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Vor­zei­ti­ge Ren­te für Schwer­be­hin­der­te und Be­triebs­ren­te

Ab­schlä­ge bei der Be­triebs­ren­te we­gen vor­zei­ti­ger In­an­spruch­nah­me kön­nen auch Schwer­be­hin­der­te tref­fen, die ei­ne Al­ters­ren­te für Schwer­be­hin­der­te be­zie­hen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 13.10.2016, 3 AZR 439/15
Geringe Rente, älteres Ehepaar sitzt auf Euro-Münzen

15.10.2016. Un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen Ar­beit­neh­mer Be­triebs­ren­ten er­hal­ten und wie die Ren­ten be­rech­net wer­den, ist meist in Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen ge­re­gelt. Sie dür­fen Ar­beit­neh­mer nicht dis­kri­mi­nie­ren, denn an­sons­ten kön­nen die Be­trof­fe­nen vor die Ar­beits­ge­rich­te zie­hen.

In den ver­gan­ge­nen Jah­ren wur­de da­bei oft über Höchst­al­ters­gren­zen und da­mit über mög­li­che Al­ters­dis­kri­mi­nie­run­gen ge­strit­ten, zu­vor war der Aus­schluss gleich­ge­schlecht­li­cher Le­bens­part­ner von Wit­wen­ren­ten ein Streit­punkt, d.h. die Fra­ge, ob Be­trof­fe­ne we­gen ih­rer se­xu­el­len Iden­ti­tät dis­kri­mi­niert wer­den.

Vor­ges­tern hat­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ei­nen Fall zu ent­schei­den, in dem es um ei­ne mög­li­che be­hin­de­rungs­be­ding­te Dis­kri­mi­nie­rung bei der Be­triebs­ren­te ging. Der Klä­ger, der ei­ne vor­ge­zo­ge­ne ge­setz­li­che Al­ters­ren­te für Schwer­be­hin­der­te be­zog, woll­te Ren­ten­ab­schlä­ge bei der Be­triebs­ren­te nicht hin­neh­men: BAG, Ur­teil vom 13.10.2016, 3 AZR 439/15 (Pres­se­mel­dung des Ge­richts).

Sind Ren­ten­ab­schläge bei der vor­zei­ti­gen Be­triebs­ren­te dis­kri­mi­nie­rend, wenn schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer be­trof­fen sind, die früher als nor­ma­le Ar­beit­neh­mer ei­ne ge­setz­li­che Ren­te er­hal­ten?

Ar­beit­neh­mer mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von min­des­tens 50 sind Schwer­be­hin­der­te und können nach 35 Bei­trags­jah­ren schon mit 63 Jah­ren vor­zei­tig in Ren­te ge­hen, wo­bei das Ren­ten­ein­tritts­al­ter für die Ge­bur­ten­jahrgänge ab 1952 stu­fen­wei­se auf 65 Jah­re her­auf­ge­setzt wird. Auch wenn die Her­auf­set­zung mit den Ge­burts­jahrgängen 1964 ab­ge­schlos­sen sein wird (im Jah­re 2029), gibt es für Schwer­be­hin­der­te wei­ter­hin früher Ren­te als für nor­ma­le Ar­beit­neh­mer, die dann erst ab 67 Jah­ren Ren­te be­an­spru­chen können.

Die Al­ters­ren­te für Schwer­be­hin­der­te kann man auch vor­ge­zo­gen in An­spruch neh­men, dann al­ler­dings mit Ab­schlägen. So können z.B. die 1956 ge­bo­re­nen schwer­be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mer mit 60 Jah­ren und zehn Mo­na­ten vor­zei­tig (mit Ab­schlägen) in Ren­te ge­hen.

Frag­lich ist, ob be­trieb­li­che Ver­sor­gungs­ord­nun­gen für den Be­zug ei­ner vor­ge­zo­ge­nen Ren­te eben­falls Ab­schläge vor­se­hen können, d.h. auch dann, wenn schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer von sol­chen Ab­schlägen be­trof­fen sind.

Im­mer­hin sieht die ge­setz­li­che Ren­ten­ver­si­che­rung ei­nen frühe­ren Ren­ten­be­ginn mit 63 bzw. 60 Jah­ren aus Gründen des Be­hin­der­ten­schut­zes vor, denn schwer­be­hin­der­te Men­schen können we­gen ih­rer ge­sund­heit­li­chen Pro­ble­me oft nicht bis zum Re­gel­ren­ten­al­ter ar­bei­ten. Dann aber fragt sich, ob Ab­schläge bei der "vor­zei­tig" in An­spruch ge­nom­me­nen Be­triebs­ren­te nicht mögli­cher­wei­se zu ei­ner be­hin­de­rungs­be­ding­ten Dis­kri­mi­nie­rung führen, die nach den Vor­schrif­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes (AGG) ver­bo­ten ist.

Denn § 7 AGG in Ver­bin­dung mit § 1 und § 3 Abs.1, 2 AGG ver­bie­tet ei­ne sach­lich nicht ge­recht­fer­tig­te Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung. Und da es vor al­lem schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer sind, die ei­ne frühe­re ge­setz­li­che Al­ters­ren­te in An­spruch neh­men und da­her ergänzend ei­ne (eben­falls frühe­re) Be­triebs­ren­te er­hal­ten, könn­ten Ab­schläge bei der Be­triebs­ren­te ei­ne un­zulässi­ge be­hin­de­rungs­be­ding­te Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len.

Im Streit: Schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­neh­mer erhält vor­zei­tig mit 60 Jah­ren ei­ne ge­setz­li­che Al­ters­ren­te und ei­ne vor­ge­zo­ge­ne Be­triebs­ren­te mit Ab­schlägen

Im Streit­fall be­zog ein 1953 ge­bo­re­ner schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­neh­mer ab 2013 bzw. mit 60 Jah­ren vor­zei­tig ei­ne ge­setz­li­che Al­ters­ren­te für Schwer­be­hin­der­te. Außer­dem zahl­te ihm sein (Ex-)Ar­beit­ge­ber ei­ne Be­triebs­ren­te, al­ler­dings mit Ab­schlägen.

Die­se Ab­schläge er­ga­ben sich aus ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung aus dem Jah­re 1995, die im Un­ter­schied zu ih­rer Vorgänger­re­ge­lung ein für al­le Ar­beit­neh­mer ein­heit­li­ches Re­gel­ren­ten­al­ter von 65 Jah­ren für die Be­triebs­ren­te vor­sah. Ei­ne vor­zei­ti­ge In­an­spruch­nah­me war zwar (wei­ter­hin) möglich, führ­te aber für die ab 1996 be­gründe­ten An­wart­schaf­ten zu ei­nem Ab­schlag von 0,4 Pro­zent pro Mo­nat der vor­zei­ti­gen In­an­spruch­nah­me.

Für den Ar­beit­neh­mer bzw. Be­triebs­rent­ner führ­te das zu ei­nem mo­nat­li­chen Kürzungs­be­trag von 190,69 EUR, um den der Ar­beit­ge­ber die ei­gent­lich zu be­an­spru­chen­de Be­triebs­ren­te von 1.515,10 EUR kürz­te. Der Be­triebs­rent­ner klag­te die­sen Be­trag für fünf Mo­na­te ein, d.h. ei­ne Ren­ten­dif­fe­renz von 953,45 EUR.

Das Ar­beits­ge­richt Wies­ba­den (Ur­teil vom 22.01.2014, 11 Ca 1524/1) und das Hes­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) wie­sen die Kla­ge ab (Hes­si­sches LAG, Ur­teil vom 08.072015, 6 Sa 257/14). Ih­rer Mei­nung nach lag hier kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung vor. Denn schließlich, so das LAG, könn­ten ja auch nicht schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer von die­ser Kürzung be­trof­fen sein.

BAG: Ab­schläge bei der Be­triebs­ren­te we­gen vor­zei­ti­ger In­an­spruch­nah­me können auch Schwer­be­hin­der­te tref­fen, die ei­ne Al­ters­ren­te für Schwer­be­hin­der­te be­zie­hen

Auch das BAG ent­schied ge­gen den Kläger, der da­mit in al­len drei In­stan­zen den Kürze­ren zog. Da­bei ver­wies das BAG den Rechts­streit zurück an das LAG, da das LAG noch prüfen muss, ob die Ver­schlech­te­run­gen für die Ar­beit­neh­mer in­fol­ge der Be­triebs­ver­ein­ba­rung von 1995 mit den Grundsätzen des Ver­trau­ens­schut­zes und der Verhält­nismäßig­keit zu ver­ein­ba­ren sind.

Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den BAG-Pres­se­mel­dung, dass hier kei­ne ver­bo­te­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung vor­lag.

Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung nach § 3 Abs.1 AGG schei­det be­reits des­halb aus, weil die Abzüge nach der Be­triebs­ver­ein­ba­rung von 1995 nicht aus­drück­lich an die Be­hin­de­rung an­knüpfen. Es sind al­so auch an­de­re Ar­beit­neh­mer von der strei­ti­gen Re­ge­lung be­trof­fen, die eben­falls früher in Ren­te ge­hen können.

Aber auch ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung nach § 3 Abs.2 AGG lag hier nach An­sicht der Er­fur­ter Rich­ter nicht vor. Bei ei­ner mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung führen schein­bar neu­tra­le recht­li­che Re­geln bei ih­rer An­wen­dung fak­tisch zur Dis­kri­mi­nie­rung ei­ner be­stimm­ten Grup­pe, die be­son­ders oft von der Re­gel be­trof­fen ist. Da­von kann im Streit­fall aber kei­ne Re­de sein, so das BAG, denn es gibt nur zwei denk­ba­re Möglich­kei­ten:

Ent­we­der die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes frühen Ren­ten­ein­tritts lie­gen auch bei nicht schwer­be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mern vor, dann müssen die­se eben­so wie der Kläger Ab­schläge hin­neh­men, so dass er nicht be­nach­tei­ligt wird. Oder es können al­lein schwer­be­hin­der­te Men­schen die ge­setz­li­che und da­mit die Be­triebs­ren­te früher be­an­spru­chen, dann wer­den sie nicht ge­genüber an­de­ren (nicht be­hin­der­ten) Ar­beit­neh­mern be­nach­tei­ligt, denn dann gibt es kei­ne an­de­ren (nicht be­hin­der­ten) Ar­beit­neh­mer, die zum sel­ben Zeit­punkt ei­ne Be­triebs­ren­te be­zie­hen.

Fa­zit: Ab­schläge bei vor­zei­tig in An­spruch ge­nom­me­nen Be­triebs­ren­ten sind rech­tens, auch wenn sie schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer tref­fen, die von ih­rer ge­setz­li­chen Schwer­be­hin­der­ten­ren­te Ge­brauch ma­chen. Denn letzt­lich be­ru­hen Be­triebs­ren­ten­zu­sa­gen auf dem Aus­tausch von Ar­beits­leis­tung bzw. Be­triebs­treue und Ren­ten­leis­tung, und wer früher aufhört, ist ers­tens we­ni­ger lang ak­tiv und nimmt zwei­tens in der Re­gel länge­re Jah­re Ren­ten­leis­tun­gen in An­spruch als später be­ren­te­te Ar­beit­neh­mer.

Wer schwer­be­hin­dert ist und früher als an­de­re Ar­beit­neh­mer in Ren­te ge­hen möch­te, soll­te sich die vor­aus­sicht­li­che ge­setz­li­che und be­trieb­li­che Ren­te vor­ab durch­rech­nen las­sen. Für man­chen wird es sich statt ei­ner Be­ren­tung fi­nan­zi­ell an­bie­ten, die letz­ten Jah­re in Teil­zeit zu ar­bei­ten, auch wenn kei­ne Möglich­keit ei­ner klas­si­schen Al­ters­teil­zeit mehr be­steht.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de ver­öf­fent­licht. Das voll­stän­dig be­grün­de­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 7. September 2021

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