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ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/149

Ab­fin­dung bei be­triebs­be­ding­ter Kün­di­gung ge­mäß § 1a KSchG

Ver­spricht der Ar­beit­ge­ber ei­ne Ab­fin­dung ge­mäß § 1a KSchG, kann ein spä­te­rer Auf­he­bungs­ver­trag den Ab­fin­dungs­an­spruch be­sei­ti­gen: Lan­des­ar­beits­ge­richt Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 18.01.2017, 7 Sa 210/16
Auktionshammer bzw. Gerichtshammer auf Geldscheinen

02.06.2017. Wer seit län­ge­rer Zeit in ei­nem grö­ße­ren Be­trieb ar­bei­tet und be­triebs­be­dingt ge­kün­digt wird, er­war­tet vom Ar­beit­ge­ber ei­ne an­stän­di­ge Ab­fin­dung.

Macht der Ar­beit­ge­ber be­reits im Kün­di­gungs­schrei­ben ei­ne Ab­fin­dungs­zu­sa­ge un­ter Ver­weis auf § 1a Kün­di­gungs­schutz­ge­setz (KSchG), kann für den Ar­beit­neh­mer im Nor­mal­fall nicht mehr viel an­bren­nen.

An­statt zum An­walt zu ge­hen und Kün­di­gungs­schutz­kla­ge zu er­he­ben, kann sich der ge­kün­dig­te Ar­beit­neh­mer zu­rück­leh­nen und bei Ab­lauf der Kün­di­gungs­frist ei­ne Ab­fin­dung von ei­nem hal­ben Mo­nats­ge­halt pro Be­schäf­ti­gungs­jahr ver­lan­gen.

Wie ein ak­tu­el­ler Fall des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Rhein­land-Pfalz zeigt, gilt das aber nicht in al­len Fäl­len: LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 18.01.2017, 7 Sa 210/16.

Wann ha­ben be­triebs­be­dingt gekündig­te Ar­beit­neh­mer ei­nen An­spruch auf Ab­fin­dung?

Wenn es kei­nen So­zi­al­plan mit Ab­fin­dungs­re­ge­lun­gen gibt, ha­ben Ar­beit­neh­mer im All­ge­mei­nen kei­nen An­spruch auf ei­ne Ab­fin­dung, wenn sie aus be­triebs­be­ding­ten Gründen gekündigt wer­den. Ob bei be­triebs­be­ding­ten Kündi­gun­gen Ab­fin­dun­gen ge­zahlt wer­den oder nicht und wie hoch die­se ggf. sind, ist da­her rei­ne Ver­hand­lungs­sa­che.

Reicht die ge­setz­li­che Drei­wo­chen­frist zur Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge nicht aus, um ei­ne rechts­ver­bind­li­che Ab­fin­dungs­ver­ein­ba­rung zu tref­fen, bleibt be­triebs­be­dingt gekündig­ten Ar­beit­neh­mern nur der Weg zum Ge­richt, um sich dort auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Ab­fin­dung zu verständi­gen.

Da Kündi­gungs­schutz­kla­gen vor die­sem Hin­ter­grund oft nur des­halb er­ho­ben wer­den, um ei­ne Ab­fin­dung aus­zu­han­deln, sieht § 1a Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) bei be­triebs­be­ding­ten Kündi­gun­gen ei­ne stan­dar­di­sier­te Ab­fin­dungslösung vor, mit der unnöti­ge Pro­zes­se ver­mie­den wer­den können. Für die­ses Vor­ge­hen muss sich der Ar­beit­ge­ber al­ler­dings be­wusst ent­schei­den, d.h. § 1a KSchG be­inhal­tet kei­nen ge­setz­li­chen Ab­fin­dungs­an­spruch, son­dern setzt ei­ne ent­spre­chen­de Zu­sa­ge des Ar­beit­ge­bers vor­aus. Die­se Vor­schrift lau­tet:

„(1) Kündigt der Ar­beit­ge­ber we­gen drin­gen­der be­trieb­li­cher Er­for­der­nis­se nach § 1 Abs.2 Satz 1 und er­hebt der Ar­beit­neh­mer bis zum Ab­lauf der Frist des § 4 Satz 1 kei­ne Kla­ge auf Fest­stel­lung, dass das Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung nicht auf­gelöst ist, hat der Ar­beit­neh­mer mit dem Ab­lauf der Kündi­gungs­frist An­spruch auf ei­ne Ab­fin­dung. Der An­spruch setzt den Hin­weis des Ar­beit­ge­bers in der Kündi­gungs­erklärung vor­aus, dass die Kündi­gung auf drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se gestützt ist und der Ar­beit­neh­mer bei Ver­strei­chen­las­sen der Kla­ge­frist die Ab­fin­dung be­an­spru­chen kann.

(2) Die Höhe der Ab­fin­dung beträgt 0,5 Mo­nats­ver­diens­te für je­des Jahr des Be­ste­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses. § 10 Abs.3 gilt ent­spre­chend. Bei der Er­mitt­lung der Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses ist ein Zeit­raum von mehr als sechs Mo­na­ten auf ein vol­les Jahr auf­zu­run­den.“

Der Ab­fin­dungs­an­spruch nach § 1a KSchG be­ruht nicht auf ei­nem Ver­trag (ge­richt­li­cher Ver­gleich, Auf­he­bungs­ver­trag oder Ab­wick­lungs­ver­trag), son­dern es genügt ein ein­sei­ti­ges Leis­tungs­ver­spre­chen des Ar­beit­ge­bers. Kon­kret müssen fol­gen­de Vor­aus­set­zun­gen ge­ge­ben sein:

  • Das KSchG muss an­wend­bar sein, d.h. der gekündig­te Ar­beit­neh­mer muss länger als sechs Mo­na­te in ei­nem Be­trieb ge­ar­bei­tet ha­ben, in dem mehr als zehn Ar­beit­neh­mer beschäftigt wer­den (§ 1 Abs.1 KSchG, § 23 Abs.1 KSchG).
  • Der Ar­beit­ge­ber muss ei­ne frist­gemäße be­triebs­be­ding­te Kündi­gung aus­ge­spro­chen ha­ben.
  • Der Ar­beit­ge­ber muss im Kündi­gungs­schrei­ben aus­drück­lich dar­auf hin­wei­sen, dass die Kündi­gung auf drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se gestützt wird und dass der Ar­beit­neh­mer bei Ver­strei­chen­las­sen der Kla­ge­frist ei­ne Ab­fin­dung nach § 1a KSchG be­an­spru­chen kann.
  • Der gekündig­te Ar­beit­neh­mer muss die dreiwöchi­ge Kla­ge­frist (§ 4 Satz 1 KSchG) un­ge­nutzt ver­strei­chen las­sen, wo­mit die Rechts­wirk­sam­keit der Kündi­gung endgültig fest­steht (§ 7 KSchG).

Die Höhe des Ab­fin­dungs­an­spruchs ist dann ge­setz­lich fest­ge­legt, nämlich auf 0,5 Gehälter pro Beschäfti­gungs­jahr. Da­bei kommt es gemäß § 10 Abs.3 KSchG auf das Ge­halt im Aus­schei­dens­mo­nat an (§ 1a Abs.2 Satz 2 KSchG). Zei­ten der Be­triebs­zu­gehörig­keit von mehr als sechs Mo­na­ten sind auf ein Jahr auf­zu­run­den (§ 1a Abs.2 Satz 3 KSchG).

Wie sich aus § 1a Abs.1 Satz 1 KSchG er­gibt, ent­steht der Ab­fin­dungs­an­spruch nicht be­reits mit Ver­strei­chen­las­sen der dreiwöchi­gen Kla­ge­frist, son­dern erst dann, wenn die Kündi­gungs­frist ab­ge­lau­fen ist. Erklärt ei­ne der Ver­trags­par­tei­en im Lau­fe der Kündi­gungs­frist ei­ne wei­te­re Kündi­gung, die das Ar­beits­verhält­nis vor­zei­tig be­en­det (z.B. frist­lo­se Kündi­gung durch den Ar­beit­ge­ber, or­dent­li­che Ei­genkündi­gung des Ar­beit­neh­mers mit kur­zer Frist), macht das den Ab­fin­dungs­an­spruch zu­nich­te. Denn das Ar­beits­verhält­nis en­det dann auf­grund der nach­ge­scho­be­nen Kündi­gung vor dem Zeit­punkt, in dem der Ab­fin­dungs­an­spruch ent­ste­hen würde.

Der Fall des LAG Rhein­land-Pfalz macht deut­lich, dass sich der Ar­beit­neh­mer sei­nen Ab­fin­dungs­an­spruch gemäß § 1a KSchG auch durch den un­be­dach­ten Ab­schluss ei­nes Ab­wick­lungs­ver­tra­ges vor Ab­lauf der Kündi­gungs­frist zer­schießen kann.

Streit über die Höhe der Ab­fin­dung gemäß § 1a KSchG nach Ab­lauf der Kla­ge­frist

Im Streit­fall hat­te ein Ar­beit­neh­mer we­gen Be­triebs­sch­ließung im Sep­tem­ber 2013 ei­ne or­dent­li­che be­triebs­be­ding­te Kündi­gung zum 30.09.2014 er­hal­ten, und zwar mit ei­nem Hin­weis nach § 1a KSchG. Im Kündi­gungs­schrei­ben teil­te der Ar­beit­ge­ber mit, die Ab­fin­dungs­sum­me be­lie­fe sich nach sei­ner der­zei­ti­gen Be­rech­nung auf 53.120,00 EUR.

Der Ar­beit­neh­mer er­hob kei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge.

Im Ju­li 2014 mach­te der Ar­beit­neh­mer dann von dem An­ge­bot des Ar­beit­ge­bers Ge­brauch und wech­sel­te in ei­ne Trans­fer­ge­sell­schaft. Da­zu ver­ein­bar­te er mit sei­nem Ar­beit­ge­ber und der Trans­fer­ge­sell­schaft ei­nen drei­sei­ti­gen Ver­trag, dem zu­fol­ge sein Ar­beits­verhält­nis mit dem Ar­beit­ge­ber zum 30.09.2014 en­den soll­te und zu­gleich ein be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis mit der Trans­fer­ge­sell­schaft be­gründet wur­de.

In dem Teil des Ver­tra­ges, der das Verhält­nis zwi­schen Ar­beit­neh­mer und bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber be­traf, wur­de die Ab­fin­dung mit 53.120,00 EUR ver­bind­lich fest­ge­legt und ver­ein­bart, dass sie im Sep­tem­ber 2014 aus­ge­zahlt würde. Außer­dem hieß es hier:

„Es be­steht Ei­nig­keit zwi­schen den Ar­beits­ver­trags­par­tei­en, dass das Ar­beits­verhält­nis be­triebs­be­dingt mit Ab­lauf des 30. Sep­tem­ber 2014 en­det. Oh­ne den vor­lie­gen­den Auf­he­bungs­ver­trag wäre das Ar­beits­verhält­nis durch ar­beit­ge­ber­sei­ti­ge be­triebs­be­ding­te Kündi­gung un­ter Ein­hal­tung der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist zum glei­chen Zeit­punkt be­en­det wor­den.“

In der Fol­ge wand­te sich der Ar­beit­neh­mer mehr­fach an sei­nen al­ten Ar­beit­ge­ber ver­lang­te ei­ne höhe­re Ab­fin­dung als die im Auf­he­bungs­ver­trag fest­ge­leg­ten 53.120,00 EUR. Nach sei­ner An­sicht hätte die Ab­fin­dung bei kor­rek­ter Be­rech­nungs­wei­se deut­lich, nämlich um 21.841,75 EUR höher aus­fal­len müssen. Die­sen Be­trag klag­te er vor dem Ar­beits­ge­richt Kai­sers­lau­tern ein, hat­te dort aber kei­nen Er­folg (Ur­teil vom 22.03.2016, 8 Ca 1503/15).

LAG Rhein­land-Pfalz: Der Ab­fin­dungs­an­spruch nach § 1a Abs.1 Satz 1 KSchG ent­steht nicht, wenn das Ar­beits­verhält­nis auf­grund ei­nes nach­ge­scho­be­nen Auf­he­bungs­ver­tra­ges en­det

Auch das LAG Rhein­land-Pfalz ent­schied zu­guns­ten des Ar­beit­ge­bers, und zwar mit fol­gen­der Be­gründung:

Durch den Auf­he­bungs­ver­trag vom Ju­li 2014 hat­ten die Par­tei­en die zunächst aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung bei­sei­te­ge­scho­ben, denn im Auf­he­bungs­ver­trag hieß es, dass das Ar­beits­verhält­nis oh­ne den Auf­he­bungs­ver­trag zum glei­chen Zeit­punkt (30.09.2014) be­en­det wor­den „wäre“, nämlich durch die be­triebs­be­ding­te Kündi­gung vom Sep­tem­ber 2013. An­ders ge­sagt: Die Ver­trags­be­en­di­gung er­folg­te nach dem Wil­len der Par­tei­en nicht durch die Kündi­gung, son­dern auf­grund des Auf­he­bungs­ver­trags. Da­zu das LAG:

„Set­zen die Par­tei­en ein­ver­nehm­lich ei­nen neu­en Be­en­di­gungs­tat­be­stand und re­geln sie die Ab­fin­dung neu, soll hier­durch das in Gang ge­setz­te Ent­ste­hen ei­nes Ab­fin­dungs­an­spruchs aus § 1a KSchG ab­ge­bro­chen wer­den. Es kann nicht ent­schei­dend dar­auf an­kom­men, wel­chen ge­nau­en Be­en­di­gungs­zeit­punkt die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en im drei­sei­ti­gen Ver­trag ver­ein­ba­ren.“

Und da die Ab­fin­dungshöhe im Auf­he­bungs­ver­trag ver­bind­lich auf 53.120,00 EUR fest­ge­legt wor­den war, gab es kei­ne recht­li­che Grund­la­ge für die ein­ge­klag­te Mehr­for­de­rung von 21.841,75 EUR.

Fa­zit: Sind be­triebs­be­dingt gekündig­te Ar­beit­neh­mer mit ei­nem Ab­fin­dungs­an­ge­bot gemäß § 1a KSchG ein­ver­stan­den, soll­ten sie die Füße still­hal­ten. Wer ein sol­ches An­ge­bot ei­ner­seits an­neh­men, an­de­rer­seits „op­ti­mie­ren“ möch­te, soll­te die­se Ver­hand­lung über ei­nen An­walt führen las­sen. An­dern­falls droht ei­ne Ver­rin­ge­rung oder schlimms­ten­falls der völli­ge Ver­lust der Ab­fin­dung.

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Letzte Überarbeitung: 1. Juli 2019

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