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ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/100

Her­aus­ga­be von Fir­men­un­ter­la­gen nach Auf­he­bungs­ver­trag und Frei­stel­lung

Miss­ach­tet ein un­wi­der­ruf­lich frei­ge­stell­ter Ar­beit­neh­mer Wei­sun­gen und gibt Un­ter­la­gen an Au­ßen­ste­hen­de wei­ter, kann ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung un­ver­hält­nis­mä­ßig sein: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 17.11.2016, 5 Sa 1201/16
Hausverbot, Kündigung, Entlassung

05.04.2017. Ver­sto­ßen Ar­beit­neh­mer in er­heb­li­cher Wei­se ge­gen ih­re ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten, kön­nen sie ge­mäß § 626 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) au­ßer­or­dent­lich und frist­los ge­kün­digt wer­den. Vor­aus­set­zung ist, dass das Ar­beits­ver­hält­nis bei ei­nem Blick in die Zu­kunft durch mil­de­re Mit­tel wie z.B. ei­ne Ab­mah­nung oder Ver­set­zung nicht mehr „re­pa­riert“ wer­den kann (sog. Pro­gno­se­prin­zip).

Ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung ist auch nicht aus­ge­schlos­sen, wenn das Ar­beits­ver­hält­nis so oder so dem­nächst en­den wird, z.B. we­gen ei­ner zu­vor schon aus­ge­spro­che­nen or­dent­li­chen Kün­di­gung oder in­fol­ge ei­nes Auf­he­bungs­ver­trags. So­gar ei­ne Frei­stel­lung bis zum Ver­trags­en­de schützt vor ei­ner frist­lo­sen Kün­di­gung nicht im­mer, ob­wohl die Ge­fahr ei­ner Wie­der­ho­lung des Fehl­ver­hal­tens dann sel­ten ge­ge­ben ist.

Be­trägt die Rest­lauf­zeit des Ar­beits­ver­hält­nis­ses, das der Ar­beit­ge­ber mit ei­ner frist­lo­sen Kün­di­gung ver­kürzt, nur noch we­ni­ge Wo­chen, müs­sen die Pflicht­ver­let­zun­gen des Ar­beit­neh­mers ex­trem schwer wie­gen, da­mit der Ar­beit­ge­ber mit ei­ner sol­chen Kün­di­gung vor Ge­richt durch­kommt: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 17.11.2016, 5 Sa 1201/16.

Frist­lo­se Kündi­gun­gen sind auch kurz vor Ver­trags­en­de während ei­ner Frei­stel­lung möglich, aber nur in Aus­nah­mefällen

Will der Ar­beit­ge­ber auf ei­ne Pflicht­ver­let­zung des Ar­beit­neh­mers mit ei­ner außer­or­dent­li­chen und frist­lo­sen Kündi­gung re­agie­ren, dann braucht er ei­nen dafür im All­ge­mei­nen aus­rei­chen­den „wich­ti­gen Grund“ im Sin­ne von § 626 Abs.1 BGB, und außer­dem muss sein In­ter­es­se an ei­ner so­for­ti­gen Ver­trags­be­en­di­gung schwe­rer wie­gen als das ge­gen­tei­li­ge In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an der re­gulären Be­en­di­gung.

An­ders ge­sagt: Das Ab­war­ten der Kündi­gungs­fris­ten darf dem Ar­beit­ge­ber nicht zu­zu­mu­ten sein, was sich bei der In­ter­es­sen­abwägung zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers aus­wirkt, wenn die re­guläre Rest­lauf­zeit des Ar­beits­verhält­nis­ses nur noch we­ni­ge Wo­chen oder gar Ta­ge beträgt.

Denn je kürzer die Rest­lauf­zeit ist, des­to un­wahr­schein­li­cher sind wei­te­re gleich­ar­ti­ge Pflicht­verstöße, und um de­ren Ver­mei­dung geht es ja bei je­der ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung. Die Kündi­gung ist kei­ne Sank­ti­on bzw. Stra­fe, son­dern ist das letz­te Mit­tel (ul­ti­ma ra­tio), um wei­te­re Ver­tragsstörun­gen für die Zu­kunft zu ver­mei­den (Pro­gno­se­prin­zip). Da­bei ist ei­ne Ab­mah­nung als mil­de­res Mit­tel im All­ge­mei­nen vor­ran­ging ge­genüber ei­ner Kündi­gung.

Die­se Grundsätze gel­ten auch ge­genüber ei­nem un­wi­der­ruf­lich frei­ge­stell­ten Ar­beit­neh­mer, wie die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg zeigt.

Kaufmänni­scher An­ge­stell­ter ei­nes Im­mo­bi­li­en­un­ter­neh­mens be­treibt nach Auf­he­bungs­ver­trag und Frei­stel­lung wei­sungs­wid­rig im ei­ge­nen Na­men den Ver­trieb ei­nes Grundstücks

Im Streit­fall hat­ten ei­ne Im­mo­bi­li­en­fir­ma und ein 26 Jah­re lang beschäftig­ter kaufmänni­scher An­ge­stell­ter im Au­gust 2015 ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag mit Ab­fin­dungs­re­ge­lung ver­ein­bart. Gemäß dem Ver­trag soll­te der An­ge­stell­te zu En­de Ja­nu­ar 2016 aus­schei­den und war ab Ok­to­ber 2015 frei­ge­stellt.

Noch während sei­ner Frei­stel­lung bemühte sich der An­ge­stell­te im Na­men ei­ner an­de­ren Im­mo­bi­li­en­fir­ma um den Ver­kauf ei­nes Grundstücks, wo­bei er ge­gen ei­ne ihm zu­vor er­teil­te Wei­sung sei­nes (Noch-)Ar­beit­ge­bers ver­stieß und zu­dem ver­trau­li­che In­for­ma­tio­nen, die das Ver­kaufs­ob­jekt be­tra­fen, nach außen wei­ter­lei­te­te. Da er nach dem Auf­he­bungs­ver­trag während der Frei­stel­lung hin­zu­ver­die­nen durf­te, ver­stieß er da­mit aber nicht ge­gen das ar­beits­ver­trag­li­che Kon­kur­renz­ver­bot.

Im Er­geb­nis konn­te das Grundstück zwar (auch in­fol­ge der Bemühun­gen des An­ge­stell­ten) zu ei­nem gu­ten Preis ver­kauft wer­den, doch be­trach­te­te der Ar­beit­ge­ber das wei­sungs­wid­ri­ge Ver­hal­ten als er­heb­li­chen Ver­trau­ens­bruch und sprach da­her am 18.12.2015 ei­ne frist­lo­se Kündi­gung aus. Dem­ent­spre­chend zahl­te er das Ja­nu­ar­ge­halt so­wie die Hälf­te der Ab­fin­dung nicht aus, die En­de Ja­nu­ar mit der letz­ten Ge­halts­zah­lung fällig ge­wor­den wäre.

Der An­ge­stell­te er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge und Kla­ge auf Zah­lung des Ja­nu­ar­ge­halts und der Ab­fin­dung, vor dem Ar­beits­ge­richt Ber­lin mit Er­folg (Ur­teil vom 01.06.2016, 29 Ca 18112/15). Da­ge­gen ging die Im­mo­bi­li­en­fir­ma in Be­ru­fung.

LAG Ber­lin-Bran­den­burg: Miss­ach­tet ein un­wi­der­ruf­lich frei­ge­stell­ter Ar­beit­neh­mer Wei­sun­gen und gibt Un­ter­la­gen an Außen­ste­hen­de wei­ter, kann ei­ne frist­lo­se Kündi­gung un­verhält­nismäßig sein

Auch das LAG Ber­lin-Bran­den­burg ent­schied ge­gen den Ar­beit­ge­ber.

Denn ob­wohl das Ver­hal­ten des An­ge­stell­ten „an sich“ ein aus­rei­chend schwe­rer „wich­ti­ger Grund“ für ei­ne außer­or­dent­li­che und frist­lo­se Kündi­gung war, fiel die In­ter­es­sen­abwägung hier zu­guns­ten des An­ge­stell­ten aus. Letzt­lich wog sein In­ter­es­se an ei­ner re­gulären Fort­set­zung sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum 31.01.2016 schwe­rer als das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers, schon sechs Wo­chen früher ei­nen Schluss­strich zu zie­hen. Das Ab­war­ten die­ser sechs Wo­chen war dem Ar­beit­ge­ber zu­zu­mu­ten, so das LAG.

Auf­grund der Frei­stel­lung war ei­ne Wie­der­ho­lung des Fehl­ver­hal­tens nämlich aus­zu­sch­ließen, denn der An­ge­stell­te konn­te ja kei­ne Wei­sun­gen sei­nes Ar­beit­ge­bers mehr miss­ach­ten und hat­te kei­nen Zu­griff mehr auf Fir­men­un­ter­la­gen. Außer­dem hat­te er sei­ne (recht­lich un­zulässi­gen) Ver­kaufs­ak­ti­vitäten nicht ver­deckt, son­dern ganz of­fen ent­fal­tet, und da­mit of­fen­bar oh­ne das „Be­wusst­sein für gra­vie­ren­des Un­recht“, was das Ver­trau­en des Ar­beit­ge­bers we­ni­ger schwer be­ein­träch­tigt als ein heim­li­ches Vor­ge­hen.

Hin­zu kam, dass dem Ar­beit­ge­ber kein Scha­den ent­stan­den war, son­dern dass er in­fol­ge der Ver­kaufs­ak­ti­vitäten des Klägers das Grundstück wahr­schein­lich so­gar zu ei­nem bes­se­ren Preis ver­kau­fen konn­te als zunächst ge­plant. Und schließlich war der An­ge­stell­te 26 Jah­re lang beschäftigt, so dass nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) ei­ne ein­ma­li­ge Pflicht­ver­let­zung in der Re­gel nicht zu ei­nem vollständi­gen Ver­trau­ens­ver­lust des Ar­beit­ge­bers führt (BAG, Ur­teil vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09 - „Em­me­ly“).

Fa­zit: Dau­ert das Ar­beits­verhält­nis nach ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung oder ei­nem Auf­he­bungs­ver­trag nur noch we­ni­ge Wo­chen und ist der Ar­beit­neh­mer be­reits un­wi­der­ruf­lich frei­ge­stellt, sind außer­or­dent­li­che bzw. frist­lo­se Kündi­gun­gen sel­ten wirk­sam. Denn in­fol­ge des Pro­gno­se­prin­zips ist die Wie­der­ho­lung von Pflicht­ver­let­zun­gen kaum vor­stell­bar.

Das ist al­ler­dings kein Frei­brief für Pflicht­verstöße kurz vor Ver­trags­en­de: Je länger die Rest­lauf­zeit und je schwe­rer die Pflicht­verstöße, des­to en­ger wird es für den Ar­beit­neh­mer. Und ist die frist­lo­se Nachkündi­gung rech­tens, ver­liert der Ar­beit­neh­mer nicht nur Ge­halts­ansprüche, son­dern auch die Ab­fin­dung, da die­se nur bei re­gulärem Ver­trags­en­de zu zah­len ist.

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Letzte Überarbeitung: 15. Juli 2020

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