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Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen
Auf dieser Seite finden Sie Informationen zu der Frage, welche gesetzlichen Sonderregelungen Arbeitgeber bei der Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer beachten müssen, welche Rolle hier das Integrationsamt und die Schwerbehindertenvertretung (SBV) dabei spielen und welche Folgen es hat, wenn Arbeitgebern die Schwerbehinderung bei Ausspruch der Kündigung nicht bekannt ist.
Außerdem finden Sie Hinweise dazu, in welcher Weise die Schwerbehindertenvertretung über eine geplante Kündigung informiert werden muss und wieviel Zeit ihr für eine mögliche Stellungnahme eingeräumt werden muss.
von Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin- Durch welche Gesetzesvorschriften sind schwerbehinderte Arbeitnehmer vor Kündigungen in besonderer Weise geschützt?
- Was müssen Arbeitgeber beachten, wenn sie beim Integrationsamtes die Zustimmung zu einer Kündigung beantragen?
- Ist die Zustimmung des Integrationsamtes immer erforderlich oder gibt es Ausnahmen?
- Gilt der besondere Kündigungsschutz auch für gleichgestellte Arbeitnehmer?
- Innerhalb welcher Fristen ist mit einer Entscheidung des Integrationsamtes zu rechnen?
- Wie lange Zeit haben Arbeitgeber für die Erklärung einer Kündigung, nachdem das Integrationsamt seine Zustimmung erteilt hat?
- Welche Fristen müssen Arbeitgeber und Integrationsamt bei der außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers beachten?
- Ist eine vorherige Zustimmung des Integrationsamtes auch erforderlich, wenn die Schwerbehinderung noch nicht anerkannt ist?
- Bis wann müssen Schwerbehinderte im Falle einer Kündigung ihren Arbeitgeber auf die Schwerbehinderung hinweisen?
- Was müssen Arbeitgeber bei der Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor einer Kündigung beachten?
- Wie genau müssen Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung über eine geplante Kündigung informieren?
- Wie lange Zeit hat die Schwerbehindertenvertretung für eine Stellungnahme zu einer geplanten Kündigung?
- Müssen Arbeitgeber zuerst die Schwerbehindertenvertretung beteiligen oder können sie auch zuerst einen Antrag auf Zustimmung beim Integrationsamt stellen?
- Sind schwerbehinderte Menschen auch vor Entlassungen geschützt, die nicht auf einer Kündigung beruht?
- Wo finden Sie mehr zum Thema Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen?
- Was können wir für Sie tun?
Durch welche Gesetzesvorschriften sind schwerbehinderte Arbeitnehmer vor Kündigungen in besonderer Weise geschützt?
Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 oder mehr sind schwerbehindert, wie sich aus § 2 Abs.2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ergibt.
Schwerbehinderte sind nicht generell (ordentlich) unkündbar. Vielmehr kann der Arbeitgeber einen Schwerbehinderten „im Prinzip“ ebenso kündigen wie einen nicht behinderten Arbeitnehmer. Allerdings müssen Arbeitgeber dabei zwingende verfahrensrechtliche Vorschriften beachten.
Der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen besteht darin, dass Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamts einholen (§ 168 SGB IX) und die Schwerbehindertenvertretung (SBV) beteiligen müssen (§ 178 Abs.2 Satz 1, 3 SGB IX).
Was müssen Arbeitgeber beachten, wenn sie beim Integrationsamtes die Zustimmung zu einer Kündigung beantragen?
Wie erwähnt brauchen Arbeitgeber die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes zu der geplanten Kündigung eines schwerbehinderten Menschen. Das ergibt sich aus § 168 SGB IX. Diese Vorschrift lautet:
„Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes."
Für die Zustimmung müssen Arbeitgeber zunächst einmal einen Antrag auf Zustimmung stellen. Zuständig ist das Integrationsamt, das für den Sitz des Betriebes oder der Dienststelle örtlich zuständig ist. Der Antrag muss schriftlich oder in elektronischer Form gestellt werden (§ 170 Abs.1 Satz 1 SGB IX). In Bayern werden die Aufgaben des Integrationsamtes durch das sog. Inklusionsamt wahrgenommen, das zum "Zentrum Bayern Familie und Soziales" gehört.
Auf der Grundlage des Antrags prüft das Integrationsamt, ob die geplante Kündigung mit der Behinderung in Zusammenhang steht oder nicht. Dabei holt es eine Stellungnahme des Betriebsrates oder Personalrates und der Schwerbehindertenvertretung (SBV) ein, und es hört den schwerbehinderten Menschen, der gekündigt werden soll, an (§ 170 Abs.2 SGB IX).
Im Regelfall besteht kein Zusammenhang zwischen der geplanten Kündigung und der Behinderung, wie insbesondere bei betriebsbedingten Kündigungen und bei Kündigungen aus verhaltensbedingten Gründen. Dann wird das Integrationsamt die Zustimmung erteilen.
Ausnahmsweise kann es aber auch einmal anders sein, z.B. dann, wenn die Schwerbehinderung in einem ursächlichen Zusammenhang mit Störungen des Arbeitsverhältnisses steht, auf die der Arbeitgeber mit einer Kündigung reagieren möchte.
BEISPIEL: Der Arbeitgeber unterhält einen Betrieb mit 250 Arbeitnehmern möchte zwei schwerbehinderte Mitarbeiter ordentlich kündigen, die bereits seit über zehn Jahren beschäftigt sind. Einer der beiden Mitarbeiter ist Graphikdesigner und arbeitet in der Werbeabteilung, die aufgelöst werden soll, so dass er aus betriebsbedingten Gründen gekündigt werden soll. Der andere Mitarbeiter arbeitet in der Buchhaltung und ist aufgrund einer Diabetes schwerbehindert, was hin und wieder dazu führt, dass er infolge von Unterzuckerung aggressiv reagiert, worüber sich Kollegen und Kunden beschwert haben. Er soll, nachdem er bereits einmal wegen einer unfreundlichen Wortwahl gegenüber einem Kollegen abgemahnt worden ist, nach einem Wiederholungsfall aus verhaltensbedingten Gründen ordentlich gekündigt werden.
In diesem Beispiel wird das Integrationsamt die Zustimmung zu der betriebsbedingten Kündigung erteilen, die Zustimmung zu der verhaltensbedingten Kündigung aber möglicherweise verweigern.
Arbeitgebern ist daher zu raten, bei ihrem Antrag auf Zustimmung die objektiven sachlichen Gründe für die beabsichtigte Kündigung möglichst genau zu schildern.
Dazu kann auch der Hinweis gehören, dass in dem Betrieb nur zehn oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt sind, so dass der Betrieb ein Kleinbetrieb im Sinne von § 23 Abs.1 KSchG ist. Denn dann muss der Arbeitgeber bei einer ordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten nur die Kündigungsfristen einzuhalten und genießt im Übrigen Kündigungsfreiheit. Seine Motive für die Kündigung müssen dann nicht den Anforderungen einer "sozialen Rechtfertigung" im Sinne von entsprechen. Trotzdem sollten aber auch Inhaber von Kleinbetrieben sachliche Motive für die geplante Kündigung anführen, damit sich das Integrationsamt davon überzeugen kann, dass keine willkürliche Kündigung ausgesprochen werden soll.
ACHTUNG: Ob eine geplante Kündigung an sich wirksam wäre oder nicht, spielt keine Rolle, wenn der Arbeitgeber es unterlässt, die vorherige Zustimmung des Integrationsamts einzuholen.
BEISPIEL: Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer, der seit drei Jahren in einem größeren Betrieb beschäftigt ist, wird wegen unentschuldigten Fehlens abgemahnt. Einige Wochen nach der Abmahnung erscheint er erneut ohne Entschuldigung nicht bei der Arbeit. Der Arbeitgeber ist erbost und kündigt ordentlich aus verhaltensbedingten Gründen, was er an sich auf der Grundlage von § 1 Abs.2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) tun könnte, d.h. die Kündigung wäre aus verhaltensbedingten Gründen "sozial gerechtfertigt". Allerdings hat der Arbeitgeber es versäumt, vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen.
In diesem Beispiel wäre die Kündigung an sich rechtens, ist aber wegen § 168 SGB IX in Verb. mit § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam. Ob der Arbeitgeber gute Gründe für seine Kündigung hat oder nicht, spielt rechtlich keine Rolle. Eine fehlende vorherige Zustimmung des Integrationsamtes kann nicht nachgeholt werden. Insbesondere sieht das Gesetz eine nachträgliche Genehmigung nicht vor.
Ist die Zustimmung des Integrationsamtes immer erforderlich oder gibt es Ausnahmen?
Die Zustimmung des Integrationsamts ist bei allen Arten von Kündigungen erforderlich, d.h. bei ordentlichen Kündigungen und auch bei außerordentlichen und fristlos erklärten Kündigungen.
Auch die Betriebsgröße spielt keine Rolle. Die Pflicht, vor der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen, gilt daher auch für Arbeitgeber, die kleine und kleinste Betriebe mit einigen wenigen Mitarbeitern führen.
Allerdings sieht das Gesetz eine Ausnahme bei schwerbehinderten Arbeitnehmern vor, deren Arbeitsverhältnis noch nicht länger als sechs Monate besteht (§ 173 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB IX). Bei einer Beschäftigungsdauer von bis zu sechs Monaten ist ausnahmsweise eine zustimmungsfreie Kündigung möglich.
Die Sechsmonatsfrist entspricht der Wartefrist im Kündigungsschutzrecht, d.h. § 1 Abs.1 KSchG. Auch hier greift der Schutz vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen erst nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses ein. Und wie bei § 1 Abs.1 KSchG, so kommt es auch bei § 173 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB IX auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung an.
BEISPIEL: Ein seit Anfang Januar beschäftigter schwerbehinderter Arbeitnehmer kann nach Ablauf der im Arbeitsvertrag vereinbarten sechsmonatigen Probezeit nur mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende gekündigt werden. Nachdem es im Juni zu Unstimmigkeiten gekommen ist, händigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer am 30. Juni eine ordentliche fristgemäße Kündigung zum 14. Juli aus, d.h. mit zweiwöchiger Frist. Eine vorherige Zustimmung des Integrationsamts hat der Arbeitgeber nicht eingeholt.
Die Kündigung ist wirksam, denn der Arbeitgeber braucht weder eine "soziale Rechtfertigung" für die Kündigung gemäß § 1 Abs.1 KSchG noch die Zustimmung des Integrationsamtes (§ 173 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB IX). Auch die zweiwöchige Frist ist in Ordnung, denn bei einer vereinbarten Probezeit bis zur Dauer von höchstens sechs Monaten gilt eine abgekürzte Kündigungsfrist von nur zwei Wochen (§ 622 Abs.3 BGB).
Abgesehen von dem Fall, dass das Arbeitsverhältnis erst seit kurzer Zeit bzw. seit maximal sechs Monaten besteht, macht das Gesetz einige weitere Ausnahmen von der Zustimmungspflicht. So können z.B. Bauarbeitnehmer während der Schlechtwetterzeit bzw. aus Witterungsgründen zustimmungsfrei entlassen werden, wenn ihre Wiedereinstellung bei Wiederaufnahme der Arbeit gewährleistet ist (§ 173 Abs.2 SGB IX).
Eine weitere Ausnahme gilt für die betriebsbedingte Kündigung von Arbeitnehmern ab 58 Jahren, wenn sie Sozialplanleistungen beanspruchen können und wenn der Arbeitgeber ihnen die Kündigungsabsicht rechtzeitig mitgeteilt hat und sie der beabsichtigten Kündigung bis zu deren Ausspruch nicht widersprochen haben (§ 173 Abs.1 Satz 1 Nr.3 a), Satz 2 SGB IX).
Gilt der besondere Kündigungsschutz auch für gleichgestellte Arbeitnehmer?
Ja, denn gerade darum geht es bei der Gleichstellung. Auch vor der Kündigung eines gleichgestellten behinderten Menschen muss der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamtes zu der geplanten Kündigung einholen.
Gleichgestellt sind Personen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von weniger als 50, aber wenigstens 30, die auf der Grundlage eines entsprechenden Antrags von der Arbeitsagentur einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind (§ 2 Abs.3 in Verb. mit § 151 Abs.2 SGB IX). Die Gleichstellungsentscheidung trifft die Arbeitsagentur, wenn ein behinderter Mensch infolge der Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten könnte.
Innerhalb welcher Fristen ist mit einer Entscheidung des Integrationsamtes zu rechnen?
Im Allgemeinen "soll" das Integrationsamt seine Entscheidung innerhalb eines Monats vom Eingang des Antrages an treffen (§ 171 Abs.1 SGB IX). Die Monatsfrist gilt für den Normalfall einer ordentlichen bzw. fristgemäßen Kündigung.
In eher seltenen Fällen, in denen das Amt das erforderlich ansieht, wird vor der Entscheidung eine persönliche Besprechung der Parteien vor dem Integrationsamt durchgeführt, d.h. eine mündlicher Verhandlung.
Wie lange Zeit haben Arbeitgeber für die Erklärung einer Kündigung, nachdem das Integrationsamt seine Zustimmung erteilt hat?
Im Normalfall, d.h. bei der Zustimmung zu einer ordentlichen bzw. fristgemäßen Kündigung, haben Arbeitnehmer einen Monat Zeit, um die vom Integrationsamt abgesegnete Kündigung zu erklären. Die Frist beginnt mit Zustellung der Zustimmung (§ 171 Abs.3 SGB IX).
Die Erklärungsfrist ist im Falle einer außerordentlichen Kündigung kürzer. Dann muss die Kündigung "unverzüglich" nach erteilter Zustimmung erklärt werden (§ 174 Abs.5 SGB IX).
Welche Fristen müssen Arbeitgeber und Integrationsamt bei der außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers beachten?
Beantragt der Arbeitgeber die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung, gelten abgekürzte Fristen, die sich nach § 174 SGB IX richten.
Hinter diesen speziellen Fristen steht § 626 Abs.2 BGB, wonach eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erklärt werden kann. Die Zweiwochenfrist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den Umständen Kenntnis erlangt, auf die die Kündigung gestützt wird.
Würde die Zweiwochenfrist während des Antrags- bzw. Zustimmungsverfahrens vor dem Integrationsamt "ungebremst laufen", wäre sie in den meisten Fällen bis zur Entscheidung des Amtes schon abgelaufen. Das wäre sachlich nicht gerechtfertigt.
Daher sieht § 174 Abs.2 SGB IX vor, dass der Arbeitgeber den Antrag auf Zustimmung des Integrationsamts zu einer außerordentlichen Kündigung innerhalb von zwei Wochen stellen muss, und zwar ab dem Zeitpunkt, in dem er von den Tatsachen Kenntnis erlangt, auf die die Kündigung gestützt werden soll. § 174 Abs.2 SGB IX lautet:
"Die Zustimmung zur Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden; maßgebend ist der Eingang des Antrages bei dem Integrationsamt. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt."
Hat sich der Arbeitgeber an diese Frist gehalten, muss sich jetzt auch das Integrationsamt mit der Bearbeitung des Antrags beeilen. Auch das Amt muss jetzt eine Zweiwochenfrist einhalten. Nach Ablauf der Frist gilt die Zustimmung als erteilt. Hierzu heißt es in § 174 Abs.3 SGB IX:
"Das Integrationsamt trifft die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tag des Eingangs des Antrages an. Wird innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt."
Da außerordentliche und fristlose Kündigungen in aller Regel mit einer Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nichts zu tun haben, stellt § 174 Abs.4 SGB IX klar, dass das Integrationsamt die Zustimmung erteilen "soll", wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht.
Diese speziellen Fristenregelungen werden ergänzt um eine Vorschrift, die zugunsten des Arbeitgebers die Zweiwochenfrist des § 626 Abs.2 BGB außer Anwendung setzt. Danach muss der Arbeitgeber, der fristgemäß (= innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis des Kündigungsgrundes) die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung beantragt hat, nach erteilter Zustimmung "unverzüglich" erklären. Dazu schreibt § 174 Abs.5 SGB IX vor:
"Die Kündigung kann auch nach Ablauf der Frist des § 626 Absatz 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird."
Unverzüglich heißt gemäß einer im BGB enthaltenen gesetzlichen Definition "ohne schuldhaftes Zögern" (§ 121 Abs.1 Satz 1 BGB).
BEISPIEL: Ein schwerbehinderter männlicher Arbeitnehmer tritt an einem Montag während der Arbeit von hinten an eine Kollegin heran und fasst ihr an das Gesäß. Als sich die erschrockene Kollegin zu ihm umwendet, fasst er sich in den Schritt und sagt: "Da regt sich ja was!". Am Folgetag hört der Arbeitgeber den Arbeitnehmer an, der darauf verweist, dass zwischen ihm und der betroffenen Kollegin angeblich ein "lockerer Umgangston" herrsche, was die Kollegin bei einer weiteren Befragung am Mittwoch bestreitet. Daraufhin hört der Arbeitgeber am Donnerstag den Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung (SBV) schriftlich zu einer geplanten außerordentlichen Kündigung an, die er mit dem Vorwurf der schwerwiegenden sexuellen Belästigung, hilfsweise mit einem entsprechenden Tatverdacht begründet. Der Betriebsrat stimmt der Kündigung am Freitag ausdrücklich zu. Das macht auch die SBV nach einer persönlichen Besprechung des Falles mit dem Arbeitgeber am Freitagmittag. Daraufhin teilt der Arbeitgeber der SBV am nächsten Montag mit, dass er jetzt kündigen wolle, und beantragt beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung.
Hier im Beispiel hat der Arbeitgeber alles richtig gemacht. Wenn das Integrationsamt nicht spätestens bis zum übernächsten Montag entscheidet, gilt die Zustimmung als erteilt (§ 174 Abs.3 Satz 2 SGB IX). Daraufhin sollte der Arbeitgeber am besten innerhalb von ein bis zwei Tagen die schriftliche Kündigungserklärung ausfertigen und dem Arbeitnehmer persönlich aushändigen oder durch einen Boten in seinen Hausbriefkasten einwerfen lassen.
Ist eine vorherige Zustimmung des Integrationsamtes auch erforderlich, wenn die Schwerbehinderung noch nicht anerkannt ist?
Ja, ein Arbeitnehmer muss nur objektiv schwerbehindert sein, damit der besondere Kündigungsschutz der § 168 SGB IX ff. eingreift.
Anders gesagt: Ist ein Arbeitnehmer zum Zeitpunkt einer Kündigung, d.h. der Erklärung der Kündigung, noch nicht als Schwerbehinderter anerkannt, schadet das nicht, voraussetzt, der Arbeitnehmer ist tatsächlich behindert mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50.
Denn zwischen einem Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter und einer dem Antrag entsprechenden Feststellung durch das Versorgungsamt können Wochen und Monate vergehen. Wer in dieser Zeit, d.h. zwischen Antragstellung und Anerkennung, eine Kündigung erhält, soll durch § 168 SGB IX geschützt sein.
Allerdings schreibt § 173 Abs.3 SGB IX vor, dass die Schwerbehinderung (gegenüber dem Arbeitgeber) nachzuweisen ist und dass Schwerbehinderte an der behördlichen Feststellung der Schwerbehinderung mitwirken müssen. Außerdem sollte das Versorgungsamt eine Schwerbehinderung normalerweise innerhalb von drei Wochen feststellen, falls dafür kein Gutachten eingeholt werden muss (§ 152 Abs.1 Satz 3 SGB IX in Verb. mit § 14 Abs.2 Satz 2 SGB IX).
Aus diesen Fristenregelungen hat die Rechtsprechung die Schlussfolgerung gezogen, dass der gekündigte (objektiv schwerbehinderte) Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung zumindest einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter gestellt haben muss, und zwar spätestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung.
BEISPIEL: Ein Arbeitnehmer sieht eine Kündigung des Arbeitgebers auf sich zukommen, denn er hat vom Betriebsrat erfahren, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat bereits zu der Kündigung angehört hat. Daher ist der Arbeitnehmer ziemlich sicher, in den nächsten Tagen eine Kündigung in seinem Briefkasten zu finden, und so kommt es auch. Um dem Arbeitgeber einen Strich durch die Rechnung zu machen, stellt der Arbeitnehmer schnell noch einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch.
Das ist zu spät. Sollte später in einem Kündigungsschutzverfahren über die Frage gestritten werden, ob die Kündigung wirksam war oder nicht, ist die fehlende Zustimmung des Integrationsamtes kein Thema mehr - und zwar auch dann, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich (objektiv) zum Zeitpunkt der Kündigung schwerbehindert war.
Anders wäre es in dem o.g. Beispiel, wenn der Arbeitnehmer bereits fünf Wochen vor Zugang der Kündigung den Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter gestellt hätte, und wenn über den Antrag einige Wochen nach Zugang der Kündigung positiv entschieden wird, so dass die Schwerbehinderung rückwirkend zum Zeitpunkt der Kündigung feststeht.
Unter diesen Umständen kann der Arbeitnehmer darauf hinarbeiten, dass die Kündigung gemäß § 168 SGB IX in Verb. mit § 134 BGB unwirksam ist. Dazu muss er allerdings dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung ausdrücklich mitteilen, und zwar spätestens drei Wochen nach Zugang der Kündigung.
Bis wann müssen Schwerbehinderte im Falle einer Kündigung ihren Arbeitgeber auf die Schwerbehinderung hinweisen?
Wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung eines Arbeitnehmers nichts weiß, kann man von ihm schlecht verlangen, vor Ausspruch einer Kündigung beim Integrationsamt einen Antrag auf Zustimmung zu stellen.
Trotzdem hängt der gesetzliche Sonderkündigungsschutz nach § 168 SGB IX im Prinzip nicht davon ab, dass der Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers bei Ausspruch der Kündigung kennt. Theoretisch, d.h. nach den Buchstaben des Gesetzes, könnte ein gekündigter schwerbehinderter Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erheben und erst Monate später kurz vor Abschluss der ersten Instanz die Katze aus dem Sack lassen, d.h. seine Schwerbehinderung mitteilen und sich auf diesen Unwirksamkeitsgrund berufen (§ 6 KSchG). Dann müsste der Arbeitgeber für eine lange Zeit den Lohn nachentrichten, ohne die Arbeitsleistung erhalten zu haben, denn er befand sich im Annahmeverzug (§ 615 BGB).
Das wäre keine gerechte Risikoverteilung. Schließlich trifft den Arbeitgeber kein Verschulden an seinem Rechtsverstoß. Daher verlangen die Arbeitsgerichte, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber, der eine Kündigung in Unkenntnis der Schwerbehinderung ausgesprochen hat, innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung darüber informieren, dass sie schwerbehindert sind.
Genauer gesagt müssen Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber spätestens nach drei Woche plus ein oder zwei Tagen über die Schwerbehinderung zum Kündigungszeitpunkt informieren, so das BAG in einer Entscheidung aus dem Jahr 2016 (BAG, Urteil vom 22.09.2016, 2 AZR 700/15, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 17/026 Kündigung in Unkenntnis einer Schwerbehinderung). Nach Ablauf dieser Frist von "drei Wochen plus x" haben Schwerbehinderte ihr Recht, sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung bzw. auf § 168 SGB IX in Verb. mit § 134 BGB zu berufen, verwirkt.
Hat der Arbeitgeber diese Information drei Wochen nach Ausspruch der Kündigung erhalten, weiß er recht frühzeitig, dass seine Kündigung unwirksam war. Dann kann er sich überlegen, ob er auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verzichten oder aber erneut kündigen möchte, diesmal nach vorheriger Zustimmung des Integrationsamtes.
Was müssen Arbeitgeber bei der Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor einer Kündigung beachten?
In vielen größeren Betrieben ist eine Schwerbehindertenvertretung (SBV) gebildet, die sich um die Belange der schwerbehinderten und der gleichgestellten Beschäftigten kümmert.
Arbeitgeber sind verpflichtet, die SBV in Angelegenheiten, die einzelne schwerbehinderte Beschäftigte oder die Schwerbehinderten als Gruppe berühren, zu unterrichten und die SBV vor einer Entscheidung anzuhören. Hierzu heißt es in § 178 Abs.2 Satz 1 SGB IX:
"Der Arbeitgeber hat die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen."
Zu den hier genannten "Angelegenheiten" gehört auch die Kündigung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers. Demzufolge müssen Arbeitgeber gemäß § 178 Abs.2 Satz 1 SGB IX vor Ausspruch einer Kündigung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers drei Dinge tun:
- Sie müssen die SBV unverzüglich und umfassend unterrichten.
- Sie müssen die SBV vor einer Entscheidung (über die Kündigung) anhören.
- Sie müssen der SBV die getroffene Entscheidung unverzüglich mitteilen.
Seit dem 30.12.2016 ist die Kündigung eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber ohne Beteiligung der SBV unwirksam. Dies ist seit Anfang 2018 in § 178 Abs.2 Satz 3 SGB IX geregelt. Diese Vorschrift lautet:
"Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, ist unwirksam."
Diese Vorschrift entspricht § 102 Abs.1 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), wonach eine ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam ist.
Da sich der Gesetzgeber bei der Einführung von § 178 Abs.2 Satz 3 SGB IX (bzw. der Vorgänger-Vorschrift) an § 102 Abs.1 Satz 3 BetrVG orientiert hat, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Dezember 2018 entschieden, dass die Informationspflichten des Arbeitgebers gegenüber der SBV im Wesentlichen den Pflichten gegenüber dem Betriebsrat entsprechen (BAG, Urteil vom 13.12.2018, 2 AZR 378/18, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 18/305 Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor Kündigungen).
Das bedeutet im Wesentlichen,
- dass Arbeitgeber die SBV ebenso genau über die Hintergründe der geplanten Kündigung informieren müssen wie den Betriebsrat, und
- dass Arbeitgeber der SBV so viel Zeit für eine mögliche Stellungnahme lassen muss, wie sie auch dem Betriebsrat gemäß § 102 BetrVG zusteht.
Nur diese beiden Pflichten sind für die Wirksamkeit der Kündigung wesentlich, d.h. ihre Verletzung führ zur Unwirksamkeit der Kündigung. Demgegenüber führt es nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn der Arbeitgeber der SBV vor Ausspruch der Kündigung nicht mitteilt, dass er sich zur Kündigung entschieden hat, d.h. die Verletzung dieser Mitteilungspflicht ist für die Wirksamkeit der Kündigung nicht erheblich.
Wie genau müssen Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung über eine geplante Kündigung informieren?
Wie erwähnt müssen Arbeitgeber die SBV vor der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen über die geplante Kündigung unverzüglich und umfassend unterrichten.
Das muss nicht unbedingt schriftlich geschehen, doch ist eine schriftliche (bzw. per E-Mail erklärte) Unterrichtung dringend zu empfehlen, damit Datum und Inhalt der Unterrichtung später nachvollzogen werden können.
Der Inhalt der Unterrichtung ist im SGB IX nicht festgelegt. Nach der Rechtsprechung des BAG gelten hier aber die Anforderungen, die die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte an eine korrekte Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs.1 BetrVG stellen.
Daher muss eine Anhörung mindestens folgende Angaben enthalten:
- Namen, Vornamen und Geschlecht des schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers
- Funktion, d.h. Arbeitsplatz im Betrieb bzw. Stelle
- Geburtsdatum, Dauer der Beschäftigung bzw. Einstellungsdatum und etwaige Unterhaltspflichten (sog. Sozialdaten)
- Etwaige arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Unkündbarkeit
- Information über die Schwerbehinderung, Grad der Behinderung
- Art der geplanten Kündigung (ordentlich oder außerordentlich?)
- Grund für die geplante Kündigung (= Motiv des Arbeitgebers: Warum soll gekündigt werden?)
Wie bei der Anhörung des Betriebsrats müssen Arbeitgeber die SBV so genau über die geplante Kündigung informieren, dass sich die SBV ohne eigene Nachforschungen, d.h. allein auf der Grundlage der vom Arbeitgeber erteilten Informationen, ein Bild über die Rechtmäßigkeit der geplanten Kündigung machen kann.
Denn nur auf einer solchen Grundlage kann die die Schwerbehindertenvertretung Einfluss auf die bevorstehende Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers nehmen.
Wie bei der Anhörung des Betriebsrats sollten Arbeitgeber die SBV ausdrücklich um eine Stellungnahme bzw. um Zustimmung zu der geplanten Kündigung zu bitten.
Wie lange Zeit hat die Schwerbehindertenvertretung für eine Stellungnahme zu einer geplanten Kündigung?
§ 178 Abs.2 Satz 1 und Satz 3 SGB IX schreibt keine Frist vor, die die SBV für eine Stellungahme zu einer geplanten Kündigung beachten muss. Allerdings muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung nicht nur unterrichten, sondern "anhören".
Hier sind nach der Rechtsprechung des BAG die gesetzlichen Fristen heranzuziehen, die § 102 Abs.1 BetrVG für die Stellungnahme des Betriebsrats zu einer geplanten Kündigung vorsieht. Diese Fristen sind unterschiedlich lang je nachdem, ob der Arbeitgeber eine ordentliche bzw. fristgemäße Kündigung oder eine außerordentliche bzw. fristlose Kündigung beabsichtigt.
- Wird der Betriebsrat zu einer ordentlichen Kündigung angehört und hat er gegenüber dieser Kündigung Bedenken, so muss er dem Arbeitgeber seine Bedenken spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitteilen (§ 102 Abs.2 Satz 1 BetrVG). Danach ist die Anhörung abgeschlossen (§ 102 Abs.2 Satz 2 BetrVG).
- Wird der Betriebsrat zu einer außerordentlichen Kündigung angehört und hat er gegenüber dieser Kündigung Bedenken, so muss er dem Arbeitgeber seine Bedenken unverzüglich, spätestens aber innerhalb von drei Tagen schriftlich mitteilen (§ 102 Abs.2 Satz 3 BetrVG).
Der Arbeitgeber ist bei der Beteiligung der SBV nicht verpflichtet, mit der SBV zu sprechen, d.h. in diesem Sinne ist die Pflicht zur Unterrichtung und Anhörung nicht zu verstehen. Der Arbeitgeber muss der SBV auch keine ausdrückliche Frist zur Stellungnahme setzen.
Es genügt, wenn die SBV die Möglichkeit hat, auf die Entscheidung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Das Anhörungsverfahren ist beendet, wenn die - einwöchige oder dreitägige - Frist zur Stellungnahme durch die SBV abgelaufen ist oder wenn die SBV eine sog. abschließende Stellungnahme zu der geplanten Kündigung abgibt (BAG, Urteil vom 13.12.2018, 2 AZR 378/18, Rn.24).
Im Ergebnis hat der Arbeitgeber, wenn die SBV die Möglichkeit zum Gespräch nicht nutzt, eine Woche nach der Unterrichtung genug getan (falls es um eine ordentliche Kündigung geht), bzw. drei Tage nach der Unterrichtung (falls es um eine außerordentliche Kündigung geht).
Wie oben erwähnt, sind Arbeitgeber gemäß § 178 Abs.2 Satz 1, 2. Halbsatz SGB IX dazu verpflichtet, die Entscheidung für eine Kündigung der SBV "unverzüglich" mitzuteilen, d.h. "ohne schuldhaftes Zögern" (so die Definition von "unverzüglich" in § 121 Abs.1 Satz 1 BGB). Erst mit der Mitteilung der Entscheidung ist der letzte Schritt der gesetzlich festgelegten Mitwirkung vollzogen.
Unterlässt der Arbeitgeber allerdings diese Mitteilung seiner getroffenen Kündigungsentscheidung vor Ausspruch der Kündigung, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung (BAG, Urteil vom 13.12.2018, 2 AZR 378/18, Rn.14).
Müssen Arbeitgeber zuerst die Schwerbehindertenvertretung beteiligen oder können sie auch zuerst einen Antrag auf Zustimmung beim Integrationsamt stellen?
Hier ist im Gesetz keine bestimmte Reihenfolge festgelegt.
Arbeitgeber müssen die SBV zwar gemäß § 178 Abs.2 Satz 1 SGB IX "unverzüglich" unterrichten, doch heißt das nicht, dass man nicht auch im ersten Schritt einen Antrag beim Integrationsamt auf Zustimmung zur Kündigung stellen könnte.
Aus praktischer Sicht dürfte es im Allgemeinen besser sein, zuerst die betriebsinternen Gremien zu beteiligen, d.h. Betriebsrat und SBV anzuhören, um danach einen Antrag beim Integrationsamt zu stellen.
Sind schwerbehinderte Menschen auch vor Entlassungen geschützt, die nicht auf einer Kündigung beruht?
Ja, durch § 175 SGB IX. Diese Vorschrift lautet:
„Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen bedarf auch dann der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes, wenn sie im Falle des Eintritts einer teilweisen Erwerbsminderung, der Erwerbsminderung auf Zeit, der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit auf Zeit ohne Kündigung erfolgt. Die Vorschriften dieses Kapitels über die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung gelten entsprechend.“
Diese Vorschrift ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Tarifverträge oftmals die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Fall des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente vorsehen, so z.B. § 33 Abs.2 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Danach endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer einen Rentenbescheid erhält, dem zufolge er voll oder teilweise erwerbsgemindert ist.
Dieser Automatismus der Vertragsbeendigung wird durch § 175 SGB IX durchbrochen, denn der Arbeitgeber muss auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis eigentlich unmittelbar gemäß Tarif wegen einer Erwerbsminderungsberentung endet, vor der Beendigung das Integrationsamt um Zustimmung bitten.
Wo finden Sie mehr zum Thema Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen?
Weitere Informationen, die Sie im Zusammenhang mit dem Thema Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen interessieren könnten, finden Sie hier:
- Handbuch Arbeitsrecht: Anhörung des Betriebsrats
- Handbuch Arbeitsrecht: Behinderung, Menschen mit Behinderung
- Handbuch Arbeitsrecht: Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
- Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsrat - Kündigungsschutz
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Kündigung des Arbeitsvertrags (Überblick)
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Änderungskündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Betriebsbedingte Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Fristlose Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Krankheitsbedingte Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Personenbedingte Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Verdachtskündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Verhaltensbedingte Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsfristen
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutz
- Handbuch Arbeitsrecht: Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten
- Handbuch Arbeitsrecht: Schwerbehindertenvertretung
- Handbuch Arbeitsrecht: Schwerbehinderung, schwerbehinderter Mensch
- Handbuch Arbeitsrecht: Unkündbarkeit
- Tipps und Tricks: Kündigung durch den Arbeitgeber - Checkliste
Kommentare unseres Anwaltsteams zu aktuellen Fragen rund um das Thema Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen finden Sie hier:
Arbeitsrecht aktuell 2021
- Update Arbeitsrecht 20|2021 LAG Baden-Württemberg: Notwendige Datenschutzhinweise in der BEM-Einladung und Nachweis der Zustellung
- Update Arbeitsrecht 16|2021 BAG: Nicht bestandskräftige Zustimmung des Integrationsamts zu einer außerordentlichen Kündigung
- Arbeitsrecht aktuell: 21/012 Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
Arbeitsrecht aktuell 2020
- Arbeitsrecht aktuell: 20/105a Unterstützung von Menschen mit Behinderung in der Corona-Krise
- Arbeitsrecht aktuell: 20/090 Annahmeverzug und leidensgerechte Beschäftigung
- Arbeitsrecht aktuell: 20/088 Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung erst nach Gleichstellung
- Arbeitsrecht aktuell: 20/087 Ablehnung eines Schwerbehinderten ohne Bewerbungsgespräch
- Update Arbeitsrecht 11|2020 BAG: Öffentlich ausgeschriebene Stellen müssen nicht vorab intern an Schwerbehinderte vergeben werden
Arbeitsrecht aktuell 2019
- Arbeitsrecht aktuell: 19/197 Interner Arbeitsmarkt statt Kündigungsschutz?
- Arbeitsrecht aktuell: 19/120 Kündigungsschutz Schwerbehinderter bei Massenentlassungen
- Arbeitsrecht aktuell: 19/088 Arbeitgeber müssen Schwerbehinderte zum Zusatzurlaub auffordern
Arbeitsrecht aktuell 2018
- Arbeitsrecht aktuell: 18/305 Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor Kündigungen
- Arbeitsrecht aktuell: 18/179 Unterrichtung des Arbeitnehmers über die Vertragsauflösung wegen Erwerbsminderungsrente
- Arbeitsrecht aktuell: 18/121 Erst Anhörung der Schwerbehindertenvertretung, dann Antrag beim Integrationsamt
Arbeitsrecht aktuell 2017
- Arbeitsrecht aktuell: 17/034 Anhebung der Wochenarbeitszeit und Behinderung
- Arbeitsrecht aktuell: 17/029 Bei Massenentlassung keine Benachteiligung während einer Elternzeit
- Arbeitsrecht aktuell: 17/026 Kündigung in Unkenntnis einer Schwerbehinderung
Arbeitsrecht aktuell 2016
- Arbeitsrecht aktuell: 16/321 Vorzeitige Rente für Schwerbehinderte und Betriebsrente
- Arbeitsrecht aktuell: 16/291 Gesetzentwurf zum Bundesteilhabegesetz
- Arbeitsrecht aktuell: 16/259 Offensichtliches Fehlen der fachlichen Eignung
- Arbeitsrecht aktuell: 16/258 Massenentlassung und Elternzeit
- Arbeitsrecht aktuell: 16/140 Kein Präventionsverfahren in der Probezeit
- Arbeitsrecht aktuell: 16/101 Grenzen der Mitbestimmung beim BEM
- Arbeitsrecht aktuell: 16/096 Erwerbsminderungsrente und Arbeitsverhältnis
- Arbeitsrecht aktuell: 16/078 Betriebliches Eingliederungsmanagement und Datenschutz
Eine vollständige Übersicht unserer Beiträge zum Thema Schwerbehinderung finden Sie unter:
- Handbuch Arbeitsrecht: Schwerbehinderung, schwerbehinderter Mensch
- Urteile und Kommentare: Schwerbehinderung
Letzte Überarbeitung: 7. Oktober 2021
Was können wir für Sie tun?
Wenn Sie als Arbeitgeber vor der Entscheidung stehen, einen schwerbehinderten oder gleichgestellten Mitarbeiter zu kündigen und Fragen zu den rechtlichen Fristen und Formalitäten haben, oder wenn man Ihnen als Arbeitnehmer eine Kündigung in Aussicht gestellt oder ausgesprochen hat und Sie daher rasch reagieren müssen, beraten wir Sie jederzeit gerne. Wir unterstützen Sie auch bei der Ausarbeitung eines Aufhebungsvertrags, mit dem eine Kündigung vermieden oder gütlich geregelt werden soll, angefangen von der Bewertung eines ersten Vertragsentwurfs bis hin zur unterschriftsreifen Ausarbeitung von umfassenden Ausscheidensvereinbarungen. Entsprechend Ihren Wünschen beraten wir Sie rein intern oder verhandeln in Ihrem Namen mit der Gegenseite. Falls sich eine gütliche außergerichtliche Einigung über eine Kündigung nicht erreichen lässt, vertreten wir Sie deutschlandweit vor Gericht, insbesondere im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen. Für eine möglichst rasche und effektive Beratung benötigen wir folgende Unterlagen:
Eine Bitte an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: Beachten Sie unbedingt die Dreiwochenfrist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage, die mit Erhalt des Kündigungsschreibens beginnt, und nehmen Sie vor Ablauf dieser Frist Kontakt zu uns auf, wenn wir Sie rechtlich beraten sollen. |
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de | |
Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |
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