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ARBEITSRECHT AKTUELL // 16/155

Zwi­schen­ver­dienst bei er­höh­ter St­un­den­zahl

Ein Zwi­schen­ver­dienst ist nur in dem Um­fang auf den An­nah­me­ver­zugs­lohn an­zu­rech­nen, in dem Ar­beits­stun­den beim al­ten Ar­beit­ge­ber aus­ge­fal­len sind: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 24.02.2016, 5 AZR 425/15
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10.05.2016. Spricht der Ar­beit­ge­ber ei­ne un­wirk­sa­me Kün­di­gung aus und nimmt die Ar­beits­leis­tung zu Un­recht nicht mehr ent­ge­gen, be­fin­det er sich im An­nah­me­ver­zug und muss den Lohn für die aus­ge­fal­le­ne Ar­beits­zeit be­zah­len.

Auf die­sen An­nah­me­ver­zugs­lohn muss sich der Ar­beit­neh­mer al­ler­dings an­rech­nen las­sen, was er zwi­schen­zeit­lich bei ei­nem an­de­ren Ar­beit­ge­ber ver­dient.

In ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil hat­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) die Fra­ge zu ent­schei­den, ob ein Zwi­schen­ver­dienst auch dann in vol­lem Um­fang an­re­chen­bar ist, wenn der Ar­beit­neh­mer beim neu­en Ar­beit­ge­ber mehr St­un­den pro Wo­che ar­bei­tet als bis­her: BAG, Ur­teil vom 24.02.2016, 5 AZR 425/15.

Wie hoch ist der An­nah­me­ver­zugs­lohn ei­ner Teil­zeit­kraft, die für ei­nen Zwi­schen­ver­dienst bei ei­nem an­de­ren Ar­beit­ge­ber mehr St­un­den pro Wo­che ar­bei­tet als bis­her?

Spricht der Ar­beit­ge­ber ei­ne un­wirk­sa­me Kündi­gung aus und ver­liert ei­nen lang­wie­ri­gen Kündi­gungs­schutz­pro­zess, muss er den Lohn für die Zeit ab der un­be­rech­tig­ten Ent­las­sung nach­vergüten, denn während die­ser Zeit be­fand er sich im An­nah­me­ver­zug. Der Ar­beit­neh­mer kann dann gemäß § 615 Satz 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) sei­ne re­guläre Vergütung ein­sch­ließlich al­ler Son­der­zah­lun­gen als An­nah­me­ver­zugs­lohn ver­lan­gen.

Al­ler­dings muss sich der Ar­beit­neh­mer auf die­sen An­spruch gemäß § 615 Satz 2 BGB an­rech­nen las­sen,

"was er in­fol­ge des Un­ter­blei­bens der Dienst­leis­tung er­spart oder durch an­der­wei­ti­ge Ver­wen­dung sei­ner Diens­te er­wirbt oder zu er­wer­ben böswil­lig un­terlässt."

Ei­ne spe­zi­el­le An­rech­nungs­vor­schrift enthält § 11 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) für den Fall, dass die Kündi­gungs­schutz­kla­ge durch ein ar­beits­ge­richt­li­ches Ur­tei­le zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers ent­schie­den wur­de, d.h. wenn in­fol­ge ei­ner ge­richt­li­chen Ent­schei­dung fest­steht, dass das Ar­beits­verhält­nis trotz der Kündi­gung fort­be­steht. § 11 Nr.3 KSchG stellt über § 615 Satz 2 BGB hin­aus klar, dass auch zwi­schen­zeit­lich be­zo­ge­nes Ar­beits­lo­sen­geld an­zu­rech­nen ist.

Nach der Recht­spre­chung ist der Zwi­schen­ver­dienst, den der Ar­beit­neh­mer während des An­nah­me­ver­zugs er­zielt hat, für des­sen ge­sam­te Dau­er zu­sam­men­zu­rech­nen und vom ge­sam­ten An­nah­me­ver­zugs­lohn ab­zu­zie­hen. Hat der Ar­beit­neh­mer da­her z.B. während der ers­ten sechs Mo­na­ten nach sei­ner un­be­rech­tig­ten Ent­las­sung nur Ar­beits­lo­sen­geld er­hal­ten, da­nach aber deut­lich bes­ser als in sei­nem al­ten Ar­beits­verhält­nis ver­dient, ist sein An­spruch auf An­nah­me­ver­zugs­lohn auf null ge­min­dert, wenn Ar­beits­lo­sen­geld plus Zwi­schen­ver­dienst zu­sam­men­ge­rech­net eben­so hoch oder höher sind als der An­nah­me­ver­zugs­lohn für die ge­sam­ten zwölf Mo­na­te.

Aber führt die­se von der Recht­spre­chung vor­ge­ge­be­ne "Ge­samt­be­rech­nung" auch da­zu, dass sich ein un­be­rech­tigt ent­las­se­ner Teil­zeit­ar­beit­neh­mer sei­nen "ge­sam­ten" Zwi­schen­ver­dienst an­rech­nen las­sen muss, den er nach sei­ner Ent­las­sung bei ei­nem an­de­ren Ar­beit­ge­ber er­zielt, in­dem er dort mehr St­un­den pro Wo­che als bis­her ar­bei­tet?

An­ders ge­fragt: Muss bei ei­ner zeit­in­ten­si­ve­ren an­der­wei­ti­gen Tätig­keit der ge­sam­te dort er­ziel­te Ver­dienst auf den An­nah­me­ver­zugs­lohn an­ge­rech­net wer­den oder be­schränkt sich die An­rech­nung auf den An­teil am Zwi­schen­ver­dienst, den der Ar­beit­neh­mer mit den Ar­beits­stun­den ver­dient, die er auch bei sei­nem al­ten Ar­beit­ge­ber hätte ar­bei­ten müssen?

Der Fall des BAG: Zu Un­recht ent­las­se­ne Ar­beit­neh­me­rin ver­dient bei ei­nem neu­en Ar­beit­ge­ber mehr Geld, weil sie dort länger ar­bei­tet als bei ih­rem Ex-Ar­beit­ge­ber

Ge­klagt hat­te ei­ne Ar­beit­neh­me­rin, die von ih­rem Ar­beit­ge­ber, ei­ner Kran­ken­kas­se, ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung aus be­triebs­be­ding­ten Gründen er­hal­ten hat­te. Die Kündi­gung soll­te das Ar­beits­verhält­nis ei­gent­lich zum 31.12.2011 be­en­den, doch schlos­sen die Par­tei­en nach länge­rem Pro­zes­sie­ren vor dem BAG ei­nen Ver­gleich, dem zu­fol­ge das Ar­beits­verhält­nis erst zwei Jah­re später (zum 31.12.2013) en­de­te.

Die Höhe des An­nah­me­ver­zugs­lohns war im Ver­gleich nicht kon­kret fest­ge­legt. Da­zu ent­hielt der Ver­gleich nur fol­gen­de Re­ge­lung:

"Die Be­klag­te ver­pflich­tet sich, das Ar­beits­verhält­nis bis zu die­sem Zeit­punkt auf der Ba­sis des Mo­nats­ge­halts zum Zeit­punkt der Sch­ließung zuzüglich ver­trag­li­cher Son­der­zah­lun­gen … ab­zu­rech­nen und sich hier­aus er­ge­ben­de Net­to­ansprüche an die Kläger­sei­te aus­zu­zah­len, so­weit Ansprüche nicht auf Drit­te, ins­be­son­de­re So­zi­al­ver­si­che­rungs­träger, über­ge­gan­gen sind."

Während der zweijähri­gen Zeit der Un­ge­wiss­heit hat­te die Ar­beit­neh­me­rin bei ei­nem an­de­ren Ar­beit­ge­ber ge­ar­bei­tet, und zwar für 17 St­un­den pro Wo­che, während sie bei ih­rem al­ten Ar­beit­ge­ber nur zwölf St­un­den wöchent­lich tätig war. Dem­ent­spre­chend ver­dien­te sie mit dem 17-St­un­den-Job bei dem neu­en Ar­beit­ge­ber mehr als sie mit ih­rer 12-St­un­den-Stel­le bei ih­rem al­ten Ar­beit­ge­ber ver­dient hätte.

Der mein­te dar­auf­hin, dass der dem Grun­de nach be­ste­hen­de An­spruch auf An­nah­me­ver­zugs­lohn in­fol­ge des Zwi­schen­ver­diens­tes auf null ge­min­dert sei, wor­auf­hin die Par­tei­en er­neut pro­zes­sier­ten.

Denn die Ar­beit­neh­me­rin war der An­sicht, dass ihr ei­gent­lich nach dem Wort­laut des Ver­gleichs der ge­sam­te An­nah­me­ver­zugs­lohn an­rech­nungs­frei zustünde, d.h. oh­ne jeg­li­chen Ab­zug ei­nes Zwi­schen­ver­diens­tes. Höchs­tens aber sei der An­teil ih­res Zwi­schen­ver­diens­tes an­re­chen­bar, den sie zeit­an­tei­lig be­rech­net mit ei­ner zwölfstündi­gen Tätig­keit beim neu­en Ar­beit­ge­ber er­zielt hat­te, wes­halb sie min­des­tens 6.127,61 EUR brut­to ver­lan­gen könne.

In die­sem (teil­wei­sen) Um­fang von 6.127,61 EUR brut­to hat­te ih­re Kla­ge vor dem Ar­beits­ge­richt Düssel­dorf Er­folg (Ur­teil vom 20.01.2015, 2 Ca 4459/14). Auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Düssel­dorf sprach ihr die­sen Be­trag zu (LAG Düssel­dorf, Ur­teil vom 01.07.2015, 1 Sa 194/15).

BAG: An­rech­nung von Zwi­schen­ver­dienst auf An­nah­me­ver­zugs­lohn nur ent­spre­chend der beim al­ten Ar­beit­ge­ber aus­ge­fal­len Ar­beits­zeit

Das BAG wies die Re­vi­si­on der Kran­ken­kas­se zurück, die da­mit in al­len drei In­stan­zen ver­lo­ren hat­te. Der Leit­satz des BAG-Ur­teils lau­tet:

"Nach § 615 Satz 2 BGB ist Zwi­schen­ver­dienst auf den Vergütungs­an­spruch we­gen An­nah­me­ver­zugs in dem Um­fang an­zu­rech­nen, wie er dem Verhält­nis der beim Ar­beit­ge­ber aus­ge­fal­le­nen Ar­beits­zeit zu der im neu­en Dienst­verhält­nis ge­leis­te­ten ent­spricht."

Fa­zit: Ist der Ar­beit­neh­mer während des An­nah­me­ver­zugs fleißig und ar­bei­tet mehr St­un­den als bis­her bei sei­nem al­ten Ar­beit­ge­ber, darf die­ser dar­aus kei­nen Vor­teil zie­hen. Viel­mehr muss der An­teil des Lohns, den der Ar­beit­neh­mer durch ver­mehr­te Ar­beits­stun­den er­wirbt, ihm zu­gu­te­kom­men. Denn die ge­setz­li­chen An­nah­me­ver­zugs­vor­schrif­ten sol­len die bis­he­ri­ge Ver­trags­si­tua­ti­on auf­recht­er­hal­ten, und die­se ist im We­sent­li­chen durch die ver­ein­bar­te Wo­chen­stun­den­zahl fest­ge­legt.

Das ist vor al­lem dann an­ge­mes­sen, wenn der un­wirk­sam ent­las­se­ne Ar­beit­neh­mer (wie hier im Streit­fall) sei­ne St­un­den­zahl beim neu­en Ar­beit­ge­ber nur des­halb erhöht, um nicht we­ni­ger als bei sei­nem Ex-Ar­beit­ge­ber zu ver­die­nen. Von ei­ner sol­chen wirt­schaft­lich er­zwun­ge­nen Erhöhung der Ar­beits­zeit (bei ge­rin­ge­rem St­un­den­lohn) soll­te der bis­he­ri­ge Ar­beit­ge­ber nicht pro­fi­tie­ren.

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Letzte Überarbeitung: 30. Dezember 2018

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