:
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnissen durch die Kündigung der Beklagten vom 29.06.2009 nicht zum 31.12.2009 aufgelöst wird, sondern zu unveränderten Bedingungen darüber hinaus fortbesteht.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Versandarbeiter weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet unter Bezugnahme auf den mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleich mit Namensliste im Wesentlichen, dass es im Bereich „DOC 14 A“ seit Frühjahr 2008 einen deutlichen Auftragsrückgang gegeben habe, so dass im April 2009 die unternehmerische Entscheidung getroffen worden sei, die Produktion in diesem Bereich bis Ende Oktober 2009 einzustellen. Daher sei mit dem Betriebsrat in der Folge vieler Verhandlungen die Namensliste zum bereits im Interessenausgleich vom 17.05.2006 angelegten Abbaufall DOC 14 A vereinbart worden. Im Rahmen der Sozialauswahl habe man ein Punkteschema angewandt und den Kläger mit Maschinenbedienern und sonstigen Arbeitnehmern verglichen. Hierzu nimmt die Beklagte auf die Liste aller mit dem Kläger für vergleichbar gehaltenen Arbeitnehmern (Blatt 30 der Akte) Bezug. Im Rahmen der Betriebsratsanhörung habe die Beklagte dem Betriebsrat nicht nochmals sämtliche aus dem ständigen Verhandlungen bereits bekannten Umstände vortragen müssen, sondern habe auf diese Verhandlungen und Kenntnisse Bezug nehmen dürfen. So sei am 03.06.2009 bereits ein erster Entwurf einer Namensliste dem Betriebsrat übergeben worden, der am 08.06.2009 ausführlich besprochen worden sei. Weitere Besprechungen habe es nach der Übergabe einer weiteren Namensliste am 10.06.2009, am 15.06. und 16.06.2009 gegeben, bevor am 19.06.2009 schließlich die Namensliste vereinbart worden sei. Gemäß der Vereinbarung vom 19.06.2009 zur möglichen Änderung der Namensliste habe man im September 2009 drei Arbeitnehmer von der ursprünglichen Namensliste gestrichen und die anderweitig ausgeschiedenen Arbeitnehmer auf diese aufgenommen.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Klage hat Erfolg
I.
Nach gebotener Auslegung des noch gestellten Feststellungsantrags zu Ziffer 1 bestehen gegen dessen Zulässigkeit keinerlei Bedenken. Bei diesem handelt es sich ausschließlich um einen Antrag nach § 4 KSchG, für den sich das Rechtsschutzbedürfnis bereits aus § 7 KSchG ergibt. Dies ergibt sich mit Eindeutigkeit daraus, dass der bisherige Feststellungsantrag Ziffer 2 aus der Klageschrift einen zusätzlich gestellten Antrag nach § 256 ZPO darstellen sollte. Wobei dieser am Kammertermin vom 25.02.2010 zurückgenommen wurde.
II.
Die Klage ist auch begründet. Die Kündigung vom 29.06.2009 beendet das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht. Die Kündigung erweist sich als rechtsunwirksam.
1. Die Klage wurde innerhalb der Dreiwochenfrist erhoben (§ 4 KSchG), so dass die Kündigung nicht gemäß § 7 KSchG als rechtswirksam gilt.
2. Die Kündigung scheitert aber noch nicht an einer etwaig unterlassenen oder fehlerhaften Massenentlassungsanzeige (§ 17 KSchG). Die Massenentlassungsanzeige muss zwar vor Ausspruch der Kündigung erfolgt sein (vgl. BAG vom 28.05.2009, 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267 ff. mwN; BAG vom 12.07.2007, 2 AZR 448/05, NZA 2008, 425 ff.) und insbesondere dem sog. „Muss-Inhalt“ gerecht werden (§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG), wobei der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess, wenn der Arbeitnehmer zunächst die tatsächlichen Voraussetzungen zur Durchführung einer Massenentlassungsanzeige dargelegt und ordnungsgemäß gerügt hat (vgl. Lembke/Oberwinter, NJW 2007, 721, 723), dies darlegen muss (vgl. BAG vom 24.02.2005, NZA 2005, 766 ff.), woran es vorliegend fehlt. Allerdings ist bereits vor Ausspruch der Kündigung ein - zwischenzeitlich bestandskräftiger - Bescheid
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durch die Agentur für Arbeit am 09.06.2009 ergangen, mit dem inzident feststeht, dass eine wirksame Massenentlassungsanzeige erstattet wurde, denn die Agentur für Arbeit hat den Ablauf der Entlassungssperre auf den 08.07.2009 festgesetzt. Die Arbeitsgerichte sind in einem solchen Fall verpflichtet - solange keine nichtiger Verwaltungsakt vorliegt - bestandskräftige, gegebenenfalls auch rechtswidrige Verwaltungsakte zu beachten; die Arbeitsgericht sind dann gehindert, im Kündigungsschutzprozess die Entscheidung der Arbeitsverwaltung nachzuprüfen (vgl. BAG vom 24.10.1996, 2 AZR 895/95; BAG vom 13.04.2000, 2 AZR 215/99; LAG Hamm vom 24.04.2002, 2 Sa 1847/01; KR - Weigand, 9. Auflage 2009, § 20 KSchG, Rndnr. 73). Ein Entscheidungs- und Überprüfungsrecht der Arbeitsgerichte besteht angesichts dessen im Kündigungsrechtsstreit zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer nur insoweit, als nicht derartige bestandskräftige Entscheidungen der Agentur für Arbeit vorliegen. Soweit bestandskräftige Entscheidungen der Agentur für Arbeit vorliegen, die zum Inhalt haben, dass Sperrfristen zu bestimmten Zeit auslaufen bzw. Entlassungen zu bestimmten Zeiten wirksam werden, gibt es für die Arbeitsgerichte nichts nachzuprüfen, unabhängig davon, welche Vorfragen die Agentur für Arbeit bei ihrer Entscheidung richtig oder unzutreffend entschieden hat (vgl. Moll, in: Ascheid/Preis/Schmidt, 3. Aufl. 2007, § 20 KSchG, Rndnr. 41). Folglich scheitert die Kündigung vorliegend nicht an § 17 KSchG, da für das Arbeitsgericht eine ordnungsgemäße Masseentlassungsanzeige inzident und bindend feststeht.
3. Die Kündigung scheitert auch nicht an § 102 Abs. 1 BetrVG, denn aus den Darlegungen des Arbeitgebers ergibt sich eine ausreichende Anhörung des Betriebsrates.
a) Auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste iSd. § 1 Abs. 5 KSchG ist der Arbeitgeber nicht von der Pflicht zur Anhörung des Betriebsrats zur Kündigung entbunden. Die Betriebsratsanhörung unterliegt keinen erleichterten Anforderungen (vgl. BAG vom 22.01.2004, 2 AZR 111/02, AP BetrVG 1972 § 112 Namensliste Nr. 1 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 11; 20.05.1999, 2 AZR 532/98, BAGE 91, 341, 344). Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen, d.h. der Arbeitgeber muss schriftlich oder mündlich dem Betriebsrat neben näheren Informationen über die Person des betroffenen Arbeitnehmers die Art und den Zeitpunkt der Kündigung und die seiner Ansicht nach maßgeblichen Kündigungsgründe mitteilen (BAG vom 15.11.1995, 2 AZR 974/94, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 89). Der für den Arbeitgeber maßgebende Sachverhalt ist unter Angabe der Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, näher so zu beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu
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prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden (vgl. BAG vom 6.02.1997, 2 AZR 265/96, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 85 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 96). Kommt der Arbeitgeber diesen Anforderungen an seine Mitteilungspflicht nicht oder nicht richtig nach und unterlaufen ihm insoweit bei der Durchführung der Anhörung Fehler, ist die Kündigung unwirksam (BAG vom 27.06.1985, 2 AZR 412/84, BAGE 49, 136, 142). Allerdings ist die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers subjektiv determiniert. An sie sind nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess. Es müssen dem Betriebsrat also nicht alle objektiv kündigungsrechtlich erheblichen Tatsachen, sondern vom Arbeitgeber nur die von ihm für die Kündigung als ausschlaggebend angesehenen Umstände mitgeteilt werden (st. Rspr., bspw. BAG vom 6.07.2006, 2 AZR 520/05, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 80 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 68; 24.06.2004, 2 AZR 461/03, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 22 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 9; 6.11.2003, 2 AZR 690/02, BAGE 108, 269, 280). Dagegen führt eine aus Sicht des Arbeitgebers bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung zu einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats (vgl. BAG vom 6.10.2005, 2 AZR 316/04, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 150 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 16; 22.09. 2004, 2 AZR 31/94, BAGE 78, 39, 47 f.; 13.05.2004, 2 AZR 329/03, BAGE 110, 331 , 334).
Einer näheren Darlegung der Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber bedarf es allerdings dann nicht, wenn der Betriebsrat bei Einleitung des Anhörungsverfahrens bereits über den erforderlichen Kenntnisstand verfügt, um zu der konkret beabsichtigten Kündigung eine sachgerechte Stellungnahme abgeben zu können (vgl. BAG vom 23.10.2008, 2 AZR 163/07 mwN). Diesen Kenntnisstand kann der Betriebsrat insbesondere in den Verhandlungen zum Abschluss des Interessenausgleichs mit Namensliste erlangt haben (vgl. BAG vom 21.02.2002, EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 10). Dass der Betriebsrat Vorkenntnisse hatte, muss der Arbeitgeber im Prozess konkret darlegen und ggf. beweisen (vgl. BAG vom 20.05.1999, 2 AZR 532/98). Legt der Arbeitgeber dies bzw. die Umstände dar, aus denen die Ordnungsgemäßheit der Anhörung folgt, darf sich der Arbeitnehmer nicht darauf beschränken, die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung pauschal zu bestreiten. Vielmehr hat der Arbeitnehmer dann nach § 138 Abs. 1, 2 ZPO vollständig und im Einzelnen darzulegen, ob der Betriebsrat entgegen der Behauptung des Arbeitgebers überhaupt nicht angehört worden sei oder in welchen Punkten er die tatsächlichen Erklärungen des Arbeitgebers über die Betriebsratsanhörung für falsch oder für unvollständig hält (vgl. BAG vom 24.04.2008, 8 AZR 268/07, NZA 2008, Seite 1314 ff.; BAG vom 18.05.2006, 2 AZR 245/05, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung
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Nr. 148).
b) Dies berücksichtigend hat die Beklagte dargelegt, dass bereits im Jahr 2006 der Interessenausgleich vom 17.05.2006 mit der Möglichkeit des zukünftigen weiteren Personalabbaus vereinbart wurde und durch den Abschluss der Ergänzung zum Interessenausgleich vom 04.06.2008 der Wille zum weiteren Personalabbau bekräftigt und aktualisiert wurde. In dieser Ergänzung ist auch der wirtschaftliche Hintergrund der notwendigen Personalanpassung festgehalten. Weiter hat die Beklagte dargelegt, dass sie mittels Schreibens vom 19.05.2009 ihre Absicht zum weiteren Personalabbau weiter konkretisiert und den Hintergrund näher erläutert hat. So ist dort insbesondere die Fertigungseinstellung des Multimediafilters DOC 14 A in den nächsten sechs bis sieben Monaten festgehalten. Weiter wurde dem Betriebsrat mit diesem Schreiben eine Gesamtpersonalliste zur Sozialauswahl übergeben. Schließlich hat die Beklagte den weiteren Gang des Verfahrens, beginnend mit der Übersendung eines ersten Entwurfs zur Namensliste am 03.06.2009, bis hin zur abschließenden Vereinbarung der Namensliste am 19.06.2009, dargelegt. Damit ist für das Gericht nachvollziehbar, dass der Betriebsrat im Zeitpunkt der Einleitung des individuellen Anhörungsverfahrens am 23.06.2009 bereits über Vorkenntnis verfügt hat, die es ihm unter Berücksichtigung der Bezugnahmen im Anhörungsschreiben vom 23.06.2009 erlaubten, sich ohne eigene weitere Nachforschungen ein Bild von der Stichhaltigkeit der Kündigung zu machen. Die daraufhin vom Kläger nur pauschal erhobenen Rügen zur Betriebsratsanhörung sind demgegenüber unbeachtlich.
4. Die Kündigung scheitert aber vorliegend am anzuwendenden Kündigungsschutzgesetz (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG). Denn die Kündigung ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die eine Weiterbeschäftigung des Klägers über den Ablauf der Kündigungsfrist, entgegenstehen (§ 1 Abs. 2 KSchG).
a) Die dringenden betrieblichen Erfordernisse werden zunächst nicht gemäß § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 495, 292 ZPO vermutet. Denn der Kläger ist, als Arbeitnehmer, dem gekündigt werden soll, nicht in einem Interessenausgleich nach § 1 Abs. 5 KSchG zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer ordnungsgemäß in einem wirksamen Interessenausgleich benannt wurde, trägt der Arbeitgeber (vgl. BAG vom 07.05.1998, NZA 1998 S. 933).
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aa) Nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist ein Interessenausgleich über eine geplante Betriebsänderung schriftlich niederzulegen und vom Unternehmer und vom Betriebsrat zu unterschreiben. Auf das gesetzliche Schriftformerfordernis sind die §§ 125, 126 BGB anwendbar. Das Schriftformerfordernis ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht allein deshalb verletzt, weil die Namensliste nicht im Interessenausgleich selbst, sondern in einer Anlage enthalten ist. § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG spricht zwar davon, die namentliche Bezeichnung müsse "in einem Interessenausgleich" erfolgen. Das Erfordernis ist aber erfüllt, wenn Interessenausgleich und Namensliste eine Urkunde bilden (vgl. BAG vom 22.01.2004, EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 11; BAG vom 21.02.2002, EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 10). Wird die Namensliste getrennt vom Interessenausgleich erstellt, reicht es aus, wenn sie von den Betriebsparteien unterzeichnet ist und in ihr oder im Interessenausgleich auf sie Bezug genommen ist (vgl. BAG vom 22.01.2004, a.a.O.). Aber auch dann, wenn die Namensliste selbst nicht unterschrieben ist, kann die Unterschrift unter dem Interessenausgleich die Namensliste noch als Teil des Interessenausgleichs decken. Ausreichend ist es jedenfalls, wenn die Haupturkunde unterschrieben ist, in ihr auf die nicht unterschriebene Anlage ausdrücklich Bezug genommen ist und Haupturkunde und nachfolgende Anlage mittels Heftmaschine körperlich derart zu einer einheitlichen Urkunde verbunden sind, dass eine Lösung nur durch Gewaltanwendung (lösen der Heftklammer) möglich ist (vgl. BAG vom 06.12.2001, EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 9). Demgegenüber ist das Erfordernis der Einheit der Urkunde, dass als Voraussetzung der Schriftform dem in § 126 Abs. 2 BGB vorgesehenen Regelfall eines Schriftstücks zu entnehmen ist, nicht bereits dann erfüllt, wenn eine bloß gedankliche Verbindung (Bezugnahme) zur Haupturkunde besteht. Vielmehr muss die Verbindung auch äußerlich und durch tatsächliche Beifügung der in Bezug genommenen Urkunde zur Haupturkunde in Erscheinung treten (vgl. BGH vom 13.11.1963, BGHZ 40, 255, 263; BAG vom 06.07.2006, NZA 2007, Seite 266 ff.). Deshalb müssen im Augenblick der Unterzeichnung die Schriftstücke als einheitliche Urkunde äußerlich erkennbar werden (vgl. BAG vom 06.07.2006, NZA 2007, Seite 266 m.w.N.). Die Ergänzung eines Interessenausgleichs um eine Namensliste ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darüber hinaus nur dann möglich, wenn dies zeitnah erfolgt (vgl. BAG v. 22.01.2004, a.a.O.; BAG v. 06.07.2006, a.a.O.; LAG Köln v. 22.02.2007, Az.: 6 Sa 974/06). Wann eine zeitnahe Ergänzung des Interessenausgleichs vorliegt, kann allerdings nicht durch eine starre Regelfrist bestimmt werden. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. Ausgangspunkt
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ist der in § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG verdeutlichte Wille des Gesetzgebers, wonach sich Interessenausgleich und Namensliste als einheitliche Urkunde darstellen müssen. Die Anforderung einer zeitnahen Ergänzung soll daher ebenso wie das Erfordernis einer inhaltlichen Bezugnahme sicherstellen, dass ein hinreichender Zusammenhang zwischen der Namensliste und dem Interessenausgleich besteht. Dieser Zusammenhang kann sich in zeitlicher Hinsicht beispielsweise aus fortdauernden Verhandlungen der Betriebsparteien über die Erstellung einer Namensliste ergeben. Die Grenze bildet der Ausspruch der Kündigung (vgl. BAG vom 26.03.2009, 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151 ff.; Kiel, in: Ascheid/Preis/Schmidt, § 1 KSchG, Rndnr. 797; ErfK/Gallner 10. Aufl. § 125 InsO, Rndnr. 2).
bb) Hiernach fehlt es beim Interessenausgleich vom 17.05.2006 und der Namensliste vom 19.06.2009 nicht am Merkmal der Urkundeneinheit. Denn die Namensliste vom 19.06.2009 nimmt ausdrücklich auf den Interessenausgleich vom 17.05.2006 Bezug und erklärt, dass diese integraler Bestandteil des Interessenausgleich vom 17.05.2006 mit deren Unterzeichnung wird. Auch stellt sich die große zeitliche Differenz von mehr als drei Jahren zwischen Abschluss des Interessenausgleichs und Vereinbarung der Namensliste als unschädlich dar, da zwar von einer „zeitnahen“ Ergänzung kaum mehr die Rede sein kein, dem Merkmal der „Zeitnähe“ aber keine eigenständige Bedeutung, welches über die Prüfung der Urkundeneinheit hinausginge, zukommt. Entscheidend ist der innere Zusammenhang zwischen Interessenausgleich und Namensliste, der hier durch die Bezugnahme und die über die Jahre geführten, fortlaufenden Verhandlungen hergestellt ist. Vor allem haben die Betriebsparteien noch im Jahr 2008 eine Ergänzung zum Interessenausgleich vom 17.05.2006 vereinbart, mit der sie zum Ausdruck gebracht haben, dass der bereits im Interessenausgleich vom 17.05.2006 vorgesehene, mögliche weitere Personalabbau „DOC 14 A“ notwendig sein wird. Vor diesem Hintergrund und diesem Geschehensablauf bestehen hinsichtlich des Merkmals der Urkundeneinheit keine Bedenken.
cc) Gleichwohl kann sich die Beklagte vorliegend nicht auf die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG berufen, denn der vereinbarte Vorbehalt einer Änderung der Namensliste vom 19.06.2009 disqualifiziert die vereinbarte Betroffenenliste als Namensliste im Sinne von § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG.
Dabei ist die Vereinbarung zur möglichen Änderung der Namensliste mit Unterzeichnung durch die Betriebsparteien selbst Inhalt und Bestandteil der Urkunde „Interessenausgleich vom 17.05.2006“ geworden, denn im Schreiben vom
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18.06./19.06.2009 (Bl. 48/49 d. Akte) wird auf den Interessenausgleich vom 17.05.2006 konkret Bezug genommen. Die vereinbarte Möglichkeit zur Änderung der Namensliste widerspricht der Regelung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG. Der Zweck der Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG besteht vor allem darin, bei betriebsbedingten Kündigungen einer größeren Zahl von Arbeitnehmern die Sozialauswahl für alle Beteiligten rechtssicher zu gestalten (vgl. BT - Drucks. 15/1204 Seite 11). Mit Blick auf dieses Bedürfnis hielt es der Gesetzgeber für angezeigt, dass die Gerichte für Arbeitssachen die Sachnähe der Betriebsparteien in gewissem Umfang anerkennen und hat den von ihnen getroffenen Einzelfallentscheidungen die Vermutung der Richtigkeit zugebilligt. Der Gesetzgeber ging für den Normalfall davon aus, dass sich die Betriebsparteien über alle Personen verständigen würden, deren Arbeitsverhältnis beendet werden soll. Lediglich um der rechtssicheren Umsetzung von Kündigungen im Zusammenhang mit Betriebsänderungen Willen hat der Gesetzgeber den Betriebsparteien die Möglichkeit eingeräumt, durch die Vereinbarung einer Namensliste den prozessualen Prüfungsmaßstab im Kündigungsrechtsstreit zu verengen. Dies bleibt insb. bei der Frage nach der Anerkennung sogenannter „Teil- Namenslisten“ zur berücksichtigen, wie das Bundesarbeitsgericht in der jüngsten Entscheidung vom 26.03.2009 (2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151 ff.) ausgeführt hat. Regelmäßig wird nur aus einer die unternehmerische Entscheidung insgesamt erfassenden Liste deutlich, wie sich die dem Interessenausgleich zu Grunde liegenden Betriebsänderung aus Sicht der Betriebsparteien auf die konkreten Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer im Betrieb insgesamt auswirkt, welche Arbeitnehmer unter Beachtung sozialer Auswahlgesichtspunkte gekündigt werden müssen (und welche nicht) und ob die Betriebspartner bei der sozialen Auswahl ein von ihnen zu Grunde gelegtes System, vor allem was die Bildung von Vergleichsgruppen anbelangt, durchgängig eingehalten haben (vgl. BAG vom 26.03.2009, 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151 ff.).
Hieraus folgt, dass der Vorbehalt einer Änderung der vereinbarten Namensliste grundsätzlich schädlich ist, um in den Genuss der Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG zu kommen. Denn im Zeitpunkt der Kündigung besteht für den einzelnen Arbeitnehmer gerade keine Rechtssicherheit, ob er nicht doch von der Liste noch genommen werden wird bzw. schließlich noch auf der geänderten Liste erscheinen wird. Zumal nach der Vereinbarung vom 18.06./19.06.2009 die einzelne Streichung und Ersetzung auf der Namensliste erst zwischen den Betriebsparteien „abgestimmt“ werden muss. Eine Sinn und Zweck des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG entsprechende, rechtssichere Gestaltung, bei der der einzelne, betroffene
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Arbeitnehmer nach Unterzeichnung der Namensliste unschwer erkennen kann, was für ihn gelten soll, ist damit nicht möglich und erreichbar. Dies zeigt sich gerade auch am vorliegendem Fall, denn die Betriebsparteien haben ca. drei Monate nach Abfassung der Namensliste vom 19.06.2009 drei Arbeitnehmer von dieser gestrichen und weitere sieben Arbeitnehmer auf diese gesetzt, wobei diese sieben Arbeitnehmer ohnehin durch freiwillige Vereinbarungen bzw. freiwillig aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind. Damit waren diese sieben Arbeitnehmer ohnehin nicht auf die Namensliste zu setzen. In eine Namensliste dürfen nach der Rechtsprechung des BAG, der auch die erkennende Kammer folgt, ausschließlich Arbeitnehmer aufgenommen werden, die aus der Sicht der Betriebsparteien auf Grund der im Interesseausgleich zu Grunde liegenden Betriebsänderung zu kündigen sind (vgl. BAG vom 26.03.2009, 2 AZR 296/07, a.a.O.). Wie die Betriebsparteien bei der Streichung der drei Arbeitnehmer vorgegangen sind, ist unklar, letztlich aber auch unerheblich, denn bereits der Vorbehalt der Änderung der Namensliste in einem Interessenausgleich steht der angestrebten Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG entgegen.
b) Der Vortrag der Beklagten nach § 1 Abs. 5 KSchG wird vorliegend auch nicht den nach § 1 Abs. 2 KSchG für eine betriebsbedingte Kündigung zu stellenden Anforderungen gerecht.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können sich dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Aus innerbetrieblichen Gründen ist eine Kündigung gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber im Unternehmensbereich zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren innerbetrieblichen Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt (vgl. zu alledem z. B. BAG vom 17.06.1999, 2 AZR 141/99 = EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102 = NZA 1999, Seite 1098 ff.; BAG vom 17.06.1999, 2 AZR 522/98 = EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101; BAG vom 17.06.1999, 2 AZR 456/98 = EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 103; BAG vom 10.10.2002, 2 AZR 598/01 = EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 122). Eine solche unternehmerische Entscheidung unterliegt gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur einer Missbrauchskontrolle. Sie ist lediglich daraufhin zu überprüfen, ob sie offenbar unvernünftig oder willkürlich ist und ob sie tatsächlich ursächlich für den vom Arbeitgeber geltend gemachten Beschäftigungswegfall ist. In
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vollem Umfang gerichtlich überprüfbar ist aber die Frage, ob die vom Arbeitgeber getroffene Unternehmerentscheidung tatsächlich vorliegt und sich im betrieblichen Bereich dahin auswirkt, dass für die Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers kein Bedürfnis mehr besteht (vgl. KR-Griebeling, § 1 KSchG, Rndnr. 534). Läuft die unternehmerische Entscheidung darauf hinaus, den Personalbestand auf Dauer zu reduzieren, verbunden mit einer Neuverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer oder den betroffenen Arbeitnehmern bisher zugewiesenen Aufgaben, bedarf es der Konkretisierung dieser Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und hinsichtlich des Begriffs "Dauer", um dem Gericht im Hinblick auf die gesetzlich dem Arbeitgeber auferlegte Darlegungslast (§ 1 Abs. 2 S. 4 KSchG) eine Überprüfung zu ermöglichen (BAG vom 17.06.1999, 2 AZR 141/99 a. a. O.; BAG vom 10.10.2002, 2 AZR 598/01 a. a. O.). Je näher dabei die eigentliche Organisationsentscheidung an den Kündigungsentschluss rückt, umso mehr muss der Arbeitgeber durch Tatsachenvortrag verdeutlichen, dass ein Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer entfallen ist (vgl. BAG vom 17.06.1999, NZA 1999, Seite 1098 ff.). Dabei darf sich der Arbeitgeber nicht auf eine schlagwortartige Umschreibung beschränken; er muss seine tatsächlichen Angaben vielmehr so im Einzelnen darlegen (substantiieren), dass sie vom Arbeitnehmer mit Gegentatsachen bestritten und vom Gericht überprüft werden können. Bei Kündigungen aus innerbetrieblichen Gründen muss der Arbeitgeber also darlegen, welche organisatorischen oder technischen Maßnahmen er angeordnet hat und wie sich die von ihm behaupteten Umstände unmittelbar oder mittelbar auf die Beschäftigungsmöglichkeit für den oder die gekündigten Arbeitnehmer auswirken, d. h. in welchem Umfang die bisher vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand entfallen (BAG vom 17.06.1999, 2 AZR 141/99 a. a. O.; BAG vom 10.10.2002, 2 AZR 598/01 a. a. O.). Der Arbeitgeber muss aufgrund seiner unternehmerischen Vorgaben die zukünftige Entwicklung der Arbeitsmenge anhand einer näher konkretisierten Prognose darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligatorische Leistung erledigt werden können (BAG vom 27.09.2001, 2 AZR 176/00 = EzA Kündigungsschutzgesetz § 14 Nr. 6; BAG vom 10.10.2002, 2 AZR 598/01 a. a. O.). Solange solche unzumutbaren Anstrengungen nicht verlangt werden und das unternehmerische Konzept nicht gesetzes-, tarif- oder vertragswidrig ist, liegt eine bindende Unternehmerentscheidung vor (vgl. HaKo-Gallner, 3. Aufl. 2007, § 1 KSchG, Rndnr. 642).
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bb) Anhand des vom Arbeitgeber nach § 1 Abs. 5 KSchG gehaltenen Sachvortrags ist für das Gericht nicht ansatzweise nachvollziehbar, in welchem Umfang auf Grund der Schließung der Abteilung „DOC 14 A“ Beschäftigungsbedarf tatsächlich entfällt.
5. Schließlich scheitert die Kündigung aber auch an § 1 Abs. 3 KSchG, nachdem die vorgenommene Sozialauswahl - mangels eingetretener Vermutungswirkung nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG - nicht lediglich auf grobe Fehlerhaftigkeit (§ 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG) zu überprüfen ist. Denn die Beklagte hat Arbeitnehmern, die sie selbst für vergleichbar gehalten hat (Blatt 30 der Akte) und die weniger Punkte nach dem angewandten Punkteschema erreicht haben nicht vorrangig gekündigt. Beispielhaft hat die Beklagte den Arbeitnehmer M., obwohl dieser mit 76,33 Punkten weniger Punkte als der Kläger erreicht hat, weiterbeschäftigt. Dass Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, von der durch Anwendung des Punkteschemas eingetretenen Selbstbindung des Arbeitgebers abzuweichen, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Der Arbeitgeber genügt zwar seiner Pflicht, die gesetzlichen Kriterien ausreichend bzw. nicht grob fehlerhaft zu berücksichtigen, bereits dann, wenn das Auswahlergebnis objektiv ausreichend bzw. nicht grob fehlerhaft ist (vgl. BAG vom 17.01.2008, 2 AZR 405/06, DB 2008, 1688; BAG vom 18.10.2006, 2 AZR 473/05, NZA 2007, 505). Dass dies - unabhängig von der konkreten Punktevergabe - vorliegend der Fall ist, hat die Beklagte aber nicht ansatzweise dargelegt.
III.
1. Auch der gestellte Weiterbeschäftigungsantrag ist zulässig, wobei dieser dahingehend auszulegen war, dass dem Zusatz „zu unveränderten Bedingungen“ keine eigenständige Bedeutung zukommt, da die Arbeitsbedingungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht streitig sind.
2. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist auch begründet.
a) Außerhalb der Regelung der §§ 102 Abs. 5 BetrVG, 79 Abs. 2 BPersVG hat der gekündigte Arbeitnehmer nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über den Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Außer im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründet
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die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzukommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. Zu denken ist hierbei etwa an solche Umstände, die auch im streitlos bestehenden Arbeitsverhältnis den Arbeitgeber zur vorläufigen Suspendierung des Arbeitnehmers berechtigen (vgl. BAG, Großer Senat, Beschluss vom 27.02.1985, NZA 1985, Seite 702 ff. (708)). Dies können nur solche Umstände sein, die eine Weiterbeschäftigung beim Arbeitgeber unzumutbar erscheinen lassen, was etwa dann gegeben sein kann, wenn durch die weitere Mitarbeit für den Betrieb erheblicher Schaden zu erwarten ist (vgl. KR-Etzel, 9. Aufl. 2009, § 102 BetrVG, Rndnr. 275). Der Arbeitgeber ist hierfür darlegungs- und beweisbelastet (vgl. Kania, in: Küttner, Personalbuch, Beschäftigungsanspruch, Rndnr. 7). Diese "zusätzlichen Umstände" sind solche, die nicht bereits Gegenstand der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Kündigung nach § 626 BGB oder § 1 KSchG sind. Maßgeblich sind vielmehr solche Umstände, die neben den für die Voraussetzung zur Rechtfertigung der Kündigung vorzutragenden Tatsachen die Interessenlage der Beteiligten prägen. Hierbei sind diejenigen Interessen des Arbeitgebers denjenigen des Arbeitnehmers gegenüberzustellen (vgl. LAG Hessen v. 15.12.2006, NZA-RR 2007, 192 ff.).
b) Nachdem die Beklagte keine nach dem Vorstehenden maßgeblichen Gründe vorgetragen hat, war sie zur Weiterbeschäftigung zu verurteilen.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 495, 269 Abs. 3 Satz 2,
92 Abs. 2 Nummer 1 ZPO analog, nachdem der Kläger im Kammertermin den erweiterten Feststellungsantrag zurückgenommen und im Übrigen vollständig obsiegt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG, drei Bruttomonatsvergütungen liegen zu Grunde (§ 42 Abs. 3 GKG).
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