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LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 13.02.2014, 5 Sa 280/13

   
Schlagworte: Vergleich, Aufhebungsvertrag, Zielvereinbarung, Bonus
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen: 5 Sa 280/13
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 13.02.2014
   
Leitsätze: Auslegung eines Prozessvergleichs
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Mainz, Urteil vom 22.05.2013, 10 Ca 306/13
   

Ak­ten­zei­chen:
5 Sa 280/13
10 Ca 306/13
ArbG Mainz

Ent­schei­dung vom 13.02.2014

Te­nor:

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Mainz vom 22. Mai 2013, Az. 10 Ca 306/13, wird kos­ten­pflich­tig zurück­ge­wie­sen.
Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten über die Zah­lung ei­ner va­ria­blen Vergütung.

Die Kläge­rin war seit 1985 bei der Be­klag­ten zu­letzt als As­sis­ten­tin der Ab­tei­lungs­lei­tung zu ei­nem Brut­to­mo­nats­ent­gelt von ca. € 4.600,00 beschäftigt. In ei­ner Kon­zern­be­triebs­ver­ein­ba­rung (KBV) vom 20.08.2007 idF. vom 01.09.2011 ist die Zah­lung ei­ner va­ria­blen und leis­tungs­be­zo­ge­nen Vergütung (VPR) ge­re­gelt. Die KBV enthält - aus­zugs­wei­se - fol­gen­de Re­ge­lung:

"7.5. Un­terjähri­ger Aus­tritt aus dem VPR-Sys­tem
Bei Aus­schei­den ei­nes Mit­ar­bei­ters aus dem Un­ter­neh­mens­ver­band während des lau­fen­den Jah­res oder bis zum 30.04. des dar­auf fol­gen­den Jah­res, wird der Teil­be­trag, der auf die un­ter­neh­mens­be­zo­ge­nen Zie­le entfällt, nicht gewährt.

Ei­ne Aus­zah­lung entfällt ins­ge­samt, so­fern ei­nem Mit­ar­bei­ter vor dem 30.04. des Fol­ge­jah­res auf­grund ver­hal­tens­be­ding­ter Gründe gekündigt wur­de oder aus die­sen Gründen statt ei­ner Kündi­gung ein Auf­he­bungs­ver­trag ge­schlos­sen wur­de.
…"

Die Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin mit Schrei­ben vom 09.03.2012 außer­or­dent­lich mit so­for­ti­ger Wir­kung, hilfs­wei­se or­dent­lich zum 30.09.2012. Im Kündi­gungs­schutz­pro­zess vor dem Ar­beits­ge­richts Mainz (Az. 1 Ca 559/12) schlos­sen die Par­tei­en im Güte­ter­min vom 02.04.2012 fol­gen­den

"Ver­gleich:

Zwi­schen den Par­tei­en be­steht Ei­nig­keit darüber, dass das zwi­schen ih­nen be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis auf­grund or­dent­li­cher, ar­beit­ge­ber­sei­ti­ger Kündi­gung vom 09.03.2012 un­ter Ein­hal­tung an­wend­ba­rer Kündi­gungs­fris­ten mit Ab­lauf des 31.10.2012 sein En­de fin­den wird.

Zwi­schen den Par­tei­en be­steht Ei­nig­keit darüber, dass die Kläge­rin ab so­fort frei­ge­stellt ist un­ter An­rech­nung noch be­ste­hen­den und ent­ste­hen­den Ur­laubs und noch be­ste­hen­den Ar­beits­zeit­gut­ha­bens aus dem Ar­beits­zeit­kon­to.

Zwi­schen den Par­tei­en be­steht Ei­nig­keit darüber, dass das Ar­beits­verhält­nis bis zum 30.06.2012 ver­trags­gemäß vollständig und ord­nungs­gemäß ab­ge­rech­net wird.

Die Be­klag­te erklärt, im Hin­blick auf die gütli­che Ei­ni­gung würde Vorwürfe ge­gen die Kläge­rin nicht er­ho­ben bzw. nicht auf­recht er­hal­ten.

Die Be­klag­te ver­pflich­tet sich, der Kläge­rin ein wohl­wol­len­des, qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis aus­zu­stel­len."

Die Be­klag­te wei­gert sich, der Kläge­rin die va­ria­ble Vergütung für das Jahr 2011 in rech­ne­risch un­strei­ti­ger Höhe von € 5.967,00 brut­to zu zah­len, weil das Ar­beits­verhält­nis aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen ge­en­det ha­be. Die Kündi­gung vom 09.03.2012 sei aus­weis­lich des In­halts der schrift­li­chen Anhörung des Be­triebs­rats vom 06.03.2012 als Tat- bzw. Ver­dachtskündi­gung we­gen Ar­beits­zeit­be­trugs erklärt wor­den.

Die Kläge­rin hat erst­in­stanz­lich zu­letzt be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie € 5.967,00 nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit 30.04.2012 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Das Ar­beits­ge­richt Mainz hat der Kla­ge mit Ur­teil vom 22.05.2013 statt­ge­ge­ben und zur Be­gründung der Ent­schei­dung - zu­sam­men­ge­fasst - aus­geführt, die Be­klag­te sei zur Zah­lung der VPR-Vergütung für 2011 ver­pflich­tet, denn die ers­te Al­ter­na­ti­ve des Aus­schluss­tat­be­stands der Zif­fer 7.5. Abs. 3 der KBV sei nicht erfüllt. Es könne da­hin­ste­hen, ob die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 09.03.2012 aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen ge­recht­fer­tigt ge­we­sen wäre, denn die Par­tei­en hätten im Ver­gleich vom 02.04.2012 die außer­or­dent­li­che Kündi­gung als sol­che zwar zum An­lass der Be­en­di­gung ge­nom­men, die­se je­doch in Ziff. 1) des Ver­gleichs in ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung um­ge­wan­delt und in Ziff. 4) durch Erklärung der Be­klag­ten klar­ge­stellt, dass Vorwürfe ge­genüber der Kläge­rin nicht er­ho­ben bzw. nicht auf­recht­er­hal­ten würden. Da­mit ha­be die Be­klag­te zum Aus­druck ge­bracht, der An­lass der Be­en­di­gung lie­ge in ei­ner Kündi­gung vom 09.03.2012, die so­wohl re­tro­spek­tiv als auch im Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Ver­gleichs nicht auf ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen be­ru­he. Auch die zwei­te Al­ter­na­ti­ve der Zif­fer 7.5. Abs. 3 KBV sei nicht erfüllt, denn zwi­schen den Par­tei­en sei nicht statt ei­ner Kündi­gung ein Auf­he­bungs­ver­trag ge­schlos­sen wor­den. Der Be­en­di­gungs­tat­be­stand sei nach Ziff. 1) des Ver­gleichs wei­ter­hin die Kündi­gung vom 09.03.2012 ge­blie­ben. So­weit die Be­klag­te vor­tra­ge, ih­re Pro­zess­ver­tre­te­rin ha­be im Güte­ter­min vom 02.04.2012 im Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren dar­auf hin­ge­wie­sen, dass auf­grund der Re­ge­lun­gen der KBV für das Jahr 2011 kein VPR-An­spruch be­ste­he, sei dies nicht Ge­gen­stand des Ver­gleichs ge­wor­den. Ei­ne aus­drück­li­che Ver­ein­ba­rung, et­wa durch ei­ne Aus­gleichs­klau­sel, lie­ge nicht vor. Dass die Kläge­rin mit ei­nem Aus­schluss des VPR-An­spruchs ein­ver­stan­den ge­we­sen sei, ha­be die Be­klag­te selbst nicht be­haup­tet. We­gen wei­te­rer Ein­zel­hei­ten der Ent­schei­dungs­gründe des Ar­beits­ge­richts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Sei­te 5 bis 7 des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils vom 22.05.2013 Be­zug ge­nom­men.

Das ge­nann­te Ur­teil ist der Be­klag­ten am 20.06.2013 zu­ge­stellt wor­den. Sie hat mit am 10.07.2013 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se in­ner­halb der bis zum 20.09.2013 verlänger­ten Be­gründungs­frist mit am 19.09.2013 ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz be­gründet.

Die Be­klag­te ist der An­sicht, die Kläge­rin könne kei­ne VPR-Vergütung für 2011 be­an­spru­chen. Der ge­richt­li­che Ver­gleich vom 02.04.2012 sei nicht da­hin aus­zu­le­gen, dass ih­re außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 09.03.2012 in ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung um­ge­wan­delt wor­den sei, denn das ver­ein­bar­te Be­en­di­gungs­da­tum 31.10.2012 ent­spre­che nicht dem Kündi­gungs­ter­min 30.09.2012. Zu­dem sei ge­re­gelt wor­den, dass ei­ne Be­zah­lung nur bis zum 30.06.2012 er­fol­ge. In­ten­ti­on die­ser Re­ge­lung sei ge­we­sen, der Kläge­rin die be­ruf­li­che Neu­ori­en­tie­rung zu er­leich­tern, in­dem ihr mehr Zeit ein­geräumt wor­den sei, sich aus ei­nem (zu­min­dest auf dem Pa­pier) be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis zu be­wer­ben. Die­sen Hin­ter­grund ha­be auch Ziff. 4) des Ver­gleichs ge­habt. Für die Außen­wir­kung, al­so das wei­te­re be­ruf­li­che Fort­kom­men, ha­be man der Kläge­rin nicht den Ma­kel schwer­wie­gen­der Ver­trags­verstöße an­haf­ten wol­len. Es sei feh­ler­haft, wenn das Ar­beits­ge­richt dar­aus schließe, die Kündi­gung ha­be nicht auf ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen be­ruht. Da die Fra­ge, wel­cher Kündi­gungs­grund vor­ge­le­gen ha­be, im Streit­fall rechts­er­heb­lich sei, müss­te die­se be­ant­wor­tet wer­den. Das Ar­beits­ge­richt ha­be ih­re Erklärung in Ziff. 4) des Ver­gleichs feh­ler­haft aus­ge­legt. Sie ha­be nicht aus­drück­lich erklärt, dass kei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung vor­lie­ge. Im Ge­gen­teil: In Ziff. 1) sei ge­ra­de kein Kündi­gungs­grund ge­nannt wor­den. Sie ha­be das Ar­beits­verhält­nis aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen gekündigt, es ha­be sich um ei­ne Tat- bzw. Ver­dachtskündi­gung we­gen Ar­beits­zeit­be­trugs ge­han­delt. Ih­re Erklärung in Ziff. 4), dass Vorwürfe nicht auf­recht­er­hal­ten würden, ände­re an den ob­jek­ti­ven Verhält­nis­sen zum maßgeb­li­chen Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gung nichts. Bei der Erklärung in Ziff. 4) han­de­le es sich um ei­ne bei Ver­glei­chen nach Aus­spruch ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung häufig ver­wen­de­te For­mu­lie­rung, die je­doch et­wai­ge so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­che Nach­tei­le, wie die Ver­hin­de­rung ei­ner Sperr­frist, nicht ab­wen­den könn­te. Trotz­dem wer­de die­ser Satz von Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tern re­gelmäßig ge­for­dert. Ei­ne rechts­er­heb­li­che Erklärung des Ar­beit­ge­bers stel­le er je­doch nicht dar.

So­weit das Ar­beits­ge­richt an­neh­me, dass auch der zwei­te Aus­schluss­grund der Ziff. 7.5. KBV nicht vor­lie­ge, weil der ge­richt­li­che Ver­gleich nicht mit ei­nem Auf­he­bungs­ver­trag gleich­zu­set­zen sei, wer­de ver­kannt, dass auf­grund der Mo­di­fi­ka­tio­nen, die ggü. der hilfs­wei­se or­dent­lich aus­ge­spro­che­nen Kündi­gung vor­ge­nom­men wor­den sei­en, insb. we­gen der nur teil­wei­sen Be­zah­lung der Zei­ten bis zur recht­li­chen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses, der Ver­gleich als Ab­wick­lungs­ver­trag aus­zu­le­gen sei. Zif­fer 7.5. KBV las­se auch beim Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­trags statt ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung den An­spruch auf die VPR-Vergütung ent­fal­len. Mit die­ser Re­ge­lung sol­le die Möglich­keit er­hal­ten blei­ben, sich gütlich zu tren­nen. An­dern­falls wäre der Ar­beit­ge­ber, um Bo­nus­zah­lun­gen zu ver­mei­den, zum Aus­spruch ei­ner Kündi­gung ge­zwun­gen. Aber auch dann, wenn der Ar­beit­ge­ber - wie hier - ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung be­reits erklärt ha­be und die Ei­ni­gung erst da­nach er­fol­ge, le­be der An­spruch auf die VPR-Vergütung nicht wie­der auf. Das Ar­beits­ge­richt neh­me schließlich an, dass ihr Wil­le, kei­ne VPR-Vergütung zu zah­len, im Ver­gleich kei­nen Nie­der­schlag ge­fun­den ha­be. Da je­doch nach dem Wort­laut der KBV der An­spruch durch den Aus­spruch der Kündi­gung ent­fal­len sei, hätte es ei­ner po­si­ti­ven Aus­sa­ge be­durft, dass sie die VPR-Vergütung für 2011 gleich­wohl zah­len wer­de. Da­ge­gen re­ge­le Ziff. 3) des Ver­gleichs nur, dass ord­nungs­gemäß ab­ge­rech­net wer­de. We­gen wei­te­rer Ein­zel­hei­ten der Be­ru­fungs­be­gründung wird auf den In­halt der Schriftsätze der Be­klag­ten vom 19.09.2013 und vom 22.01.2014 Be­zug ge­nom­men.

Die Be­klag­te be­an­tragt zweit­in­stanz­lich,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Mainz vom 22.05.2013, Az. 10 Ca 306/13, ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil nach Maßga­be ih­rer Be­ru­fungs­er­wi­de­rung vom 07.10.2013 auf die Be­zug ge­nom­men wird, als zu­tref­fend.

Auch im Übri­gen wird auf die zwi­schen den Par­tei­en ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie den In­halt der Sit­zungs­nie­der­schrif­ten Be­zug ge­nom­men. Außer­dem wird Be­zug ge­nom­men auf den In­halt der zur In­for­ma­ti­on des Ge­richts bei­ge­zo­ge­nen Ak­te 1 Ca 559/12 (ArbG Mainz).

Ent­schei­dungs­gründe:

I. Die gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b ArbGG statt­haf­te Be­ru­fung der Be­klag­ten ist zulässig. Sie ist ins­be­son­de­re form- so­wie frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO).

II. In der Sa­che hat die Be­ru­fung kei­nen Er­folg. Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge zu Recht statt­ge­ge­ben. Die Kläge­rin hat ge­gen die Be­klag­te aus der Kon­zern­be­triebs­ver­ein­ba­rung (KBV) vom 20.08.2007 idF. vom 01.09.2011 ei­nen An­spruch auf Zah­lung ei­ner va­ria­blen und leis­tungs­be­zo­ge­nen Vergütung (VPR) in rech­ne­risch un­strei­ti­ger Höhe von € 5.967,00 brut­to für das Jahr 2011.

Die Be­ru­fungs­kam­mer folgt der ausführ­li­chen und sorgfälti­gen Be­gründung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils und stellt dies nach § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Be­ru­fungs­vor­brin­gen ver­an­lasst le­dig­lich fol­gen­de Ausführun­gen:

1. Zwi­schen den Par­tei­en ist un­strei­tig, dass die Kläge­rin aus der KBV für das Jahr 2011 ei­nen An­spruch auf ei­ne VPR-Vergütung iHv. € 5.967,00 brut­to er­wor­ben hat. Die­ser An­spruch ist ent­ge­gen der An­sicht der Be­ru­fung nicht durch Aus­spruch der Kündi­gung vom 09.03.2012 ent­fal­len. Das Ar­beits­ge­richt hat zu­tref­fend an­ge­nom­men, dass ein Aus­schluss­tat­be­stand nach Ziff. 7.5. der KBV nicht vor­liegt. Nach die­ser Re­ge­lung entfällt ein An­spruch auf Aus­zah­lung der VPR-Vergütung ins­ge­samt, so­fern ei­nem Mit­ar­bei­ter vor dem 30.04. des Fol­ge­jah­res auf­grund ver­hal­tens­be­ding­ter Gründe gekündigt wur­de oder aus die­sen Gründen statt ei­ner Kündi­gung ein Auf­he­bungs­ver­trag ge­schlos­sen wur­de. Die­se Vor­aus­set­zun­gen lie­gen hier nicht vor.

So­weit sich die Be­klag­te dar­auf be­ruft, das Ar­beits­verhält­nis mit der Kläge­rin ha­be aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen ge­en­det, steht dem die Re­ge­lung in Ziff. 4) des ge­richt­li­chen Ver­gleichs der Par­tei­en vom 02.04.2012 im Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren (Az. 1 Ca 559/12) vor dem Ar­beits­ge­richt Mainz ent­ge­gen. Die Be­klag­te hat in Ziff. 4) des Ver­gleichs aus­drück­lich erklärt:

"Im Hin­blick auf die gütli­che Ei­ni­gung würde Vorwürfe ge­gen die Kläge­rin nicht er­ho­ben bzw. nicht auf­recht er­hal­ten."

Auf­grund die­ser Erklärung kann die Be­klag­te der Kläge­rin nun­mehr im Fol­ge­pro­zess auf Zah­lung der VPR-Vergütung nicht mehr ent­ge­gen­hal­ten, das Ar­beits­verhält­nis ha­be aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen we­gen Ar­beits­zeit­be­trugs bzw. ei­nes dies­bezügli­chen drin­gen­den Ver­dachts ge­en­det. Ent­ge­gen der An­sicht der Be­ru­fung ist im vor­lie­gen­den Rechts­streit auch nicht zu prüfen, ob die außer­or­dent­li­che, hilfs­wei­se or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 09.03.2012 aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen als Tat- oder Ver­dachtskündi­gung we­gen Ar­beits­zeit­be­trugs rechts­wirk­sam ge­we­sen wäre, wenn sich die Par­tei­en im Güte­ter­min vom 02.04.2012 nicht ver­gleichs­wei­se auf ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­ei­nigt hätten.

2. Die Par­tei­en ha­ben ei­nen Ver­gleich iSd. § 779 Abs. 1 BGB ge­schlos­sen. Nach die­ser Vor­schrift ist der Ver­gleich ein Ver­trag, durch den der Streit oder die Un­ge­wiss­heit der Par­tei­en über ein Rechts­verhält­nis im We­ge ge­gen­sei­ti­gen Nach­ge­bens be­sei­tigt wird. Vor­lie­gend be­stand im Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Ver­gleichs im Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren zwi­schen den Par­tei­en Streit über den Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses nach über 25-jähri­ger Be­triebs­zu­gehörig­keit, nach­dem die Kläge­rin ge­gen die außer­or­dent­li­che, hilfs­wei­se or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 09.03.2012 in­ner­halb der Drei­wo­chen­frist gemäß §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 1 KSchG Kla­ge er­ho­ben hat­te. Die­ser Streit wur­de durch ge­gen­sei­ti­ges Nach­ge­ben be­en­det: Die Kläge­rin wil­lig­te im Güte­ter­min vom 02.04.2012 in die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 31.10.2012 ein und ver­zich­te­te in­so­weit auf den Be­stands­schutz nach dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz; die Be­klag­te ver­pflich­te­te sich, das Ar­beits­verhält­nis bis zum 30.06.2012 "vollständig und ord­nungs­gemäß ab­zu­rech­nen", wo­zu sie mögli­cher­wei­se, nämlich im Fal­le der Rechts­wirk­sam­keit ih­rer außer­or­dent­li­chen Kündi­gung vom 09.03.2012 nicht ver­pflich­tet ge­we­sen wäre. Die Be­klag­te ver­pflich­te­te sich in Ziff. 4) des Ver­gleichs außer­dem, die Vorwürfe ge­gen die Kläge­rin "nicht auf­recht­zu­er­hal­ten". Die­se Erklärung stellt ein wei­te­res Ent­ge­gen­kom­men der Be­klag­ten im Rah­men des ge­gen­sei­ti­gen Nach­ge­bens dar. Da­mit kann sie im vor­lie­gen­den Rechts­streit nicht da­mit gehört wer­den, das Ar­beits­verhält­nis ha­be aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen ge­en­det. Das ver­bie­tet ihr schon der Grund­satz der Ver­trags­treue.

3. Ent­ge­gen der An­sicht der Be­ru­fung stellt Ziff. 4) des Ver­gleichs vom 02.04.2012 im Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren ei­ne recht­er­heb­li­che Erklärung dar, die das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend aus­ge­legt hat.

Nach § 157 BGB sind Verträge so aus­zu­le­gen, wie die Par­tei­en sie nach Treu und Glau­ben un­ter Berück­sich­ti­gung der Ver­kehrs­sit­te ver­ste­hen muss­ten. Da­bei ist vom Wort­laut aus­zu­ge­hen, zur Er­mitt­lung des wirk­li­chen Wil­lens der Par­tei­en sind je­doch auch die außer­halb der Ver­ein­ba­rung lie­gen­den Umstände ein­zu­be­zie­hen, so­weit sie ei­nen Schluss auf den Sinn­ge­halt der Erklärung zu­las­sen. Vor al­lem sind die be­ste­hen­de In­ter­es­sen­la­ge und der mit dem Rechts­geschäft ver­folg­te Zweck zu berück­sich­ti­gen. Im Zwei­fel ist der Aus­le­gung der Vor­zug zu ge­ben, die zu ei­nem vernünf­ti­gen, wi­der­spruchs­frei­en und den In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­part­ner ge­recht wer­den­den Er­geb­nis führt (25.04.2013 - 8 AZR 453/12 - Rn. 22 mwN, NZA 2013, 1206).

Die An­wen­dung die­ser Aus­le­gungs­grundsätze er­gibt, dass Ziff. 4) des Ver­gleichs nicht nur ei­ne "rechts­un­er­heb­li­che Erklärung" dar­stellt, wie die Be­ru­fung meint. Viel­mehr präklu­diert Ziff. 4) den der Kündi­gung vom 09.03.2012 zu­grun­de­lie­gen­den Sach­ver­halt. Ge­nau die­sen Sach­ver­halt wen­det die Be­klag­te aber jetzt ge­gen den An­spruch der Kläge­rin auf die VPR-Vergütung für das Jahr 2011 ein. Die Erklärung in Ziff. 4) des Ver­gleichs kann ent­ge­gen der An­sicht der Be­ru­fung auch nicht so ver­stan­den wer­den, dass sie le­dig­lich für die "Außen­wir­kung" ab­ge­ge­ben wor­den sei, da­mit der Kläge­rin nicht der Ma­kel schwer­wie­gen­der Ver­trags­verstöße an­haf­te. Ob der Kläge­rin schwer­wie­gen­de Ver­trags­verstöße vor­zu­wer­fen wa­ren, die ei­ne außer­or­dent­li­che oder hilfs­wei­se or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten hätten recht­fer­ti­gen können, ist im Kündi­gungs­schutz­pro­zess we­gen der ver­gleichs­wei­sen Ei­ni­gung nicht ge­richt­lich über­prüft wor­den. Für die "Außen­wir­kung" ist nicht der In­halt des ge­richt­li­chen Ver­gleichs, son­dern der In­halt des Ar­beits­zeug­nis­ses von Be­deu­tung, um sich mit ei­ni­ger Aus­sicht auf Er­folg um ei­ne neue Ar­beits­stel­le be­wer­ben zu können. Die Be­klag­te hat sich in Ziff. 5) des Ver­gleichs zur Er­tei­lung ei­nes wohl­wol­len­den, qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses ver­pflich­tet.

So­weit die Be­ru­fung ausführt, bei der Erklärung in Ziff. 4) des Ver­gleichs han­de­le es sich um ei­ne bei Ver­glei­chen nach Aus­spruch ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung häufig ver­wen­de­te For­mu­lie­rung, die von Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tern re­gelmäßig ge­for­dert würde, ob­wohl sich et­wai­ge so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­che Nach­tei­le, wie die Ver­hin­de­rung ei­ner Sperr­frist, da­mit nicht ab­wen­den ließen, ver­hilft ihr dies nicht zum Er­folg. Aus wel­chen Mo­ti­ve oder Gründen For­mu­lie­run­gen wie in Ziff. 4) des Ver­gleichs von Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tern ver­langt wer­den, kann hier da­hin­ste­hen. Die Be­klag­te be­haup­tet nicht, ih­re Pro­zess­ver­tre­te­rin ha­be bei Ver­gleichs­schluss am 02.04.2012 über­haupt nicht das Be­wusst­sein ge­habt, auch mit Ziff. 4) ei­ne rechts­ver­bind­li­che Erklärung ab­zu­ge­ben. Dies wäre nicht nur we­nig über­zeu­gend, son­dern auch un­er­heb­lich. Denn dass die Erklärung, die Vorwürfe ge­gen die Kläge­rin "nicht auf­recht­zu­er­hal­ten" als Wil­lens­erklärung auf­ge­fasst wer­den konn­te und von der Kläge­rin tatsächlich so ver­stan­den wor­den ist, muss­te die Be­klag­te je­den­falls er­ken­nen. Ein ge­hei­mer Vor­be­halt der Be­klag­ten, ih­re Zu­sa­ge in Wirk­lich­keit nicht ein­hal­ten zu wol­len, wäre gemäß § 116 BGB oh­ne­hin un­be­acht­lich.

4. Der An­spruch der Kläge­rin auf die VPR-Vergütung für das Jahr 2011 ist ent­ge­gen der An­sicht der Be­ru­fung auch nicht des­halb nach Ziff. 7.5. der KBV ent­fal­len, weil der ge­richt­li­che Ver­gleich vom 02.04.2012 mit ei­nem Auf­he­bungs­ver­trag aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen gleich­zu­set­zen sei. Die Be­klag­te hat in Ziff. 4) des Ver­gleichs erklärt, dass sie die Vorwürfe ge­gen die Kläge­rin im Hin­blick auf die gütli­che Ei­ni­gung "nicht auf­recht­er­hal­te". Die­se Erklärung kann sie nicht mit dem Hin­weis re­la­ti­vie­ren, dass für die Be­ur­tei­lung der Rechtsmäßig­keit ei­ner Kündi­gung auf die ob­jek­ti­ven Verhält­nis­se im Zeit­punkt des Zu­gangs ab­zu­stel­len sei. Vor­lie­gend ist die Rechtmäßig­keit der außer­or­dent­li­chen, hilfs­wei­se or­dent­li­chen Kündi­gung der Be­klag­ten vom 09.03.2012 we­gen des Ver­gleichs­ab­schlus­ses vom 02.04.2012 nicht zu über­prüfen. Im Fal­le ei­nes Ver­gleichs iSv. § 779 BGB kommt es we­ni­ger auf die wah­re Aus­gangs­la­ge im Sin­ne ei­ner ob­jek­ti­ven Be­wer­tung der von bei­den Sei­ten über­nom­me­nen Leis­tun­gen an, als auf die Einschätzung der Sach- und Rechts­la­ge durch die Par­tei­en bei Ab­schluss der Ver­ein­ba­rung. Ent­schei­dend ist, in­wie­weit sie zur Streit­be­rei­ni­gung wech­sel­sei­tig nach­ge­ge­ben ha­ben. Wird ein Ver­gleich ab­ge­schlos­sen, um die bei verständi­ger Würdi­gung des Sach­ver­halts oder der Rechts­la­ge be­ste­hen­de Un­ge­wiss­heit durch ge­gen­sei­ti­ges Nach­ge­ben zu be­sei­ti­gen, so lässt dies zu­dem ver­mu­ten, dass die ver­ein­bar­te Re­ge­lung die ge­gen­sei­ti­gen In­ter­es­sen aus­ge­wo­gen berück­sich­tigt hat. Die Par­tei­en tra­gen in so ei­nem Fall re­gelmäßig je­weils selbst das Ri­si­ko der An­ge­mes­sen­heit der ver­gleichs­wei­se ver­spro­che­nen Leis­tung (BAG 25.04.2013 - 8 AZR 453/12 - Rn. 35 mwN, aaO.). Die Be­klag­te kann der Kläge­rin nach Ver­gleichs­schluss nicht mehr ent­ge­gen­hal­ten, die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­ru­he auf ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen. Da­mit ist ih­re Ver­pflich­tung zur Aus­zah­lung der VPR-Vergütung für 2011 nicht gemäß Ziff. 7.5 der KBV ent­fal­len.

III. Die Be­klag­te hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten ih­rer er­folg­lo­sen Be­ru­fung zu tra­gen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeb­li­chen ge­setz­li­chen Kri­te­ri­en des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zu­las­sung der Re­vi­si­on recht­fer­ti­gen könn­te, be­steht nicht.

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