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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 24.02.2009, 7 Sa 2017/08

   
Schlagworte: Kündigung: Verdachtskündigung, Emmely, Kündigung: Bagatelle, Kündigung: Außerordentlich
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 7 Sa 2017/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 24.02.2009
   
Leitsätze:

1. Die rechtswidrige und vorsätzliche Verletzung des Eigentums oder Vermögens des Arbeitgebers ist, auch wenn die Sachen nur geringen Wert besitzen, als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich geeignet (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. nur BAG 11.12.2003 - 2 AZR 36/03).

2. Die Frage, ob bei einem gegebenen Eigentumsdelikt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber zumutbar ist oder nicht, ist dann im Rahmen einer Interessenabwägung im Einzelfall zu beantworten. In diese Interessenabwägung sind auf Seiten des Arbeitnehmers regelmäßig die Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter einzubeziehen. Auf Seiten des Arbeitgebers sind u.a. die Funktion des Arbeitnehmers im Betrieb und die Frage der Fortdauer des für das Arbeitsverhältnis notwendigen Vertrauensverhältnisses zu berücksichtigen. Auch generalpräventive Gesichtspunkte können auf Seiten des Arbeitgebers Gewicht erlangen.

3. Im Rahmen der so vorzunehmenden Interessenabwägung sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu würdigen. Dabei kann auch auf das Verhalten des Arbeitnehmers nach der Tatbegehung abgestellt werden, ob er beispielsweise die Tat einräumt, oder aber bei den Aufklärungsmaßnahmen des Arbeitgebers weitere Täuschungshandlungen begeht.

4. Auf den Einzelfall bezogen war hier in der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Rahmen der arbeitgeberseitigen Aufklärung den Sachverhalt beharrlich geleugnet, den Verdacht haltlos auf andere Mitarbeiter abzuwälzen versucht hat und sich im Prozess entgegen § 138 ZPO zu maßgeblichem Sachvortrag wahrheitswidrig eingelassen hat. Dadurch war der Vertrauensverlust irreparabel geworden.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 21.08.2008, 2 Ca 3632/08
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28.07.2009, 3 AZN 224/09
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

 

Verkündet

am 24.02.2009

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

7 Sa 2017/08

2 Ca 3632/08
Ar­beits­ge­richt Ber­lin

H., VA
als Ur­kunds­be­am­ter/in
der Geschäfts­stel­le


Im Na­men des Vol­kes

 

Ur­teil

 

In Sa­chen

pp.

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 7. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 27. Ja­nu­ar 2009
durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt R. als Vor­sit­zen­de
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter R. und S.

für Recht er­kannt:

I. Die Be­ru­fung der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin
vom 21.08.2008 - 2 Ca 3632/08 - wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

II. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

 

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen, hilfs­wei­se or­dent­li­chen Kündi­gung, die die Be­klag­te ge­genüber der Kläge­rin we­gen des Ver­dachts, die­se ha­be zwei von ei­ner Kol­le­gin ge­fun­de­ne Leer­gut­bons im Wert von ins­ge­samt 1,30 € bei ei­nem Ein­kauf zum ei­ge­nen Vor­teil ein­gelöst, erklärt hat.

Die jetzt 50 Jah­re al­te Kläge­rin ist seit dem 25.04.1977 bei der Be­klag­ten bzw. de­ren Rechts­vorgänge­rin als Verkäufe­r­in mit Kas­sentätig­keit tätig.

In der Fi­lia­le, in der die Kläge­rin ar­bei­tet, steht für die Rück­ga­be von Leer­gut ein Fla­schen­au­to­mat be­reit. Die dort aus­ge­druck­ten Pfand­bons wer­den beim Einlösen durch Kun­den an der

 

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Kas­se von der Kas­sie­re­rin mit der Hand ab­ge­zeich­net. So­fern Mit­ar­bei­ter Leer­gut ab­ge­ben wol­len, müssen sie die­ses nach ei­ner An­wei­sung der Be­klag­ten zunächst bei Be­tre­ten der Fi­lia­le dem Fi­li­al­ver­ant­wort­li­chen vor­zei­gen und später den Pfand­bon von die­sem ab­zeich­nen las­sen, be­vor sie ihn an der Kas­se ab­ge­ben. Beim Einlösen an der Kas­se wer­den die Leer­gut­bons der Mit­ar­bei­ter von der Kas­sie­re­rin ein zwei­tes Mal ab­ge­zeich­net.

Am 12.01.2008 fand ei­ne Kol­le­gin der Kläge­rin, die Zeu­gin K., im Kas­sen­be­reich des Back­stops zwei noch nicht abg­zeich­ne­te Leer­gut­bons im Wert von 48 Cent und 82 Cent (vgl. Bl. 215 d.A.). Bei­de Pfand­bons tru­gen das Da­tum 12.01.2008 und wa­ren zu un­ter­schied­li­chen Zei­ten am Au­to­ma­ten er­stellt wor­den. Die Zeu­gin K. überg­ab die Bons dem Markt­lei­ter. Die­ser gab sie an die Kläge­rin zur Ver­wah­rung wei­ter, falls ein Kun­de sie für sich re­kla­mie­ren soll­te. An­dern­falls soll­ten die Pfand­bons später als Fehl­bons bei der Leer­gut­ab­rech­nung ver­bucht wer­den. Die Kläge­rin leg­te die Pfand­bons in das al­len Mit­ar­bei­tern zugäng­li­che Kas­senbüro.

Am 22.01.2008 über­reich­te die Kläge­rin bei ei­nem Ein­kauf in ih­rer Fi­lia­le nach En­de ih­rer Ar­beits­zeit ge­gen 14.45 Uhr zwei Leer­gut­bons, die von der Kas­sie­re­rin, der Zeu­gin Ku., im Kas­sen­sys­tem re­gis­triert wur­den. Sie sind im E-Jour­nal an­hand der Ein­ga­be­num­mern als ein­ge­scannt aus­ge­wie­sen, mit den Wer­ten 48 Cent und 82 Cent auf­geführt und ha­ben den von der Kläge­rin für den Ein­kauf zu zah­len­den Preis um 1,30 € re­du­ziert. In ei­ner schrift­li­chen Erklärung vom 13.02.2008 gab die Kas­sie­re­rin Ku. u.a. an, die bei­den Bons der Kläge­rin hätten das Da­tum 12.01.2008 ge­tra­gen und sei­en nicht ab­ge­zeich­net ge­we­sen (Bl. 207 d.A.). Ob es sich bei den von der Kläge­rin über­reich­ten Bons um die bei­den am 12.01.2008 ge­fun­de­nen Leer­gut­bons han­del­te – so der Vor­wurf der Be­klag­ten – ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig.

Zur Aufklärung der Her­kunft die­ser bei­den von der Kläge­rin ein­gelösten Leer­gut­bons führ­te die Di­strikt­ma­na­ge­rin der Be­klag­ten mit der Kläge­rin am 25.01.2008 ein ers­tes Gespräch, in dem der Kläge­rin vor­ge­wor­fen wur­de, ihr nicht gehören­de Bons ein­gelöst zu ha­ben. Im An­schluss an die­ses Gespräch ver­ein­bar­te die Di­strikt­ma­na­ge­rin mit der Kläge­rin ei­nen Anhörungs­ter­min in der Per­so­nal­ab­tei­lung, der auf Wunsch der Kläge­rin we­gen ei­nes da­zwi­schen lie­gen­den Ur­lau­bes auf den 06.02.2008 fest­ge­legt wur­de. Im Rah­men der Anhörung am 06.02.2008, die – eben­so wie die fol­gen­den Gespräche - im Bei­sein von zwei Be­triebs­rats­mit­glie­dern statt­fan­den, gab die Kläge­rin als ei­ne Möglich­keit für den Be­sitz der bei­den Pfand­bons an, dass ih­re Töch­ter Zu­gang zu ih­rem Porte­mon­naie hätten. Da die Be­klag­te in­so­weit wei­te­ren Klärungs­be­darf sah, wur­de die Anhörung am 11.02.2008 und am

 

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15.02.2008 fort­ge­setzt. In dem Gespräch am 11.02.2008 be­nann­te die Kläge­rin so­dann ei­ne Mit­ar­bei­te­rin, der sie am 21. oder 22. Ja­nu­ar 2008 ihr Porte­mon­naie ge­ge­ben ha­be, um es in den Spind zu tun; er­neut ver­wies sie auf ei­ne ih­rer Töch­ter mit Zu­gang zu ih­rer Geldbörse. Die von der Kläge­rin be­nann­te Mit­ar­bei­te­rin wur­de dar­auf­hin von der Be­klag­ten ver­nom­men und be­stritt aus­drück­lich, das Porte­mon­naie der Kläge­rin er­hal­ten zu ha­ben. In der Anhörung am 15.02.2008 über­reich­te die Kläge­rin ei­ne von ei­ner ih­rer Töch­ter un­ter­zeich­ne­te Erklärung vom 14.2.2008, in der die­se bestätig­te, bei der Be­klag­ten ein­zu­kau­fen, Leer­gut ein­zulösen und „Um­gang mit de­ren Geldbörse pfle­gen“ dürfe. Für den ge­nau­en In­halt der Erklärung wird auf Bl. 53 d.A. Be­zug ge­nom­men.

Da aus Sicht der Be­klag­ten auch nach den ver­schie­de­nen Anhörun­gen ein drin­gen­der Ver-dacht ver­blieb, die Kläge­rin ha­be die bei­den am 12.01.2008 ge­fun­de­nen Leer­gut­bons für sich ein­gelöst, in­for­mier­te sie den bei ihr ge­bil­de­ten Be­triebs­rat mit Schrei­ben vom 18.02.2008 (Bl. 54 ff. d.A.) über ei­ne be­ab­sich­tig­te außer­or­dent­li­che, hilfs­wei­se or­dent­li­che Kündi­gung. Der Be­triebs­rat äußer­te mit Schrei­ben vom 20.02.2008 (Bl. 8 ff. d.A.) Be­den­ken ge­gen die außer-or­dent­li­che Kündi­gung und wi­der­sprach ei­ner be­ab­sich­tig­ten or­dent­li­chen Kündi­gung.

Nach­dem die Be­klag­te die Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats er­hal­ten hat­te, kündig­te sie das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin mit Schrei­ben vom 22.02.2008, der Kläge­rin über­ge­ben am sel­ben Tag, frist­los hilfs­wei­se frist­gemäß zum 30.09.3008.

Mit der vor­lie­gen­den, beim Ar­beits­ge­richt Ber­lin am 27. Fe­bru­ar 2008 ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge, wen­det sich die Kläge­rin ge­gen die­se Kündi­gung, die sie man­gels Kündi­gungs­grun­des und we­gen feh­ler­haf­ter Be­triebs­rats­anhörung als außer­or­dent­li­che Kündi­gung für rechts­un­wirk­sam, als or­dent­li­che Kündi­gung für so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt hält. Die Kläge­rin hat be­haup­tet, Leer­gut­bons sei­en nicht am 12.01.2008 ge­fun­den wor­den, viel­mehr ha­be sich die­ser Sach­ver­halt be­reits im Sep­tem­ber/Ok­to­ber 2007 ab­ge­spielt. Un­ter Ver­weis auf ei­ne von ihr ge­fer­tig­te schrift­li­che Erklärung (Bl. 241 d.A.) hat sie be­haup­tet, sie ha­be zunächst ei­nen Leer­gut­bon oh­ne näher dar­auf zu schau­en aus dem Klein­geld­fach ih­rer Geldbörse ge­holt, dann den zwei­ten Bon ge­se­hen und die­sen auch noch hin­ge­ge­ben. Die von ihr ein­gelösten Pfand­bons hätten auch von Kol­le­gen/Kol­le­gin­nen in ihr Porte­mon­naie ge­legt wor­den sein können. Die Kündi­gung sei aus­ge­spro­chen wor­den, um sie als letz­te Streik­teil­neh­me­rin der Fi­lia­le an dem von ver.di für den Ein­zel­han­del or­ga­ni­sier­ten Streik aus dem Be­trieb der Be­klag­ten zu ent­fer­nen.

Mit Ur­teil vom 21.08.2008, auf des­sen Tat­be­stand we­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des erst-

 

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in­stanz­li­chen Par­tei­vor­brin­gens Be­zug ge­nom­men wird, hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin nach Be­weis­auf­nah­me über die erst­in­stanz­lich strei­ti­gen Vorgänge am 12.01.2008 und am 22.01.2008, die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Zur Be­gründung hat es im We­sent­li­chen aus­geführt, nach der Be­weis­er­he­bung stünde zur vol­len Über­zeu­gung der Kam­mer u.a. fest, dass die Kläge­rin bei ih­rem Per­so­nal­ein­kauf am 22.01.2008 an der Kas­se der Zeu­gin Ku. zwei nicht abg­zeich­ne­te Leer­gut­bons ein­gelöst ha­be, die am 12.01.2008 aus­ge­stellt wor­den sei­en und ei­nen Pfand­wert von 0,48 € und 0,82 € auf­ge­wie­sen hätten. Die­se Leer­gut­bons sei­en bei ei­ner Über­prüfung nach dem Per­so­nal­ein­kauf der Kläge­rin nicht mehr auf­find­bar ge­we­sen. Die­se Übe­rein­stim­mun­gen zwi­schen den ge­fun­de­nen und den ein­gelösten Leer­gut­bons so­wie die feh­len­de Ab­zeich­nung der Bons als Mit­ar­bei­ter­bons, würden den drin­gen­den Ver­dacht be­gründen, dass die Kläge­rin die von Kun­den am 12. 01 2008 ver­lo­re­nen, von ei­ner Kol­le­gin der Kläge­rin auf­ge­fun­de­nen und von der Be­klag­ten auf­be­wahr­ten Leer­gut­bons an sich ge­nom­men und im Rah­men des Mit­ar­bei­ter­ein­kaufs ein­gelöst ha­be. Da­bei sei es aus­ge­schlos­sen, dass die Kläge­rin die­se Bons von Drit­ten er­hal­ten hätte oder sie selbst die­se Bons für ent­spre­chen­des Leer­gut er­hal­ten ha­be. An­halts­punk­te dafür, dass die Be­klag­te der Kläge­rin „ei­ne Fal­le ge­stellt“ ha­be, sei­en nicht er­kenn­bar. Die Be­klag­te ha­be auch al­les Zu­mut­ba­re zur Aufklärung des Sach­ver­hal­tes un­ter­nom­men. Der Be­klag­ten sei es un­zu­mut­bar die Kläge­rin auch nur bis zum Ab­lauf der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist wei­ter­zu­beschäfti­gen, da die­se als Kas­sie­re­rin in ei­nem be­son­ders sen­si­blen Be­reich beschäftigt würde, bei dem das Ver­trau­en auf ein red­li­ches, ver­trags­ge­rech­tes Ver­hal­ten be­son­ders wich­tig sei. Ei­ner vor­he­ri­gen Ab­mah­nung ha­be es nicht be­durft. Die Kündi­gungs­erklärungs­frist sei ein­ge­hal­ten. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten der Ent­schei­dungs­gründe wird auf das an­ge­foch­te­ne Ur­teil Be­zug ge-nom­men.

Ge­gen die­ses der Kläge­rin am 16.09.2008 zu­ge­stell­te Ur­teil rich­tet sich ih­re Be­ru­fung, die sie mit ei­nem beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg am 7. Ok­to­ber 2008 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz ein­ge­legt und mit ei­nem nach Verlänge­rung der Be­gründungs­frist bis zum 28. No­vem­ber 2008 am 28. No­vem­ber 2008 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg ein-ge­gan­ge­nen Schrift­satz be­gründet hat.

Die Kläge­rin be­strei­tet in der Be­ru­fungs­in­stanz wie schon in der ers­ten In­stanz, am 22.01.2008 die frag­li­chen Pfand­bons vom 12.01.2008 ein­gelöst zu ha­ben. Sie ha­be nur zwei ei­ge­ne Pfand­bons oder mögli­cher­wei­se Pfand­bons ih­rer Toch­ter oder von Freun­den red­lich er­wor­be­ne Bons ein­gelöst. In­so­fern könne sie nicht aus­sch­ließen, dass die Pfand­bons, die sie der Zeu­gin Ku. über­reicht ha­be, nicht ge­gen­ge­zeich­net ge­we­sen sei­en. Es müsse hier von ei­ner Ma­ni­pu­la­ti­on des Kas­sen­vor­gangs zu ih­ren Las­ten aus­ge­gan­gen wer­den. Auf die

 

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sich aus dem E-Jour­nal er­ge­ben­den In­for­ma­tio­nen könne sich die Be­klag­te zur Be­gründung ih­res Ver­dach­tes nicht stützen. Die­ses sei auf­grund der mit dem Ge­samt­be­triebs­rat ab­ge­schlos­se­nen Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung E-Jour­nal vom 28.04.2005 (Bl. 421 ff d.A.) nicht zu ver­wer­ten. Die Aus­sa­ge der Zeu­gin Ku. zu dem Kas­sier­vor­gang am 22.01.2008 sei in sich wi­dersprüchlich und wei­se ins­be­son­de­re auch Dif­fe­ren­zen zu ih­rer ers­ten schrift­li­chen Erklärung auf. Wäre der Zeu­gin auf­ge­fal­len, dass die Leer­gut­bons nicht ab­ge­zeich­net ge­we­sen sei­en, hätte sie in ih­rer Funk­ti­on als stell­ver­tre­ten­de Kas­sen­auf­sicht den Kas­sier­vor­gang un­ter­bre­chen müssen, um mit Hil­fe der an­we­sen­den 1. Kas­sie­re­rin ei­ne Über­prüfung des Kas­sen­be­reichs zu ermögli­chen. Für die Zeu­gin ha­be die Möglich­keit be­stan­den, die bei­den Wer­te der Pfand­bons aus dem Gedächt­nis per Hand ein­zu­ge­ben und den Aus­tausch der rich­ti­gen mit den ge­fun­de­nen Pfand­bons im Kas­senbüro vor­zu­neh­men oder aber die Pfand­bons schon an der Kas­se während des Kas­sen­vor­gangs aus­zu­tau­schen. Es wäre ge­ra­de­zu wi­der­sin­nig ge­we­sen, aus­ge­rech­net bei der Zeu­gin Ku., mit der sie im Streit ge­stan­den ha­be, die bei­den ge­fun­de­nen Kas­sen­bons, von de­nen al­le ge­wusst hätten, ein­zulösen, zu­mal ihr noch am 22.01.2008 beim Frühstück erzählt wor­den sei, dass die Teil­neh­mer der Par­ty vom 19.01.2008, die oh­ne die Strei­ken­den statt­ge­fun­den ha­be, auf­ge­for­dert wor­den sei­en, Au­gen und Oh­ren of­fen zu hal­ten und bei Un­re­gelmäßig­kei­ten den Markt­lei­ter zu in­for­mie­ren. Hier spre­che schon nicht die für die Ver­dachtskündi­gung er­for­der­li­che große Wahr­schein­lich­keit dafür, dass sie den ihr vor­ge­wor­fe­nen Be­trug be­gan­gen ha­be. Der Be­klag­ten sei durch das be­haup­te­te Ver­hal­ten der Kläge­rin kein Scha­den ent­stan­den, da sie das Leer­gut er­hal­ten ha­be. Ei­ne Ab­mah­nung sei da­her das verhält­nismäßige Mit­tel. Die An­wei­sung des Markt­lei­ters, die ge­fun­de­nen Leer­gut­bons als Fehl­bons zu ver­bu­chen, sei als An­wei­sung zur Fund­un­ter­schla­gung zu wer­ten. Wei­ter­hin rügt die Kläge­rin die vom Ar­beits­ge­richt vor­ge­nom­me­ne In­ter­es­sen­abwägung und ver­weist un­ter Wie­der­ho­lung ih­res erst­in­stanz­li­chen Par­tei­vor­tra­ges dar­auf, dass die Kündi­gung zur Sank­tio­nie­rung ih­rer Teil­nah­me am Streik er­folgt sei. Die 1. Kas­sie­re­rin ha­be schon zwi­schen der ers­ten und der zwei­ten Streik­wel­le ver­sucht, sie in ei­ne Fal­le zu lo­cken und am 22.11.2008 die Kas­sie­re­rin R. in Ge­gen­wart der Kläge­rin an­ge­wie­sen, ei­nen Son­der­cou­pon im Wert von 1 € zu­guns­ten des Kon­tos der Kläge­rin drei­mal über die Kas­se zu zie­hen. Dar­auf ha­be sich die Kas­sie­re­rin nicht ein­ge­las­sen, den­noch aber ei­ne Ab­mah­nung we­gen die­ses Vor­gangs er­hal­ten. Auf Hin­weis der Be­klag­ten, die 1. Kas­sie­re­rin D. ha­be am 22.11.2008 nach­weis­lich nicht ge­ar­bei­tet, be­haup­tet die Kläge­rin, die­ser Sach-ver­halt ha­be sich vor oder nach dem 22.11.2008 ab­ge­spielt.

Die Kläge­rin und Be­ru­fungskläge­rin be­an­tragt,

Un­ter Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 21.08.2008 – 2 Ca 3632/08 –

 

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1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin we­der durch die frist­lo­se Kündi­gung noch durch die hilfs­wei­se erklärte or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 22.02.2008 be­en­det wur­de.
2. Die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, die Kläge­rin ent­spre­chend der ar­beits­ver­trag­li­chen Be­din­gun­gen als Verkäufe­r­in mit Kas­sentätig­keit zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te ver­tei­digt un­ter Wie­der­ho­lung und Ergänzung ih­res erst­in­stanz­li­chen Vor­tra­ges das ar­beits­ge­richt­li­che Ur­teil und hält nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me den drin­gen­den Ver­dacht der der Kläge­rin vor­ge­wor­fe­nen Pflicht­ver­let­zung nach wie vor für ge­ge­ben. Die Zeu­gin Ku. ha­be den Vor­gang vom 22.01.2008 - so wie von der Be­klag­ten vor­ge­tra­gen – in sei­nen maßgeb­li­chen Punk­ten bestätigt. Die von der Kläge­rin vor­ge­tra­ge­ne Möglich­keit ei­ner ma­nu­el­len Ein­ga­be der Leer­gut­bons schei­de schon auf­grund der im E-Jour­nal aus­ge­wie­se­nen Ein­ga­be­num­mern für die Scan­ner­ein­ga­be aus. Ei­ner Ver­wer­tung des E-Jour­nals stünde die Be­triebs­ver­ein­ba­rung nicht ent­ge­gen, da der hier er­stell­te Aus­zug oh­ne­hin nicht da­von er­fasst sei und zu­dem der Be­triebs­rat in sei­ner Anhörung kei­ne Be­den­ken ge­gen die Aus­wer­tung des E-Jour­nals er­ho­ben ha­be. Bei der Würdi­gung des Par­tei­vor­brin­gens sei auch der wech­seln­de Sach­vor­trag der Kläge­rin zu berück­sich­ti­gen, die dann, wenn ihr Sach­vor­trag nicht mehr zu hal­ten sei, ih­ren Vor­trag ände­re oder Sach­ver­halt un­strei­tig stel­le, wie z.B. den ge­sam­ten Fund der Bons am 12.01.2008. An­ders als die Kläge­rin dar­stel­le, ha­be auch nicht die Mit­ar­bei­te­rin D. die Kas­sie­re­rin an­ge­wie­sen, am 22.11.2007 ei­nen Son­der­cou­pon im Wert von 1 € drei­mal über den Scan­ner zu zie­hen, son­dern es sei die Kläge­rin ge­we­sen, die dies am 22.11.2007 ge­tan und sich so ei­nen Vor­teil er­schli­chen ha­be. Mit der Streik­teil­nah­me ha­be die Kündi­gung nichts zu tun. Das Ver­hal­ten des Markt­lei­ters in Be­zug auf die Ein­la­dung ha­be sie (un­strei­tig) mit ei­ner Ab­mah­nung ge­ahn­det. Die Di­strikt­ma­na­ge­rin ha­be den Dia­log mit den Mit­ar­bei­tern ge­sucht, um die Mo­ti­va­ti­on der Mit­ar­bei­ter her­aus­zu­fin­den.

Nach Ver­neh­mung von drei Zeu­gen durch das Ar­beits­ge­richt hat die Kläge­rin in der zwei­ten In­stanz un­strei­tig ge­stellt, dass die Kas­sie­re­rin K. am 12.01.2008 zwei Pfand­bons vom 12.01.2008 ge­fun­den und die­se an den Markt­lei­ter wei­ter­ge­ge­ben hat, der sie der Kläge­rin über­ge­ben hat, um ab­zu­war­ten, ob ein Kun­de die Bons für sich re­kla­mie­ren würde. Falls dies nicht ge­sche­he, soll­ten die­se Bons als Fehl­bons ver­bucht wer­den. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat gemäß Be­weis­be­schluss vom 27.Ja­nu­ar 2009 (Bl. 576 d.A.) sei­ner­seits Be­weis er­ho­ben über die Be­haup­tung der Be­klag­ten zum Kas­sier­vor­gang am 22.01.2008 durch er­neu­te Ver­neh­mung der Zeu­gin Ku.. Zum In­halt und zum Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me wird auf die Sit-

 

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zungs­nie­der­schrift vom 27. Ja­nu­ar 2009 (Bl. 576 ff. d.A.) Be­zug ge­nom­men.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des zweit­in­stanz­li­chen Par­tei­vor­brin­gens wird auf die Schriftsätze der Kläge­rin und Be­ru­fungskläge­rin vom 27. 11.2008 (Bl. 383 – 413 d.A.) und vom 20.01.2009 (Bl. 533 – 552 d.A.) so­wie auf die­je­ni­gen der Be­klag­ten und Be­ru­fungs­be­klag­ten vom 05. 01.2009 (Bl. 473 – 510 d.A.), vom 23.01.2009 (Bl. 553 – 563 d.A.) und vom 26.01.2009 (Bl. 560 - -563 d.A) Be­zug ge­nom­men.


Ent­schei­dungs­gründe


1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statt­haf­te Be­ru­fung der Kläge­rin ist von ihr frist­gemäß und form­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG).

Die Be­ru­fung ist da­her zulässig.

2. Die Be­ru­fung hat in der Sa­che kei­nen Er­folg. Das Ar­beits­ge­richt hat mit zu­tref­fen­der Be­gründung die außer­or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 22.02.2008 für rechts­wirk­sam an­ge­se­hen. Auch nach Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts steht der Be­klag­ten ein wich­ti­ger Grund iSv § 626 BGB zur Sei­te, der es ihr un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­fal­les und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le un­zu­mut­bar mach­te, das Ar­beits­verhält­nis mit der Kläge­rin auch nur bis zum Ab­lauf der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist fort­zu­set­zen. Die Kündi­gung er­weist sich auch nicht aus an­de­ren Gründen als rechts­un­wirk-sam.

2.1 Mit der Rechts­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist da­von aus­zu­ge­hen, dass vom
Ar­beit­neh­mer zu Las­ten des Ar­beit­ge­bers be­gan­ge­ne Vermögens­de­lik­te re­gelmäßig ge­eig­net sind, ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung aus wich­ti­gem Grund zu recht­fer­ti­gen. Ein Ar­beit­neh­mer, der im Zu­sam­men­hang mit sei­ner Ar­beits­leis­tung straf­recht­lich re­le­van­te Hand­lun­gen ge­gen das Vermögen sei­nes Ar­beit­ge­bers be­geht, ver­letzt da­mit sei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Rück­sicht­nah­me­pflicht schwer­wie­gend und miss­braucht das in ihn ge­setz­te Ver­trau­en in er­heb­li­cher Wei­se (vgl. BAG v. 13.12.2007 - 2 AZR 537/06 - DB 2008, 1633-1635). Dies gilt auch dann, wenn die rechts­wid­ri­ge Ver­let­zungs­hand­lung nur Sa­chen von ge­rin­gem Wert be-

 

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trifft. Die rechts­wid­ri­ge und vorsätz­li­che Ver­let­zung des Ei­gen­tums oder Vermögens des Ar­beit­ge­bers ist stets, auch wenn die Sa­chen nur ge­rin­gen Wert be­sit­zen, als wich­ti­ger Grund zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung an sich ge­eig­net (Prüfung auf der ers­ten Stu­fe des § 626 Abs. 1 BGB; vgl. BAG 11. 12. 2003 - 2 AZR 36/03 - AP BGB § 626 Nr. 179). Es ver­steht sich, dass das Ei­gen­tum des Ar­beit­ge­bers auch nicht zu ei­nem Bruch­teil zur Dis­po­si­ti­on der bei ihm beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer ste­hen kann. Erst die Würdi­gung, ob dem Ar­beit­ge­ber de­halb die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist bzw. der ver­trags­gemäßen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­fal­les und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le un­zu­mut­bar ist (Prüfung auf der zwei­ten Stu­fe des § 626 Abs. 1 BGB), kann zu der Fest­stel­lung der Nicht­be­rech­ti­gung der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung führen (BAG v. 11.12.2003 – 2 AZR 36/03 a.a.O; v. 12. 08.1999 - 2 AZR 923/98 - BA­GE 92, 184, 191).

Da­bei kann nicht nur die er­wie­se­ne Ver­trags­ver­let­zung, son­dern auch schon der schwer­wie-gen­de Ver­dacht ei­ner sol­chen Ver­feh­lung ei­nen wich­ti­gen Grund zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung dar­stel­len. Ei­ne Ver­dachtskündi­gung liegt vor, wenn und so­weit der Ar­beit­ge­ber sei­ne Kündi­gung da­mit be­gründet, ge­ra­de der Ver­dacht ei­nes (nicht er­wie­se­nen) straf­ba­ren bzw. ver­trags­wid­ri­gen Ver­hal­tens ha­be das für die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses er­for­der­li­che Ver­trau­en zerstört. Ei­ne Ver­dachtskündi­gung ist zulässig, wenn sich star­ke Ver­dachts-mo­men­te auf ob­jek­ti­ve Tat­sa­chen gründen, die­se Ver­dachts­mo­men­te ge­eig­net sind, das für die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses er­for­der­li­che Ver­trau­en zu zerstören, und wenn der Ar­beit­ge­ber al­le zu­mut­ba­ren An­stren­gun­gen zur Aufklärung des Sach­ver­halts un­ter­nom­men, ins­be­son­de­re dem Ar­beit­neh­mer Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me ge­ge­ben hat (vgl. std. Rspr. des BAG z.B. BAG v. 13.03.2008 – 2 AZR 961/06 – NZA 2008, 809 ff.). Die­se Grundsätze zur Ver­dachtskündi­gung sind in der Recht­spre­chung un­an­ge­foch­ten. So­weit ver­ein­zelt in der Li­te­ra­tur und jetzt auch in der Öffent­lich­keit un­ter Hin­weis auf die Un­schulds­ver­mu­tung dar­an Kri­tik geäußert wird, grei­fen die Einwände nicht. Die in Art. 6 Abs. 2 MRK ver­an­ker­te Un­schulds­ver­mu­tung wird im Kündi­gungs­recht durch das Pro­gno­se­prin­zip über­la­gert (vgl. aus-führ­lich da­zu BAG v. 14.09.1994 – 2 AZR 164/94 – BA­GE 78, 18; er­neut bestätigt in BAG v. 6.12.2001 – 2 AZR 496/00 – NZA 2002, 847 ff.).

2.2 Die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung hält ei­ner Über­prüfung an die­sem Maßstab stand. Un­ter Berück­sich­ti­gung des ge­sam­ten In­halts der Ver­hand­lung (§ 286 ZPO) und nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me stand nämlich zur Über­zeu­gung der Kam­mer fest, dass die Kläge­rin bei ih­rem Ein­kauf am 22.01.2008 die bei­den ihr nicht gehören­den, am 12.01.2008 ge­fun­de­nen Leer­gut­bons im Wert von 48 Cent und 82 Cent ein­gelöst hat. Da­mit hat sie zu

 

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Las­ten ih­res Ar­beit­ge­bers den von ihr zu zah­len­den Ein­kaufs­preis um 1,30 € re­du­ziert, oh­ne da­zu be­rech­tigt ge­we­sen zu sein. Die­ses Ver­hal­ten war als wich­ti­ger Grund an sich ge­eig­net.

2.2.1 Nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me stand zunächst zur Über­zeu­gung der Kam-mer fest, dass die Kläge­rin bei ih­rem Ein­kauf am 22.01.2008 zwei nicht ab­ge­zeich­ne­te Leer-gut­bons vom 12.01.2008 mit den Wer­ten 48 Cent und 82 Cent ein­gelöst hat.

2.2.1.1 Dies hat die Zeu­gin Ku. auch in ih­rer er­neu­ten Be­weis­auf­nah­me vor dem Be­ru­fungs-ge­richt glaub­haft ge­schil­dert. Sie hat den Kas­sier­vor­gang dar­ge­stellt und be­schrie­ben wie die Kläge­rin zum Schluss zwei Leer­gut­bons ein­gelöst hat, die Zeu­gin die­se über den Scan­ner ge­zo­gen, ab­ge­zeich­net und in das Kas­sen­fach ge­legt hat. Sie hat da­bei ge­schil­dert, wie ihr auf­ge­fal­len war, dass die bei­den Leer­gut­bons nicht ab­ge­zeich­net wa­ren und den Wert des ei­nen Bons mit 48 Cent bestätigt. Bei Vor­la­ge der bei­den, von der Be­klag­ten mit Schrift­satz vom 17.06.2008 ein­ge­reich­ten Leer­gut­bons vom 12.01.2008 mit den Wer­ten 48 Cent und 82 Cent hat sie die­se als die nämli­chen von ihr ab­ge­zeich­ne­ten Leer­gut­bons wie­der er­kannt.

Die Aus­sa­ge der Zeu­gin ist in sich schlüssig. Der Vor­gang als sol­ches, nämlich dass die Klä-ge­rin bei ih­rem Ein­kauf zwei Leer­gut­bons zum Einlösen über­reicht hat, war oh­ne­hin zwi­schen den Par­tei­en im Lau­fe des Rechts­streits un­strei­tig ge­wor­den. Dass die von ihr ein­ge­reich­ten Bons nicht ab­ge­zeich­net wa­ren, hat die Kläge­rin zu­letzt selbst für möglich ge­hal­ten. Aus­weis­lich der Bu­chungs­num­mern wur­den die bei­den Leer­gut­bons während des Kas­sier­vor­gangs ein­ge­scannt, wie die Zeu­gin dies auch in ih­rer Ver­neh­mung erklärt hat. Der von der Zeu­gin an­ge­ge­be­ne Wert der bei­den Bons wird durch die von der Be­klag­ten zu den Ak­ten ge­reich­te Ko­pie des E-Jour­nal über den Ein­kauf der Kläge­rin bestätigt. Das E-Jour­nal weist bei dem Ein­kauf der Kläge­rin zwei Ab­zugs­beträge für Leer­gut­bons in Höhe von 48 Cent und 82 Cent aus. Auch die­se Bu­chun­gen im E-Jour­nal be­strei­tet die Kläge­rin in der Be­ru­fungs­in­stanz nicht.

2.2.1.2 Die Zeu­gin war nach Auf­fas­sung der Be­ru­fungs­kam­mer glaubwürdig.

2.2.1.2.1 Die Zeu­gin hat bei ih­rer Ver­neh­mung durch das Be­ru­fungs­ge­richt den Sach­ver­halt mit ei­ge­nen Wor­ten wie­der­ge­ben und sich da­bei nicht et­wa an Dar­stel­lun­gen der Be­klag­ten, als de­ren Zeu­gin sie be­nannt war, fest­ge­hal­ten. Auch hat sie den Sach­ver­halt nicht de­tail­lier­ter dar­ge­stellt, als es nach dem lan­gen Zeit­ab­lauf nach­voll­zieh­bar war. Die Zeu­gin präsen­tier­te we­der so­fort ei­nen vollständi­gen Sach­ver­halt zu die­sen Er­eig­nis­sen, noch mach­te sie an­de­rer­seits den Ein­druck, be­wusst zunächst be­stimm­te Tat­sa­chen bei ih­rer Aus­sa­ge zur Er-

 

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höhung ih­rer Glaubwürdig­keit zurück­zu­hal­ten, um die­se erst auf Nach­fra­ge zu präsen­tie­ren. Viel­mehr ge­wann die Kam­mer den Ein­druck, dass die Zeu­gin den Ab­lauf der Ge­scheh­nis­se so wie­der­gab, wie dies ih­rer Er­in­ne­rung ent­sprach, wo­bei man­che die­ser Er­in­ne­run­gen erst im Lau­fe der Be­weis­auf­nah­me, in der sich die Zeu­gin mit den Er­eig­nis­sen noch ein­mal be-fas­sen muss­te, wie­der­ka­men. Dies war für die Be­ru­fungs­kam­mer nach­voll­zieh­bar. Dass sich die Zeu­gin an das Er­eig­nis selbst er­in­ner­te, lag un­ge­ach­tet des Zeit­ab­laufs von ei­nem Jahr schon des­halb auf der Hand, weil die­ser Vor­gang zu meh­re­ren Be­fra­gun­gen der Zeu­gin und zu ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ei­ner langjähri­gen Mit­ar­bei­te­rin geführt hat. So­weit die Zeu­gin bei ih­rer er­neu­ten Aus­sa­ge in De­tails von ih­rer frühe­ren schrift­li­chen Erklärung bzw. ih­rer erst­in­stanz­li­chen Aus­sa­ge ab­wich, ins­be­son­de­re et­wa was ih­re Dar­stel­lung da­zu be­traf, wel­che De­tails ihr wann an den von der Kläge­rin über­reich­ten Bons auf­ge­fal­len wa­ren, wa­ren die­se Ab­wei­chun­gen nicht we­sent­lich, be­tra­fen nicht den Kern der Aus­sa­ge und führ­ten nicht zu ei­ner Ände­rung des früher ge­schil­der­ten Sach­ver­halts. Sol­che Ab­wei­chun­gen sind in An-be­tracht des Zeit­ab­laufs, aber auch in An­be­tracht der Tätig­keit der Zeu­gin als Kas­sie­re­rin, die tagtäglich gleich­ar­ti­ge Kas­sen­vorgänge er­lebt, nach­voll­zieh­bar. Die Zeu­gin hat die von der Kläge­rin ein­ge­reich­ten Bons stets als ers­tes mit der feh­len­den Ab­zeich­nung als Mit­ar­bei­ter­bons ge­kenn­zeich­net. Die­ser Um­stand muss­te der Zeu­gin aber auch so­fort auf­fal­len und bei ihr Über­le­gun­gen auslösen, da – wie sie in ih­rer Aus­sa­ge ausführ­te und dies auch den An­wei­sun­gen der Be­klag­ten ent­sprach – Mit­ar­bei­ter­bons nach Ab­ga­be des Pfands und vor dem Einlösen in der Re­gel ab­zu­zeich­nen wa­ren. Dies galt auch für Un­klar­hei­ten in der Aus­sa­ge der Zeu­gin da­zu, wer nach den bei­den Bons im Kas­senbüro ge­se­hen hat. Hier hat die Zeu­gin zunächst von „wir“ ge­spro­chen und dies später da­hin­ge­hend präzi­siert, sie ha­be nach­ge­se­hen. Da­bei konn­te die Zeu­gin mit dem „Wir“ auch nur ein­fach um­gangs­sprach­lich die ge­mein­sa­me Aufklärung mit der 1.Kas­sie­re­rin be­zeich­net ha­ben. Denn als es um die Wie­der­ga­be des kon­kre­ten und von der Zeu­gin er­leb­ten Er­eig­nis­ses, nämlich Gang in das Kas­senbüro, ging, hat sie ih­re Dar­stel­lung dann präzi­siert. Die schrift­li­che Dar­stel­lung der Zeu­gin vom 13.02.2008 noch vor Aus­spruch der Kündi­gung gibt oh­ne­hin die Er­eig­nis­se zeit­lich sehr ge­rafft wie­der. Je­den­falls deu­ten Wi­dersprüche in­so­weit nicht dar­auf hin, die Zeu­gin ha­be hier ei­ne Kon­trol­le des Kas­senbüros ge­schil­dert, die tatsächlich nicht statt­ge­fun­den hat. So­weit die Zeu­gin in ih­rer ers­ten schrift­li­chen Erklärung vom 13.02.2008 ih­ren ei­ge­nen Bei­trag bei der Aufklärung des Sach­ver­hal­tes stärker be­ton­te als jetzt in den Be­weis­auf­nah­men, mag dies auch dem Um­stand ge­schul­det sein, dass es ihr vor den zahl­rei­chen Un­terstützern der Kläge­rin im Ver­hand­lungs­saal un­an­ge­nehm war, ein sol­ches ak­ti­ves Ver­hal­ten ein­zuräum­en. We­der er­gab sich dar­aus für die Be­ru­fungs­kam­mer, dass die von der Zeu­gin ge­schil­der­te Über­prüfung im Kas­senbüro nicht statt­ge­fun­den hat, noch dass die von der Kläge­rin am 22.01.2008 über­reich­ten Leer­gut­bons ab­ge­zeich­net wa­ren.

 

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2.2.1.2.2 Für die Glaubwürdig­keit der Zeu­gin sprach außer­dem ei­ne spon­ta­ne Re­ak­ti­on auf ei­nen ver­ba­len An­griff der Kläge­rin während ih­rer Aus­sa­ge. Als die­se ihr Lüge vor­warf, dreh­te sie sich zur Kläge­rin um und ent­geg­ne­te wütend, sie wis­se doch ge­nau, dass sie die Pfand­bons ein­gelöst ha­be und sit­ze hier, strei­te al­les ab und be­schul­di­ge die an­de­ren. Hier wur­de deut­lich, dass die Zeu­gin es als durch­aus un­ge­recht emp­fand, sich ei­ner er­neu­ten Be­fra­gung in Ge­gen­wart zahl­rei­cher Zu­schau­er aus­set­zen zu müssen, ob­wohl aus ih­rer Sicht und ih­rem Er­le­ben her­aus der Sach­ver­halt klar und ein­deu­tig war und die Kläge­rin be­las­te­te. We­der die Aus­sa­ge der Zeu­gin zum Be­weisthe­ma und den ihr da­zu ge­stell­ten Fra­gen, noch die­se spon-ta­ne Re­ak­ti­on der Zeu­gin auf die Be­mer­kung der Kläge­rin hin er­schie­nen der Be­ru­fungs­kam­mer als ge­lernt und geübt, um dem Ge­richt ei­nen Sach­ver­halt vor­zu­spie­geln, der sich so nicht zu­ge­tra­gen hat.

2.2.1.2.3 Der Um­stand, dass die Zeu­gin die Kläge­rin nicht auf die feh­len­de Ab­zeich­nung der Bons an­ge­spro­chen hat, ließ die Zeu­gin letzt­lich nicht als un­glaubwürdig er­schei­nen. Es sprach ins­be­son­de­re auch nicht ge­gen ih­re Aus­sa­ge, die Kläge­rin ha­be sol­che un­ab­ge­zeich-ne­ten Bons über­reicht. Selbst wenn die Zeu­gin die Bons un­ge­ach­tet et­wai­ger Zwei­fel über de­ren Rich­tig­keit den­noch ent­ge­gen­ge­nom­men hat, mag dies viel­leicht dar­auf hin­deu­ten können, sie ha­be die Kläge­rin be­wusst „ins Mes­ser lau­fen las­sen“ und die­sen Um­stand in der Be­weis­auf­nah­me nicht so of­fen einräum­en wol­len. Das wäre in An­be­tracht des ho­hen Pu­bli­kums­in­ter­es­ses nach­voll­zieh­bar, oh­ne die Zeu­gin un­glaubwürdig er­schei­nen zu las­sen. Folgt man dem Vor­trag der Kläge­rin, sie ha­be nicht ab­ge­zeich­ne­te Bons von Drit­ten in ih­rer Fi­lia­le einlösen können und manch­mal auch ein­gelöst, hätte es für die Zeu­gin oh­ne­hin nur dann An­lass ge­ge­ben, die Kläge­rin auf die feh­len­de Ab­zeich­nung der Bons an­zu­spre­chen, wenn noch auf­grund an­de­rer Umständen, wie et­wa Wert und Da­tum der Bons, Zwei­fel an de­ren Kor­rekt­heit bei der Zeu­gin auf­tre­ten muss­ten und dies die Zeu­gin so­fort noch vor dem Ein­scan­nen be­merkt hätte. Eben­so gut hielt die Kam­mer es für möglich, dass der Zeu­gin – wie sie dies auch jetzt in ih­rer Ver­neh­mung schil­dert – zunächst nur die feh­len­de Ab­zeich­nung auf­ge­fal­len war und sie dann die Kläge­rin nicht gleich, noch da­zu in Ge­gen­wart der 1. Kas­sie­re­rin mit dem Vor­wurf von Un­re­gelmäßig­kei­ten kon­fron­tie­ren woll­te, oh­ne über et­wai­ge Vorwürfe nach­den­ken oder sie über­prüfen zu können. Ge­nau­so gut hielt es die Be­ru­fungs­kam­mer für denk­bar, dass die Zeu­gin beim Kas­sier­vor­gang, der nur kur­ze Zeit dau­er­te, die ein­zel­nen De­tails nicht so­fort in ih­rer Trag­wei­te über­schau­te, um so­fort dar­auf mit ei­ner Nach­fra­ge ge­genüber der Kläge­rin zu re­agie­ren.

2.2.1.2.4 Zu­dem wa­ren bei der Be­ur­tei­lung der Glaubwürdig­keit der Zeu­gin ob­jek­ti­ve und

 

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zwi­schen den Par­tei­en außer Streit ste­hen­de Tat­sa­chen, ins­be­son­de­re die Bu­chun­gen im E-Jour­nal, mit ein­zu­be­zie­hen. Das E-Jour­nal weist nicht nur mit 48 Cent den Wert des ei­nen Bons aus, so wie ihn die Zeu­gin in ih­rer Be­weis­auf­nah­me vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt, aber auch in ih­rer frühe­ren Aus­sa­ge vor dem Ar­beits­ge­richt im­mer wie­der an­ge­ge­ben hat. Es weist darüber hin­aus den Wert des zwei­ten Bons mit ge­nau dem Be­trag aus, der dem zwei­ten ge­fun­de­nen Bon vom 12.01.2008 ent­spricht. Dass die Kläge­rin zwei ei­ge­ne Bons mit Leer­gut von 48 Cent und 82 Cent bei ih­rem Ein­kauf am 22.01.2008 ein­ge­reicht hat, be­haup­tet sie selbst nicht. Die Be­ru­fungs­kam­mer hielt es auch fern je­der Le­bens­er­fah­rung, dass die Kläge­rin zwei ei­ge­ne Pfand­bons mit ge­nau den iden­ti­schen Wer­ten wie die der ge­fun­de­nen Pfand-bons zu­sam­men in ih­rem Porte­mon­naie hat und zu­sam­men einlöst. Kei­ner der von der Be­klag­ten für den 22.01.2008 ein­ge­reich­ten übri­gen Leer­gut­bons wei­sen die­se Pfand­wer­te auf, hin­ge­gen kommt ein Pfand­be­trag von 1€ z.B. öfter vor. Die Kläge­rin hält es auch für möglich, dass die von ihr ein­gelösten Bons nicht ab­ge­zeich­net wa­ren. Da aus­weis­lich der Bu­chungs-num­mer – und mitt­ler­wei­le un­strei­tig – die Bons beim Ein­kauf der Kläge­rin ein­ge­scannt wur-den, käme als ein­zi­ge an­de­re Erklärung für die Bu­chung die­ser Bons beim Ein­kauf der Kläge-rin ein Aus­tausch der Bons durch die Zeu­gin während des Kas­sen­vor­gangs in Be­tracht. Dies schloss die Kam­mer in­des aus. Die Zeu­gin hätte da­zu die bei­den Bons vom 12.01.2008 be­reits beim Ein­kauf der Kläge­rin an der Kas­se be­reit hal­ten müssen, in der bloßen Er­war­tung die Kläge­rin wer­de ei­nen Ein­kauf bei ihr ab­kas­sie­ren las­sen und da­bei zwei Pfand­bons einlösen. Darüber hin­aus hätte die Zeu­gin dar­auf ver­trau­en müssen, die Kläge­rin wer­de we­der be­mer­ken, dass die ihr an­ver­trau­ten Bons nicht mehr im Kas­senbüro lie­gen, noch dass die Zeu­gin bei dem Ein­kauf die­se bei­den Bons ge­gen die von ihr ein­ge­reich­ten Bons aus­tauscht und auch nicht bei ei­ner et­wai­gen Kon­trol­le des Kas­sen­zet­tels, dass die Wer­te der Pfand­bons der Kläge­rin nicht mit den von ihr über­reich­ten Bons übe­rein­stim­men würden. Ein sol­ches Sze­na­rio hielt die Be­ru­fungs­kam­mer für bloße Fik­ti­on. Die sich dar­aus er­ge­ben­den Ri­si­ken auch in Be­zug auf den Ar­beits­platz der Zeu­gin stünden in kei­nem Verhält­nis zu den von der Kläge­rin ge­schil­der­ten Dif­fe­ren­zen zwi­schen den bei­den Mit­ar­bei­tern über die Ar­beits­ein­tei­lung, zu­mal die Zeu­gin da­mit rech­nen muss­te, dass die Kläge­rin bei ei­ner Aufklärung des Sach­ver­halts nähe­re An­ga­ben zu ih­ren Bons und dem von ihr dafür ein­gelösten Pfand­gut hätte ma­chen können, so dass et­wai­ge Un­stim­mig­kei­ten hier auf die Zeu­gin zurück­ge­fal­len wären.

2.2.1.3 Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Kläge­rin steht ei­ner Ver­wer­tung die­ser sich aus dem E-Jour­nal er­ge­ben­den und zwi­schen den Par­tei­en auch un­strei­ti­gen In­for­ma­tio­nen, nämlich Scan­nen von zwei Leer­gut­bons im Wert von 48 Cent und 82 Cent beim Per­so­nal­ein­kauf der Kläge­rin, die Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung E-Jour­nal vom 04.05.2005 nicht ent­ge­gen.

 

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Die Be­klag­te hat die­se In­for­ma­tio­nen schon nicht un­ter Ver­let­zung ei­nes Mit­be­stim­mungs­tat­be­stan­des oder un­ter Nicht­ein­hal­tung der Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung er­langt. Wie die von der Kläge­rin her­an­ge­zo­ge­ne Re­ge­lung in 6.1 der Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung zu den Testkäufen zeigt, soll die Über­prüfung sub­jek­ti­ver Zeu­gen­aus­sa­gen durch die Her­an­zie­hung ob­jek­ti­ver Da­ten des E-Jour­nals schon zum Schutz der Ar­beit­neh­mer zulässig sein. Die Ein­sicht­nah­me in das E-Jour­nal hätte bei an­de­ren Pfand­wer­ten die Kläge­rin von den Vorwürfen in Be­zug auf die ge­fun­de­nen Pfand­bons so­fort ent­las­tet. Zu­dem war der Be­triebs­rat – wor­auf die Be­klag­te be­reits hin­ge­wie­sen hat – bei dem Ab­gleich der Da­ten aus dem E-Jour­nal mit den die Kläge­rin be­las­ten­den Aus­sa­gen der Mit­ar­bei­ter nicht nur im Rah­men der Anhörung der Kläge­rin am 11.02.2008 be­tei­ligt, ihm wur­de das Er­geb­nis des Ab­gleichs auch im Rah­men sei­ner Anhörung mit­ge­teilt, oh­ne dass er ei­ner Ver­wer­tung die­ser In­for­ma­tio­nen wi­der­spro­chen hätte.

Un­ge­ach­tet des­sen kennt das Zi­vil­pro­zess­recht ein „Sach­ver­wer­tungs­ver­bot“ – wie von der Kläge­rin an­ge­nom­men – oh­ne­hin nicht (vgl. BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 537/06 – NZA 2008, 1008 ff). Der bei­ge­brach­te Tat­sa­chen­stoff ist ent­we­der un­schlüssig oder un­be­wie­sen, aber nicht „un­ver­wert­bar“. Al­lein die Ver­let­zung ei­nes Mit­be­stim­mungs­tat­be­stan­des oder die Nicht­ein­hal­tung ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung und de­ren Ver­fah­rens­re­ge­lun­gen können es grundsätz­lich nicht recht­fer­ti­gen, ei­nen ent­schei­dungs­er­heb­li­chen, un­strei­ti­gen Sach­vor­trag der Par­tei­en nicht zu berück­sich­ti­gen und im Er­geb­nis ein „Sach­ver­halts­ver­wer­tungs­ver­bot“ an­zu­er­ken­nen. Erst wenn durch die Ver­wer­tung ei­ner rechts­wid­rig er­lang­ten In­for­ma­ti­on oder ei­nes Be­weis­mit­tels ein er­neu­ter bzw. per­pe­tu­ie­ren­der Ein­griff in recht­lich er­heb­lich geschütz­te Po­si­tio­nen der an­de­ren Pro­zess­par­tei er­folgt, kann ein pro­zes­sua­les Ver­bot ei­ner Ver­wer­tung in Be­tracht kom­men (BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 537/06 a.a.O.). Ein sol­cher Ein­griff lag in­des bei der Ein­sicht­nah­me in das E-Jour­nal in Be­zug auf den Wert der bei­den Leer­gut­bons nicht vor. Die­se In­for­ma­ti­on al­lein be­trifft nicht das Persönlich­keits­recht der Kläge­rin in ei­ner Wei­se, die ein pro­zes­sua­les Ver­wer­tungs­ver­bot er­for­der­lich ma­chen würde.

2.2.1.4 So­weit den Erklärun­gen der Zeu­gin das Vor­brin­gen der Kläge­rin ent­ge­gen­ge­stan­den hat, war im Rah­men von § 286 ZPO ergänzend bei der Würdi­gung der Zeu­gen­aus­sa­ge zu berück­sich­ti­gen, dass sich die Kläge­rin wech­sel­haft ein­ge­las­sen hat. Den Vor­trag der Be­klag­ten zum Fund der Pfand­bons am 12.01.2008 hat die Kläge­rin erst­in­stanz­lich nicht nur in meh­re­ren Schriftsätzen be­strit­ten, sie hat darüber hin­aus noch be­haup­tet, die­ser Vor­gang ha­be sich im Sep­tem­ber/Ok­to­ber 2007 ab­ge­spielt, um dann nach Durchführung ei­ner umfäng­li­chen Be­weis­auf­nah­me in der ers­ten In­stanz den Sach­ver­halt in der zwei­ten In­stanz oh­ne nähe­re

 

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Erklärun­gen oder Be­gründun­gen, wie es zu dem erst­in­stanz­li­chen Be­strei­ten ge­kom­men war, als un­strei­tig ein­zuräum­en. Der Vor­trag der Be­klag­ten zum Fund der Leer­gut­bons war ein tra­gen­des Ele­ment für den von der Be­klag­ten dar­ge­leg­ten drin­gen­den Tat­ver­dacht. Denn oh­ne den Fund von zwei nicht ab­ge­zeich­ne­ten Pfand­bons am 12.01.2008 konn­te es die der Kläge­rin vor­ge­wor­fe­ne Einlösung der ge­fun­de­nen Bons am 22.01.2008 nicht ge­ge­ben ha­ben. Der Erklärung der Kläge­rin, es ha­be in­so­weit ein Miss­verständ­nis zwi­schen ihr und ih­rem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten ge­ge­ben, konn­te die Be­ru­fungs­kam­mer in An­be­tracht des kon­ti­nu­ier­li­chen Be­strei­tens der Kläge­rin über meh­re­re Schriftsätze und ih­ren ab­wei­chen­den Sach­vor­trag, dies ha­be sich be­reits im Sep­tem­ber/Ok­to­ber 2007 zu­ge­tra­gen, nicht näher tre­ten. Noch nach Verkündung des Be­weis­be­schlus­ses durch die 1. In­stanz am 19.06.2008 und nach Hin­weis der Be­klag­ten auf die Sach­ver­halts­dar­stel­lung in der Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats ließ die Kläge­rin er­neut mit Schrift­satz vom 13.08.2008 dar­auf hin­wei­sen, es hand­le sich um ei­nen Vor­gang aus dem Herbst 2007. Erst nach­dem das Ar­beits­ge­richt in sei­nem Ur­teil auf­grund der Aus­sa­ge der drei Zeu­gen, dar­un­ter übri­gens auch ei­ner Zeu­gin, die wie die Kläge­rin am Streik teil­ge­nom­men hat, zu den ent­spre­chen­den Fest­stel­lun­gen ge­kom­men war, hat die Kläge­rin die­se Fest­stel­lun­gen in der Be­ru­fungs­be­gründung nicht wei­ter an­ge­grif­fen. Hier muss­te die Be­ru­fungs­kam­mer da­von aus­ge­hen, dass die Kläge­rin un­ge­ach­tet ih­rer pro­zes­sua­len Pflich­ten nach § 138 ZPO die­sen Sach­ver­halt so­lan­ge be­strit­ten hat, wie sie sich da­von ei­nen pro­zes­sua­len Vor­teil ver­sprach. Darüber hin­aus über­zeug­te die Kam­mer die Dar­stel­lung der Kläge­rin zu dem Kas­sen­vor­gang am 22.01.2008 nicht, ins­be­son­de­re war nicht nach­voll­zieh­bar, dass die Kläge­rin über ei­nen länge­ren Zeit­raum, der ihr ei­ne nähe­re Dar­le­gung da­zu, wann sie wel­ches Leer­gut in der Fi­lia­le ein­gelöst hat, unmöglich ma­chen soll, bei­de Bons im Klein­geld­fach auf­ge­ho­ben ha­ben will, ob­wohl dort ein Bon we­der über länge­re Zeit un­be­merkt blei­ben, noch länge­re Zeit oh­ne Scha­den durch das Hart­geld zu neh­men, auf­ge­ho­ben wer­den kann. An kon­kre­ten Ein­las­sun­gen der Kläge­rin da­zu, wel­che Bons mit wel­chen Beträgen, ob ab­ge­zeich­net oder nicht, sie am 22.01.2008 ein­gelöst hat, fehlt es gänz­lich. Ins­be­son­de­re hat die Kläge­rin auch nicht et­wa vor­ge­tra­gen, dass sie in letz­ter Zeit Pfand­gut in der Fi­lia­le der Be­klag­ten ab­ge­ge­ben hat und von wem sie die dafür ge­zo­ge­nen Bons hat ab­zeich­nen las­sen. Auch zum Er­halt der Leer­gut­bons sei­tens drit­ter Per­so­nen, sei­en es Fa­mi­li­en­an­gehöri­ge, sei­en es Freun­de, hat sich die Kläge­rin nicht sub­stan­ti­iert ein­ge­las­sen.

2.2.1.5 Aus all die­sen Gründen war die Be­ru­fungs­kam­mer von der Rich­tig­keit der Zeu­gen­aus­sa­ge über­zeugt, mit dem Er­geb­nis, dass die Be­haup­tun­gen der Be­klag­ten, die Kläge­rin ha­be am 22.01.2008 zwei nicht ab­ge­zeich­ne­te Leer­gut­bons vom 12.01.2008 mit den Pfand­wer­ten 48 und 82 Cent bei ih­rem Ein­kauf ein­gelöst, als be­wie­sen an­zu­se­hen und der Ent-

 

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schei­dung zu­grun­de zu le­gen wa­ren. Re­le­van­te Zwei­fel wa­ren für die Kam­mer nicht ver­b­lie-ben.

2.2.2 Hat die Kläge­rin aber am 22.01.2008 zwei nicht als Mit­ar­bei­ter­bons ab­ge­zeich­ne­te Leer­gut­bons vom 12.01.2008 mit den Wer­ten von 48 Cent und 82 Cent bei ih­rem Ein­kauf für sich ein­gelöst, wa­ren ob­jek­ti­ve Tat­sa­chen ge­ge­ben, die den drin­gen­den Ver­dacht be­gründe­ten, die Kläge­rin ha­be die bei­den am 12.01.2008 ge­fun­de­nen Leer­gut­bons bei ih­rem Ein­kauf zu ih­ren Guns­ten ein­gelöst. Im Er­geb­nis war die Be­ru­fungs­kam­mer darüber hin­aus­ge­hend so­gar über­zeugt da­von, dass es sich bei den ein­gelösten Bons um die ge­fun­de­nen Bons ge­han­delt hat.

Es ist zwi­schen den Par­tei­en mitt­ler­wei­le un­strei­tig, dass am 12.01.2008 zwei Leer­gut­bons ge­fun­den wor­den sind, die­se nicht ab­ge­zeich­net wa­ren und eben­falls Pfand­wer­te von 48 Cent und 82 Cent auf­wie­sen. Die­se Bons wa­ren nicht mehr im Kas­senbüro und wur­den auch nicht als Fehl­bons ver­bucht. Et­was an­de­res be­haup­tet die Kläge­rin, der die Bons an­ver­traut wor­den wa­ren, auch nicht.

Um iden­ti­sche Bons han­del­te es sich bei den von der Kläge­rin am 22.01.2008 ein­gelösten Bons: Sie stamm­ten nach der Be­weis­auf­nah­me vom 12.01.2008, wa­ren nicht ab­ge­zeich­net und wie­sen die Pfand­wer­te von 48 Cent und 82 Cent auf. Ei­ne zufälli­ge Übe­rein­stim­mung von zwei Bons der Kläge­rin mit den ge­fun­de­nen Bons schloss die Kam­mer hier aus. We­der ist erklärlich, dass zwei Bons in ih­ren Wer­ten und Da­ten so übe­rein­stim­men, noch dass die­se Bons eben­falls nicht ab­ge­zeich­net wa­ren, wenn es sich um von der Kläge­rin red­lich er­wor­be­ne Bons hätte han­deln sol­len. Die Kläge­rin be­haup­tet nicht, am 12.01.2008 zu zwei ver­schie­de­nen Zeit­punk­ten Pfand in der Fi­lia­le ein­gelöst zu ha­ben und hat sich auch nicht im Rah­men ih­rer nach § 138 Abs. 2 ZPO ob­lie­gen­den Ein­las­sungs­pflich­ten da­zu erklärt, wo­her sie die bei­den Leer­gut­bons mit 48 Cent und 82 Cent an­der­wei­tig hätte ha­ben sol­len. Die von ihr im Rah­men ih­rer Anhörung ge­nann­ten Möglich­kei­ten, sie ha­be die Bons von ei­ner ih­rer Töch­ter er­hal­ten, hat sie im Pro­zess nicht näher sub­stan­ti­iert. Die vor­pro­zes­sua­le Erklärung der Toch­ter, in der es le­dig­lich heißt, sie dürfe „mit der Geldbörse Um­gang pfle­gen“, spricht deut­lich ge­gen ei­nen sol­chen Sach­ver­halt. So­weit die Kläge­rin vor­pro­zes­su­al ge­genüber der Be­klag­ten geäußert hat­te, ei­ne Mit­ar­bei­te­rin ha­be Ge­le­gen­heit ge­habt, ihr die­se Bons ins Porte­mon­naie zu ste­cken, hat sie die­sen Sach­vor­trag im Pro­zess aus­drück­lich nicht mehr auf­recht­er­hal­ten. Wel­che Freun­de ihr sol­che Pfand­bons ins Porte­mon­naie ge­legt ha­ben könn­ten, führt die Kläge­rin auch im Be­ru­fungs­ver­fah­ren nicht näher aus. Dass sol­ches oh­ne Kennt­nis der Kläge­rin hätte ge­sche­hen sol­len, konn­te das Be­ru­fungs­ge­richt oh­ne­hin nicht

 

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an­neh­men. An­halts­punk­te für ein Aus­tau­schen der Bons beim Kas­sier­vor­gang durch die Zeu­gin Ku. gab es – wie oben dar­ge­legt – eben­so we­nig, wie An­halts­punk­te dafür, dass die 1. Kas­sie­re­rin der Kläge­rin – aus wel­chen Gründen auch im­mer – den Kas­sen­vor­gang ma­ni­pu­liert hätte. So­weit die Kläge­rin in die­sem Zu­sam­men­hang der 1. Kas­sie­re­rin Ma­ni­pu­la­tio­nen mit Di­git­cou­pons vor­wirft, war fest­zu­stel­len, dass sie ih­ren Sach­vor­trag dies­bezüglich auf den Hin­weis der Be­klag­ten, die 1. Kas­sie­re­rin ha­be an dem frag­li­chen Tag, den 22.11.2007 gar nicht ge­ar­bei­tet, auf ei­nen nicht näher be­nann­ten und nicht ein­las­sungsfähi­gen Zeit­punkt kor­ri­gie­ren muss­te, mit dem Be­mer­ken, auf den ge­nau­en Zeit­punkt kom­me es nicht an, ob­wohl zwi­schen den Par­tei­en er­heb­lich im Streit war, wer den Cou­pon drei­mal über den Scan­ner ge­zo­gen hat­te, nämlich ob die Kläge­rin – so die Be­klag­te – oder die 1. Kas­sie­re­rin – so die Kläge­rin.

2.2.3 Die­ses Ver­hal­ten der Kläge­rin war als wich­ti­ger Grund im Sin­ne von § 626 BGB an sich ge­eig­net. Mit dem Einlösen der bei­den ge­fun­de­nen Bons hat die Kläge­rin ih­re ar­beits­ver­trag­li­chen Rück­sicht­nah­me­pflich­ten (§ 241 Abs. 2 BGB) grob ver­letzt. Sie hat die­se Bons, die der Markt­lei­ter ihr zur Ver­wah­rung über­ge­ben hat­te, aus dem Kas­senbüro an sich ge­nom­men, für ei­nen ei­ge­nen Ein­kauf ein­gelöst und sich da­mit zu Las­ten ih­res Ar­beit­ge­bers ei­nen Vermögens­vor­teil in Höhe von 1,30 € ver­schafft, der ihr nicht zu­stand. Zum Einlösen der Bons war sie un­ter kei­nem denk­ba­ren Ge­sichts­punkt be­rech­tigt. Der Markt­lei­ter hat sie ihr über­reicht, um ab­zu­war­ten, ob sich der Kun­de mel­den würde, an­dern­falls soll­ten sie als Fehl­bons ver­bucht wer­den. Aus die­ser Wei­sungs­la­ge wird deut­lich, dass die Leer­gut­bons – selbst­verständ­lich – auch dann nicht zur ei­ge­nen Ver­wer­tung vor­ge­se­hen wa­ren, wie hier of­fen­sicht­lich ge­sche­hen, kein Kun­de den Bon für sich re­kla­miert.

Die um­fang­rei­chen Ausführun­gen der Kläge­rin im Hin­blick auf ei­ne Pfand­un­ter­drückung ver­moch­te die Kam­mer nicht zu tei­len. Sie sind für den vor­lie­gen­den Fall auch ir­re­le­vant. Denn selbst dann, wenn man der Kon­struk­ti­on der Kläge­rin fol­gen woll­te, wäre sie hier­aus nicht be­rech­tigt ge­we­sen, die Bons zum ei­ge­nen Vor­teil ein­zulösen. Dass die Be­klag­te ent­spre­chen­des Pfand­gut vom Kun­den er­hal­ten hat, steht ei­ner Pflicht­ver­let­zung der Kläge­rin nicht ent­ge­gen. Der Kläge­rin stand je­den­falls das Pfand nicht zu.

Auf die straf­recht­li­che Be­wer­tung des Ver­hal­tens der Kläge­rin (Dieb­stahl, Un­ter­schla­gung und Be­trug) kommt es für die kündi­gungs­recht­li­che Be­deu­tung nicht ent­schei­dend an (BAG v. 12.08.1999 – 2 AZR 923/98 – AP Nr. 28 zu § 626 BGB Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lun­gen).

2.2.4 Die Be­klag­te hat al­les ihr Zu­mut­ba­re zur Aufklärung des Sach­ver­hal­tes ge­tan, ins­be-

 

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son­de­re die Kläge­rin mehr­fach zu dem Sach­ver­halt, auf den sie ih­ren Ver­dacht stützt, an­gehört und ihr wie­der­holt Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me ge­ge­ben. Be­reits in der ers­ten von der Be­klag­ten noch als Aufklärungs­gespräch be­zeich­ne­ten Anhörung der Di­strikt­ma­na­ge­rin wur­de der Kläge­rin der kon­kre­te Vor­wurf, ihr nicht gehören­de Bons vom 12.01.2008 ein­gelöst zu ha­ben, eröff­net. Mit der Kläge­rin wur­den schon dort die Möglich­kei­ten erörtert, wie sie zu die­sen bei­den Pfand­bons ge­kom­men sein könn­te, ob durch ei­ge­nes Pfand oder auf an­de­re Wei­se. In den wei­te­ren Anhörun­gen in der Per­so­nal­ab­tei­lung hat­te die Kläge­rin Ge­le­gen­heit, in das E-Jour­nal Ein­sicht zu neh­men, aus dem sich die ent­spre­chen­de Bu­chung er­gab. Im Rah­men der Aufklärung des Sach­ver­halts ist die Be­klag­te al­len ent­las­ten­den Umständen nach­ge­gan­gen. Nach­dem die Kläge­rin in ih­rer Anhörung vom 06.02.2008 es als ei­ne Möglich­keit an­ge­ge­ben hat­te, die Leer­gut­bons von ih­rer Toch­ter er­hal­ten zu ha­ben, wur­de ein Fort­set­zungs­gespräch für den 11.02.2008 an­be­raumt, um der Kläge­rin Ge­le­gen­heit zu ge­ben, kon­kre­te An­ga­ben ih­rer Toch­ter zu den Leer­gut­bons ein­zu­ho­len. Auch den in die­sem Fort­set­zungs­gespräch an­ge­dach­ten Möglich­kei­ten für den Er­halt der Leer­gut­bons ist die Be­klag­te wie­der­um nach­ge­gan­gen. So hat sie zum ei­nen der Kläge­rin, die hier kon­kre­te­re An­ga­ben zu ei­nem Er­halt der Leer­gut­bons sei­tens ei­ner ih­rer Töch­ter mach­te, Ge­le­gen­heit ge­ge­ben, ei­ne ent­spre­chen­de Erklärung der Toch­ter mit­zu­brin­gen, zum an­de­ren hat sie die Mit­ar­bei­te­rin, die die Kläge­rin als die­je­ni­ge ins Spiel brach­te, die ihr Porte­mon­naie in den Händen ge­habt hat­te, be­fragt. Erst als al­le Erklärungs­ver­su­che ge­schei­tert wa­ren, hat die Be­klag­te die Ver­dachtskündi­gung aus­ge­spro­chen.

2.3 Da­mit la­gen al­le oben skiz­zier­ten Vor­aus­set­zun­gen zum Aus­spruch der streit­ge­gen-ständ­li­chen Kündi­gung vor. Die Ge­samtwürdi­gung der ge­nann­ten Umstände hat die Kam­mer da­bei zu der Über­zeu­gung geführt, dass die Kündi­gung nicht le­dig­lich auf ei­nem bloßen Ver­dacht gründet, son­dern dass sich die­ser „Ver­dacht“ nach Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts in sei­ner schärfs­ten Form präsen­tiert. Das Be­ru­fungs­ge­richt ist von der Tat­be­ge­hung der Kläge­rin über­zeugt (BAG v. 03.07.2003 – 2 AZR 437/02 – NZA 2004, 307 ff.).

2.4 Ei­ner Ab­mah­nung be­durf­te es hier vor Aus­spruch der Kündi­gung nicht.

2.4.1 Zwar ist im Grund­satz da­von aus­zu­ge­hen, dass ei­ne Kündi­gung we­gen ei­ner Ver­trags­pflicht­ver­let­zung re­gelmäßig ei­ne Ab­mah­nung vor­aus­setzt (BAG v. 12.01.2006 – 2 AZR 279/05 – NZA 2006, 980 ff.). Dies folgt zum ei­nen aus dem Pro­gno­se­prin­zip. Der Zweck der Kündi­gung ist nicht ei­ne Sank­ti­on für die Ver­trags­pflicht­ver­let­zung, son­dern dient der Ver­mei­dung des Ri­si­kos wei­te­rer Pflicht­ver­let­zun­gen. Die ver­gan­ge­ne Pflicht­ver­let­zung muss sich des­halb noch in der Zu­kunft be­las­tend aus­wir­ken. Liegt ei­ne ord­nungs­gemäße Ab­mah­nung

 

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vor und ver­letzt der Ar­beit­neh­mer er­neut sei­ne ver­trag­li­chen Pflich­ten, kann re­gelmäßig da­von aus­ge­gan­gen wer­den, es wer­de auch zukünf­tig zu wei­te­ren Ver­tragsstörun­gen kom­men (BAG v. 12.01.2006 – 2 AZR 279/05 a.a.O.). Die Ab­mah­nung ist zu­gleich Aus­druck des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes. Ei­ne Kündi­gung ist nicht ge­recht­fer­tigt, wenn es an­de­re ge­eig­ne­te mil­de­re Mit­tel gibt, um die Ver­tragsstörung zukünf­tig zu be­sei­ti­gen.

Ei­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung ist aber aus­nahms­wei­se ent­behr­lich, wenn ei­ne Ver­hal­tensände-rung in Zu­kunft trotz Ab­mah­nung nicht er­war­tet wer­den kann (BAG v. 12.01.2006 – 2 AZR 279/05 - a.a.O.) oder es sich um ei­ne schwe­re Pflicht­ver­let­zung han­delt, de­ren Rechts­wid­rig­keit dem Ar­beit­neh­mer oh­ne wei­te­res er­kenn­bar war und bei der die Hin­nah­me des Ver­hal­tens durch den Ar­beit­ge­ber of­fen­sicht­lich aus­ge­schlos­sen ist. In ei­nem sol­chen Fall kann ei­ne Wie­der­her­stel­lung des für ein Ar­beits­verhält­nis not­wen­di­gen Ver­trau­ens nicht er­war­tet wer­den (BAG v. 12.08.1999 – 2 AZR 923/98 – AP Nr 28 zu § 626 BGB Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lun­gen).

2.4.2 Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ses recht­li­chen Rah­mens be­durf­te es vor­lie­gend kei­ner Ab­mah­nung. Mit der Weg­nah­me der Leer­gut­bons aus dem Kas­sen­raum und dem Einlösen die­ser Bons als ei­ge­ne bei dem Ein­kauf am 22.01.2008 hat die Kläge­rin ih­re ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten als Kas­sie­re­rin auf das Schwers­te ver­letzt, sie hat da­mit ein Vermögens­de­likt ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber be­gan­gen. Die Rechts­wid­rig­keit ih­res Ver­hal­tens war der Kläge­rin oh­ne wei­te­res er­kenn­bar. Der Markt­lei­ter hat­te die Bons an die Kläge­rin wei­ter­ge­ben, um die­se zunächst auf­zu­be­wah­ren, falls sich ein Kun­de mel­det; an­dern­falls soll­ten sie als Fehl­bons ver­bucht wer­den. Hier liegt es auf der Hand, dass die Kläge­rin die ihr an­ver­trau­ten Bons nicht aus dem Kas­senbüro mit­neh­men und für ei­nen ei­ge­nen Ein­kauf einlösen kann. Die Kläge­rin ist seit vie­len Jah­ren bei der Be­klag­ten als Kas­sie­re­rin beschäftigt und weiß da­her wie mit sol­chen Bons um­zu­ge­hen ist. Schon das Ver­hal­ten der Kol­le­gin, die die Bons ge­fun­den und an den Markt­lei­ter wei­ter­ge­lei­tet hat, zeigt, dass in der Fi­lia­le of­fen­bar klar war, dass sol­che Bons nicht für ei­ge­ne Einkäufe ver­wen­det wer­den konn­ten. Die Kläge­rin weiß als Kas­sie­re­rin auch, dass die Be­klag­te als Ein­zel­han­dels­un­ter­neh­men auf den kor­rek­ten Um­gang mit Geld und Bons gleich wel­cher Art ab­so­lu­ten Wert legt und Un­re­gelmäßig­kei­ten in die­sem Zu­sam­men­hang nicht hin­neh­men kann. Auf ver­meint­li­che Un­klar­hei­ten in den Or­ga­ni­sa­ti­ons­an­wei­sun­gen der Be­klag­ten zum Um­gang mit Fund­geld kann sich die Kläge­rin nicht be­ru­fen. Ab­ge­se­hen da­von, dass die letz­te gülti­ge Or­ga­ni­sa­ti­ons­an­wei­sung aus­drück­lich vor­sieht, dass auch Beträge un­ter 1 € ab­zu­ge­ben sind, war hier der Um­gang mit den Pfand­bons durch die An­wei­sung des Markt­lei­ters ein­deu­tig geklärt.

 

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Es lag da­mit ei­ne so schwe­re Pflicht­ver­let­zung vor, dass die Kläge­rin nicht da­mit rech­nen konn­te, die Be­klag­te wer­de sie auch nur ein­ma­lig hin­neh­men oder gar dul­den. Des­halb be-durf­te es we­der nach dem Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit noch un­ter Berück­sich­ti­gung des Pro­gno­se­prin­zips ei­ner vor­he­ri­gen Ab­mah­nung. Auf­grund der er­heb­li­chen Pflicht­ver­let­zung der Kläge­rin war ei­ne Wie­der­her­stel­lung des für das Ar­beits­verhält­nis not­wen­di­gen Ver­trau­ens nicht zu er­war­ten. Dies galt um­so mehr, als die Kläge­rin im Rah­men der Aufklärung und im Pro­zess nicht nur die Pflicht­ver­let­zung, son­dern auch (später dann un­strei­tig ge­stell­ten) Sach­vor­trag der Be­klag­ten ab­ge­strit­ten hat. Schon dies steht ei­ner Wie­der­her­stel­lung des Ver­trau­ens ent­ge­gen.

2.5 Auch un­ter Berück­sich­ti­gung der be­son­de­ren Umstände des Ein­zel­falls und der Abwä-gung bei­der In­ter­es­sen ist es der Be­kla­gen un­zu­mut­bar, das Ar­beits­verhält­nis mit der Kläge­rin auch nur bis zum Ab­lauf der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist fort­zu­set­zen.

Da­bei wa­ren im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung zu­guns­ten der Kläge­rin ih­re er­heb­li­che Be­triebs­zu­gehörig­keit von 31 Jah­ren eben­so zu berück­sich­ti­gen, wie die mit ih­rem Al­ter und der aus­sch­ließli­chen Tätig­keit für die Be­klag­te ver­bun­de­nen (schlech­ten) Chan­cen auf dem Ar­beits­markt. Ih­re Pflicht­wid­rig­keit hat bei der Be­klag­ten kei­nen nen­nens­wer­ten fi­nan­zi­el­len Scha­den ein­tre­ten las­sen, der Be­trag von 1,30 € ist ge­ring und fällt für sich ge­nom­men nicht ins Ge­wicht.

Zu­guns­ten der Be­klag­ten wie­der­um war in Rech­nung zu stel­len, dass es bei Vermögens­de­lik­ten nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf den Wert al­lei­ne je­doch nicht an­kommt. In Fällen sol­cher Pflicht­ver­let­zun­gen wiegt viel­mehr der ein­ge­tre­te­ne Ver­trau­ens­ver­lust in die Red­lich­keit der Ar­beit­neh­me­rin un­gleich schwe­rer; hin­zu­kommt, dass der Ar­beit­ge­ber ge­ra­de im Ein­zel­han­del bei sei­nen Re­ak­tio­nen auf Vermögens­de­lik­te präven­ti­ve Ge­sichts­punk­te be­ach­ten muss und be­ach­ten darf.

Bei Abwägung über­wiegt das In­ter­es­se der Be­klag­ten an ei­ner so­for­ti­gen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­genüber dem Be­stands­schutz­in­ter­es­se der Kläge­rin. Da­bei war ins-be­son­de­re zu berück­sich­ti­gen, dass die Kläge­rin bei der Be­klag­ten als Kas­sie­re­rin beschäftigt ist. Von ei­ner Kas­sie­re­rin wird ei­ne ab­so­lu­te Zu­verlässig­keit und Kor­rekt­heit im Um­gang mit der Kas­se, bei den Bu­chun­gen, mit dem Geld, Leer­gut­bons oder sons­ti­ger Bons er­war­tet; die­se Ver­hal­tens­nor­men sind un­ab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung für die Tätig­keit ei­ner Kas­sie­re­rin. Auch die Be­klag­te muss sich dar­auf ver­las­sen dürfen, dass sich die bei ihr beschäftig­ten Kas­sie­rer/in­nen, de­nen sie Geld und Wa­re an­ver­traut, dies­bezüglich stets kor­rekt ver­hal­ten

 

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und auch nicht bei klei­ne­ren Beträgen es zu Un­re­gelmäßig­kei­ten zu ih­ren Las­ten kom­men las­sen. Ge­ra­de dies­bezüglich zeigt sich, dass in die­sem Pflich­ten­kreis der Wert des vom Vermögens­de­likt be­trof­fe­nen Ar­ti­kels kei­ne Rol­le spie­len kann. Die ge­nann­ten Ver­hal­tens-nor­men sind un­ab­ding­bar und gel­ten nicht et­wa in gra­du­el­ler Wei­se, je nach Wert des Ge-gen­stan­des. In­fol­ge­des­sen ist es auch un­zu­tref­fend an­zu­neh­men, Vermögens­de­lik­te ge­gen-über dem Ei­gen­tum des Ar­beit­ge­bers, die nur ge­ring­wer­ti­ge Sa­che be­tref­fen, sei­en qua­si to­le­rier­bar. Denn der Wert spielt – wie ge­zeigt – im Be­zugs­punkt des Pflich­ten­krei­ses ei­ner Kas­sie­re­rin kei­ne Rol­le.

Ge­nau ge­gen die­sen Kern­be­reich ih­rer Funk­ti­on hat die Kläge­rin aber mit der Mit­nah­me der bei­den Bons aus dem Kas­senbüro und der Einlösung die­ser Bons als ei­ge­ne bei ih­rem Ein-kauf ver­s­toßen. Die­ses Ver­hal­ten be­trifft ih­re un­mit­tel­ba­re Tätig­keit als Kas­sie­re­rin, die mit Pfand­bons um­zu­ge­hen hat. Zu­dem hat die Kläge­rin hier auch die sich aus ih­rem Ar­beits­ver­trag er­ge­ben­den. Ob­huts­pflich­ten ver­letzt, weil die bei­den Pfand­bons ge­ra­de ihr vom Markt­lei­ter an­ver­traut wor­den wa­ren.

Auf den bei der Be­klag­ten ein­ge­tre­te­nen Ver­trau­ens­ver­lust wirkt sich wei­ter er­schwe­rend aus, dass die Kläge­rin im Rah­men der Aufklärung nicht nur das Einlösen der bei­den Pfand­bons be­harr­lich ge­leug­net und Drit­te als mögli­che Quel­le für die Leer­gut­bons be­nannt hat. Im Pro­zess hat sie den maßgeb­li­chen Sach­vor­trag der Be­klag­ten zu dem Fund der Pfand­bons wie­der­holt be­strit­ten hat, bis die­ser nach ei­ner ausführ­li­chen Be­weis­auf­nah­me nicht mehr zu be­strei­ten war. Auf die Wahr­neh­mung be­rech­tig­ter In­ter­es­sen bei der Führung ih­res ar­beits­ge­richt­li­chen Pro­zes­ses kann sich die Kläge­rin in­so­weit nicht be­ru­fen. § 138 ZPO, der auch für das Ver­fah­ren vor den Ar­beits­ge­rich­ten gilt, sieht die Ver­pflich­tung der Par­tei­en des Zi­vil­pro­zes­ses zur vollständi­gen und wahr­heits­gemäßen Erklärung vor. Zu­dem hat die Kläge­rin mehr­fach ver­sucht, den Ver­dacht auf an­de­re Mit­ar­bei­ter ab­zuwälzen, oh­ne dass sich dies als auch nur annähernd halt­bar er­wie­sen hätte. So hat sie in ih­rer Anhörung die Mit­ar­bei­te­rin V. als die­je­ni­ge ins Spiel ge­bracht, die Zu­gang zu ih­rem Porte­mon­naie ge­habt ha­be, da­mit die­se Mit­ar­bei­te­rin ei­ner Be­fra­gung sei­tens der Be­klag­ten aus­ge­setzt, um im Pro­zess aus­drück­lich von die­sem Sach­vor­trag wie­der Ab­stand zu neh­men. In Be­zug auf die 1. Kas­sie­re­rin hat sie er­heb­li­che kündi­gungs­re­le­van­te Ma­ni­pu­la­tio­nen im Zu­sam­men­hang mit der Einlösung ei­nes Son­der­cou­pons der Kläge­rin in den Raum ge­stellt, die nach der Ver­le­gung des Zeit­punk­tes, an dem dies vor­ge­fal­len sein soll, nicht mehr ein­las­sungsfähig wa­ren.

Auch wenn die Be­ru­fungs­kam­mer zu­guns­ten der Kläge­rin un­ter­stellt hat, das Ar­beits­verhält­nis sei bis zum Kündi­gungs­zeit­punkt in Be­zug auf gleich­ge­la­ger­te Sach­ver­hal­te be­ans­tan-

 

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dungs­frei ver­lau­fen – die Ab­mah­nung vom 23.02.2005 be­traf ei­ne Kun­den­be­schwer­de, der Vor­gang um den Di­git­cou­pon ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig – ist un­ter Berück­sich­ti­gung der oben ge­nann­ten Punk­te fest­zu­stel­len, dass der bei der Be­klag­ten (ir­re­pa­ra­ble) Ver­trau­ens­ver­lust es ihr auch un­ter Berück­sich­ti­gung der er­heb­li­chen In­ter­es­sen der Kläge­rin an der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­zu­mut­bar mach­te, das Ar­beits­verhält­nis auch nur bis zum Ab­lauf der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist fort­zu­set­zen.

2.6 Die Be­klag­te hat die Kündi­gung in­ner­halb der Kündi­gungs­erklärungs­frist nach § 626 Abs. 2 BGB aus­ge­spro­chen.

2.6.1 Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außer­or­dent­li­che Kündi­gung nur in­ner­halb von zwei Wo­chen er­fol­gen. Die­se Frist be­ginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeit­punkt, in dem der Kündi­gungs­be­rech­tig­te ei­ne zu­verlässi­ge und möglichst vollständi­ge po­si­ti­ve Kennt­nis der für die Kündi­gung maßge­ben­den Tat­sa­chen hat, die ihm die Ent­schei­dung ermögli­chen, ob die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses zu­mut­bar ist oder nicht. (BAG v. 05.06.2008 - 2 AZR 234/07 EzA § 626 BGB 2002 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr 7:). Der Kündi­gungs­be­rech­tig­te, der An­halts­punk­te für ei­nen Sach­ver­halt hat, der zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung be­rech­ti­gen könn­te, kann Er­mitt­lun­gen an­stel­len und den Be­trof­fe­nen anhören, oh­ne dass die Frist zu lau­fen be­ginnt. Da­bei gehören zu den maßgeb­li­chen Tat­sa­chen so­wohl die für als auch die ge­gen die Kündi­gung spre­chen­den Tat­sa­chen. Des­halb kann der Kündi­gungs­sach­ver­halt re­gelmäßig nicht oh­ne ei­ne Anhörung des Ar­beit­neh­mers hin­rei­chend vollständig er­fasst wer­den (BAG 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9). Durch der­ar­ti­ge Maßnah­men wird der Be­ginn der Aus­schluss­frist nur so­lan­ge ge­hemmt, wie der Kündi­gungs­be­rech­tig­te aus verständi­gen Gründen mit der ge­bo­te­nen Ei­le noch Er­mitt­lun­gen an­stellt, die ihm ei­ne um­fas­sen­de und zu­verlässi­ge Kennt­nis des Kündi­gungs­sach­ver­halts ver­schaf­fen sol­len. Bei der Anhörung des Kündi­gungs­geg­ners ist von ei­ner Re­gel­frist von ei­ner Wo­che aus­zu­ge­hen, die nur aus "sach­lich er­heb­li­chen" bzw. "verständi­gen" Gründen über­schrit­ten wer­den darf (BAG v. 31.03.1993 - 2 AZR 492/92 - NZA 1994, 409-412).

2.6.2 Nach die­sen Grundsätzen hat die Be­klag­te die Kündi­gungs­erklärungs­frist von 2 Wo-chen ein­ge­hal­ten. Die­se Frist be­gann mit dem letz­ten Anhörungs­gespräch der Kläge­rin am 15.02.2008. Bis da­hin hat die Be­klag­te mit der ge­bo­te­nen Ei­le den Kündi­gungs­sach­ver­halt er­mit­telt, die Kläge­rin an­gehört und ist ins­be­son­de­re den von der Kläge­rin in den Anhörun­gen mögli­chen Recht­fer­ti­gungs­gründen zulässi­ger­wei­se nach­ge­gan­gen. Be­reits zeit­lich un­mit­tel­bar nach dem Vor­fall am 22.01.2008 folg­te die ers­te Anhörung der Kläge­rin sei­tens der Di­strikt­ma­na­ge­rin. Dass die nach­fol­gen­de Anhörung der Kläge­rin in der Per­so­nal­ab­tei­lung,

 

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die später die Kündi­gung ver­an­lass­te, erst nach Ab­lauf von ei­ner Wo­che statt­fand, war im vor­lie­gen­den Fall unschädlich. Die­se Frist wur­de aus „verständi­gen“ Gründen über­schrit­ten, nämlich auf aus­drück­lich Wunsch der Kläge­rin, die zwi­schen­zeit­lich im Ur­laub war. Hier war die Be­klag­te nicht ge­zwun­gen, so­fort oh­ne wei­te­re Aufklärung des Sach­ver­hal­tes, ins­be­son­de­re oh­ne mögli­chen Erklärun­gen der Kläge­rin nach­zu­ge­hen, wie sie in den Be­sitz der von ihr ein­gelösten Pfand­bons ge­langt sein könn­te, die Kündi­gung aus­zu­spre­chen. Auch die wei­te­re Anhörung am 11.02.2008 dien­te nach­voll­zieh­ba­ren Er­mitt­lun­gen in Be­zug auf die von der Kläge­rin auf­ge­zeig­te Möglich­keit, ei­ne ih­rer Töch­ter ha­be die Pfand­bons in ihr Porte­mon­naie ge­legt, eben­so wie die Anhörung am 15.02.2008 zu der die Be­klag­te auch dem Hin­weis der Kläge­rin auf ei­ne an­de­re Kol­le­gin nach­ge­gan­gen war. Hier konn­te die Kläge­rin zwei­fel­los er­ken­nen, dass die Be­klag­te den Vor­fall nicht auf sich be­ru­hen las­sen wer­de. Auch vor dem Hin­ter­grund des Schutz­zwe­ckes des § 626 Abs. 2 BGB, dem Kündi­gungs­empfänger möglichst frühzei­tig Ge­wiss­heit zu ver­schaf­fen, ob der Kündi­gungs­geg­ner ei­nen Vor­fall zum An­lass für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung neh­men will (BAG 12. 4. 2004 - 2 AZR 255/04 - BA­GE 114, 264) war die Be­klag­te nicht zu ei­ner frühe­ren Kündi­gung ge­hal­ten. Ein Ver­zicht der Be­klag­ten auf das Kündi­gungs­recht konn­te auch in den von der Kläge­rin vor­ge­tra­ge­nen Erklärun­gen der Be­klag­ten im Rah­men der Anhörun­gen nicht ge­se­hen wer­den.

2.3 Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung er­weist sich auch nicht aus an­de­ren Gründen als rechts­un­wirk­sam. Der Be­triebs­rat wur­de vor Aus­spruch der Kündi­gung ord­nungs­gemäß an­gehört. Die dies­bezügli­chen Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts greift die Kläge­rin in der Be­ru­fung nicht wei­ter an.

Die Kündi­gung verstößt auch nicht ge­gen das Maßre­ge­lungs­ver­bot nach § 612 a BGB i. V. m. Art. 9 Abs. 3 GG. Sie wur­de nämlich nicht we­gen der Teil­nah­me der Kläge­rin an dem Streik aus­ge­spro­chen. Ge­gen ei­ne sol­che An­nah­me spricht der oben dar­ge­stell­te drin­gen­de Ver­dacht bzw. der Ver­dacht in sei­ner schärfs­ten Form, die Kläge­rin ha­be die bei­den ge­fun-de­nen Pfand­bons bei ih­rem Ein­kauf ein­gelöst. Bei die­sen Ver­dachts­mo­men­ten hat sich die Be­klag­te mit dem Aus­spruch der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung nur so ver­hal­ten, wie dies je­des Ein­zel­han­dels­un­ter­neh­men auch bei ge­ringfügi­gen Beträgen ge­tan hätte, un­ge­ach­tet ei­ner Streik­teil­nah­me des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers.

3. Aus all die­sen Gründen er­weist sich die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung als rechts­wirk-sam. Die Be­ru­fung der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin war zurück­zu­wei­sen, mit der Fol­ge, dass die Kläge­rin gemäß § 97 ZPO die Kos­ten ih­res er­folg­lo­sen Rechts­mit­tels zu tra­gen hat.

 

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4. Die Re­vi­si­on war nicht zu­zu­las­sen, da die Vor­aus­set­zun­gen nach § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vor­la­gen. Es han­delt sich um ei­ne Ein­zel­fall­ent­schei­dung oh­ne grundsätz­li­che Be­deu­tung. Die von der Kläge­rin auf­ge­wor­fe­nen Rechts­fra­gen zur Zulässig­keit der Ver­dachtskündi­gung sind, auch so­weit es um ge­ring­wer­ti­ge Sa­chen geht, be­reits seit lan­gem höchst­rich­ter­lich durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt geklärt.


Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­se Ent­schei­dung ist kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.


R.

R.

S.

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